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Alzheimer nicht leitliniengerecht versorgt

INSIGHT Health erforscht die Arzneimittelversorgung von Alzheimer-Patienten im GKV-Markt.

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Erstveröffentlichungsdatum: 01.06.2008

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In Deutschland leiden laut einer Studie des Robert Koch-Instituts* rund eine Million Menschen an einer Demenzerkrankung. Unter Berücksichtigung einer Inzidenz von 200.000 Neuerkrankungen pro Jahr und des weiter steigenden Altersdurchschnitts in der Bevölkerung liegt die Projektion für das Jahr 2050 bei über zwei Millionen Demenzkranken. Die gesundheitspolitische Bedeutung der Demenz wird in den nächsten Jahren daher weiter zunehmen, nicht zuletzt weil auch die Alzheimer-Demenz eines der 80 im morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich (Morbi-RSA) definierten Krankheitsbilder ist.

>> Die Alzheimer-Demenz macht mit über 70 Prozent den größten Anteil innerhalb der Demenzerkrankungen aus. Aktuell ergibt sich damit – abzüglich der in der PKV versicherten Patienten – eine Anzahl von rund 640.000 GKV-Versicherten, die an Alzheimer-Demenz erkrankt sind. Die Arzneimittelversorgung dieser Alzheimer-Patienten soll im Folgenden näher betrachtet werden.
Die Therapieempfehlung der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft sieht für eine leitliniengerechte Therapie der Alzheimer-Demenz die Wirkstoffgruppen der AChE-Hemmer sowie der NMDA-Rezeptorantagonisten (Memantine) vor (AkdÄ, Therapieempfehlungen der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft, 3. Aufl. 2004).
Zwar ist das Verordnungsvolumen dieser Wirkstoffgruppen in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen und wird auch 2008 weiter ansteigen (Abb. 1), eine differenziertere Betrachtung auf Patientenebene offenbart aber immer noch eine erhebliche Unterversorgung in der medikamentösen Therapie der Alzheimer-Demenz im GKV-Markt.
Die Alzheimer-Verordnungen des Jahres 2007 entsprechen einem Volumen von 54,7 Mio. Tagestherapiedosen (DDD, Defined Daily Dosage), von denen 34,5 Mio. DDD auf AChE-Hemmer und 20,1 Mio. DDD auf NMDA-Rezeptorantagonisten entfallen. Dies entspricht einem Anstieg von 12,3 Prozent gegenüber dem Vorjahr und repräsentiert – bei leitliniengerechter Therapie – 149.700 Therapiejahre. Damit reicht dieses Verordnungsvolumen also für die leitliniengerechte Therapie von rund 150.000 Alzheimer-Patienten über ein Jahr, was aber lediglich circa 23 Prozent der an Alzheimer-Demenz erkrankten GKV-Versicherten entspräche.
Auf Basis der INSIGHT Health vorliegenden anonymisierten Patientendaten ergibt sich jedoch eine Anzahl von 298.700 tatsächlich mit Anti-Alzheimer-Medikamenten therapierten GKV-Versicherten im Jahr 2007, auf die sich das Verordnungsvolumen verteilt.
Somit ergibt sich ein mittleres Versorgungsniveau von 183 Tagestherapiedosen je tatsächlich therapiertem Alzheimer-Patienten – eine Menge, die bei leitliniengerechter Therapie jedoch lediglich für eine Therapiedauer von rund sechs Monaten reicht! Dabei ist zu beobachten, dass sowohl die Anzahl der therapierten Patienten als auch die Therapieintensität (in durchschnittlichen DDD je Patient) im Zeitablauf zunimmt und sich die Versorgungssituation somit verbessert (Abb. 2).
Angesichts des bundesweit niedrigen Versorgungsniveaus im Alzheimer-Markt stellt sich die Frage, ob dies für alle Regionen gleichermaßen gilt und – vor dem Hintergrund des voraussichtlich ab 2009 in Kraft tretenden Morbi-RSA – welche Unterschiede es zwischen den einzelnen Krankenkassen gibt.

Ausgabenvergleich: Anti-Alzheimer-Präparate nach KV-Regionen/Kassen

Die GKV hatte laut INSIGHT Health im Zeitraum August 2007 bis einschließlich Juli 2008 im Anti-Alzheimer-Markt Brutto-Ausgaben in Höhe von insgesamt 249,3 Mio. Euro – rund 19 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum.
Während diese Ausgabensteigerung mit 15 bis 23 Prozent nahezu einheitlich über alle Regionen der Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) ging, deckt ein Vergleich der Ausgaben je GKV-Versichertem erhebliche regionale Unterschiede auf (siehe Abb. 3).
So liegen die neuen Bundesländer bei den Pro-Kopf-Ausgaben für Anti-Alzheimer-Präparate ausnahmslos deutlich über dem Bundesdurchschnitt. Die nördlichen alten Bundesländer sind dagegen sämtlich auf den hinteren Rängen der Ausgabenliste wiederzufinden.
Besonders ins Auge sticht der Unterschied zwischen dem Stadtstaat Bremen und dem Bundesland Sachsen. In der KV Sachsen wird in diesem Arzneimittelsegment mehr als das Sechsfache pro Kopf ausgegeben als in der KV Bremen. Aber auch eine Gegenüberstellung der Flächenstaaten offenbart deutliche Unterschiede: Die KV Schleswig-Holstein hat im Vergleich zu den neuen Bundesländern nur rund die Hälfte pro Kopf für die medikamentöse Anti-Alzheimer-Therapie ausgegeben. Hier zeigt sich, dass rein demographisch begründete Erklärungsmuster zu kurz greifen würden (Abb. 3).
Neben der regionalen Betrachtung ist aus gesundheitspolitischer Sicht vor allem ein Vergleich zwischen den einzelnen Krankenkassen von höchstem Interesse, werden doch die Gelder auf Basis des 2009 greifenden Morbi-RSA neu verteilt. Eine Gegenüberstellung ausgewählter Krankenkassen (Abb. 4) offenbart auch hier gewaltige Unterschiede: In der AOK Brandenburg liegen die Ausgaben für Anti-Alzheimer-Medikamente mehr als sechs Mal so hoch wie bei der Techniker Krankenkasse (TK).
Aber auch innerhalb der Kassenarten gibt es deutliche Unterschiede, die nicht allein über die Altersstruktur zu begründen sind: So gibt die AOK Hessen pro Versichertem über 50 Prozent mehr für Anti-Alzheimer-Medikamente aus als die AOK Rheinland/Hamburg. Die Pro-Kopf-Ausgaben der ebenfalls vor allem in Hessen aktiven Taunus BKK liegen nun aber wiederum lediglich bei 40 Prozent der Ausgaben der Deutschen BKK.
Diese Verordnungszahlen geben bereits einen ersten Eindruck davon, welche Auswirkungen der Morbi-RSA auf die Kassenlandschaft haben wird. Ähnliche und weitere Analysen sind nun für die weiteren 79 Krankheitsbilder des Morbi-RSA zu entwickeln.

Fazit: Rund 340.000 Versicherte ohne entsprechende Therapie

Die Marktentwicklung der Anti-Alzheimer-Medikamente ist gekennzeichnet von einem kontinuierlichen Anstieg sowohl der absoluten Anzahl der therapierten Patienten als auch der Therapieintensität je Patient. Nichtsdestotrotz erhielten im Jahr 2007 weniger als die Hälfte der 640.000 an Alzheimer-Demenz erkrankten GKV-Versicherten überhaupt eine medikamentöse Therapie mit einem leitliniengerechten Arzneimittel, circa 340.000 Versicherte blieben ohne entsprechende Therapie.
Bei den therapierten Patienten erreicht das durchschnittliche Verordnungsvolumen mittlerweile 50 Prozent dessen, was die entsprechende Leitlinie vorsieht. Außerdem zeigt sich eine sehr starke regionale und kassenspezifische Differenzierung in der Alzheimer-Therapie, die sich nicht alleine über die Bevölkerungs- respektive Versichertenstruktur erklären lässt. <<