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Der „Shaper“ in Ärztenetzen

Ärztenetze etablieren sich zunehmend als regionale Leistungserbringer und Kooperationspartner für Krankenkassen, Pflegeeinrichtungen, die pharmazeutische Industrie oder andere Leistungsanbieter im Gesundheitswesen. Bei der Beurteilung der Möglichkeiten zur Zusammenarbeit mit einem Ärztenetz steht an oberster Stelle häufig die Frage nach der Verbindlichkeit eines Ärztenetzes mit externen Dritten. Konsequenterweise betrachtet beispielsweise die AOK Nordost Ärztenetze im Bezug auf die Übernahme von Budgetverantwortung für deren Versicherten quasi wie eigenständige Unternehmen und knüpft ein übertragenes Budget an die erfolgreiche Umsetzung ökonomischer Erfolgsfaktoren wie z.B. veranlasste Arzneimittelkosten oder Krankenhausleistungen. Die in einer solchen Kooperation mitwirkenden Ärzte müssen „steuerungswillig“ sein.1 Als Input zur Umsetzung derlei Strukturen bietet die AOK dazu Unterstützung in den Bereichen Ökonomie, oder EDV- und Datenmanagement an. Für einen Netzvertrag zu einem AOK-Gesundheitsnetz ist die Arzt- und Patientensteuerung im Netz bereits zum Vertragsbeginn möglichst weitgehend definiert.

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Erstveröffentlichungsdatum: 25.09.2012

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Ärztenetze etablieren sich zunehmend als regionale Leistungserbringer und Kooperationspartner für Krankenkassen, Pflegeeinrichtungen, die pharmazeutische Industrie oder andere Leistungsanbieter im Gesundheitswesen. Bei der Beurteilung der Möglichkeiten zur Zusammenarbeit mit einem Ärztenetz steht an oberster Stelle häufig die Frage nach der Verbindlichkeit eines Ärztenetzes mit externen Dritten. Konsequenterweise betrachtet beispielsweise die AOK Nordost Ärztenetze im Bezug auf die Übernahme von Budgetverantwortung für deren Versicherten quasi wie eigenständige Unternehmen und knüpft ein übertragenes Budget an die erfolgreiche Umsetzung ökonomischer Erfolgsfaktoren wie z.B. veranlasste Arzneimittelkosten oder Krankenhausleistungen. Die in einer solchen Kooperation mitwirkenden Ärzte müssen „steuerungswillig“ sein.1 Als Input zur Umsetzung derlei Strukturen bietet die AOK dazu Unterstützung in den Bereichen Ökonomie, oder EDV- und Datenmanagement an. Für einen Netzvertrag zu einem AOK-Gesundheitsnetz ist die Arzt- und Patientensteuerung im Netz bereits zum Vertragsbeginn möglichst weitgehend definiert.

>> Das AOK-Netzmodell ist einem Unternehmensmodell mit einer straffen formalen Organisation bereits sehr nahe. Das soziale und ökonomische Handeln der einzelnen Mitglieder ist eng auf das Handeln der anderen Mitglieder ausgerichtet und limitiert. Die von der AOK Nordost hierzu formulierten Vertragsbedingungen lauten2:
• Rechtsform
• Management
• Teilnehmerpotenzial
• Budgetverantwortung
• Behandlungspfade
Weniger formalisiert, sondern eher grundsätzlich fordert Veit Wambach unter den zentralen Voraussetzungen für ein erfolgreiches Agieren als Ärztenetz einen „geeigneten organisatorischen Rahmen“ und vor allem „Verbindlichkeit“. Grafik 2 zeigt diese beiden geforderten Voraussetzungen3.
Diese und ähnliche Erwartungen fordern etablierte formale Organisationsstrukturen bzw. setzen deren Vorhandensein voraus als Bedingung zur gegenseitigen Zusammenarbeit. Die Realität der vielen Ärztenetze in Deutschland zeigt jedoch, dass nur wenige davon solche formale Strukturen aufweisen. Viele Netze sind vielmehr erst auf dem Weg zu festen Teamstrukturen, deren Vorhandensein dann formale Rechtsformen ermöglicht. Denn manche Netze haben zwar nach außen sehr früh eine formale Struktur oder Rechtsform, nach innen jedoch kein Äquivalent hierzu.
Und auch in etablierten Strukturen ist es nur dann möglich, Projekte erfolgreich durchzuführen, wenn sich dafür verantwortliche Netzärzte finden. Die effiziente Teamarbeit nach innen und die Kooperation mit externen Dritten knüpft fundamental an die persönliche Verantwortungsübernahme einzelner Netzmitglieder an. „Ein Team handelt nicht und entscheidet nichts, sondern immer nur die einzelnen Menschen.“ Von Bebenburg (Manfred von Bebenburg, …und alle machen mit!, Neu-Ulm 2010, S. 34) ergänzt diese zentrale Aussage weiter mit dem Hinweis, dass alle Methoden zur Organisierung eines Teams nur dann funktionieren können, wenn sich ein Team darauf einigt, wie die persönliche Verant-wortung und Verbindlichkeit im Handeln zu verstehen ist.
Vor diesem Hintergrund stellt sich die grundsätzliche Frage, welche Menschen im Netz diejenigen sind, an die man als außenstehender Partner - sei es als Krankenkasse, Hochschule oder sonstiger medizinischer Leistungsanbieter - Projekte so „anknüpfen“ kann, dass diese erfolgreich umgesetzt werden und das Netz dabei auch Fortschritte im Aufbau der internen formalen Teamorganisation erzielen kann. Welche „Menschentypen“ sind also notwendig, um ein Netz zu entwickeln und konkrete Projekte durchzuführen, an die sich der Aufbau formaler Strukturen knüpfen kann?
In der Literatur zur Teamorganisation fehlt derzeit ein umfassendes Modell, das als Ausgangsbasis für eine Teamentwicklung herangezogen werden kann.4
Unter den verschiedenen diskutierten Modellen genießt der Teamrollenansatz von Belbin aufgrund seiner praktischen Bedeutung für den Alltag eine herausragende Stellung. Aus diesem Grund orientieren sich die folgenden Ausführungen zur Rolle des „Shapers“ als Gestaltungsgeber eines Netzes auf dem Weg zu einer formalen Netzstruktur an diesem Konzept.
Nach Belbin kann eine Person unterschiedliche Rollen in einem Team einnehmen. Für manche Rollen hat ein Teammitglied eine besondere Neigung, andere kann es aufgrund bestimmter Rahmenbedingungen temporär übernehmen. Dabei übt ein Mitglied vor allem diejenigen Rollen produktiv für ein Team aus, die gut zu seiner Persönlichkeit passen und die das Mitglied entsprechend gerne macht. Das Modell sieht insgesamt neun verschiedene Teamrollen vor:
• Neuerer/Erfinder
• Wegbereiter/Weichensteller
• Koordinator/Integrator
• Macher/Shaper
• Beobachter
• Teamarbeiter/Mitspieler
• Umsetzer
• Perfektonist
• Spezialist
Jede Teamrolle weist bestimmte positive Beiträge zur Teamentwicklung auf. So liegt beispielsweise die Stärke des „Neuerers/Erfinders“ darin, kreative Problemlösungen zu finden. Der „Wegbereiter“ wiederum eignet sich besonders dafür, externe Kontakte für das Netz herzustellen. Der „Macher/Shaper“ ist nun derjenige, der Dinge mit einem starken Willen vorantreibt und erfolgreich umsetzen möchte. Er ist das Mitglied, das die anderen Teammitglieder anspornt, gewählte Aktivitäten durchzuführen, Hindernisse abzubauen und einen begonnenen Weg auch zu Ende zu gehen. Aufgrund dieser Funktion ist er auch das Teammitglied, das Projekte erfolgreich durchführt und damit die Voraussetzungen dafür schafft, dass eine lose Formation von Netzmitgliedern gemeinsam Strukturen entwickeln kann.
Wie lässt sich der „Shaper“ als Funktion eines Netzes näher beschreiben? Die folgende Skizzierung basiert auf Beobachtungen des Autors in der Zusammenarbeit mit Ärztenetzen in den neuen Bundesländern: „Ich bin hier doch nicht das Frontschwein für die Kollegen - nichtsdestoweniger hätte ich es jetzt gerne, wenn zu unserem Projekt nicht so viel rumgelabert wird und die Kollegen dem Konzept folgen würden“ - Dieses Zitat einer jungen Ärztin während einer Projektpräsentation bringt die Funktion des „Shapers“ in einer etwas umgangssprachlichen Formulierung auf den Punkt: das „Frontschwein“ zu sein für die Gemeinschaft im Rahmen eines gemeinschaftlichen Projektes.
Hinter einer solchen Formulierung finden sich Eigenschaften und Verhaltensweisen wie:
• Begeisterungsfähigkeit für ein Thema und andere davon anstecken.
• spontanes „Nachvorn-agieren“, teilweise auch schnell aus den Hüften heraus mit einer Vorliebe für rasch realisierbare und unkonventionelle Lösungen; der „Shaper“ ist
• eine Frau oder ein Mann, die bzw. der die Ärmel hochkrempelt und Dinge spontan angeht.
• eine Frau oder ein Mann, die bzw. der Erfolgsinteresse hat - das gesetzte Ziel soll erreicht werden.
• eine Frau oder ein Mann, die bzw. der ungeduldig wird gegenüber anderen Personen, insbesondere wenn diese nicht zeitnah die gewünschte Mitarbeit signalisieren.
Für die Projektarbeit des „Shapers“ ist dabei wichtig, dass ein bestimmtes Projekt in überschaubare Teilschritte untergliedert ist. Erst durch übersichtlich ansteuerbare Meilensteine kann er ein Team zur Mitarbeit motivieren und das Gesamtprojekt sukzessive entwickeln. Bei zu großen Teilelementen zeigte es sich, dass „Shaper“ immer wieder an Zweifeln über das gewählte Projekt und das formulierte Erfolgsziel litten. Von Vorteil ist es, wenn ein „Shaper“ von den Kollegen oder seinem Team die emotionale Rückendeckung erfährt, dass das Team bzw. das Netz seine Arbeit als sehr wichtig wertschätzt und das Projekt eine Bereicherung gegenüber dem oft routinelastigen und termingefüllten Alltag darstellt.
Ein „Shaper“ und ein von ihm initiiertes und erfolgreich durchgeführtes Projekt ist dennoch nicht gleichzusetzen mit einer funktionierenden formalen Netzstruktur. Ein derartiges projektbezogenes Arbeiten markiert jedoch die erste Stufe einer formalen Netzstruktur und ist quasi die Eintrittspforte für die von Veit Wambach geforderte Verbindlichkeit der Netzmitglieder und professionelle Weiterentwicklung eines Netzes zu einem eigenen Unternehmen. In dieser Organisationsphase ist es darüber hinaus auch möglich, Strukturen flexibel für spezifische Marktsituationen zu entwickeln und anzupassen. Dies ist hier sogar eher möglich als in manch großer und starrer bürokratischen Organisation, die oft hohe bürokratische Forderungen aufstellen. Doch ob diese Bürokratieorganisationen die Herausforderungen von morgen lösen können, ist kritisch zu hinterfragen. Dies gerade auch deshalb, weil in bürokratischen Organisationen eine Vielfalt an Regelungen und Verfahrensanweisungen zu beachten sind, die die Verfahrensgerechtigkeit häufig vor die Markterfordernisse stellen5.
Ein „Shaper“ dagegen muss oft wesentlich flexibler agieren können - nach dem Motto „Structure follows strategy“. Ein durch einen „Shaper“ realisiertes erfolgreiches Projektarbeiten markiert den Weg eines Netzes beginnend mit einer losen Gemeinschaft aus „Solisten“ hin zu einem Team mit Arbeitsteilung und formalen Strukturen. Ärztenetze sind daher gut beraten, diesen Netzmitgliedern Vertrauen und Unterstützung für Projekte zu geben. <<
von: Dr. Thomas Kehl*