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Auffälligkeiten beim Einsatz von Lipidsenkern bei den Kassen

Ambulante Versorgung von KHK-Patienten mit erhöhten Cholesterinwerten

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Erstveröffentlichungsdatum: 01.10.2011

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Erhöhte Cholesterinwerte können Herz und Kreislauf auf Dauer schädigen. Wenn z. B. durch Umstellung der Essgewohnheiten die Werte nicht mehr in den Griff zu bekommen sind, ist der Einsatz medikamentöser Therapien angesagt. Unter den Cholesterin- bzw. Lipidsenkern werden im ambulanten Bereich vor allem Statine verordnet. Daneben gewinnen Ezetimib-haltige Präparate zunehmend an Bedeutung. Auf Basis einer Vollerhebung aller in Apothekenrechenzentren abgerechneten GKV-Rezepte hat INSIGHT Health die Lipidsenker-Verordnungen und die Unterschiede zwischen den großen Krankenkassen untersucht. Dabei werden zum Teil große Differenzen sichtbar.

>> Zahlreiche epidemiologische Studien zeigen einen engen Zusammenhang zwischen Herz-Kreislauferkrankungen und hohen Cholesterinwerten. Gleichwohl stellt Cholesterin nur einen von mehreren Risikofaktoren dar. Die Bedeutung der außer der Norm liegenden Cholesterinwerte eines Patienten sind deshalb unter Berücksichtigung weiterer vorliegender Risiken für Herzkreislauferkrankungen zu bewerten. Neben dem Alter und Geschlecht des Patienten sind dies insbesondere Bluthochdruck und Diabetes mellitus. Aber auch Übergewicht, Bewegungsmangel, Alkohol- und Nikotinkonsum sowie eine genetische Prädisposition sind wesentliche Risikofaktoren (vgl. S3-Leitlinie „Chronische KHK“ 2010).
Zur pharmakologischen Therapie stehen verschiedene Optionen zur Verfügung. Neben den weit verbreiteten Statinen (auch als CSE-Hemmer, Cholesterinsyntheseenzymhemmer bekannt) mit der Leitsubstanz Simvastatin sind dies u. a. der Wirkstoff Ezetimib sowie die Wirkstoffkombination dieser beiden Substanzen. Von nachgelagerter Relevanz in der Arzneimitteltherapie sind Fibrate, Nikotinsäurepräparate, Anionenaustauscher und Fischölkapseln, welche vor allem bei Statin-Unverträglichkeit eingesetzt werden (vgl. S3-Leitlinie „Chronische KHK“ 2010). Von einer Arzneimitteltherapie zum Zwecke einer Primärprävention wird im Allgemeinen abgeraten. Im Sinne einer Sekundärprävention bei Hochrisikopatienten gilt die Empfehlung zu einer Statintherapie (vgl. KV Westfalen-Lippe 2009), insbesondere zur Prävention einer progredienten Arteriosklerose und aufgrund eines positiven Effekts auf kardiovaskuläre Ereignisse (vgl. DEGAM Leitlinie Nr. 8, Schlaganfall, S. 42).
Statin ist nicht gleich Statin
Die Statine unterscheiden sich teils erheblich voneinander - hinsichtlich ihres Preises, ihrer pharmakologischen Charakteristika, ihrer therapeutischen Besonderheiten und sonstigen in zahlreichen Studien nachgewiesenen Unterschieden. Gleichwohl sind sie in einer Festbetragsgruppe zusammengefasst. Die Statine Atorvastatin (Handelsname: Sortis) und Rosuvastatin (Handelsname: Crestor) stehen noch unter Patentschutz (Atorvastatin bis Mai 2012, Rosuvastatin bis 2016; INSIGHT Health: Patent Database). Der von den Unternehmen eingeforderte Preis liegt weit oberhalb des Erstattungsbetrags, weshalb GKV-Patienten derzeit deutliche Zuzahlungen zu leisten haben. Simvastatin demgegenüber unterliegt einem intensiven generischen Rabattwettbewerb. So waren im vergangenen Jahr 84 Prozent aller Simvastatin-Verordnungen innerhalb der GKV rabattiert (INSIGHT Health: NVI-KT, MAT Juni 2011, d.h. Zeitraum Juli 2010 bis Juni 2011).
Nachfolgend soll der Markt für Lipidsenker (ATC-Gruppe C10) anhand aktueller Daten von INSIGHT Health zum Verordnungsgeschehen innerhalb der GKV (MAT Juni 2011) näher dargestellt werden. Neben einer allgemeinen Marktbetrachtung werden Auffälligkeiten auf Ebene der größten gesetzlichen Krankenkassen analysiert. Herstellerrabatte wie auch Rabattverträge sind bei den dargestellten Umsatz- resp. Kostenwerten nach Apothekenverkaufspreisen (AVP) nicht berücksichtigt.
GKV: 1,7 Mrd. Tagesdosen p.a.
In Deutschland wurden im laufenden Jahr (Juli 2010 bis Juni 2011) innerhalb der GKV rund 1,7 Milliarden Tagestherapiedosen (Defined Daily Doses - DDD) an Lipidsenkern mit einem Wert in Höhe von 676 Millionen Euro (nach AVP) verordnet. Das aktuelle Ausgabevolumen ist gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 6,5 Prozent rückläufig, wohingegen sich die abgerechnete Mengenkomponente - gemessen in DDD - um 4,0 Prozent erhöht hat. Mit dem für das kommende Jahr erwarteten Patentauslauf von Atorvastatin werden die durchschnittlichen DDD-Kosten vermutlich weiter sinken.
Die Therapieoptionen unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Ausgabenrelevanz merklich. So liegen die durchschnittlichen Kosten einer Tagestherapiedosis an Lipidsenkern bei 40 Cent. Während die generischen Statine vergleichsweise günstige Therapieoptionen darstellen, sind die neuen, patentgeschützten Wirkstoffe im Vergleich eher kostenintensivere Therapieoptionen. Unter anderem deshalb fokussieren die Zielvorgaben im Rahmen der Arzneimittelvereinbarungen der KVen mit den Verbänden der Krankenkassen darauf, den DDD-Anteil von kostengünstigen Statinen hoch und den Anteil Ezetimib-haltiger Präparate gering zu halten. So soll zum einen der DDD-Anteil der Leitsubstanz Simvastatin unter den Statinen im Durchschnitt über 86 Prozent betragen (Tab. 1). Zum anderen sollen zum Beispiel in Schleswig-Holstein die Ezetimib-haltigen Präparate einen Anteil von 3 Prozent der Statine und Ezetimib-haltigen Präparate nicht überschreiten (vgl. KV SH 2011).
Pro-Kopf-DDD bei Knappschaft drei Mal so hoch wie bei TK
Eine Analyse der großen Kostenträger mit mehr als einer Million Versicherten zeigt deutliche Unterschiede im Hinblick auf die Arzneimitteltherapie mit Lipidsenkern: Während bei der TK auf einen Versicherten statistisch betrachtet nur rund 15 Tagestherapiedosen (ATC: C10) entfallen, sind es bei der Knappschaft 46 DDD. Innerhalb der GKV entfallen durchschnittlich auf jeden Versicherten 24 Tagesdosen. Dies lässt jedoch keinerlei Rückschlüsse auf die durchschnittliche Anzahl von Tagestherapiedosen je Patient resp. je Chroniker zu. Als Chroniker wurden in dieser Analyse Patienten definiert, die je Quartal im Untersuchungszeitraum mindestens eine Verordnung eines Lipidsenkers erhalten haben. Insgesamt lag die Schwankungsbreite zwischen den analysierten Krankenkassen hierbei zwischen 373 und 419 DDD je so definierten Chroniker. Dabei standen die beiden Kassen mit den höchsten DDD-Raten je Versicherten einmal am oberen Ende der Schwankungsbreite (AOK Nordost mit 419 DDD) und einmal am unteren Ende (Knappschaft mit 374 DDD) (vgl. Abb. 1).
Rund 80 Prozent aller kontinuierlich mit Lipidsenkern therapierten GKV-Patienten sind älter als 60 Jahre. Das Durchschnittsalter variiert aber auch hier – analog zur Versichertenstruktur der Kassen – zum Teil erheblich. So sind die TK-Patienten wie auch die der IKK classic mit knapp 68 Jahren um gut fünf Jahre jünger als Patienten, welche bei der Knappschaft versichert sind.
Der Anteil von Tagesdosen mit dem Wirkstoff Ezetimib inkl. Fixkombinationen schwankt unter den größten gesetzlichen Krankenkassen zwischen 4,4 Prozent für die AOK Hessen und der IKK classic mit 8,2 Prozent (vgl. Abb. 2). Auch bei den Verordnungsanteilen von Ezetimib sind diese Kassen oberhalb des GKV-Durchschnitts; die TK ist hier führend unter den untersuchten „Großkassen“ (2,3% vs. GKV: 1,7 %). Der DDD-Anteil von Simvastatin an allen Lipidsenkern (C10) variiert nahezu gegenläufig und liegt zwischen 74,3 Prozent bei der TK und 82,7 Prozent bei der AOK Rheinland/Hamburg (GKV: 78,1 %).
Ausblick
In weiteren Versorgungsanalysen sollten die Gründe für die unterschiedlichen Verschreibungen bei den einzelnen Kassen näher untersucht werden. So wären u. a. ein alters- und geschlechtsadjustierter Vergleich zwischen den Krankenkassen, eine Untersuchung regionaler Besonderheiten sowie die Analyse des Verschreibungsverhaltens unterschiedlicher Facharztgruppen von Interesse. Darüber hinaus sollten, gerade vor dem Hintergrund der jüngsten Veröffentlichungen des IQWiG zum Thema „Ezetimib bei Hypercholesterinämie“ (vgl. IQWiG 2011), Versorgungsforschungsstudien den Zusatznutzen der teureren Therapieregime in Abhängigkeit von den Krankheitsbildern inklusive der Komorbiditäten näher untersuchen. Dieses wären dann auch Informationen, die in die Arzneimittelvereinbarungen zwischen Kassenärztlichen Vereinigungen und den Krankenkassenverbänden einfließen könnten. <<

Literatur bei den Verfassern

von: Dr. André Kleinfeld
Christian Bensing*