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Die Versorgung von Menschen mit Diabetes ist und bleibt eine Herausforderung. Typ-2-Diabetes ist eine weltweite Epidemie. Die International Diabetes Federation rechnet im Jahr 2030 mit 440 Millionen Erkrankten. Das wäre gegenüber dem Jahr 2006 fast eine Verdoppelung der Betroffenen. Beim „3. Nationalen Workshop Diabetes-Versorgung“, den das IGES-Institut in Berlin ausgerichtet hat, sind Experten der Frage nachgegangen, wie die Lebensqualität von Diabetikern verbessert werden kann. Die Ergebnisse lassen sich in drei Punkten zusammenfassen: Bedeutsam sind erstens die Folge- und Begleiterkrankungen und das Maß, in dem sie bei der therapeutischen Strategie berücksichtigt werden. Zweitens ist wichtig, wieweit die Patienten bewusst in die Behandlung und die Therapieentscheidungen einbezogen werden. Drittens kann die Zusammenarbeit der Ärzte mit anderen Berufsgruppen den Therapieerfolg wesentlich verbessern. Alle drei Thesen wurden in der Veranstaltung eindrucksvoll belegt.
>> Diabetes hat ökonomisch eine gewaltige Bedeutung. Die Kosten des Typ-2-Diabetes in Deutschland werden auf rund 16 Milliarden Euro und damit knapp zehn Prozent der gesamten Gesundheitsausgaben geschätzt. Prof. Dr. Stephan Matthaei vom Diabetes-Zentrum Quakenbrück weist in diesem Zusammenhang auf die Dramatik der Folgeerkrankungen hin: Alle 90 Minuten erblinde in Europa ein Diabetiker, alle 60 Minuten käme ein neuer Dialysepflichtiger hinzu, alle 19 Minuten käme es zu einem Herzinfarkt und alle 12 Minuten zu einem Schlaganfall als Folge von Diabetes. Fast die Hälfte der genannten Kosten erkläre sich durch nicht erreichte Therapieziele. Das unterstreicht die Bedeutung, die - neben der Prävention - eine Optimierung der Therapie des Diabetes hat. Ziel müsse sein: „Treat to target“ und die Vermeidung von Hypoglykämien und Gewichtszunahme. Dabei seien Veränderungen im Lebensstil nicht nur bei der Prävention, sondern in jeder Phase der Krankheit ebenso wichtig wie Medikamente.
Diabetes und
Begleiterkrankungen
Matthaei appellierte daher nachdrücklich, die Zielwerte zur Vermeidung langfristiger Folgeerkrankungen bei der Therapie der Typ-2-Diabetes konsequent zu verfolgen. Dabei gehe es vor allem um die Senkung des HbA1c-Wertes, des Blutdrucks und der Lipidparameter. Eine so „intensivierte multifaktorielle Therapie“ könne beispielsweise kardiovaskuläre Ereignisse nach 13 Jahren um 29 % senken und die Mortalität um rund 20 %. „Treat to Target“ müsse sich daher an dem HbA1c-Zielwert orientieren, der in den Leitlinien empfohlen wird. Zugleich müsse die Einstellung aber auch so sensibel sein, dass Hypoglykämien vermieden würden. Die „Take home message“ für die Insulintherapie war folglich: „So viel wie nötig, so wenig wie möglich“. Die damit angestrebte Reduktion der makro- und mikrovaskulären Folgeerkrankungen trage im Ergebnis nicht nur zur Verbesserung der Lebensqualität der Diabetiker bei, sondern auch zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen.
Auf die Bedeutung der Hypoglykämien bei Typ-2-Diabetikern als Morbiditäts- und Kostentreiber wies auch Prof. Dr. Dr. Diethelm Tschöpe vom Herz- und Diabeteszentrum Nordrhein-Westfalen (Bad Oeynhausen) hin. Prof. Tschöpe ist maßgeblich beteiligt an der „DiaRegis“-Studie, einem vom Institut für Herzinfarktforschung in Ludwigshafen initiierten „prospektiven Diabetesregister“. DiaRegis wertet erstmals ambulante Daten von Patienten mit Typ 2 Diabetes und ihrem Risiko für Hypoglykämien unter Versorgungsbedingungen aus. Untersucht werden die Behandlungsmuster, diabetesbezogene Komplikationen sowie die Lebensqualität der Patienten. DiaRegis führt aktuell Patienten aus ca. 300 niedergelassenen Arztpraxen bundesweit. Während der 24-monatigen Nachbeobachtungszeit, die bis Mai 2012 läuft, werden Hypoglykämien besonders aufmerksam registriert. HbA1c-Werte, Nüchternglukose und postprandialer Blutzucker werden ebenso dokumentiert wie Therapien, Begleiterkrankungen und Risikofaktoren. In der aktuellen Datenauswertung konnten 3.808 Register-Patienten berücksichtigt werden.
Ein Ziel war die Analyse des Zusammenhangs zwischen medikamentöser Therapie (beim Einstieg in die Studie nur mit oralen Antidiabetika) und dem Auftreten von Hypoglykämien aller Schweregrade. Dabei weisen die Patienten mit Hypoglykämien ein ausgeprägteres Komorbiditätsmuster auf als diejenigen ohne solche Ereignisse. Neben dem Alter des Patienten korrelieren Hypoglykämien auch mit Herzinsuffizienz, koronarer Herzerkrankung, Schlaganfall, Depressionen und autonomen Neuropathien. Außerdem sollte untersucht werden, was nach einer vom Arzt vorgenommenen Therapieumstellung passiert: Bei Intensivierung einer oralen Einfach- oder Zweifachkombinationstherapie treten Hypoglykämien signifikant häufiger auf. Besonders beunruhigend ist, dass es bei Patienten, die in guter Absicht auf Insulin umgestellt worden waren, zu einer Verdreifachung der Hypoglykämien kam.
Dabei sind Hypoglykämien teuer und verstärken das Risiko für weitere Folgeerkrankungen. Ihre Vermeidung sollte daher als Kriterium der Therapiewahl stärker in den Vordergrund rücken. Insbesondere Insulin sollte sehr vorsichtig eingesetzt werden. Die Daten legen schließlich die Überlegung nahe, dass die gelungene Insulineinstellung möglicherweise mit einer Erhöhung der Glucosevariabilität „erkauft“ wird.
Dass der Einsatz von Insulin mit Risiken verbunden ist, zeigte auch Prof. Dr. Bertram Häussler vom IGES Institut Berlin. Schwerpunkt seines Vortrags war der Zusammenhang zwischen Diabetes, Insulin und Krebs. Basierend auf einer systematischen Literaturrecherche wurden die epidemiologischen und pathophysiologischen Zusammenhänge dargestellt.
Epidemiologische Studien zeigen, dass das Risiko, an Krebs zu erkranken, bei Typ 2 Diabetikern, die mit Insulin therapiert werden, höher ist als bei denen, die etwa mit Metformin behandelt werden. Besonders für Leber- und Pankreaskarzinome wird dieser Zusammenhang deutlich. Dosis-Wirkung-Studien zeigen darüber hinaus, dass die Inzidenz von Krebs bei Diabetikern mit der Höhe des Insulinverbrauchs steigt. Das ist bedenklich, weil in Deutschland nicht nur die Zahl der Diabetiker pro Jahr um 2,4 Prozent wächst, sondern auch der Anteil der davon mit Insulin Behandelten rasant zunimmt. Von 1997 bis 2009 nehmen die mit Insulin versorgten Typ 2-Diabetiker von 270.000 auf 1.220.000 zu. Das entspricht einer jährlichen Steigerung um mehr als 13 Prozent. Dabei ist der Insulinverbrauch je Einwohner in Deutschland beispielsweise im Vergleich zu Frankreich etwa doppelt so hoch. Das hat kaum etwas mit der höheren Diabetes-Prävalenz in Deutschland zu tun, erklärt sich aber zu 78 Prozent aus dem höheren Anteil der mit Insulin Behandelten und zu 18 Prozent aus der höheren Dosierung.
Die Risiken der „Insulinisierung“ müssten daher intensiver betrachtet werden. Zwar gebe es einerseits Krebsmedikamente, die zu Diabetes führen. Andererseits legt das pathophysiologische Modell die Hypothese nahe, dass Insulin die Rezeptor-Aktivierung steigert und damit auch die Gefahr der Metastasierung erhöht. Es müsse allerdings relativierend berücksichtigt werden, dass das Krebsrisiko insgesamt nur sehr gering sei und eine Krebserkrankung daher auch für Patienten, die Insulin spritzen, sehr unwahrscheinlich sei.
In der folgenden Diskussion resümierte Prof. Tschöpe, dass in Deutschland viel Insulin verbraucht werde, ohne dass die Patienten tatsächlich gut eingestellt seien. Die Vermutung läge nahe, dass die seit 2002 eingeführten Disease-Management-Programme (DMP) der Behandlung mit Insulin einen massiven Schub gegeben hätten. Diese Programme wurden durch die Krankenkassen forciert und finanziell massiv unterstützt. Der HbA1c-Wert wurde damit als zentraler Kennwert erst allgemein bewusst gemacht. Dabei fiel es den Hausärzten offenbar leichter, die Patienten mit Insulin einzustellen, als sie erfolgreich zu einer Änderung des Lebensstils zu motivieren. Die DMP hätten zwar die positive Wirkung gehabt, dass die Diabetes-Behandlung seitdem in Deutschland systematischer angepackt worden sei. Vielleicht seien aber die Leitlinien und Interventionskonzepte zu einfach gestrickt worden. Jedenfalls müsste mit den Risiken von Insulin bewusster umgegangen und die Therapie sorgfältiger eingesetzt werden.
Lebensqualität
In den letzten Jahrzehnten konnte die Lebensqualität von Menschen mit Diabetes durch zahlreiche medizinische Innovationen und Schulungsmöglichkeiten verbessert werden. Das war der Ausgangspunkt von Sabine Westermann, Rechtsanwältin aus Berlin mit dem Schwerpunkt Gesundheitsrecht. Es gebe aber auch deutliche Rückschläge. Aufgrund einer „rationierten Verordnungspraxis“ stünden viele Diabetiker bereits heute regelmäßig im „Kampf um den Quartalsbedarf“. Vorhandene Therapiemöglichkeiten würden immer weiter eingeschränkt. Neue und äußerst wichtige Hilfsmittel, wie z.B. die kontinuierliche Glukosemessung, würden Diabetikern unter dem Vorwand, dass es sich um eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode handle, vorenthalten. Immer mehr Betroffene seien mittlerweile gezwungen, juristische Hilfe in Anspruch zu nehmen, um die erforderlichen Leistungen zu bekommen und ihre Lebensqualität zu verbessern.
Für Diabetiker gebe es zum Beispiel das alltägliche Problem, ein anderes Ernährungsverhalten zu praktizieren. Um dabei ein Mindestmaß an Flexibilität zum Beispiel im Beruf zu gewährleisten, müsse das Selbstmanagement der Patienten optimal unterstützt werden. Dabei seien die erwähnten Hilfsmittel von zentraler Bedeutung. In diesem Zusammenhang griff Westermann die Begutachtungspraxis des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) scharf an: Die übliche Beurteilung nach Aktenlage mache „Lebensqualität“ zu einem Randthema. Die Versorgung von Diabetikern müsse sich stattdessen nach dem Urteil des behandelnden Arztes richten, fordert Westermann, und nicht nach den Maßgaben des MDK.
So sei Lebensqualität z.B. kein Kriterium mehr bei der Verordnung von Insulinpumpen. Für oral behandelte Typ-2-Diabetiker gebe es keine Teststreifen mehr und insgesamt würden diese Hilfsmittel von den Kassen massiv rationiert. Gerade aber bei einer Erkrankung, die eine hohe Mitwirkung der Betroffenen bei der Therapie erfordere, sei es für eine kontinuierliche Adhärenz dringend erforderlich, dass jeder die Versorgung erhält, die er benötigt.
PD Dr. Bernhard Kulzer vom Diabetes Zentrum Bad Mergentheim ging der Frage nach, wie Lebensqualität überhaupt gemessen wird, und welchen Stellenwert sie in der Therapie hat. Nach seiner Auffassung besteht das „oberste Ziel der Diabetestherapie“ darin, „Menschen mit Diabetes in die Lage zu versetzen, ein normales und erfülltes Leben zu führen“. Leider werde dieses Ziel in der Praxis bislang nicht erreicht. Verschiedene Studien kämen zu dem Schluss, dass die Lebensqualität von Menschen mit Diabetes im Vergleich zu Menschen ohne diese Erkrankung erheblich reduziert sei. Dies gelte insbesondere für Patienten, die bereits Folgeerkrankungen aufweisen bzw. zusätzlich an einer psychischen Erkrankung, etwa einer Depression, leiden.
Die Erhaltung der Lebensqualität als eigenständiges Therapieziel habe zwar mittlerweile Eingang in nationale und internationale Leitlinien zur Diabetesbehandlung gefunden. Für das Leistungsrecht der GKV sei das Kriterium jedoch nicht ausschlaggebend. Bei der Nutzenbewertung von Arzneimitteln nach § 35b SGB V werde zwar die Verbesserung der Lebensqualität als Gesichtspunkt erwähnt. In der Praxis des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) käme das jedoch nicht zum Tragen, weil es für die Messung der „Lebensqualität“ keine randomisierten und kontrollierten Studien gebe. Das habe sich z.B. bei der Bewertung der Insulinanaloga durch das IQWiG gezeigt. Die bevorzugte Rolle von Studien zu „harten Endpunkten“, d.h. Studien der höchsten Evidenzstufe, führe faktisch zu einer Abwertung des Kriteriums der Lebensqualität. Aus der Perspektive der Patienten sei die Rangfolge jedoch genau umgekehrt. Daher müssten Aspekte der Lebensqualität als letztlich entscheidendes „patient reported outcome“ stärker in die Bewertung von Therapieoptionen einbezogen werden. Lebensqualität sei für diesen Zweck hinreichend valide messbar.
Versorgung und Pflege
Sabine Schulze, Ökonomin vom Wissenschaftlichen Institut der Ortskrankenkassen (WIdO), widmete sich der Frage, wie die ambulante ärztliche Versorgung auch in Zukunft sichergestellt werden kann. Diese Frage, die im Mittelpunkt des seit kurzem aktiven Versorgungsstrukturgesetzes steht, berührt natürlich die Versorgung chronisch Kranker auf dem Lande, und damit auch die Versorgung von Diabetikern. Der Ansatz des GKV-VStG zur Reform der ärztlichen Bedarfsplanung sei jedoch unzureichend. Der Übergang zu kleinräumigen Planungsregionen, die Berücksichtigung von demografischen Faktoren und die Steigerung finanzieller Niederlassungsanreize ginge mehr oder weniger an dem Grundproblem vorbei. Der zentrale Fehler der herkömmlichen Bedarfsplanung sei nämlich die Illusion, jede ärztliche Arbeitsstunde habe die gleiche Produktivität. Zum Beispiel der Hausbesuch in dünn besiedelten ländlichen Regionen sei aber zwangsläufig mit therapeutisch „unproduktiven“ Anfahrtszeiten verbunden etc. Entscheidend sei daher eine grundsätzliche Veränderung der Perspektive: Man müsse sich mehr mit innovativen Organisationformen der ambulanten Versorgung auseinandersetzen, mit denen die Produktivität der ärztlichen Leistungserbringung erhöht werden könne. Dazu gehören nach Auffassung von Schulze eine neue Aufgabenverteilung zwischen Ärzten und nichtärztlichen Gesundheitsberufen, neue ärztliche Organisations- und Erwerbsmodelle, sektor-
übergreifende Versorgungsansätze und der Einsatz technischer Innovationen u.a. im Rahmen von Telemedizin und internetbasierter Kommunikation. Die Förderung Medizinischer Versorgungszentren (MVZ), die Einbeziehung von Krankenhausärzten in die ambulante Versorgung und die weitere Übertragung von Leistungen auf nicht-ärztliche Fachkräfte kämen auch der Diabetikerversorgung auf dem Lande zugute.
Ein anschauliches Beispiel für diese Möglichkeiten bot Sabine Kruc, gelernte Kinderkrankenschwester und inzwischen „Fachwirtin für ambulante ärztliche Versorgung“. Sie arbeitet für eine Allgemeinarztpraxis in der Priegnitz unter den vertraglichen Bedingungen des Modellprojektes „Agnes zwei“ und bot einen Einblick in die Diabetikerbetreuung im Rahmen von Hausbesuchen. Dabei werden z.B. die Einnahme und die Lagerung der Medikamente, der richtige Umgang mit dem Blutzuckermessgerät und die Eintragungen in das BZ-Tagebuch überprüft. Die Injektionstechnik wird beobachtet und ggf. nachgeschult. Zum Aufgabenkatalog gehört auch die Schulung zur Vorbeugung von Hypoglykämien, aber auch zum Verhalten beim Eintritt solcher Ereignisse. Schulungen und Diätberatung beim Hausbesuch wirken oft nachhaltiger als in der Arztpraxis. Zum Hausbesuch gehört „auch regelmäßig ein Blick in den Kühlschrank“.
In den nachgehenden Gesprächen mit dem Arzt können Änderungen der Medikation und andere ergänzende Maßnahmen besprochen werden. Eine besondere Rolle in der Versorgungspraxis spielt die Vor- und Nachbereitung von Krankenhausaufenthalten zur Diabeteseinstellung. Ein hoher Betreuungsaufwand besteht auch bei pflegebedürftigen Diabetikern, z.B. für die Organisation häuslicher Krankenpflege. Insgesamt ist das Modellprojekt - so das Fazit von Frau Kruc - ein überzeugendes Beispiel für die Entlastung der Ärzte durch qualifizierte nicht-ärztliche Fachkräfte und für die Verbesserung der Kommunikation mit den Patienten.
Zum Abschluss der Veranstaltung wies Prof. Dr. Ralf Schiel, von der MEDIGREIF Inselklinik Heringsdorf und der Mathias Hochschule Rheine, auf eine grundlegende Voraussetzung erfolgreicher Diabetesbehandlung hin: Die Entwicklung differenzierter Programme zur Patientenedukation und die Ausbildung von entsprechendem Schulungspersonal. Das Ziel der ärztlichen Kunst sei heute nicht mehr allein, das menschliche Leben zu verlängern, sondern eine optimale Lebensqualität für die chronisch Kranken, wie Patienten mit Diabetes mellitus zu erreichen. In den vergangenen Jahrzehnten sei es in diesem Sinne zu wesentlichen Änderungen in der Diabetesbehandlung und bei den Therapiestrategien gekommen: Die Verschreibung von Medikamenten, aber auch die ärztliche Verordnung des „richtigen Lebenswandels“ rückte gegenüber der Beratung der Patienten zur Selbsttherapie in den Hintergrund.
Allein die Wissensvermittlung durch strukturierte Behandlungs- und Schulungsprogramme reiche jedoch nicht aus. Der Erfolg der Therapie hänge auch von der Fähigkeit des Patienten ab, vermitteltes Wissen in den Alltag umzusetzen. Im Rahmen der Patientenschulung müssten somit kognitive und affektive Lernziele (Akzeptanz und Motivation) gleichrangig berücksichtigt werden. Um diese Forderung zu erfüllen, wurden in den vergangenen Jahrzehnten eine Reihe „strukturierter Behandlungs- und Schulungsprogramme für Patienten mit Diabetes mellitus ohne Insulintherapie, mit konventioneller Insulintherapie, mit intensivierter Insulintherapie, mit Insulinpumpentherapie und für Patienten mit Fußkomplikationen oder Blutglukosewahrnehmungsstörungen“ entwickelt und evaluiert.
Die Durchführung entsprechender Schulungen erfordert auch die stärkere Einbeziehung nicht-ärztlichen Fachpersonals, wie Diabetesberaterinnen bzw. Diabetesassistentinnen. Am Beispiel der Ausbildungsangebote der Mathias Hochschule Rheine erläuterte Schiel den Aufbau und die Inhalte entsprechender Studiengänge.
Politisches Fazit
In der Diskussion wurde der verstärkte Einsatz von nicht-ärztlichen Fachkräften bei der Diabetesschulung und -Therapie allgemein befürwortet. Andererseits wurde kritisiert, dass die jüngst verabschiedete Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses für Modellversuche zur Übertragung ärztlicher Leistungen auf nicht-ärztliches Fachpersonal in dieser Hinsicht enttäusche. Die in der Richtlinie vorgesehenen Qualifikationsvoraussetzungen und zeitlichen Umsetzungsstufen verhindern geradezu, dass heute ausgebildete Diabetesberater(innen) in absehbarer Zeit ärztliche Aufgaben übernehmen können. Trotzdem sei insgesamt eine Verbesserung der Diabetesversorgung möglich und auch wahrscheinlich. Einer der an der Veranstaltung teilnehmenden Politiker, der Berliner Abgeordnete und gesundheitspolitischer Sprecher der SPD, Thomas Isenberg MdA, jedenfalls hat reagiert: Er versicherte, man habe im Koalitionsvertrag für den neuen Senat vereinbart, dass Berlin „Modellstadt für eine indikationsbezogene Verbesserung der Versorgungslage“ chronisch Kranker werden soll. Wenn diese Einsicht unter den Politikern Schule macht, hätte sich der Einsatz des Veranstalters sowie der Sponsoren schon gelohnt. <<
von: Dr. Robert Paquet*