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Bundesminister Rösler: Vorhaben und Realität

Kommentar von Franz Knieps, Berater für Gesundheitspolitik der SPD-Fraktion, Wiese Consult, Berlin; war bis Ende 2009 Abteilungsleiter im Bundesministerium für Gesundheit, Berlin und ist u.a. Mitglied im Herausgeberbeirat von „Monitor Versorgungs- forschung“ (MVF)

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Erstveröffentlichungsdatum: 01.04.2010

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>> Philipp Rösler ist in der Realität angekommen – zumindest mit einem Bein. Der freundliche und eloquente Gesundheitsminister legt sich – von vielen unerwartet - mit den Großen der Pharmabranche an. Er will die freie Preisbildung bei patentgeschützten Arzneimitteln zugunsten einer Verhandlungslösung auf der Basis von Kosten-Nutzen-Bewertungen abschaffen. So weit – so gut. Das wollen und wollten andere auch, scheiterten aber immer wieder an den Unionsparteien, die jetzt plötzlich da Regulierungsbedarf sehen, wo sie bisher immer blockiert haben. Die schärfsten Kritiker der Elche waren bekanntlich selber welche.
Wie immer im Leben kommt es aber auf das Kleingedruckte an. Wer soll die Kosten-Nutzen-Bewertung wann und nach welchen Kriterien durchführen? Wer verhandelt mit wem auf welcher Ebene? Wie sehen Konfliktlösungsmechanismen aus, wenn Verhandlungen nicht zu einem Ergebnis führen? Sollen die Verträge neuartige Inhalte wie Risikoteilung zwischen Herstellern und Kostenträgern oder Kostengarantien enthalten?
Der Minister wählt starke Worte in Deutschlands größter Boulevardzeitung und lässt sich zum Kämpfer gegen Monopole und Kartelle hoch stilisieren. Doch wenn es konkret werden soll, attackiert er eher die Kassenseite und stellt ein erfolgreiches Kostendämpfungsinstrument – die Rabattverträge – zur Disposition. Er befürchtet, eine (regionale) Übermacht einer Kasse könne zur Zerschlagung mittelständischer Strukturen in der deutschen Generikaindustrie führen. Damit geht er Marktschreiern eines Verbandes auf den Leim, die hinter dem stets bemühten Bild der Apokalypse das alte Kartell weniger Großanbieter wieder herstellen wollen.
Wer sich näher mit Ausschreibungen und Rabattverträgen befasst, kommt zu ganz anderen Schlüssen. Erst diese Instrumente haben den Mittelständlern echte Marktchancen verschafft und einen harten Preiswettbewerb ausgelöst. Wer das Gesundheitssystem und speziell die Arzneimittelversorgung über Markt und Wettbewerb auf Effizienz und Innovation trimmen will, darf sich nicht von Korporatisten beeindrucken lassen, die bei jeder Reform den Untergang des Abendlandes beschwören. Also bitte Hände weg von den Rabattverträgen.
Ähnlich ist die Gemengelage bei den Medizinischen Versorgungszentren. Hier versuchen die Kassenärztliche Bundesvereinigung und einige Ärztegruppen, verloren gegangenes Terrain zurück zu gewinnen. Diese Zentren, die sich großer Beliebtheit bei Patienten wie Ärzten erfreuen, sollen mehrheitlich in der Hand von niedergelassenen Ärzten liegen. Aktiengesellschaften – wie die bayerische Rhön AG – sollen künftig keine ambulante Versorgung anbieten können. Krankenhäuser sollen nur in unterversorgten Gebieten tätig werden dürfen. Externe Kapitalgesellschaften sollen völlig draußen bleiben. Ein merkwürdiges Verständnis von Markt und Wettbewerb, das zum Formenmissbrauch über Strohmannkonstruktionen geradezu einlädt.
Der Minister sollte sich auch hier ein genaueres Bild von der Lage in der ambulanten Versorgung machen. Die nachrückende Medizinergeneration ist weiblich. Junge Mediziner, aber vor allem junge Medizinerinnen haben andere Ansprüche an die Work-Life-Balance als die Medical Heroes von früher. Immer mehr medizinische Leistungen können ambulant erbracht werden, benötigen aber eine aufwendige Diagnostik und zuweilen die Sicherheitsinfrastruktur einer größeren Einheit. Die Investitionen in die hoch spezialisierte Medizin (z.B. in der minimal-invasiven Chirurgie, im Labor oder bei Bild gebenden Verfahren) sind so hoch, dass sie selbst von Ärztevereinigungen nicht mehr getragen werden können. Und schließlich dürften die Verfassungsressorts ein Wörtchen mit zu reden haben, wenn die Organisations- und Betriebsformen in der ambulanten Versorgung ohne sachlichen Grund eingeschränkt werden. Denn Erkenntnisse, dass in Medizinischen Versorgungszentren die schlechtere Medizin gemacht würde, gibt es nicht. Im Gegenteil: offene Kommunikation zwischen Kollegen, interdisziplinäre Kooperation, Koordination über modernes Praxismanagement, kurze Wege für Patienten, Vermeidung von unnötigen Arztkontakten und Wartezeiten, Fallkonferenzen, praxisinternes Medikamentenmanagement und vieles mehr sprechen für diese Versorgungsform. Der Minister sollte sich nicht vor den bayerischen Karren spannen lassen und die Wahlfreiheit der Unternehmensform erhalten.
Bei vielen anderen Versorgungsfragen ist der Minister auf dem richtigen Pfad, den allerdings schon andere vor ihm angelegt haben. Das gilt zum Beispiel für die Schaffung von Transparenz, die von jedem Akteur im Gesundheitswesen in Sonntagsreden gepriesen, werktags im Alltag nach Kräften verhindert wird. Hier ist weniger Programmatik als Durchsetzungskraft in der Praxis gefragt. Auch die Verbesserung des Schnittstellenmanagements ist richtig und wichtig. Hier wird viel Geld verschleudert. Nicht zuletzt deshalb ist die Weiterentwicklung der Bedarfsplanung dringend notwendig. Nicht die Perfektionierung auf Mikroebene, sondern die Schaffung einer integrativen Rahmenplanung auf Länder- oder gar Regionalebene ist das Gebot der nächsten Gesundheitsreform.
Erfreulich ist das klare Bekenntnis zur Förderung einer praxisbezogenen Versorgungsforschung. Aber hier muss das Rad nicht neu erfunden werden. Die Kooperation über die Friedrichstraße hinweg läuft längst gut. Aufgabe des Ministers wäre es, zum einen diese Forschung stärker auf die realen Versorgungsprobleme zu fokussieren, zum anderen die notwendigen Finanzmittel zu beschaffen und die Akteure stärker in die Pflicht zu nehmen.
Mit dem zweiten Fuß ist Philipp Rösler noch nicht in der Realität angelangt. Das gilt weniger für die quasi-religiöse Überzeugung, Kopfpauschale und Kapitaldeckung würden es richten. Diese Überzeugung trifft auf eine andere ökonomische Realität. Wie viele Gesundheitsministerinnen vor ihm predigt er eine neue Kultur der Offenheit, des Vertrauens und der Fairness. Er wird aber bald erfahren müssen, dass im Vordergrund aller Wünsche und Forderungen Macht und Geld stehen. Etwas anderes wäre verwunderlich, geht es doch um Millionen von Jobs und die Verteilung von mehr als 250 Mrd. Euro. In der größten deutschen Wirtschaftsbranche, die nur begrenzt über den Markt gesteuert werden kann, wird mit harten Bandagen gefochten. Wer das nicht sehen will, wird es sehr schwer haben, im Amt zu bestehen. <<