Sicherstellung der Arzneimittelversorgung durch den pharmazeutischen Großhandel
Gesetzlicher Sicherstellungsauftrag im Lichte aktueller wettbewerbspolitischer Entwicklungen
Der vollversorgende pharmazeutische Großhandel ist integraler Bestandteil der Arzneimittelversorgung in Deutschland. Das Arzneimittelgesetz lässt dem vollversorgenden Arzneimittelgroßhandel daher eine Sonderstellung zukommen, indem er eine bedarfsgerechte und kontinuierliche Belieferung der mit ihm in Geschäftsbeziehung stehenden Apotheken mit Arzneimitteln gewährleisten muss. Der Wandel wirtschaftlicher und regulatorischer Rahmenbedingungen, der sich seit einigen Jahren vollzieht und aktuell noch einmal erheblich an Dynamik gewonnen hat, gibt Anlass, die Konstellationen im Markt des pharmazeutischen Großhandels aus einer wettbewerbspolitischen Perspektive zu betrachten und zu bewerten. Hieraus können Rückschlüsse auf die kurz- und mittelfristige Erfüllbarkeit des gesetzlichen Sicherstellungsauftrags durch den vollversorgenden pharmazeutischen Großhandel gezogen werden.
Die gesetzliche Rolle des vollversorgenden pharmazeutischen Großhandels in der
Arzneimittelversorgung
>> Grundsätzlich kann jeder pharmazeutische Großhändler und auch jeder pharmazeutische Unternehmer Großhandel mit Arzneimitteln betreiben. Für jedwede Großhandelstätigkeit mit Arzneimitteln bedarf es jedoch gemäß Arzneimittelgesetz (AMG) einer Erlaubnis. Mit dem Inverkehrbringen von Arzneimitteln durch den pharmazeutischen Unternehmer (pU) sowie mit dem Großhandel von Arzneimitteln geht zudem eine besondere gesetzliche Verpflichtung einher, indem eine bedarfsgerechte angemessene und kontinuierliche Bereitstellung sicherzustellen ist.
In Abgrenzung zu anderen pharmazeutischen Großhändlern kommt dem vollversorgenden Arzneimittelgroßhandel nach den Regelungen des AMG eine Sonderstellung zu: Er hat gegenüber den pharmazeutischen Unternehmern den Anspruch auf eine bedarfsgerechte und kontinuierliche Belieferung. Als vollversorgende Arzneimittelgroßhandlungen gelten Großhandlungen, „(…) die ein vollständiges, herstellerneutral gestaltetes Sortiment an apothekenpflichtigen Arzneimitteln unterhalten, das nach Breite und Tiefe so beschaffen ist, dass damit der Bedarf von Patienten von den mit der Großhandlung in Geschäftsbeziehung stehenden Apotheken werktäglich innerhalb angemessener Zeit gedeckt werden kann; die vorzuhaltenden Arzneimittel müssen dabei mindestens dem durchschnittlichen Bedarf für zwei Wochen entsprechen.“ (§ 52b Abs. 2 AMG)
Vor dem Hintergrund der gesetzlichen Aufgaben des vollversorgenden pharmazeutischen Großhandels lässt sich u. a. auch die Regulierung der Großhandelsspanne über die Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) legitimieren (1). Der deutsche Gesetzgeber hat zur Sicherstellung der flächendeckenden Versorgung in der Arzneimittelpreisverordnung das System der einheitlichen Apothekenabgabepreise für rezeptpflichtige (Rx) Arzneimittel etabliert. Das System der einheitlichen Apothekenabgabepreise für Rx-Arzneimittel funktioniert in der Weise, dass der pharmazeutische Unternehmer das Arzneimittel jeweils zu dem von ihm festgelegten einheitlichen Abgabepreis (ApU) an den Großhandel oder die Apotheken abgibt und der Großhandel und die Apotheken darauf jeweils Aufschläge nach Maßgabe der Arzneimittelpreisverordnung erhalten. Auf diese Art und Weise ist sichergestellt, dass eine bestimmte Packung eines Rx-Arzneimittels in allen Apotheken in Deutschland denselben Preis hat. Da der einheitliche Abgabepreis weder über- noch unterschritten werden darf, fungiert er sowohl als Mindest- als auch als Höchstpreis.
Insbesondere in seiner Mindestpreisfunktion soll der einheitliche Abgabepreis die Existenzfähigkeit eines qualitativ hochwertigen Versorgungsangebots durch Apotheken und den pharmazeutischen Großhandel in der Fläche gewährleisten.
Marktakteure und -prozesse
Im Markt des pharmazeutischen Großhandels agieren verschiedene Akteure als Anbieter von Waren und Dienstleistungen. Hierzu zählen im Wesentlichen der (vollversorgende) pharmazeutische Großhandel, pharmazeutische Unternehmen sowie die Apotheken. Neun Unternehmen zählen zu den sogenannten vollversorgenden pharmazeutischen Großhändlern (VGH) in Deutschland. Sie verfügen über insgesamt 104 Niederlassungen (2). Ihre Unternehmensstruktur wird differenziert zwischen Genossenschaften, mittelständischen inhabergeführten Unternehmen und Konzernen. Gekennzeichnet ist der vollversorgende pharmazeutische Großhandel dadurch, dass er ein vollständiges und herstellerneutrales Sortiment apothekenpflichtiger Arzneimittel unterhält. Neben dem vollversorgenden pharmazeutischen Großhandel gibt es andere Arzneimittelgroßhandlungen (sog. teilversorgende pharmazeutische Großhändler), die über ein eingeschränktes und nicht herstellerneutrales Arzneimittelsortiment verfügen. Darüber hinaus haben pharmazeutische Unternehmer die Möglichkeit, Apotheken im Rahmen des sog. Direktvertriebs direkt zu beliefern (3).
Vor-Ort-Apotheken bilden die Hauptkundschaft des pharmazeutischen Großhandels, insbesondere der Vollversorger (4). Ende des Jahres 2021 gab es in Deutschland 18.461 Apotheken, davon 13.718 Haupt- oder Einzelapotheken, die eine eigene Betriebserlaubnis haben, und 4.743 Filialapotheken. Der Anteil der Filialapotheken hat in den vergangenen Jahren stetig zugenommen (5). Apotheken können als Einzelkunden beim pharmazeutischen Großhandel bestellen oder sich zu diesem Zweck als Genossenschaften, Einkaufskooperationen oder Einkaufsverbünde zusammenschließen (6).
Durchschnittlich finden werktäglich pro Apotheke 2,9 Lieferungen in 24 Stunden durch den vollversorgenden pharmazeutischen Großhandel statt. Hierzu zählt auch die außerplanmäßige Einzel-/Eilbelieferung in Notfallsituationen (7). Darüber hinaus haben Apotheken die Option, Arzneimittel direkt vom pharmazeutischen Unternehmer und sonstigen Lieferanten bzw. von teilversorgenden pharmazeutischen Großhändlern zu beziehen. Dabei können Apotheken sich als sog. Einkaufsringe oder Einkaufsgemeinschaften zusammenschließen und so nachfrageseitig bedeutender werden. Auch sogenannte Apothekenberater tragen zu einer Bündelung der Nachfragemacht bei.
Aktuelle Marktentwicklung
Die rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen im Pharma- und Apothekenmarkt haben sich in den zurückliegenden Jahren entscheidend verändert. Diese Entwicklungen haben auch prägenden Einfluss auf die skizzierte wirtschaftliche Interaktion der Akteure. Die aktuelle Marktentwicklung ist daher auch mit Blick auf die wettbewerbspolitische Analyse von Bedeutung.
Die Einflussfaktoren und Markttrends, denen der vollversorgende Großhandel unterliegt, sind vielfältig und zumeist durch ihn nicht oder kaum beeinflussbar. Sie basieren auf gesamtwirtschaftlichen Rahmenparametern, regulatorischen Vorgaben, Sortimentsentwicklungen, der Entwicklung des Apothekenmarktes und dem Verhalten von Wettbewerbern. Beispielhaft sei an dieser Stelle auf die Etablierung des gesetzlichen Mindestlohns sowie die steigende Inflationsrate verwiesen. Aktuell kommen vor allem steigende Kosten für Energie und Treibstoff sowie die notwendige Umstellung auf Kühlfahrzeuge hinzu. Bereits seit Längerem geht überdies ein nachfrageseitiger Einfluss u. a.
von der abnehmenden Apothekenzahl, der zunehmenden Bedeutung von Einkaufskooperationen und dem Anstieg des Direktgeschäfts aus.
Wettbewerbspolitische Analyse
Vor dem Hintergrund rechtlicher und ökonomischer Rahmenbedingungen des Marktes des pharmazeutischen Großhandels können die sich hieraus ergebenden Wettbewerbsverhältnisse analysiert und in ihren Auswirkungen bewertet werden. Basis dafür ist eine kurze Einführung grundlegender wettbewerbstheoretischer Zusammenhänge.
Grundlegende wohlfahrtsökonomische und wettbewerbspolitische Aspekte
Die Markt- und Wettbewerbsverhältnisse betreffend Gesundheitsgüter im Allgemeinen sowie Arzneimittel im Speziellen unterscheiden sich erheblich von den Gegebenheiten in den Märkten anderer Güter. Dies resultiert aus den Besonderheiten dieser Güter sowie der damit in Verbindung stehenden speziellen Angebots- und Nachfragesituation. Die im Ergebnis vom System eines funktionsfähigen Wettbewerbs deutlich abweichenden ökonomischen und ordnungspolitischen Rahmenbedingungen werden damit begründet, dass die Merkmale von Arzneimitteln regelmäßig ein Marktversagen hervorrufen. Unter Marktversagen ist eine Marktlösung zu verstehen, die kein Gleichgewicht im Sinne einer paretooptimalen Allokation (sog. First-best-Lösung) hervorruft. Dies bedeutet, dass ein freier marktwirtschaftlicher Prozess hier nicht zu einer Lösung führt, die die gesellschaftliche Wohlfahrt maximiert (8).
Konkret werden als Ursachen für ein Versagen von Gesundheitsmärkten in der Literatur häufig die sogenannte dreigeteilte Nachfrage, eine fehlende Markttransparenz und eine u. a. daraus resultierende fehlende Konsumentensouveränität genannt (9, 10). Im vorliegenden Kontext ist es nicht zuletzt relevant, dass sich ein vollkommener Markt, auf dem sich ein funktionsfähiger Wettbewerb einstellen kann, auch dadurch auszeichnet, dass es jeweils eine größere Zahl an konkurrierenden Anbietern sowie Nachfragern gibt. Insbesondere monopolistische Konstellationen auf der Anbieterseite (Monopol) oder/und auf der Nachfrageseite (Monopson) begründen ein hohes Maß an Marktmacht und führen zu Marktversagen und Wohlfahrtsverlusten. Aber auch wenn nur wenige Akteure auf der Anbieter- oder Nachfrageseite vertreten sind, d. h., wenn oligopolistische Strukturen gegeben sind, kann dies zur Bildung von Marktmacht und in der Folge zu Marktversagen führen.
Aufgrund der Gegebenheiten und Spezifika im Arzneimittelmarkt im Allgemeinen kann ausgeschlossen werden, dass sich hier ein Marktgleichgewicht als Resultat einer First-best-Lösung in Bezug auf die Preisbildung einstellt. Folglich wird hier durch ein regulatorisches Eingreifen des Gesetzgebers die Preisbildung beeinflusst (11). Ziel ist dabei die Realisierung eines gesellschaftlich adäquaten Preises für das Gut des Arzneimittels sowie für die mit der Arzneimittelversorgung verbundenen Dienstleistungen (12).
Ob und inwieweit die hier abstrakt beschriebenen Marktunvollkommenheiten, die ein Marktversagen begründen können, speziell im Markt des vollversorgenden pharmazeutischen Großhandels vorliegen, wird nachfolgend diskutiert.
Spezifika des Wettbewerbs im Marktumfeld des vollversorgenden pharmazeutischen Großhandels
Der vollversorgende pharmazeutische Großhandel ist durch neun Unternehmen repräsentiert. Diese sehen sich nachfrageseitig knapp 19.000 Apotheken sowie angebotsseitig etwa 550 pharmazeutischen Unternehmern und ca. 1.000 weiteren Lieferanten anderer apothekenüblicher Waren gegenüber. Die Anzahl der vollversorgenden Großhandelsunternehmen lässt in diesem Kontext auf das Vorliegen einer oligopolistischen Marktstruktur der Branche schließen. Dies umso mehr vor dem Hintergrund, dass der relevante Markt hier regional zu definieren ist und von den insgesamt neun vollversorgenden Großhändlern fünf im Wesentlichen regional tätig sind. Eine Aussage zur Intensität des zu erwartenden Wettbewerbs lässt sich a priori nicht treffen. Hierzu ist die Reaktionsverbundenheit der Marktteilnehmer, die sich aus dem gesamtheitlichen Marktrahmen ergibt, weiter zu analysieren.
Auf der Nachfrageseite ist in Anbetracht der reinen Apothekenzahl vordergründig an eine atomistische respektive polypolistische Marktstruktur zu denken. Allerdings relativiert sich diese Einschätzung dadurch, dass es hier durch verschiedene Formen des koordinierten Einkaufs des pharmazeutischen Einzelhandels zu einer Konzentration von Nachfragemacht kommen kann. Sowohl durch den Zusammenschluss zahlreicher Apotheken zu größeren Einkaufsverbünden als auch durch den Einfluss von sog. Apothekenberater:innen kommt es de facto zu einer Konzentration von Nachfragevolumen auf der Einzelhandelsebene. Im Ergebnis kann dies mitunter auch dazu führen, dass sich im pharmazeutischen Einzelhandel partiell Strukturen entwickeln, die einer oligopolistischen Nachfragesituation entsprechen.
Für sich genommen begründet diese Situation allerdings noch nicht, dass es tatsächlich zu einer Nachfragemacht der Apotheken gegenüber dem Großhandel kommt. Neben dem tatsächlichen Wettbewerbsgrad im grundsätzlich oligopolistischen Markt der Großhändler sind hier weitere Gegebenheiten des Apothekenmarkts in Betracht zu ziehen. Hier vor allem die Tatsache, dass die Apotheken ihren Einkauf nicht nur über den vollversorgenden Großhandel, sondern zumindest teilweise auch über konkurrierende teilversorgende Großhändler und im Direktvertrieb über den pharmazeutischen Unternehmer tätigen können. Diese Unternehmen haben eine von den vollversorgenden Großhändlern abweichende Kostenstruktur und können dadurch den Apotheken mitunter günstigere Konditionen anbieten. Die mit der Belieferung verbundene Dienstleistung kann sich dabei ebenfalls zwischen den Anbietern unterscheiden, allerdings stehen im Mittelpunkt die von allen Großhändlern in identischer Weise angebotenen Waren. Die daraus folgende, im Kern gegebene Homogenität der Angebote versetzt die nachfrageseitigen Apotheken in eine günstige Verhandlungsposition, die sie gegenüber den vollversorgenden Großhändlern zur Erzielung günstiger Einkaufskonditionen nutzen können. In analoger Weise wirkt sich auch der Umstand, dass die Apotheken einen Teil ihrer Waren direkt vom pharmazeutischen Unternehmer beziehen können, positiv auf die Verhandlungsposition der Apotheken aus.
Aus der beschriebenen Konstellation folgt, dass der pharmazeutische Großhandel gegenüber seinen Nachfragern eher wenig Spielraum zur Durchsetzung seiner wirtschaftlichen Interessen, etwa im Sinne der Weitergabe aktuell steigender Energiekosten, hat. Der etwaige Versuch des Großhandels, diese Interessen gegenüber der nächstvorgelagerten Handelsstufe, d. h. den pharmazeutischen Unternehmen, durchzusetzen, wird unterdessen ebenfalls durch spezifische preisregulatorische und sozialrechtliche Gegebenheiten im Markt rezeptpflichtiger Arzneimittel stark limitiert. Entscheidend ist hier zunächst das Phänomen der dreigeteilten Nachfrage: Durch die ärztliche Verschreibung i. V. m. den sozialrechtlichen Regelungen zur Erstattung (z. B. Arzneimittelrabattverträge) ist die Auswahl eines konkreten Präparats regelhaft determiniert. Die Apotheke erhält ein entsprechendes von ihr zu belieferndes Rezept und reicht dieses letztlich als Nachfrage nach dem entsprechenden Präparat an den Großhandel durch. Aus der dreigeteilten Nachfrage ergibt sich so am anderen Ende der Vertriebskette die Situation, dass der vollversorgende Großhändler ein bestimmtes Arzneimittel des jeweiligen Herstellers kaufen muss. Der vollversorgende Großhändler hat diesbezüglich faktisch nur eingeschränkte Substitutionsmöglichkeiten.
Zugleich bleibt ihm durch den gesetzlichen Sicherstellungs- und Versorgungsauftrag und aufgrund des Gebots der Herstellerneutralität nur unter sehr stark begrenzten Umständen die Option, von dem Kauf des Produkts beim pharmazeutischen Unternehmer gänzlich abzusehen. Die Nachfrage des Großhändlers ist insofern als weitgehend preis-
unelastisch einzustufen. Anders ausgedrückt ist der pharmazeutische Unternehmer in jedem Einzelfall bezogen auf sein Präparat nicht nur in der Rolle eines monopolistischen Anbieters, sondern zusätzlich auch der Anbieter eines für den Nachfrager unverzichtbaren Guts. Daraus ergibt sich für den Großhändler auch in seiner Rolle als Nachfrager eine ungewöhnlich schwache Marktposition. Unter diesen Vorzeichen steht keinesfalls zu erwarten, dass der Großhändler einen etwaigen Wettbewerbsdruck, dem er seitens seiner Kunden (Apotheken) ausgesetzt ist, an seine Lieferanten (pU) weitergeben kann.
Das nachfolgende Diagramm zeigt das Verhältnis der Akteure und deren wirtschaftliche Beziehungen schematisch auf.
Wie aus der Beschreibung des Marktumfelds des pharmazeutischen Großhandels hervorgeht, sind an verschiedenen Stellen ökonomische Verhältnisse gegeben, die nicht den Bedingungen entsprechen, welche den Idealzustand eines funktionsfähigen Wettbewerbs charakterisieren. Diese – in der Ökonomie als Marktunvollkommenheiten bezeichneten – Gegebenheiten sind in dem dargestellten Wirtschaftskreislauf jeweils an der entsprechenden Stelle benannt und farblich gekennzeichnet. Jede dieser Marktunvollkommenheiten begründet bereits für sich genommen den Verdacht, dass es hier zu unerwünschten Abweichungen des Marktergebnisses von einem gesellschaftlichen Optimum kommen kann. In ihrer Interaktion und Interdependenz kommt es unterdessen zu Verstärkungen dieser Effekte.
Speziell mit Blick auf den vollversorgenden pharmazeutischen Großhandel ergibt sich hierbei auf Basis der vorstehend beschriebenen Einzeleffekte aus der wettbewerbstheoretischen/-politischen Sicht im Ergebnis folgendes Bild: Die vollversorgenden pharmazeutischen Großhändler sehen sich auf der Nachfrageseite einer z. T. gut organisierten Apothekenlandschaft gegenüber, die insoweit über eine relevante Einkaufsmacht verfügt (13). Aber auch eine einzelne Apotheke verfügt über eine gewisse Verhandlungsmacht, die sich darin begründet, dass sie identische Waren von verschiedenen vollversorgenden pharmazeutischen Großhändlern beziehen kann. Zusätzlich ergibt sich für Apotheken die Möglichkeit, nicht nur über den vollversorgenden pharmazeutischen Großhandel, sondern alternativ auch über teilsortierte Großhändler oder direkt beim pharmazeutischen Unternehmer einzukaufen.
Der so skizzierten Nachfrageseite steht, wie eingangs in diesem Kapitel beschrieben, eine oligopolistische Anbieterstruktur aufseiten des vollversorgenden pharmazeutischen Großhandels gegenüber. Grundsätzlich liefert die Oligopoltheorie einerseits Erklärungsansätze für einen wenig ausgeprägten Wettbewerb zwischen den Oligopolisten, wonach es zu Preisen weit oberhalb eines Wettbewerbspreises und entsprechenden Wohlfahrtsverlusten kommt (14). Andererseits gibt es auch theoretische Ansätze, wonach sich unter den Oligopolisten mitunter ein intensiver Preiswettbewerb bis hin zu Preisen auf Höhe der Grenzkosten einstellt (15).
Zur Einschätzung der tatsächlich gegebenen Wettbewerbsintensität innerhalb des vollversorgenden Großhandels sind diese theoretischen Ansätze unterdessen wenig hilfreich. Sie können das Zusammenspiel des Angebotsoligopols insbesondere mit den spezifischen Gegebenheiten auf der Nachfrageseite, d. h. im Apothekenmarkt, nicht adäquat abbilden. Die konkurrierenden Großhändler befinden sich de facto in einer Situation, in der sie ihr Verhalten untereinander bzw. die gewährten einzelvertraglichen Konditionen gegenüber den Apotheken nicht oder nur eingeschränkt beobachten können. Dies impliziert unmittelbar, dass einzelne Anbieter auf das Verhalten ihrer Konkurrenten nicht reagieren und noch weniger bestimmte z. B. preisaggressive Vorstöße durch eigene Wettbewerbsreaktionen wirksam sanktionieren können. Unter diesen Umständen kann es für jeden einzelnen Anbieter rational sein, sich durch bessere Konditionen vermeintliche Wettbewerbsvorteile gegenüber den Mitbewerbern zu verschaffen.
Konkret gilt, dass von einer hohen Preiselastizität der Nachfrageseite (Apotheken) auszugehen ist, sodass ein entsprechender Anreiz für die anbietenden Großhändler besteht, durch Rabatte den eigenen Marktanteil respektive Gewinn zu erhöhen. Da dieser Anreiz für jeden einzelnen Anbieter gegeben ist und grundsätzlich selbst dann fortbestehen kann, wenn die Auskömmlichkeit der Preise zumindest längerfristig gefährdet ist, ist ein sehr intensiver Preiswettbewerb zu erwarten. Spieltheoretisch betrachtet finden sich die Großhändler demnach in einer Situation wieder, die der eines klassischen Gefangenendilemmas entspricht (16). Kennzeichnend für diese theoretische Konstellation ist, dass die Anbieter sich aus dieser für sie kollektiv betrachtet misslichen Lage nicht aus eigener Kraft befreien können: Individuell rationale Entscheidungen der Unternehmen führen also bezogen auf das Kollektiv (der Branche) zu einem ineffizienten Ergebnis (17).
Die Wahrscheinlichkeit, dass die vollversorgenden Arzneimittelgroßhändler ein wettbewerbspolitisches Dilemma der beschriebenen Art überwinden könnten, wird einmal mehr durch die Heterogenität der einzelnen Unternehmen bereits innerhalb der vollversorgenden Großhändler reduziert. Hier stehen sich Unternehmen mit sehr unterschiedlichen Kostenstrukturen aber auch divergierenden Unternehmensphilosophien und Zielen gegenüber (Apothekengenossenschaft vs. Kapitalgesellschaft vs. Privateigentümer:in/Familienbetrieb). Nochmals verschärft wird dies durch die einmal mehr unterschiedlichen Ausgangsituationen im teilversorgenden pharmazeutischen Großhandel sowie im Direktgeschäft.
Vor diesem Hintergrund ist plausibel davon auszugehen, dass sich die Unternehmen des vollversorgenden pharmazeutischen Großhandels einen extrem intensiven Wettbewerb liefern, der sich bei einem im Kern homogenen Güterangebot (Fertigarzneimittel) auf den Konditionenwettbewerb fokussiert. Mehr noch liegt es im Wesen der beschriebenen wettbewerbspolitischen Konstellation und des spieltheoretischen Analogons eines Gefangenendilemmas, dass der Wettbewerb z. B.
über den Parameterpreis so intensiv geführt wird, dass die Anbieter dabei eventuell sogar unterhalb ihrer Grenzkosten oder gar eigenen Einstandskosten arbeiten (18). Dies kann z. B. so lange individuell rational sein, wie dabei die fixen Kosten noch gedeckt werden können, während die variablen Kosten zumindest teilweise oder temporär ungedeckt bleiben. Soweit dies tatsächlich gegeben ist, heißt das, dass die Anbieter zu niedrige oder negative Gewinne erwirtschaften. In der ökonomischen Terminologie wird diese Situation unter Bezugnahme auf den längerfristigen Effekt auf die Anbieter als „ruinöser Wettbewerb“ bezeichnet (19). Ruinöser Wettbewerb kann volkswirtschaftlich und im Hinblick auf das Gemeinwohl schädlich sein.
Irritierend oder missverständlich kann in diesem Zusammenhang sein, dass der ruinöse Wettbewerb letztlich doch auf „freiwilligen“ Entscheidungen der teilnehmenden Unternehmen beruht. Aus juristischer Sicht ist dies zutreffend. Ökonomisch betrachtet kann es unterdessen Situationen geben, in denen jedes einzelne Unternehmen, das sich individuell rational verhalten will, jedoch de facto gezwungen ist, sich an diesem ruinösen Wettbewerb zu beteiligen. Erst aus der kollektiven Sicht der Branche insgesamt ist dieses Verhalten irrational. Eben hierin liegt die Natur des Dilemmas.
Die Rationalität von Kampfpreisverhalten dieser Art ist ein fortwährender Gegenstand wettbewerbsökonomischer Diskussionen. Zwar existieren wettbewerbsrechtliche Möglichkeiten, ein solches Verhalten zu ahnden (vgl. § 19, § 20 GWB), allerdings gestaltet sich dies in der Praxis alleine aufgrund der Beobachtbarkeit und Beweisführung mitunter schwierig.
Bedeutung für den Sicherstellungsauftrag
Mit Blick auf den gesetzlichen Auftrag und die Rolle des vollversorgenden pharmazeutischen Großhandels kann nun der Bezug zu dem oben hergeleiteten wettbewerbspolitischen Dilemma der Branche hergestellt werden: Weil sich die betreffenden vollversorgenden Arzneimittelgroßhändler in einer Situation befinden, in der sie sich einen übersteigerten, z. T. ruinösen Wettbewerb liefern, können sie längerfristig mitunter die Auskömmlichkeit ihres Geschäftsbetriebs nicht sicherstellen. Insbesondere Investitionen zugunsten einer nachhaltigen und zukunftsfähigen Arzneimittelversorgung können dann nicht getätigt werden. In der weiteren Folge bedeutet dies, dass die vollversorgenden Großhändler den ihnen zugewiesenen Sicherstellungs- und Versorgungsauftrag nicht adäquat erfüllen können. Es ist somit weder im Sinne des Gesetzgebers noch aus Gemeinwohlsicht akzeptabel, dieser Entwicklung ihren Lauf zu lassen. Die identifizierten Marktunvollkommenheiten zu überwinden und einen funktionsfähigen Wettbewerb zu implementieren, ist daher politisch geboten.
Die staatliche oder institutionelle Regulierung von Preisen und Preisspannen ist eine Möglichkeit, die sich bietet, um das beschriebene Problem aus Regulierungssicht zu lösen. Bezogen auf den Abgabepreis des pharmazeutischen Unternehmers (ApU) wird dieser Gedanke international regelmäßig im Hinblick auf die Preisbildung rezeptpflichtiger Arzneimittel umgesetzt. Im Hinblick auf die Honorierung des pharmazeutischen Großhandels und der Apotheken in Deutschland ist es die (Rx-)Preisbindung im Sinne der Arzneimittelpreisverordnung, die diesem Gedanken entspricht. Eine modifizierte Ausgestaltung dieses bewährten Instruments dürfte den Kern der Diskussion eines adäquaten Regulierungsrahmens für den pharmazeutischen Großhandel wie auch für die Apotheken bilden. Das gesellschaftliche Anliegen, Arzneimittel für die Solidargemeinschaft unter Beachtung der Nebenbedingung ihrer ausreichenden und anreizverträglichen Vergütung so kostengünstig wie möglich zur Verfügung zu stellen, muss in diesem Regelungskonstrukt gleichsam in der Höhe der regulierten Vergütung aller beteiligten Handelsstufen berücksichtigt sein. <<