Clopidogrel ist eines der beiden ersten Arzneimittel, zu denen der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) eine Kosten-Nutzen-Bewertung beim Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) in Auftrag gegeben hat. Nach Berechnung von INSIGHT Health werden in Deutschland aktuell über 380.000 GKV-Patienten mit Clopidogrel ambulant therapiert.
>> Clopidogrel ist ein Wirkstoff, der die Blutgerinnung hemmt. Als so genannter Thrombozytenaggregationshemmer dient er der Vorbeugung von Blutgerinnselbildungen, welche Arterienverschlüsse verursachen und damit zu Herzinfarkt oder Schlaganfall führen können. Der mit fast 5,6 Mio. Verordnungen am häufigsten verschriebene Thrombozytenaggregationshemmer ist Acetylsalicylsäure (ASS). Danach folgen Clopidogrel mit über 1,7 Mio. und die Fixkombination Acetylsalicylsäure + Dipyridamol mit knapp 0,7 Mio. Verordnungen. Die weiteren Wirkstoffe, darunter auch das erst 2009 zugelassene Prasugrel, wurden in den letzten zwölf Monaten zusammen etwas über 100.000 Mal verordnet (Quelle: INSIGHT Health NVI, MAT November 2009).
Einer der beiden ersten Aufträge zur Bewertung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses, welche der G-BA jüngst an das IQWiG vergeben hat, beschäftigt sich mit der Analyse von Clopidogrel. Das IQWiG soll Clopidogrel in Kombination mit Acetylsalicylsäure (ASS) im Vergleich zur ASS-Monotherapie bei akuter Herzkrankheit sowie als Monotherapie im Vergleich zu ASS-Monotherapie bei der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (sog. Schaufensterkrankheit) einer Kosten-Nutzen-Bewertung unterziehen. Hierzu liegen bereits abgeschlossene Nutzenbewertungen vor, deren Ergebnisse in die Bewertung einfließen sollen. Nachfolgend werden einige Hintergründe zu dem Wirkstoff Clopidogrel und der Debatte dargestellt.
Nach Berechnung von INSIGHT Health werden in Deutschland aktuell über 380.000 GKV-Patienten mit Clopidogrel ambulant therapiert, rund ein Fünftel davon erhält eine Kombinationstherapie von Clopidogrel mit ASS. Bezogen auf das entsprechende Vorjahresquartal ist hierbei ein leichter Anstieg der Patientenzahlen mit Clopidogrel-Verordnungen um knapp zwei Prozent bzw. bei der Kombinationstherapie um rund drei Prozent zu verzeichnen. Eine Therapie mit ASS erhalten mehr als 1,2 Mio. GKV-Patienten (vgl. Tab. 1).
Die Substanz Clopidogrel wird dabei ganz wesentlich von Allgemeinärzten (62,4 Prozent) sowie Internisten (33,2 Prozent) verordnet. Dies trifft auch auf ASS (65,9 bzw. 31,4 Prozent), ASS + Dipyridamol (69,1 bzw. 24,7 Prozent) und Prasugrel (59,9 bzw. 37,3 Prozent) zu. Über 1,7 Mio. GKV-Verordnungen von Clopidogrel im vergangenen Jahr sorgten für ein Brutto-Ausgabenvolumen der gesetzlichen Krankenversicherungen (exkl. Rabatte, Zuzahlungen etc.) von rund 350 Mio. Euro, Tendenz fallend: -8,2 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum (Quelle: INSIGHT Health NVI, MAT November 2009). Damit betragen die durchschnittlichen Brutto-Arzneimittelausgaben je ambulant mit Clopidogrel behandeltem GKV-Versicherten über 900 Euro p.a. Jedoch bestehen mittlerweile zwischen den Krankenkassen und den Anbietern zahlreiche Rabattverträge - im Schnitt ca. drei Verträge über Clopidogrel je Kasse (!) –, so dass die Netto-Ausgaben deutlich darunter liegen sollten (Quelle: INSIGHT Health Rabattvertragsservices).
Die Versorgung mit Clopidogrel wird im Wesentlichen von den pharmazeutischen Herstellern Sanofi-Aventis, Bristol-Myers Squibb, Hexal und Ratiopharm sichergestellt. Die Substanz hat dabei eine interessante Historie: Der Wirkstoff Clopidogrel erhielt am 15. Juli 1998 unter den Produktnamen „Plavix“ (Hersteller: Sanofi-Aventis) bzw. „Iscover“ (Hersteller: Bristol-Myers Squibb) seine EU-weite Zulassung. Der Patentschutz erstreckte sich dabei nicht über den Wirkstoff als solchen - da dieser bereits seit 1988 geschützt war -, sondern über die verwendeten Salze und den Produktionsprozess (vgl. INSIGHT Health Patent-Datenbank). Die skizzierte Lücke im Patentschutz machten sich Hersteller wie Ratiopharm und Hexal zu Nutze, um im Sommer 2008 den etablierten Wirkstoff mit einem anderen Salz auf den deutschen Markt zu bringen. Diese „Generika“ sind um ca. ein Drittel günstiger als die Clopidogrel-Präparate der Originalhersteller (zu Preisinformationen vgl. INSIGHT Health Preismonitor).
Nach Auffassung der Hersteller Ratiopharm und Hexal wie auch einiger Kassenärztlicher Vereinigungen und Krankenkassen hat die andere Salzform, in der das Clopidogrel verabreicht wird, für die Patienten keinerlei Einfluss auf die Wirkung, Bioverfügbarkeit oder Verstoffwechselung des Medikaments (vgl. z.B. KV Berlin: Information im Rahmen der Arzneimittelvereinbarung 2009 auf der Grundlage des § 73 Abs. 8 SGB V - Hinweise zur Verordnung von Clopidogrel). Hiernach stünde also der gleiche Wirkstoff zu einem wesentlich günstigeren Preis für die Patientenversorgung zur Verfügung. Dagegen führten die Originalhersteller wie Sanofi-Aventis in der Diskussion um die Vergleichbarkeit an, dass hierbei ein anderes Salz mit einem eingeschränkten Indikationsgebiet Verwendung finde und somit der Nachweis einer therapeutischen Äquivalenz, die nur teilweise (und zwar bei Patienten mit Herzinfarkt, aber nicht bei Patienten mit akutem Koronarsyndrom) gegeben sei, notwendig würde (vgl. z. B. Gräfe, Kerstin A.: Clopidogrel: Substituieren - Ja oder Nein?, in: Pharmazeutische Zeitung online, Ausgabe 33/2008). Seit Sommer 2009 liegen jetzt aber Zulassungserweiterungen für die meisten Nachahmerpräparate vor. Damit können diese nun auch zur Behandlung von Patienten mit akutem Koronarsyndrom herangezogen werden.
Der Markteintritt der Clopidogrel-Produkte von Hexal und Ratiopharm führte dennoch bei vielen Patienten bereits frühzeitig - d. h. noch bevor eine nahezu uneingeschränkte Substituierbarkeit von Original- und Nachfolgerprodukten gegeben war - zur Umstellung der Medikation sowie zu entsprechenden Shifts bei den Medikamentenneueinstellungen. Während im dritten Quartal 2008 erst neun Prozent der Clopidogrel-Patienten mit diesen Präparaten versorgt wurden (d. h. mindestens eine entsprechende Verordnung erhielten), waren es ein Jahr später bereits rund 43 Prozent der Patienten (vgl. Abb. 1). Die zusätzlichen Indikationsgebiete sorgten dabei im dritten Quartal 2009 nicht zu einem sprunghaften Anstieg der Marktanteile. Bei den Neueinstellungen machen die neuen Präparate im dritten Quartal 2009 bereits über die Hälfte aus (Quelle: INSIGHT Health Patienten-Tracking).
Zukünftig werden sich Clopidogrel-Patienten aufgrund wirkstoffbezogener Rabattverträge erneut auf Umstellungen bei der Medikation einstellen müssen. Bei der vergangenen AOK-Rabattausschreibung 2010-2012 ist die Substanz zwar noch „in letzter Minute“ herausgenommen worden, doch bei anderen öffentlichen EU-weiten Vergabeausschreibungen wie der DAK-Ausschreibung ist mit Zuschlägen für Clopidogrel zu rechnen. Es kann davon ausgegangen werden, dass vor allem auch die neuen generischen Wettbewerber mit Hilfe von exklusiven Rabattverträgen Marktanteile zu erschließen versuchen.
Kosten-Nutzen-Bewertung ist entscheidend
Neben der Aufteilung des Clopidogrel-Marktes erscheint aber vor allem die zukünftige Entwicklung des Marktpotenzials für den Wirkstoff Clopidogrel für die Hersteller von höchster Relevanz zu sein. Diese wird vermutlich maßgeblich von den Ergebnissen der anstehenden Kosten-Nutzen-Bewertung des IQWiG zu den Therapieansätzen mit Clopidogrel und ASS abhängen. Im Rahmen der Bewertung soll abgewogen werden, ob die Kostenübernahme bei dem jeweiligen Patientennutzen, den die medizinische Intervention bietet, „angemessen und zumutbar“ ist. Resultat einer solchen Analyse könnte beispielsweise der Nachweis eines schlechteren Kosten-Nutzen-Verhältnisses von Clopidogrel vs. ASS sein, was Folgen für die Kostenerstattung bzw. Beschlüsse und Therapiehinweise und damit das Verordnungsverhalten (z. B. Verordnungseinschränkungen) haben könnte.
Aus GKV-Sicht stellt die Behandlung mit Clopidogrel einen signifikanten Kostentreiber dar. Im Vergleich zu einer Therapie mit ASS sind mit Clopidogrel erheblich höhere Behandlungskosten verbunden. Die Preise der Clopidogrel-Medikationen liegen bis zu dem Faktor 80 über dem Vergleichspreis von Acetylsalicylsäure (ASS).
Während die Tagestherapiekosten bei ASS in der Größenordnung von wenigen Cent liegen, erreichen nach Sonderanalysen von INSIGHT Health diese Kosten bei Clopidogrel eine Größenordnung von bis zu drei Euro.
Eines der kostenorientierten Versorgungsziele betrifft deshalb den Anteil der verordneten Tagestherapiedosen (DDDs) von Clopido-grel im Verhältnis zu ASS. Dieser Anteil sollte nach Vorgaben der KV Berlin beispielsweise im Jahr 2009 von 27,9 auf 22,0 Prozent gesenkt werden. Die KV Berlin verweist in ihrem Schreiben vom Mai 2009 darauf, dass sich an der Datenlage zum therapeutischen Stellenwert von Clopidogrel ungeachtet der vielfältigen Diskussion um die „Generika“ und den teilweisen Therapieausschluss durch den Gemeinsamen Bundesausschuss nichts geändert habe. Acetylsalicylsäure sei bei chronischen atherosklerotischen Erkrankungen unverändert das Mittel der ersten Wahl. Dies schließe den Einsatz von Clopidogrel, beispielsweise bei Kontraindikationen oder Unverträglichkeiten gegen ASS, nicht aus (vgl. Kassenärztliche Vereinigung Berlin: Arzneimittelverordnungen - Hinweise zur Verordnung von Clopidogrel, Mai 2009). Andere KVen haben in ihrer Arzneimittelvereinbarung 2010 das Ziel formuliert, den Anteil preisgünstiger Clopidogrel-Präparate an allen Clopidogrel- und teilweise auch Prasugrel-Verordnungen zu steigern (vgl. etwa KV Westfalen-Lippe: Arzneimittelvereinbarung nach § 84 Abs. 1 SGB V für das Jahr 2010 für Westfalen-Lippe, Dezember 2009; KVB-Infos, 01-02/2010). Hierbei bedarf es allerdings einer differenzierten Betrachtungsweise.
Auf der anderen Seite sind wesentliche Nutzenwerte von Clopidogrel dokumentiert, auch auf Seiten des IQWiG: So habe die Monotherapie mit Clopidogrel im Vergleich zu einer Behandlung mit ASS bei Patienten mit symptomatischer peripherer arterieller Verschlusskrankheit einen Zusatznutzen in Bezug auf die Reduktion des Risikos für vaskuläre/thromboembolische Ereignisse (vgl. IQWiG 2006: Abschlussbericht Clopidogrel versus Acetylsalicylsäure; Abschlussbericht A04/01A).
In der Kombinationstherapie von Acetylsalicylsäure (ASS) und Clopidogrel kann laut IQWiG das Herzinfarktrisiko bei akutem Koronarsyndrom gesenkt werden (vgl. IQWiG 2009: Clopidogrel plus ASS bei akutem Koronarsyndrom; Abschlussbericht A04-01B). Hier (wie auch beim Myokardinfarkt) ist im Gegensatz zur Monotherapie eine uneingeschränkte Erstattungsfähigkeit durch die GKV gegeben, obwohl preiswertere Alternativen verfügbar sind (vgl. zum Beispiel KV Westfalen-Lippe: Übersicht - Der Einsatz von Clopidogrel, 23.09.2009).
Vergleichsmaßstab nicht einheitlich
Bereits im Vorfeld bleibt die Kritik am eingeschlagenen Verfahren des IQWiG zur Kosten-Nutzen-Bewertung nicht aus. So ist das vom IQWiG entwickelte Outputmaß im Gegensatz zu seinem angelsächsischen Pendant nicht indikationsübergreifend. Damit kann es zu Diskussionen im Vergleich zwischen einzelnen Indikationen kommen, da kein einheitlicher Vergleichsmaßstab definiert wird (vgl. z. B. Staeck, Florian: Die Weltformel für Kosten-Nutzen-Studien könnte am Ende der Wettbewerb sein, in: Ärzte Zeitung, 22.12.2009). Auch lässt sich beispielsweise mit einem Blick nach England und den Kosten-Nutzen-Bewertungen des NICE erahnen, dass die alleinige Herausgabe von Empfehlungen auf Basis von Kosten-Nutzen-Bewertungen nicht per se zu Effekten im Verordnungsverhalten und damit auf der Kostenseite führt. Vielmehr lässt sich ableiten, dass die „Edukation“ und „Compliance“ der Ärzte und Patienten zusätzlich nachhaltig gefördert werden muss. Die medizinische und zugleich ökonomische Sinnhaftigkeit von Empfehlungen muss demnach hinreichend breit und nachdrücklich kommuniziert werden (vgl. z. B. WINEG: „Kosten-Nutzen-Bewertung von Arzneistoffen - Was kann Deutschland von Großbritannien lernen?“). Es bleibt daher spannend zu sehen, ob und inwieweit Kosten-Nutzen-Bewertungen zukünftig die Ausgestaltung des Gesundheitssystems im Allgemeinen und den Umgang mit dem Wirkstoff Clopidogrel im Speziellen prägen werden. <<
Von: Christian Bensing/
Dr. André Kleinfeld*