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Contra: Pflegekammern - wozu?

Kommentar von Gerd Dielmann, Bereichsleiter Berufspolitik im Fachbereich Gesundheit, Soziale Dienste, Wohlfahrt und Kirchen der ver.di

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Erstveröffentlichungsdatum: 23.09.2012

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>> Bevor man die von Herrn Höfert aufgeworfene Frage „Pflegekammern: Wenn nicht jetzt, wann dann?“ beantwortet, ist die Frage zu beantworten: „Pflegekammern - wozu?“ Brauchen wir überhaupt Pflegekammern? Welchen Nutzen haben sie? Sind sie besser geeignet die gesellschaftlichen Aufgaben zu übernehmen, die ihnen übertragen werden sollen, als die damit bisher beauftragten Institutionen und Behörden?
Von den Befürwortern der Einrichtung von Pflegekammern - so auch von Herrn Höfert - werden u.a. folgende Gründe angeführt: Kammern dienen dem Schutz der Bevölkerung vor Pflegefehlern oder vor „schwarzen Schafen“ der Branche. Sie dienten der Qualitätssicherung und der Sicherheit der Berufsinhaber/-innen. Sie würden eine verbindliche Berufsordnung garantieren, die Einhaltung einer Berufsethik und dienten der Selbstverwaltung des Berufsstands.
In diesem Beitrag will ich mich mit den für die Kammern vorgesehenen Funktionen befassen und der Frage nachgehen, ob sie das geeignete Instrument sind, die ihnen zugedachten Aufgaben zu erfüllen.
Kammern haben als Einrichtungen öffentlichen Rechts mit Pflichtmitgliedschaft lediglich Zugriff auf die in ihnen zusammengeschlossenen Berufsangehörigen. Sie können diese zu bestimmten Verhaltensweisen verpflichten oder zur Selbstverpflichtung anregen, etwa einen fest gelegten ethischen Kodex einzuhalten. Fehlverhalten kann sanktioniert werden. So sieht beispielsweise der bayerische Gesetzesentwurf vor, dass die Kammer Geldstrafen verhängen kann. Alten-, Kranken- und Kinderkrankenpflege werden in Deutschland aber überwiegend nicht von freiberuflich tätigen Pflegekräften ausgeübt, die über eine Kammer oder durch Selbstverpflichtung zu korrektem Verhalten angehalten werden müssen, sondern von Pflegekräften im Angestelltenverhältnis. Sie unterliegen der Weisungspflicht ihrer Arbeitgeber und haben nur begrenzte Möglichkeiten, die Qualität ihrer Arbeit zu beeinflussen. Die Kammer könnte weder eine ausreichende Finanzierung der Krankenhäuser und Pflegedienste noch eine angemessene Personalausstattung, ja nicht einmal eine richtige Qualifizierung der Berufsangehörigen sicherstellen. Eine gute Pflege kann bei noch so gutem Willen der Berufsangehörigen nicht sicher gestellt werden, wenn die Bedingungen sie nicht zulassen.
In einer solchen Situation auch noch von der eigenen Kammer bestraft zu werden, weil Fehler unterlaufen sind, scheint mir keine sehr erfreuliche Perspektive. Einschränkend ist allerdings zu konstatieren, dass etablierte Kammern, wie die Ärztekammern, bisher weder dadurch aufgefallen sind, Fehlverhalten so genannter „schwarzer Schafe“ unter den niedergelassenen Ärzten nachhaltig zu sanktionieren, noch dass sie in der ambulanten ärztlichen Versorgung oder gar in den Krankernhäusern für eine gute Versorgungsqualität sorgen würden. Wer als Patient oder Pflegebedürftiger zu seinem Recht kommen will, wird schon ordentliche Gerichte bemühen müssen. Warum sollte das bei den Pflegekammern anders sein?
Wir sind der Überzeugung, dass die Qualitätssicherung über verbesserte Rahmenbedingungen erfolgen muss und dass die Verantwortung für die Qualität der Dienstleistungen in erster Linie bei den Leistungsanbietern selber (Heimen, Pflegediensten, Krankenhäusern) liegt, nicht überwiegend bei deren Angestellten. Die Qualitätskontrolle sollte von unabhängigen Behörden und Einrichtungen erfolgen wie der Heimaufsicht oder dem Medizinischen Dienst der Krankenkassen. Letzterem würde mehr Unabhängigkeit allerdings nicht schaden. Hier ist eher eine Beteiligung der Leistungsempfänger sinnvoll über ihre Interessenverbände oder Verbraucherschutzorganisationen. Eine auf Sanktionierung der Berufsangehörigen hinauslaufende Qualitätssicherung durch die Kammern ist hier nicht das Mittel der Wahl.
Berufsordnungen für Pflegeberufe gibt es bisher in den Bundesländern Bremen, Hamburg und dem Saarland. Als staatliche Regelungen lassen sie an Verbindlichkeit nichts zu wünschen übrig. Ob sie allerdings sinnvolle Regelungen enthalten und zur Qualitätssicherung beitragen, kann man bezweifeln. Ihre Zielsetzung ähnelt sehr stark der von Pflegekammern, wie diese Form der Qualitätssicherung praktisch wirksam werden soll, bleibt jedoch offen.
Zentraler Kern der Berufsordnungen ist die Vorschrift zur „Kompetenzerhaltung und Qualitätssicherung“. So sieht die Berufsordnung in Bremen vor, dass als „Maßnahmen der Kompetenzerhaltung im Umfang von mindestens zehn Stunden neben dem Studium der Fachliteratur durch jede professionelle Pflegekraft verbindlich zu erbringen“ sind. Eine solche Regelung mag für Selbstständige und Freiberufler sinnvoll sein, die ihre Arbeitszeitgestaltung in höherem Maße selbst regeln können, für angestellte Pflegekräfte ist es neben einer persönlichen Verpflichtung zur Fortbildung wichtiger, einen Rechtsanspruch auf Fortbildung während oder unter Anrechnung als Arbeitszeit bei Kostentragung durch den Arbeitgeber zu gewährleisten. Hier sind die Arbeitgeber genauso in der Pflicht, die Qualifikation ihrer Beschäftigten zu fördern und zu erhalten wie diese selber. Regeln kann das aber nicht die Kammern, sondern der Gesetzgeber oder die Tarifvertragsparteien.
Ethische Grundsätze sind bereits durch Berufsverbände und den Ethikkodex des Internationalen Council of Nurses (ICN) aufgestellt und werden in der Berufsausbildung gelehrt. Sie leben jedoch gerade davon, dass diejenigen, die sie einhalten sollen, von deren Richtigkeit überzeugt sein müssen. Das ist schwerlich durch eine Berufsordnung oder per Rechtsverordnung zu regeln.
Eine berufliche Selbstverwaltung mag bei Freiberuflern und Selbstständigen, die sonst keinen Weisungen unterliegen, sinnvoll sein, bei Angestellten wird das berufliche Verhalten sehr stark durch das Arbeitsverhältnis und seine Bedingungen geprägt. Ihre Interessenvertretung erfolgt über Berufsverbände, Gewerkschaften und ggfs. Fachgesellschaften. Berufliches Engagement wird durch Pflichtmitgliedschaft nicht erhöht, allenfalls das zur Verfügung stehende Finanzvolumen. Die Vielfalt der Interessen und Verbände wird durch landesrechtlich geregelte Kammern nicht aufgehoben. Ihre Zusammensetzung wird diese Vielfalt widerspiegeln. Erhöht wird allenfalls die Legitimation, für die Berufsangehörigen zu sprechen, wobei die Minderheitsfraktionen in den Kammern damit leben müssen, kein öffentliches Gehör zu finden. Die Bundeskammer ist ein eingetragener Verein, sie kann die Meinungsvielfalt der Länderkammern nur bedingt vereinheitlichen. Warum sollte also die Meinung des Bundeskammerpräsidenten mehr Gehör finden als die des Präsidenten des Deutschen Pflegerats? Auch wenn letzterer nur einen Teil der Pflegekräfte repräsentiert?
Der den Kammern zugeschriebene Nutzen steht aus meiner Sicht in keinem Verhältnis zum Aufwand, eine flächendeckende Kammerstruktur aufzubauen, personell zu besetzen und über eine Zwangsmitgliedschaft aus Mitgliedsbeiträgen zu finanzieren. <<