Die Wahrnehmung lebensverändernder Diagnosen durch Patienten und deren Angehörige - eine Online-Befragung
Porzsolt Franz / Weiß Christel / Christel Weiß
Eine besondere Herausforderung stellt für jeden Arzt die Überbringung schlechter Nachrichten dar. Wir möchten pointiert argumentieren, dass ein Arzt, der die Diagnostik und Therapie von Erkrankungen zwar beherrscht, aber nicht in der Lage ist, dem Patienten sein Mitgefühl und seine Unterstützungsangebot zu vermitteln, einen wesentlichen Teil seiner professionellen Aufgaben nicht erfüllt. Die Realität des ärztlichen Alltags in Praxis und Klinik zeigt allerdings, dass der Arzt die erforderliche Zeit kaum aufbringen kann, um den Hilfesuchenden aussprechen zu lassen und das geschilderte Problem des Patienten in ein abrechnungsfähiges Format zu übersetzen. Diese ärztliche Limitation ist umso kritischer zu bewerten, als durch zahlreiche Studien gezeigt wurde, dass die professionelle Arzt-Patient-Kommunikation den Erfolg der Versorgung positiv beeinflusst (1,2). Die Placebo-Forschung zeigt zudem, dass alles, was der Arzt in der Interaktion mit dem Patienten unternimmt, einen therapeutischen Effekt hat, dazu gehört insbesondere die Kommunikation (3). Die „Wahrnehmung lebensverändernder Diagnosen durch Patienten und deren Angehörige“ wurden bisher kaum durch Befragungen untersucht. Für sie ist die Übermittlung einer schlechten Nachricht eine psychische Ausnahmesituation, welche besondere Aufmerksamkeit und Achtsamkeit erfordert (3, 4). Eine der ersten Erhebungen zum Thema wurden an iranischen Krankenschwestern durchgeführt, die auch die Übermittlung von Krebsdiagnosen beinhaltet (5). Mit der hier vorliegenden Befragung wollen wir zeigen, dass letztlich die Wahrnehmung des Gesprächs durch den Patienten und/oder dessen Angehörige und nicht das Gespräch selbst der Indikator für den Wert des Geprächs sein sollte.
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Erstveröffentlichungsdatum: 04.06.2018
Abstrakt: Die Wahrnehmung lebensverändernder Diagnosen durch Patienten und deren Angehörige - eine Online-Befragung
Hintergrund: Kommunikationsfehler in der Gesundheitsversorgung reduzieren die Chancen und steigern die Risiken der Gesundheitsversorgung. Methode: In der vorliegenden Analyse wurden 294 Online-Fragebögen von 5.000 eingeladenen Versicherten einer Krankenkasse bearbeitet, in welchem sie zur Wahrnehmung negativer Nachrichten ihres Arztes befragt wurden. Ergebnisse: Die Antworten der Versicherten beschreiben die Rahmenbedingungen und die Ergebnisse der Arzt-Patienten-Gespräche. Beunruhigend ist, dass sich 40 Prozent der ärztlichen Vorhersagen zur Lebenserwartung nicht bestätigt haben. Unter den Vorhersagen zur Lebenserwartung waren Mitteilungen über unheilbare Erkrankungen, ausgeschöpfte Behandlungsmöglichkeiten und Erkrankungen, die weniger weit fortgeschritten waren als vom Arzt mitgeteilt wurde. Schlussfolgerungen: Unter der Einschränkung, dass nur 6% der in einem Online-Verfahren Befragten geantwortet haben, lässt sich bestätigen, dass die Patienten durch das Gespräch „Gefühlte Sicherheit“, aber keine Verunsicherung erwarten. Die wissenschaftliche und ethische Legitimation, „Gefühlte Sicherheit“ zu finanzieren, wird diskutiert..
Abstract: The perception of life-changing diagnoses by patients and their relatives. A online survey
Background: Communication errors in healthcare reduce the chances, increase the risks, and miss the progress of healthcare. Method: The current analysis includes the results of a questionnaire completed by 294 of 5.000 health insured persons. Results: These people described their perceptions about bad doctors news. The answers represent the framework conditions and the outcomes of the doctor-patient interaction. It is disturbing that 40 percent of the physicians predicted life expectations were wrong. Among the disturbing news were incurable diseases, limited treatment possibilities and diseases that were more advanced than expected. Conclusions: Considering the limitation of a response rate of only 6% to our online survey it can be confirmed that patients expect to get „Perceived Safety” but not uncertainty als a result of the consuotation. The scientific and ethical legitimation to pay for „perceived safety” is discussed.
Literatur
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Zusätzliches
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