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Der Gesamtmarkt ist noch nicht erfasst

Erstveröffentlichungsdatum: 01.04.2008

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Nicht erst das im Mai 2006 in Kraft getretene Arzneimittelversorgungs-Wirtschaftlichkeitsgesetz (AVWG) ermöglicht es Krankenkassen durch eine Änderung des § 130a Abs. 8 SGB mit pharmazeutischen Herstellern bilaterale Rabattverträge abzuschließen: Das wäre schon seit 2003 möglich gewesen. Doch erst mit Scharfschaltung des GKV-WSG zum 1. April 2007 schaffte dieses gesundheitspolitische Steuerungsinstrument den Durchbruch. Mit jenem April traten die ersten Verträge in Kraft, von denen inzwischen mehr als 25.000 Arzneimittel erfasst sind. Die rein quantitative Marktbedeutung der Verträge erhöht sich ständig: Während im 2. Quartal 2007 nur jedes sechste verordnete Medikament rabattiert war, traf dies im April dieses Jahres – wie INSIGHT Health zeigt – bereits auf jede dritte Verordnung zu. Doch wie sieht die qualitative Ebene – vornehmlich der tatsächliche Wirkhebel für Einsparpotenziale – im Gesamtmarkt aus?

>> Der Anteil rabattierter Arzneimittel an allen GKV-Verordnungen – ob nun der von Generika, Altoriginalen oder Originalen – hat seit dem Inkrafttreten des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes am 1. April 2007 stetig zugenommen. Schon im April 2008 waren nach Zahlen von INSIGHT Health auf der Produktebene nach Pharmazentralnummern 1.303.336 Rabatte vereinbart. Diese Einzelrabatte verteilen sich auf 25.058 als aktive Handelsformen in der Apotheke gehandelte Arzneimittel. Damit war im Durchschnitt jedes dieser Arzneimittel Gegenstand von 52 (!) Rabattvereinbarungen.
Das ist auf den ersten Blick eine enorme Zahl, die von Kassen, Unternehmen wie auch allen Ärzten und Apotheken, aber auch Lieferanten von Arzt- und Apotheken-Informationsystemen erst einmal gehandelt sein will. Wird jedoch der Arzneimittel-Gesamtmarkt beleuchtet, erkennt man, dass in den ersten vier Monaten dieses Jahres erst (oder schon) 30 Prozent aller GKV-Verordnungen durch Rabattverträge erfasst worden sind!
Gesamtmarkt im Fokus
Wer darüber hinaus nicht den Verordnungsanteil, sondern den damit verbundenen Umsatz betrachtet, sieht, dass laut den Marktdaten nur 10,4 Prozent auf rabattierte Arzneimittel entfallen. Was nichts anderes heißt, als dass das Instrument „Rabatt“ von den handelnden Parteien zwar relativ schnell umgesetzt wurde, die tatsächlichen Auswirkungen auf die im Gesamtmarkt (theoretisch) möglichen Einsparpotenziale bislang indes relativ moderat ausfielen.
Dies hat mehrere Gründe. Die große Differenz bei der Gesamtmarktbetrachtung rührt vor allem daher, dass die patentgeschützten Arzneimittel in diesem Jahr knapp 40 Prozent des gesamten Arzneimittelumsatzes innerhalb der GKV ausmachten – dies jedoch bei einem Verordnungsanteil von nicht einmal 9 Prozent!
Im Bereich der patentgeschützten Arzneimittel ist jedoch nur ein marginaler Anstieg des Rabattanteils festzustellen: von 3,4 Prozent im zweiten Quartal 2007 auf 3,7 Prozent im April 2008. Als weiterer Grund mag gelten, dass die Hersteller von Altoriginalen (Originalprodukte, deren Patentschutz abgelaufen ist) erst zu Beginn dieses Jahres begonnen haben, verstärkt Rabattverträge mit Krankenkassen abzuschließen: Der davon erfasste Rabattanteil liegt derzeit bei 10,5 Prozent.
Die Insulinanaloga, zu denen bis einschließlich drittem Quartal 2007 als einzige patentgeschützte Präparate Rabattverträge existierten, machten dann auch im April 2008 noch immer noch den Löwenanteil mit über 96 Prozentpunkten aus.
Boom bei Generika
Die Gesamtmarktbetrachtung spiegelt indes nur einen Teil der Wahrheit wider, denn in Teilmärkten gibt es erhebliche Auswirkungen. Vor allem natürlich in einem Markt: 1.278.070 der 1.303.336 Rabatte betrafen Generika, wie der Branchenverband progenerika kürzlich verlautbarte und sich dabei auf Daten von INSIGHT Health berief. Auf Generika entfallen immerhin 98,1 Prozent aller Rabatte, was den Branchenverband zur der Aussage veranlasst, dass „Generika die Arzneimittelausgaben der Kassen also nicht nur durch ihre ohnehin schon sehr günstigen Listenpreise, sondern auch noch durch kassen-individuelle Preisnachlässe“ entlasten würden.
Das heißt jedoch wiederum bei weitem nicht, dass der gesamte Generikamarkt von Rabatten gleichermaßen betroffen ist. Im Generikasegment lag der Gesamtanteil rabattierter Verordnungen im April dieses Jahres bei 52,8 Prozent, wodurch immerhin mehr als jede zweite Generikaverordnung rabattiert ist. Anders herum betrachtet: Knapp 50 Prozent des Generikamarkts sind noch nicht Gegenstand von bilateralen Rabattverträgen!
Auch hier ist eine etwas differenzierte Betrachtung angebracht. Der Verordnungsanteil rabattierter Generika lag nur knapp acht Prozentpunkte über dem Umsatzanteil. Im Vergleich: Bei den Altoriginalen ist der Verordnungsanteil mit 9,2 Prozent nahezu doppelt so hoch wie der Umsatzanteil. Was nichts anderes bedeutet, als dass bei Generika Rabatte eher auf günstigere denn teurere Arzneimittel gegeben werden, was den von der Politik gewollten Wirkhebel durchaus einschränkt.
Im Generikamarkt kommt dennoch kein Hersteller an Rabattverträgen vorbei. Laut aktuellen Zahlen tätigen bereits zehn Arzneimittelhersteller mehr als die Hälfte ihres Umsatzes mit rabattierten Arzneimitteln. Bei drei Herstellern war überhaupt nur noch jedes vierte abgegebene Medikament nicht rabattiert.
Betrachtet man die Top 25 der Generika-Hersteller nach GKV-Verordnungsumsatz, fällt jedoch auch eine andere Systematik auf: Es existiert durchaus ein Zusammenhang zwischen dem Anteil rabattierter Arzneimittel und den Veränderungen der Verordnungsanzahl! Rabattverträge beeinflussen (s. Chart rechts) durchaus die Verordnungsentwicklung und müssen demnach nicht nur als Steuerungs-, sondern mehr als bisher als Marketinginstrument begriffen werden!
Die von vielen Krankenkassen angedachten (und von der IKK praktizierten) Ausschreibungen nach indikationsbezogenen Los-Gruppen könnten zudem Markt-Chancen hin zu größeren Anbietern lenken. Denn viele kleinere, vor allem mittelständische Anbieter von Generika können diese Los-Gruppen mit ihrem jeweiligen Portfolio gar nicht abdeckenund würden so durchs Raster fallen. <<