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Behandlungspfade im Ärztenetz implementieren

Erstveröffentlichungsdatum: 15.04.2012

Literatur

Hellmann, W., Eble, S. (Hrsg.), Gesundheitsnetzwerke managen, Berlin 2009, S. 137-153, hier S. 142 f: „Zur Bedeutung der Kommunikation in einem Gesundheitsnetz“ Sens, B., Eckardt, J., Kirchner, H. 2009, S.7 Stoll, T.: „Aufbau eines effizienten Qualitätsmanagements für vernetzte Strukturen“, in: „Gesundheitsnetzwerke managen“, Berlin 2009, S. 77-87. Tscheuschner, M., Wagner, H.: TMS, Der Weg zum Hochleistungsteam, 2. Aufl., Offenbach 2011

Plain-Text

Im Management von Ärztenetzen geht es nach der vorliegenden Literatur ganz besonders darum, die vorhandene Versorgung zu verbessern. Bestehende Behandlungsabläufe sind optimaler und wirtschaftlicher durchzuführen. Sei es, um das zeitliche Engagement von Ärzten zu reduzieren, um Bürokratie abzubauen, um Wirtschaftlichkeitsreserven auszuschöpfen oder sich im Markt gegenüber anderen Anbietern zu verteidigen. Gerade Kostenträger fordern von Ärztenetzen Konzepte zur Versorgungsverbesserung bei gleichzeitiger Ausschöpfung von Wirtschaftlichkeitspotenzialen. Ein IV-Vertrag mit einer oft entsprechenden Leistungsvergütung an die partizipierenden Ärzte basiert in der Regel auf entsprechend definierten Behandlungskonzepten. Die Grundlage solcher Konzepte wiederum sind spezifische Behandlungspfade, in denen für ausgewählte Patienten und Indikationen Behandlungsabläufe sowie Schnittstellen zwischen den teilnehmenden Partnern im Falle der gemeinsamen Diagnose und Therapie definiert werden.

>> Systematische Hilfe für die Erstellung von Behandlungspfaden bieten die Ansätze und Techniken des Qualitätsmanagements. Exemplarisch sei an dieser Stelle das „Praxismanual Integrierte Behandlungspfade“ von Brigitte Sens, Jörg Eckardt und Hanna Kirchner genannt. Auf der Basis des PDCA-Zyklus nach Deming geht es darum, „ausgewählte Kernprozesse als integrierte Behandlungspfade detaillierter auszugestalten, mit den Regeln der evidenzbasierten Medizin zu hinterlegen, als sektorenübergreifende Behandlungskonzepte weiter zu entwickeln“ oder insbesondere im Falle von stationären Einrichtungen neue Versorgungs-angebote aufzubauen.
Die Literatur zur Entwicklung von Behandlungspfaden ist dabei primär technischer Natur. So stehen insbesondere die Identifikation und Bestimmung von Prozessen sowie die Schnittstellen zwischen verschie-denen Leistungspartnern im Fokus der einzelnen Betrachtungen. Weni-ger Augenmerk finden die beteiligten Partner, insbesondere diejenigen Teilnehmer in Netzwerken, die später den neuen Behandlungspfad umsetzen und leben sollen. Gerade deren Motivation an den neuen Abläufen entscheidet aber darüber, ob diese zu einem neuen und gelebten Standard werden oder im Dornröschenschlaf in der Schublade liegen bleiben. Einen Implementierungsvorteil haben hier Leistungsanbieter mit hierarchischen Strukturen und vorhandenen Weisungsabläufen wie z.B. Kliniken oder Pflegeeinrichtungen. Im Falle von Ärztenetzen, dem freiwilligen Zusammenschluss bzw. Zusammenarbeiten unabhängiger und freier Unternehmer ist die Situation jedoch komplizierter. Jeder Teilnehmer sollte eine neue Vorgehensweise für sich bejahen und freiwillig in seine eigenen Arbeitsabläufe integrieren. Er hat daher den neuen Behandlungspfad zu verstehen und für sich und seine eigene Arbeit als nützlich bzw. vorteilhaft zu beurteilen. Empfehlungen mancher Autoren, nach der offiziell verabschiedete Prozesse künftig routinemäßig zu erledigen und Abweichungen nicht zulässig bzw. nur unter bestimmten genau dokumentierten Änderungen erfolgen dürfen, mögen für Organisationen mit einer hierarchischen Struktur kurzfristig möglicherweise erfolgreich sein, im Ärztenetz mit freiwilligen Partnern sind sie jedoch nicht umsetzbar.
Hier kommt es darauf an, die zukünftigen Teilnehmer eines Behandlungspfades aktiv in dessen Entwicklung, in dessen Implementierung und Weiterentwicklung einzubinden. Hilfestellung zur Etablierung von Behandlungspfaden gibt das Team-Management-System nach Charles Margerison und Dick McCann. Dieses Modell entstand bei der Suche nach Antworten auf die Frage, warum einige Teams gut zusammenarbeiten und gute Ergebnisse erzielen, wohingegen andere Teams bei gleichen oder sogar besseren Rahmenbedingungen weniger gut zusammenarbeiten bzw. sogar scheitern. Die Autoren beobachteten, dass produktive Teams eine Reihe verschiedenster Rollen bzw. Arbeitsfunktionen übernehmen. Es handelt sich insgesamt um acht unterschiedliche und sich gegenseitig ergänzende Funktionen (Abb. 1).
Diese Funktionen bzw. Rollen werden nun den im Team teilnehmenden Personen in Form von Arbeitspräferenzen zugeordnet. Im Idealfall sind die für eine bestimmte Aufgabenstellung erforderlichen Funktionen vorhanden, es herrschen optimale Startbedingungen zur Bearbeitung einer gemeinsamen Aufgabe. Das Modell unterstellt dabei auch, dass sich jeder der infrage kommenden oder angesprochenen Personen an einer gemeinsamen Aufgabe beteiligen möchte. Charles Margerison und Dick McCanns Beobachtungen mündeten konsequenterweise in der These, dass in einem Team, in dem jeder einzelne viel von dem tut, was er gern tut, sich die Energie, die Begeisterung, das Engagement und die Motivation um ein Vielfaches erhöhen und dann ein Hochleistungs-Team entsteht.
Die Einführung eines Behandlungspfades in einem Ärztenetz als einem losen Zusammenschluss von „Einzelkämpfern“ nach dem Modell der Arbeitsfunktionen besteht nun darin, die für den Pfad notwendigen Funktionen und damit Teilnehmer zu identifizieren: Wenn sich verschiedene Mitglieder im Netz finden, die unterschiedliche Teil-Rollen übernehmen, hat ein Behandlungspfad Aussicht auf eine erfolgreiche Umsetzung im Netz auf Basis freiwilliger Entscheidungen der Netzmitglieder. Bei dieser Vorgehensweise entsteht ein Arbeitsteam für die konkrete Aufgabe. Je nach der Anzahl der teilnehmenden Mitglieder im Arbeits-team kann dieses Team darüber hinaus das gesamte Ärztenetz positiv beflügeln im Hinblick auf eine Teamentwicklung des Netzes.
Von zentraler Bedeutung für ein Arbeiten auf der Basis des Modells der Arbeitsfunktionen ist das Vorhandensein der Funktion „Verbinden“. Es handelt sich um die Arbeitsfunktion des Verbindens von Menschen und Aufgaben. Hierzu gehören z.B. Aktivitäten wie das gegenseitige Zurverfügungstellen von Informationen, das Erstellen von Aktionsplänen und Ressourcen, um Aufgaben zu erstellen, Arbeitspakete gemäß den Arbeitspräferenzen und Teamrollen zu vergeben oder Qualitätsstan-dards oder Verfahren an die Teammitglieder weiterzugeben im Hinblick an die Erwartungen des Marktes bzw. der Kunden. Die Funktion „Verbinden“ trägt maßgeblich dazu bei, dass sich eine Gruppe von Menschen zu einer „Gesamtheit“ bzw. einem Team entwickeln kann.
Für ein Ärztenetz muss diese essenzielle Funktion beim Vorstand in Verbindung mit seinem Netzmanagement bzw. der Geschäftsstelle des Netzes liegen. Nur über diesen „Link“ sind Aktivitäten wie die An-sprache von Netzärzten - formal und auch im Sinne der geforderten Arbeitspräferenzen, die „offizielle“ Legitimation zur Erstellung eines Behandlungspfades, die Bereitstellung der erforderlichen Ressourcen sowie der organisatorische Rahmen zur Entwicklung und Kommunikation der Pfadentwicklung nach Innen und Außen realisierbar.
Die Führung eines Ärztenetzes bedeutet aus der Perspektive des Team-Management-Systems daher ganz besonders, einen zu erstellenden Behandlungspfad als Projekt des Netzes zu definieren, vorhandene Arbeitspräferenzen, Neigungen und Kompetenzen einzelner Netzmitglieder für die Erstellung und Implementierung des Pfades zu identifizieren; und die identifizierten Ärzte so zu motivieren und zu unterstützen, dass sie an der gestellten Aufgabe aktiv und gerne teilnehmen. An die Stelle eines Büroordners mit der Aufschrift „Behandlungspfad XY“ tritt auf diese Weise ein gelebtes Netzprojekt.
Woher kennt ein Netzmanager oder Netzvorstand nun die Arbeits-präferenzen seiner Netzmitglieder? Hier gibt es verschiedene Möglich-keiten: Eine Vorgehensweise besteht darin, diejenigen Ärzte anzuspre-chen, die sich schon in der Vergangenheit aktiv an Projekten beteiligt haben. Dieser Weg basiert auf der Idee, dass Innovatoren den Weg bereiten für die breite Ärzteschaft im Netz und sich die Nachzügler schrittweise beteiligen. Ein wesentlicher Nachteil dieses Ansatzes ist jedoch, dass manche Netz-Mitglieder als Trittbrettfahrer eines Projek-tes „mühelos mitfahren“ und im Falle nicht erreichter Projektziele leicht argumentieren können „ich habe es ja schon immer gewusst, das Projekt ist defizitär etc.“ Eine weitere Vorgehensweise zur Integration von Netzmitgliedern gemäß dem Modell der Arbeitsfunktionen besteht darin, dass ein Netzvorstand verschiedene Netzmitglieder dahingehend anspricht, inwieweit sie verschiedene Rollen zur Erstellung und Implementierung eines Behandlungspfades übernehmen möchten.
Die Implementation von Behandlungspfaden unter Zuhilfenahme des Modells der Arbeitsfunktionen trägt maßgeblich dazu bei, dem „losen Verbund Ärztenetz“ Strukturen zu geben und dieses im Markt zu etablieren. Organisationsseitig entstehen über die informellen und später auch formellen Rollen zunehmend Handlungsmuster, Trans-parenz, Stabilität und Verlässlichkeit. Aus einem schwammigen Ge-bilde entwickelt sich schrittweise eine strukturierte Organisation. Dies ermöglicht die Zusammenarbeit mit externen Partnern wie z.B. Krankenkassen und den Abschluss von Verträgen mit gegenseitigen Leistungs- und Finanzbeziehungen. Ein Vertreter einer hierarchischen Organisation hat es daher wesentlich leichter, ein Netzprojekt intern in seiner eigenen Institution zu vertreten, wenn er eine nachvollziehbare Umsetzungsstruktur des Netzes aufzeigen kann.
Ende des 20. Jahrhunderts entstand vor dem Hintergrund starrer Unternehmen und Bürokratien als Modell der Organisation bzw. des Unternehmens der Zukunft die Idee von organisatorischen Einheiten mit Projektgruppen anstelle großer Hierarchien, flexiblen Prozessen als tragenden Strukturelementen, überschaubaren Einheiten mit hoher Autonomie, Einsatz modernster Kommunikationstechnologien zum schnellen Austausch der relevanten Informationen anstelle ineffektiver Meetings oder der Einsatz projektspezifischer Erfolgskennzahlen anstelle ausschließlicher klassischer Erfolgsziffern wie Umsatz oder Marktanteil. Projektgruppen anstelle starrer Strukturen und gemeinsame Prozesse zwischen einer Organisation intern und seinen Partnern im Markt – ein Ärztenetz geht diesen Weg des Unternehmens der Zukunft aus der umgekehrten Richtung. Aus einer Idee und einer schwammigen Kooperation müssen sich – um im Markt erfolgreich und wahrnehmbar zu sein – flexible und verlässliche Strukturen entwickeln. Das Arbeiten mit Behandlungspfaden und deren Integration mit Hilfe des Modells der Arbeitspräferenzen tragen hierzu wesentlich bei. << von
Dr. Thomas Kehl*