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Ambulante Operationen: Einstellungen von Patienten am Beispiel von Knieoperationen

Zahlreiche nationale wie internationale Veröffentlichungen bescheinigen seit Jahren, dass in Deutschland im internationalen Vergleich zu wenig medizinisch notwendige Operationen ambulant durchgeführt werden (Brökelmann 2007: 5; Toftgaard/Parmentier 2006: 42-48). Zwar ist bekannt, dass ein Teil dieser Abweichungen auch durch unterschiedliche organisatorische und finanzielle Faktoren in den jeweiligen Ländern erklärt werden können, dennoch sind die Abweichungen bei einigen Operationen zu deutlich, als dass diese Erklärungen als alleinige Begründungen der Differenzen herangezogen werden können (Busse/Wörtz 2009: 52 – 54; Oberender & Partner 2010: 26 – 28).

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Erstveröffentlichungsdatum: 24.02.2012

Abstrakt: Ambulante Operationen: Einstellungen von Patienten am Beispiel von Knieoperationen

Zusammenfassung In der wissenschaftlichen Literatur ist die Einstellung von Patienten zu ambulanten Operationen und die Einflussfaktoren auf die Mitwirkung in der Entscheidung für oder gegen eine ambulante Operation bisher nicht systematisch erforscht worden. Ziel der durchgeführten Befragung (N=511) ist es, latente Faktoren zu finden, mit der die Einstellung von Versicherten zum Thema ambulantes Operieren beschrieben werden können, um zukünftig in Aufklärungskampagnen und Verträgen gezielt eben diese Faktoren anzusprechen. Methodik: Es wurde eine Befragung unter gesetzlich Versicherten der mhplus Betriebskrankenkasse in Baden-Württemberg, Bayern, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein durchgeführt. Die Auswertung des Fragebogens erfolgte mittels einer explorativen Faktoranalyse. Um den Einfluss der so extrahierten Faktoren auf die Gesamtbereitschaft zu einer ambulanten Operation zu ermitteln, wurde anschließend eine multivariate lineare Regression durchgeführt. Ergebnisse: Es wird gezeigt, dass insbesondere die Angst vor medizinisch-ärztlicher Qualität, die Servicequalität und Gespräche mit dem Arzt die Einstellung von Versicherten erklären und die Bereitschaft, sich ambulant operieren zu lassen, prägen. Schlussfolgerung: Auf Basis der Erkenntnisse werden den Akteuren konkrete Handlungsempfehlungen gegeben, um potenziellen Patienten zielgerichtet Informationen bereitzustellen.

Abstract: Day surgery – Attitutes of patients using the example of knee surgery

Public health insurances and other stakeholders can conclude contracts and hand-out  information material to their clients in order to promote day surgery. Unclear to this point stays the attitude that patients have towards day surgery and thus, which aspects should be included in contracts and information campaigns. To answer this question and to consider patients’ attitudes in future information campaigns, a survey among publically insured was conducted. The aim of this survey was to find latent factors that describe patients’ attitudes towards day surgery. It will be shown that the factors medical quality, quality of service and dialogue with the physician drive the attitude towards day surgery and the willingness to obtain one. From these findings, this study will give stakeholders clear advices for their communication strategy as well as their contract strategy.

Literatur

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Ambulante Operationen: Einstellungen von Patienten am Beispiel von Knieoperationen

Zahlreiche nationale wie internationale Veröffentlichungen bescheinigen seit Jahren, dass in Deutschland im internationalen Vergleich zu wenig medizinisch notwendige Operationen ambulant durchgeführt werden (Brökelmann 2007: 5; Toftgaard/Parmentier 2006: 42-48). Zwar ist bekannt, dass ein Teil dieser Abweichungen auch durch unterschiedliche organisatorische und finanzielle Faktoren in den jeweiligen Ländern erklärt werden können, dennoch sind die Abweichungen bei einigen Operationen zu deutlich, als dass diese Erklärungen als alleinige Begründungen der Differenzen herangezogen werden können (Busse/Wörtz 2009: 52 – 54; Oberender & Partner 2010: 26 – 28).

>> In der wissenschaftlichen Literatur ist die Einstellung von Patienten zu ambulanten Operationen (und damit ihre Mitwirkung in der Entscheidung für oder gegen eine ambulante Operation) bisher nicht systematisch erforscht worden. Die meisten Abhandlungen zum Thema ambulantes Operieren beschäftigen sich mit der Zufriedenheit der Patienten bei zurückliegenden Eingriffen, aber nicht mit der Frage, welche Faktoren für die Entscheidung des Behandlungsortes maßgeblich sind (beispielsweise: Black/Sanderson 1993).
Aus Perspektive einer Krankenkasse stellt sich daher insbesondere die Frage, was aus Sicht des Patienten die relevanten Entscheidungsfaktoren für oder gegen eine ambulante Operation sind, wenn man medizinische Ergebnisgleichheit des Behandlungssettings unterstellt. Aus Studien anderer Ländern ist bekannt, dass immerhin 17 % der ambulant operierten Patienten vor die Entscheidung gestellt wurden, eine medizinisch notwendige Operation ambulant oder stationär durchführen zu lassen (Bain et al 1999: 88). Die Zielsetzung, wie in Abbildung 1 dargestellt, ist daher mit dieser Untersuchung einen Beitrag für eine zielgenaue, an den Bedürfnissen der Patienten orientierte Informationsbereitstellung zu ambulanten Operationen herauszuarbeiten.
Methodik
Methodisches Vorgehen: Fragebogenerstellung
Der Erstellung des Fragebogens ging eine umfangreiche Literatursichtung in PubMed (Suchbegriffe waren day surgery germany und ambulatory surgery germany), DIMDI, Google.Scholar und anderen Quellen wie der Thieme-Verlagsdatenbank; Springer-Verlagsdatenbank und dem Deutschen Ärzteblatt (Suchbegriffe waren Einstellungsmessung Operationen, prä-operative Patientenbefragungen u.ä.) voraus. Im Ergebnis kann festgehalten werden, dass Versicherte zu dieser oder ähnlicher Thematiken nur dann befragt wurden, wenn die Entscheidung die Operation ambulant durchführen zu lassen schon feststand (beispielsweise Mitchell 2010; Jenkins et al. 2001).
Aus der Literatur konnten jedoch einige Begriffe herausgearbeitet werden, die häufig bei Befragungen eine Rolle spielten. Hierzu zählten bspw. Qualität der medizinischen Behandlung; Ängste vor einer Operation und Patientenpräferenzen über post-operativen Beschwerden usw..
Auf Grundlage dieser Erkenntnisse wurde mit einer Expertengruppe aus der mhplus BKK ein Fragebogen entwickelt und hierbei auf die Methodik der eindimensionalen Einstellungsmessung zurückgegriffen (zur Einordnung bspw.: Woratschek 2011: 291 - 292). Dem Probanden wurde eine Behauptung vorgelegt, die er auf einer 5-er Likert-Skala von „stimmt gar nicht“ bis „stimmt völlig“ entsprechend bewerten konnte (Bortz/Döring 2009: 176 - 178). Die Befragung bestand insgesamt aus 46 Fragen. 39 Fragen zielten auf die Messung der Einstellung der Probanden, wie in Tabelle 1 beispielhaft dargestellt.
Zum Abschluss des Fragebogens folgten 7 demographische Fragen zu Alter, Geschlecht, Bildung, Familienstand, Bundesland, Haushaltsgröße und ob bereits Erfahrung mit ambulanten Operationen bestehen.
Nach Abschluss eines Pretests wurde der Fragebogen zwischen dem 8. Juli 2011 und dem 7. August 2011 im Rahmen einer Onlinebefragung an 2.964 zufällig ausgewählten Versicherten aus Baden-Württemberg, Bayern, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein versandt. Am 28. Juli wurde eine Erinnerungsmail an diejenigen angeschriebenen Versicherten verschickt, die bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht geantwortet hatten. Die Auswertung der Befragung erfolgte anonymisiert, sodass keinerlei Rückschluss auf die Antwortenden gezogen werden konnte. Die Möglichkeit der Rücksprache des Probanden mit Krankenkassenmitarbeitern zu den Fragen bestand zudem ebenfalls nicht. Die Befragung endete am 7. August 2011.

Methodisches Vorgehen zur Ermittlung der Einstellung (explorativen Faktoranalyse) und Bedeutung dieser Faktoren (multivariate lineare Regression)
Vor Anwendung der Faktoranalyse wurde der erhobene Datensatz anhand der in der Literatur üblichen Gütekriterien auf seine grundsätzliche Eignung für eine Faktoranalyse untersucht. Dabei wurde auf das Kaiser-Meyer-Olkin-Kriterium (im Folgenden: KMO-Kriterium) und auf den Bartlett-Test auf Spherizität (im Folgenden: Bartelett-Test) zurückgegriffen. Der Bartelett-Test wurde durchgeführt um auszuschließen, dass die Korrelationsmatrix eine Einheitsmatrix darstellt und sämtliche Korrelationen der Items gleich null sind.
Zur Durchführung der Faktoranalyse wurde die Hauptachsen-Methode angewandt. Zur besseren Interpretation der Faktoren wurden die Faktorladungen anschließend mithilfe einer Varimax-Rotation und Kaiser-Normalisierung rotiert. Zur Bestimmung der Anzahl der Faktoren im Modell wurde auf das Kaiser-Kriterium zurückgegriffen und anschließend mit Hilfe des Scree-Plots visuell überprüft.
In einem zweiten Schritt wurde auf eine multivariate, lineare Regression zurückgegriffen, um den Einfluss der ermittelten Faktoren auf die Gesamtbereitschaft, sich bei möglicher Wahloption für eine ambulante Operation zu entscheiden, zu ermitteln. Dabei wurde die Gesamtbereitschaft als abhängige und die Faktorwerte der extrahierten Faktoren und demographische Kontrollvariable als unabhängige Variable verwendet.
Das Regressionsmodell wurde mithilfe der Methode der kleinsten Quadrate (Ordinary Least Squares) geschätzt.
Ergebnisse
Antwortquoten
Von den angeschriebenen 2.964 Versicherten waren 253 E-Mails nicht zustellbar, dies entspricht einer Ausfallquote von 8,5% der Bruttostichprobe.
Insgesamt beantworteten 651 Befragten den Fragebogen. Diese Antworten wurden um nicht vollständige und unplausible Antworten bereinigt. Nach der Bereinigung verbleiben 511 auswertbare Bögen in der Stichprobe. Dies entspricht 18,8% der zugestellten E-Mails.
Statistische Auswertungen
Ergebnis der Faktoranalyse
Der Datensatz weist ein KMO-Kriterium von 0,864 auf. Er ist somit nach der Interpretation von Kaiser gut bis sehr gut für eine Faktoranalyse verwendbar.
Die Chi-Quadrat-Test-Statistik des Bartlett-Test liegt im verwendeten Datensatz bei 6192,5. Die Korrelationsmatrix ist somit bei Verwendung eines 1%-Signifikanzniveaus hoch signifikant von der Einheitsmatrix verschieden. Somit bestätigt auch der Bartlett-Tests daher die prinzipielle Eignung der Befragung für eine Faktoranalyse.
Mithilfe des Kaiser-Kriteriums wurden insgesamt 10 Faktoren mit einem Eigenwert >1, wie Tabelle 2 zu entnehmen ist, extrahiert (Backhaus et al. 2009: 353). Im Modell wird durch diese 10 Faktoren eine Gesamtvarianz von 58,5 % erklärt.
Zur inhaltlichen Interpretation der Faktoren wurden die rotierte Faktorladungen betrachtet, wobei nur Items mit Faktorladungen größer als 0,5 in die Interpretation eingingen. Dieser Wert stellt sicher, dass nur diejenigen Items einem Faktor zugeordnet werden, die eine hohe Faktorladung aufweisen. Der Wert von 0,5 stellt dabei in der Literatur eine Konvention dar, Werte über 0,5 können als hoch angesehenen werden (Backhaus et al. 2009: 356).
Als Einschränkung und um die inhaltliche Interpretation der Faktoren zu erleichtern, wurden nur Faktoren berücksichtigt, die mindestens zwei Items mit einer Faktorladungen >=0,5 beinhalten. Von den 10 extrahierten Faktoren bleiben so 5 Faktoren übrig, die wie folgt inhaltlich von den Verfassern interpretiert wurden:
Faktor 1: Angst vor mangelnder ärztlicher Qualität
Faktor 2: Servicequalität
Faktor 3: Informationsbedürfnis
Faktor 4: Gespräche mit Ärzten
Faktor 7: Einfluss der Krankenkasse

Ergebnis der Regressionsanalyse
Das Regressionsmodell besitzt ein R² von 0,612 und ist damit vergleichsweise gut. Die F-Statistik, die testet, ob alle Regressionskoeffizienten zusammen keinen Einfluss auf die abhängige Variable haben, beträgt 32,829 bei 23 Zähler- und 478 Nenner-Freiheitsgraden und ist somit zum Signifikanzniveau von 1% hoch signifikant.
Wie in Tabelle 3 zu sehen ist, haben von den herausgearbeiteten und interpretierbaren Faktoren die Faktoren Angst vor mangelnder ärztlicher Qualität (Faktor 1), Servicequalität (Faktor 2) und Gespräche mit dem Arzt (Faktor 4) einen signifikanten Einfluss auf die Gesamtbereitschaft. Faktor 3 – das Informationsbedürfnis – ist nur zum 10%-Niveau signifikant. Faktor 7 – der Einfluss der Krankenkasse – hat keinen signifikanten Einfluss auf die Gesamtbereitschaft sich ambulant operieren zu lassen. Die weiteren signifikanten Faktoren 5,6 und 10 waren mit der beschriebenen Methodik nicht interpretierbar, sind aber in die durchgeführte Regressionsanalyse eingeflossen, um Verzerrungen aufgrund ausgelassener Variablen (omitted variable bias) zu vermeiden.
Von den demographischen Variablen, die in Tabelle 4 dargestellt sind, hat der Bildungsabschluss einen signifikanten Einfluss: Befragte mit Abitur antworten im Schnitt um 0,227 Punkte höher als Befragte mit Mittlerer Reife. Interessanterweise weichen Versicherte mit Hochschulabschluss in der Bereitschaft nicht signifikant von den Befragten mit Mittlerer Reife ab. Der „Bildungseffekt“ scheint daher begrenzt zu sein und mit zunehmender Bildung nimmt die Bereitschaft zur ambulanten Operation sogar wieder ab. Versicherte aus Nordrhein-Westfalen antworten im Schnitt mit 0,218 Punkten weniger als Befragte aus Bayern. Diese Abweichung ist signifikant zum 5%-Niveau.
Hypothesen, nach denen der Familienstand oder die Anzahl der im Haushalt lebenden Personen einen signifikanten Einfluss auf die Gesamtbereitschaft haben (etwa, weil zuhause bei mehreren Haushaltsmitgliedern die Pflege besser sichergestellt werden kann), bestätigen sich in der Befragung nicht.
Ältere Personen sind eher als Jüngere bereit, sich ambulant operieren zu lassen. Mit jedem Lebensalter steigt die Bereitschaft um 0,008 Punkte an. Dieser Wert ist signifikant zum 5%-Niveau. Ein 50-jähriger gibt also rein rechnerisch im Schnitt eine um 0,24 Punkte höhere Gesamtbereitschaft in der Likert Skala als ein 20-Jähriger an.
Ebenfalls nicht bestätigt hat sich die Hypothese, dass sich die Einstellung von Versicherten mit und ohne Erfahrung zu einer ambulanten Operation unterscheiden. Ein Unterschied zwischen den Mittelwerten in der Bereitschaft sich ambulant operieren zu lassen, ist zwischen den Personen, die bereits eine ambulante Operation hatten und solchen, die noch keine derartige Operation hatten, nicht feststellbar. Der hierfür angewendete 2 Stichproben t-Test ergab -1,382, weshalb die Nullhypothese zum 5%-Signifikanzniveau nicht verworfen werden konnte (p-Wert: 0,168). Für Krankenkassen bedeutet dies, dass Informationskampagnen nicht nach dem Grad der Erfahrung differenzieren müssen. Für den vorliegenden Artikel wurde aus dem gleichen Grund auf eine Differenzierung nach Erfahrung verzichtet.
Mit Hilfe der Regressionsanalyse konnten die 39 Ausgangsfragen somit auf 3 relevante und interpretierbare Faktoren mit insgesamt 12 Fragen reduziert werden. Das Ergebnis und die entsprechenden Items sowie das jeweilige Vorzeichen des Regressionskoeffizienten sind in Tabelle 5 dargestellt.
Insbesondere keine Faktoren bei der Beurteilung, ob eine OP ambulant oder stationär durchgeführt werden soll, stellen dar:
• Finanzielle Erwägungen wie Zuzahlungen oder Verdienstausfall
• Genesung im häuslichen Umfeld und private Betreuung
• Zeitliche Aspekte bei Terminvergabe und Wartezeiten
Aus diesen Erkenntnissen folgt auch, dass es nicht sinnvoll ist, mit Wahltarifen, Bonusprogrammen oder vergünstigten Zusatzversicherungen finanzielle Anreize für das ambulante Operieren zu schaffen. Offensichtlich sind finanzielle Überlegungen weder ein latenter Faktor noch haben sie einen nennenswerten Einfluss auf die Gesamtbereitschaft. Geld, das für entsprechende Angebote angesetzt wird, wäre sinnvoller in der Information zur ärztlichen Qualität und den Serviceaspekten eingesetzt.
Abgeleitete Empfehlungen
Mit steigendem Bildungsstand wächst die Bereitschaft, sich ambulant operieren zu lassen. Im Rahmen einer zielgruppen-gerichteten Aufklärungskampagne muss sich das Angebot daher an den Bedürfnissen der formal niedrig gebildeten orientieren. Beispielsweise können Informationen bildhaft aufbereitet werden.
Aufklärungskampagnen haben sich auf vorrangig auf den Bereich medizinische Qualität der ambulanten Operationen, Servicequalität der Leistungen im Rahmen der ambulanten Operationen und der Vorbereitung auf Gespräche mit dem Arzt zu konzentrieren. Suchkosten des Versicherten können durch Reduktion der Informationen auf diese relevanten Faktoren somit minimiert werden.
Für Folgebefragungen oder Patientenzufriedenheitsbefragungen, beispielsweise im Rahmen des Controllings von Selektivverträgen, werden 12 Fragen aufgezeigt, die zukünftig von den Akteuren herangezogen werden sollten.
Informationsmaterial sollte allgemein gültigen Aufklärungscharakter haben und muss nicht nach Erfahrungswerten des Patienten mit ambulanten Operationen differenzieren.
Direkte finanzielle Förderungen der ambulanten Operationen, beispielsweise durch einen Wahltarif oder eine Bonuszahlung für Versicherte, haben keinen hervorragenden Einfluss auf die Bereitschaft sich ambulant operieren zu lassen. Eine Konzentration der Informationsbereitstellung auf die finanziellen Vorteile einer ambulanten Operation ist daher nicht erfolgsversprechend. Finanzielle Anreize für Patienten als Steuerungsinstrument sind auch bei der Gestaltung von Selektivverträgen zur Steigerung der Bereitschaft zu ambulanten Operationen nicht Mittel der ersten Wahl.
Fazit und Diskussion
Ziel der vorliegenden Untersuchung war es, am Beispiel einer Knieoperation latente Faktoren aufzudecken, mit der die Einstellung von Versicherten zum Thema ambulantes Operieren beschrieben werden können, um in einem zweiten Schritt aus dem Einfluss dieser latenten Faktoren Empfehlungen für eine gezielte Informationsbereitstellung abzuleiten.
Mittels einer explorativen Faktoranalyse wurde gezeigt, dass sich die Einstellung von Versicherten gegenüber ambulanten Operationen auf die Faktoren Angst vor mangelnder ärztlicher Qualität, Servicequalität, Informationsbedürfnis, Gespräche mit Ärzten und Einfluss der Krankenkasse, reduzieren lassen. Der Vorteil einer Einstellungsmessung liegt u.a. darin, dass der Proband selbst noch keine Erfahrung mit dem Fragegegenstand gemacht haben muss. In einer multivariaten Regressionsanalyse wurde anschließend festgestellt, dass die Faktoren Angst vor mangelnder ärztlicher Qualität, Servicequalität und Gespräche mit Ärzten einen signifikanten Einfluss auf die Bereitschaft haben, sich ambulant operieren zu lassen. Aufbauend auf diesen Erkenntnissen wurden konkrete Handlungsempfehlungen abgeleitet.
Einschränkend ist anzumerken, dass sich die Untersuchung auf Versicherte in Bayern, Baden-Württemberg, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen beschränkte. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass Versicherte in anderen Bundesländern andere Präferenzen besitzen. Allerdings lagen die Ergebnisse der einzelnen Bundesländer in der durchgeführten Umfrage eng beisammen, so dass zwischen den befragten Ländern bei den meisten Fragen kein signifikanter Unterschied feststellbar war.
Die Umfrage wurde ausschließlich an erfasste E-Mail-Adressen verschickt und die Teilnahme war freiwillig. Eine Repräsentativität ist daher nicht zwangsläufig gegeben. Dies ist aber in Hinblick auf die Freiwilligkeit unproblematisch, da davon auszugehen ist, dass Versicherte, die ein hohes Involvement mit dem Thema ambulantes Operieren verbinden, eher an der Umfrage teilnehmen als Versicherte mit niedrigem Involvement. Diese Versicherten sind aber zugleich auch Zielgruppe für Kommunikation und Verträge, daher ist eine Repräsentativität hinsichtlich der Gesamtkasse auch nicht notwendig.
Sämtliche Fragen der Befragung bezogen sich explizit auf eine Operation am Kniegelenk. Es scheint plausibel, die Ergebnisse auch auf andere – vergleichbare – Operationen zu übertragen. Ein anderes Ergebnis bei anderen Operationen kann jedoch nicht vollständig ausgeschlossen werden. Im Rahmen des Pre-Tests wurde ein Fragebogendesign verwendet, dass allgemeingültiger formuliert war. Letztendlich stellt sich dann aber bei der Interpretation die Frage, ob sich alle Befragten eine vergleichbare Situation vorstellten oder sich die Ergebnisse zwischen den Befragten alleine aus dem Grund systematisch unterscheiden, weil ein Befragter bspw. an eine Operation am Kniegelenk gedacht hat, ein anderer Befragter jedoch an eine Operation am Kopf. Dieser trade-off zwischen interner und externer Validität könnte u. U. durch eine Folgebefragung mit einer anderen Operation als Beispiel gelöst werden.
Als weitere Limitation dieser Arbeit kommen die nicht interpretierbaren, aber signifikanten Faktoren in Betracht. Es ist somit theoretisch denkbar, dass auch andere als die aufgezeigten Faktoren Einfluss auf die Einstellung der Versicherten zu ambulanten Operationen haben. Dies ist aus pragmatischer Sicht jedoch akzeptabel, weil die fehlende inhaltliche Interpretation der Faktoren zu keiner abgeleiteten Handlungsempfehlung für die Informationsbereitstellung führt.
Ebenfalls in einer Folgebefragung könnten die hier explorativ gewonnenen Faktoren einer konformistischen Faktoranalyse unterworfen und somit validiert werden. Das vorliegende Ergebnis wäre eine Basis für weitere Untersuchungen.
Sehr interessant war, dass es keinen signifikanten Unterschied hinsichtlich der Einstellung von Versicherten mit und ohne Erfahrung zu einer ambulanten Operation gab. Begründen kann man dieses grundsätzlich paradoxe Ergebnis jedoch wenn man institutionsökonomische Literatur heranzieht: Bei sehr komplexen Dienstleistungen wie, bspw. einer ärztlichen Behandlung oder einer juristischen Beratung, überwiegen Vertrauenseigenschaften, sodass der Leistungsempfänger selbst nach Inanspruchnahme der Leistung die Qualität nicht beurteilen kann (vgl. die Literatur insb. zu hidden information; hidden intention). Somit ist auch plausibel, dass Erfahrungswerte bei medizinischen Dienstleistungen nicht überschätzt werden dürfen.
Insbesondere für Krankenkassen stellt sich die Frage, ob diese durch finanzielle Anreize auf Seiten der Versicherten eine Steuerung der Versorgung erreichen können. Zumindest in dieser Untersuchung wurde gezeigt, dass solche Anreize keine Rolle bei der Wahl spielen, ob eine Operation ambulant oder stationär durchgeführt werden soll. Dies kann man spiegelbildlich zu einem hohen Qualitätsanspruch an die medizinische Versorgung interpretieren. Finanzielle Boni könnten eher den Verdacht einer Rationierung verstärken und somit eben gerade dem implizit geforderten Qualitätsanspruch der Versicherten widersprechen.
Die mhplus wird ihren Homepageauftritt und ihr Informationsangebot zu diesem Thema entsprechend anpassen, um ihren Versicherten somit einen schnellen Zugang zu den aus Versichertenperspektive relevanten Informationen zu ermöglichen. <<