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Details zur sektorengleichen Vergütung

Erstveröffentlichungsdatum: 02.02.2023

Literatur

Zi-Insights: https://bit.ly/3Hv5TkZ ESV: https://bit.ly/3kAyQCH IGES-AOP: https://bit.ly/3XLuvLj

Zusätzliches

Zitationshinweis: Stegmaier, P.: „Details zur sektorengleichen Vergütung“ (01/23), S. 32, 34. http://doi.org/10.24945/MVF.01.23.1866-0533.2474

Plain-Text

Pflegekräfte bekommen mehr Zeit für Patientinnen und Patienten. Der Bestand von Krankenhäusern mit einer Fachabteilung für Geburtshilfe und die stationäre Versorgung von Kindern und Jugendlichen werden gesichert. Die Finanzierung der Hebammen wird verbessert und die ambulante Behandlung gefördert. Die Versorgungssituation für Long-Covid-Patient:innen wird verbessert: Mit dem am 29. Dezember 2022 in Kraft getretenen Krankenhaus-Pflegeentlastungsgesetz hat die Bundesregierung viele weitreichende Neuregelungen auf den Weg gebracht. So unter anderem auch die Neufassung des § 115f SGB V.
Dieser Paragraf führt „eine spezielle sektorengleiche Vergütung für diejenigen Leistungen des Katalogs nach § 115b ein, die bislang überwiegend stationär erbracht und abgerechnet wurden. Das Zi-Format „Insights“ beschäftigte sich Ende November mit dem Thema und rief dazu die Ideengeber aufs virtuelle Podium.

> So hat das IGES Institut Anfang 2022 mit einem Gutachten gemäß § 115b SGB V eine umfassende Erweiterung des AOP-Katalogs sowie Kontextfaktoren vorgeschlagen, die eine stationäre Leistungserbringung rechtfertigen könnten. Federführend: Dr. Martin Albrecht, IGES-Geschäftsführer und Bereichsleiter Gesundheitspolitik. Parallel dazu sind im Rahmen eines vom Innovationsfonds geförderten Projektes „Einheitliche, Sektorengleiche Vergütung (ESV)“ sowie bereits 2021 mit einem vom BMG beauftragten Gutachten zur „Identifizierung einer initialen Auswahl von Leistungsbereichen für eine sektorengleiche Vergütung“ unter Konsortialführung des Hamburg Center for Health Economics (hche) der Universität Hamburg konkrete Vorschläge für eine sektorengleiche Vergütung vorgelegt worden. Hier war Prof. Dr. Jonas Schreyögg, Wissenschaftlicher Direktor des hche, verantwortlich.
Mit den beiden Hauptautoren der Studien und Gutachten sowie mit seinem Zi-Kollegen Thomas Czihal, der ausführte, wie eine sektorengleiche Vergütung gestaltet werden kann, diskutierte Dr. Dominik von Stillfried, der Vorstandsvorsitzende des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland (Zi), die grundlegenden Details.
Bei der Neufassung des § 115f SGB V gehe es darum, führte von Stillfried aus, durch die Förderung der Ambulantisierung Krankenhausstrukturen zu entlasten. Dazu wurde zuerst mit dem § 115e die stationäre Erbringung einer Leistung ohne Übernachtung eingeführt, im zweiten Schritt nun mit dem § 115f die tatsächlich ambulante Leistungserbringung zu einem entsprechenden sektorgleichen Preis, wobei sich die Ambulantisierung in diesem Fall sowohl an die Krankenhäuser wie an die niedergelassenen Ärzt:innen richte. Um die Frage zu erörtern, wie die Möglichkeit dieser Ambulantisierung tatsächlich praxisrelevant werde, bat er zuerst Albrecht aufs Podium. Das von ihm verantwortete IGES-Gutachten habe viele Leistungen aus dem AOP-Katalog identifiziert, die zwar ambulant erbringbar sind, aber noch größtenteils stationär durchgeführt werden. Die Frage laute: Warum?

Regionale Variationen je nach Prüfpraxis

Die Frage konnte Albrecht aus dem von ihm verantworteten Gutachten, in dem acht Millionen OPS-Leistungen identifiziert wurden, die stationär erbracht werden, ziemlich einfach erklären. Die möglichen Gründe dafür seien die bisher ausgeprägte Vergütungsdifferenz, die Leistungserbringern einen ökonomischen Anreiz biete, sich bei Entscheidungsspielräumen für die stationäre Durchführung zu entscheiden. Zwar müsse jedes Krankenhaus mit einer Prüfung hinsichtlich primärer Fehlbelegung rechnen, doch gebe es Spielräume, die schon im AOP-Katalog angelegt seien. In dem würden die einzelnen Leistungen zwei verschiedenen Kategorien zugeordnet, wobei bei der zweiten gelte, dass sowohl eine ambulante als auch eine stationäre Durchführung möglich sei. Damit entfalte der Katalog selbst unterschiedlich starke Ambulantisierungsanreize. Diese Wahlmöglichkeit wird denn auch genutzt: So konnten laut Albrecht 77%, also drei Viertel aller Leistungspositionen der Top 30 AOP-OPS, die gruppierungsrelevant stationär durchgeführt werden, Kategorie 2 zugeordnet werden. Doch gebe es stark regio-
nale Variationen, „je nachdem, wie die jeweilige Prüfpraxis des Medizinischen Dienstes“ (MD) ausfalle. Jedoch können weitere Gründe sein, dass es sich bei den dahinterstehenden Fällen auch um akute Notfallpatient:innen handeln könnte. Darum müsse bei einer Neuregelung die wichtige Schnittstelle zwischen Notfall- und Akutversorgung einerseits und Ambulantisierung andererseits angegangen werden.
Last but not least gebe es Albrechts Worten zufolge noch einen dritten Grund, den er mit „Kontextfaktoren“ umschrieb. Es würden eben nicht immer ähnliche Patient:innen hinter diesen Leistungen stehen. So könnten beispielsweise, selbst wenn die Leistung identisch sei, die Fälle Patient:innen darstellen, die erschwerende Begleiterkrankungen hätten, was eine stationäre Durchführung begründbar mache. Albrecht: „Das aber sehen wir den nackten Zahlen nicht an, aber könnte auch einen Teil zu der Erklärung beitragen.“

Eine Frage der PCCL-Gruppierung

Ökonom Schreyögg griff sich Albrechts ersten Erklärungspunkt heraus, indem er sagte, dass es allseits bekannt sei, dass finanzielle Anreize nicht nur in diesem Kontext, sondern insgesamt eine große Rolle spielten. Dessen müssen man sich bei jeder gesetzlichen Änderung bewusst sein, weil man mit jeder Änderung neue finanzielle Anreize setzt und diese auf die Versorgung wirken. Im bisherigen System sei es so gewesen, dass Krankenhäuser vor der schwierigen Situation gestanden seien, über § 115b Fälle abrechnen zu müssen, die in den meisten Fällen mit dem derzeitigen Krankenhaus-Overhead oft nicht kostendeckend zu erbringen sind. Schon deswegen würden Krankenhäuser sich in das Risiko begeben, derartige Fälle stationär aufzunehmen, obwohl sie das Risiko der Prüfung der primären und sekundären Fehlbelegung durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen kennen würden.
Doch gebe es, wie Albrecht bereits ausgeführt habe, eine „wahnsinnige Variation bei dieser Prüfung“, zudem sei es schwierig, Muster auszumachen – selbst innerhalb einer Stadt. Schreyögg: „Fest steht, dass sich damit Krankenhäuser in ein hohes Risiko begeben. Von daher ist es auch im Sinne der Krankenhäuser, eine nachhaltige Lösung zu finden.“ Hier meint der Hamburger Ökonom eine Lösung, in der man AOP-Fälle rechtssicher und kostendeckend ambulant am Krankenhaus oder entsprechend in der vertragsärztlichen Versorgung erbringen kann. Daneben werde es aber immer auch Fälle geben, die eigentlich in das AOP-Spektrum gehörten, die aber – aus welchen Gründen auch immer – stationär aufgenommen werden müssen. Hier sei es wichtig, dass ein Krankenhaus solche Fälle tatsächlich auch stationär aufnehmen und entsprechend einer DRG, zum Beispiel in einer höheren PCCL-Kategorie, abrechnen darf. „Diese Problematik wird immer bestehen, wird aber nachhaltig gelöst mit der neuen sektorengleichen Vergütung“, gab Schreyögg zu Protokoll.
Das Problem, warf von Stillfried ein, könne gelöst werden, indem man die Schweregradeinteilung so wählt, dass der größte Anteil der Leistungen, die bisher stationär erbracht worden sind, unter die sektorengleiche Vergütung falle. So hätte man es nur noch in kleinen Randphänomenen mit höheren Schweregradstufen zu tun. Mit diesem Ansatz wandte er sich erneut an IGES-Geschäftsführer Albrecht, indem er fragte: „Welche Möglichkeiten der Definition sehen Sie, die Ambulantisierung durch definitorische Schritte zum Beispiel des Schweregradsbegriffs bei den Leistungen des § 115f zu fördern?“
Da die Definition der Schweregrade darüber entscheide, ob ein Fall weiterhin stationär oder ambulant erbracht werden kann oder ob ambulant ein erhöhter Schweregrad vorliegt, der dann wiederum eine erhöhte Vergütungsstufe bei ambulanter Durchführung auslöse, sieht Albrecht nur einen Weg: die AOP-Kategorien 1 und 2 abzuschaffen und durch eine stringente Kontextprüfung zu ersetzen.
Beim zweiten Punkt war Schreyögg anderer Meinung. Nicht generell, sondern weil er es als problematisch ansieht, die richtigen Kontextfaktoren zu definieren. Hier bestehe die Gefahr, in eine ähnliche Problematik wie mit dem RSA zu kommen. Zum anderen komme man damit in eine Upcoding-Problematik, womit der MD am Ende mehr zu prüfen habe als schon jetzt und was daher zu vermeiden sei.
Da ein grundlegendes Motiv der neuen sektorengleichen Vergütung auch eine Entbürokratisierung sei, solle man Schreyöggs Ansicht nach wegkommen von zu detaillierten MD-Prüfungen. Deswegen sei im vom Innovationsfonds geförderten Projekt „Einheitliche, Sektorengleiche Vergütung (ESV)“ vorgeschlagen worden, die PCCL-Gruppierung pragmatisch aus dem DRG-System zu nehmen. Schreyögg: „Damit wäre relativ klar, welche Fälle von einer sektorengleichen Pauschale belegt würden und welche Fälle im DRG-System verbleiben.“ Damit würden Fälle mit einem geringeren PCCL-Level komplett aus dem DRG-System ausgegliedert und mit einer sektorengleichen Pauschale belegt. <<

von: MVF-Chefredakteur Peter Stegmaier

Abkürzungen:
AOP – Ambulantes Operieren
OPS – Operationen- und Prozeduren-Schlüssel
DRG – Diagnosis Related Groups (diagnosebezogene Fallgruppen)
PCCL – Patient Clinical Complexity Level (klinischer Komplexitätsgrad oder Schweregradstufen-Grad von Patient:innen)
RSA – Risiko-Struktur-Ausgleich