top

Direktverträge in der ambulanten Versorgung – Auswirkungen und die Frage der „Sicherstellung“ - Eine Analyse aus wettbewerblicher Sicht

Das deutsche Gesundheitswesen befindet sich in einer „Finanzkrise“. Die Leistungsausgaben nehmen, auf Grund des demographischen Wandels und der Möglichkeiten des medizinischen Fortschritts, stetig zu. Zeitgleich nimmt die Anzahl der Beitragszahler ab. Der existierenden Finanzierungslücke versucht die Politik seit Jahren durch „Kostendämpfungsgesetze“ zu begegnen. Die Einführung wettbewerblicher Elemente ist ein Ansatzpunkt zur Lösung der bestehenden Problematik.

Mehr lesen
Erstveröffentlichungsdatum: 23.09.2012

Abstrakt: Direktverträge in der ambulanten Versorgung – Auswirkungen und die Frage der „Sicherstellung“ - Eine Analyse aus wettbewerblicher Sicht

Das deutsche Gesundheitswesen befindet sich in einer „Finanzkrise“. Die Leistungsausgaben nehmen, auf Grund des demographischen Wandels und der Möglichkeiten des medizinischen Fortschritts, stetig zu. Zeitgleich nimmt die Anzahl der Beitragszahler ab. Der existierenden Finanzierungslücke versucht die Politik seit Jahren durch „Kostendämpfungsgesetze“ zu begegnen. Die Einführung wettbewerblicher Elemente ist ein Ansatzpunkt zur Lösung der bestehenden Problematik. In der ambulanten Versorgung ist die Verhandlung und Vereinbarung von Preisen und Leistungen durch eine Zentralisierung und weitestgehende Beschränkung auf Verbandsebene gekennzeichnet. Die Einführung von Direktverträgen hätte unmittelbare Auswirkungen auf die bestehenden Strukturen und Aufgaben der einzelnen Institutionen und Parteien. Die Sicherstellungsaufgabe der Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) würde auf die Leistungserbringer übergehen und über Ausschreibungsverfahren könnte dann die Gesundheitsversorgung in ggf. unterversorgten Gebieten sichergestellt werden. Direktverträge führen zu einer zunehmenden Qualitätsorientierung und stellen die KVen vor neue Herausforderungen, denen sie sich in einem wettbewerblichen System stellen müssen.

Abstract: Individual contracts in the outpatient sector – impacts and the question of securing of health care services

The german health care system is in a financial crisis. On the one hand the expenditures for health services are constantly increasing due to the demographic changes and the medical progress. On the other hand the number of the contributors is decreasing. Since years politics has tried to solve this financing problem with laws in order to restrict cost in the health care system. The implementation of more competition might be a way to solve this problem. The outpatient sector is dominated by centralized contracts. The introduction of contracts, concluded directly between the individual parties, has immediate impact on the existing structure. The securing of health care services will be in the hands of health insurances and physicians and not a duty of the “Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen)” anymore. Individual contracts strengthen quality aspects and the “KVen” have to face new challenges in a more competitive system.

Literatur

Cassel,D./Jacobs, K. (2006): Qualität und Wirtschaftlichkeit in der Gesundheitsversorgung. In: Wirtschaftsdienst 5/2006, S. 283-288. CDU/CSU/FDP (2009): Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP. Graf, J. (2009): Vertragswettbewerb braucht faire Bereinigungsregeln. In: Monitor Versorgungsforschung 2009, 06/09: 36-38. Grothaus, F.-J. (2009): Entwicklung der integrierten Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland 2004–2008. In: http://www.bqs-register140d.de/dokumente/Bericht-140d-Aktualisierung.pdf (abgerufen am 21.04.2010). Hajen,L./Paetow, H./Schumacher, H. (2000): Gesundheitsökonomie. Stuttgart/Berlin/Köln: W. Kolhammer. Herder-Dorneich, P (1994): Ökonomische Theorie des Gesundheitswesens: Problemgeschichte, Problembereich, Theoretische Grundlagen. Baden-Baden: Nomos. Luedtke, C. (2007), Ist die Kassenärztliche Vereinigung obsolet? Eine wettbewerbliche Analyse der Auswirkungen von Direktverträgen zwischen Krankenkassen und Leistungsanbietern. In: Friedrich, M./ Schulenburg, J. (Hrsg.): 104-126. Oberender, P./Fleischmann, J. (2002): Gesundheitspolitik in der sozialen Marktwirtschft. Stuttgart: Lucius & Lucius. Oberender, P./Fibelkorn, A. (1997): Ein zukunftsfähiges deutsches Gesundheitswesen. Bayreuth: P.C.O-Verlag. Oberender, P./ Zerth, J. (2005): Zur Zukunft der flächendeckenden Versorgung im deutschen Gesundheitswesen. Gesundheitspolitische Implikationen. Bayreuth. Oberender, P./Zerth, J. (2007): Weshalb das Gesundheitswesen ein Kartellrecht braucht: ein Plädoyer für eine Wettbewerbsordnung im Gesundheitswesen. In: Ulrich, V./Ried, W. (Hrsg.) (2007): 389-410. Oberender, P./ Hebborn, A./Zerth, J. (2006): Wachstumsmarkt Gesundheit. 2. Auflage. Stuttgart: Lucius & Lucius. Schulenburg J. (2005): Praktisches Lexikon der Gesundheitsökonomie. Starnberg: Adis International. Statistisches Bundesamt (2010): Gesundheit Ausgaben 1995 bis 2008. Wiesbaden.

Zusätzliches

Plain-Text

Direktverträge in der ambulanten Versorgung – Auswirkungen und die Frage der „Sicherstellung“ - Eine Analyse aus wettbewerblicher Sicht

Das Gesundheitswesen in Deutschland befindet sich in einer akuten „Finanzkrise“. Die Finanzierungslücke wird stetig größer. Bereits seit Mitte der 70er Jahre ist die Gesundheitspolitik durch Maßnahmen der Kostendämpfung geprägt. Dennoch konnte eine Steigerung des Beitragssatzes von 8,2 % im Jahr 1970 auf - nach 15,5 % - nun aktuell 14,9 % nicht verhindert werden. Jede Intervention der Politik im Rahmen einer „Gesundheitsreform“ hat weitere Interventionen nach sich gezogen (Interventionsspirale) (vgl. z. B. Oberender/Hebborn et al. 2006: 67ff.). Ein möglicher Ansatzpunkt zur Lösung der Finanzierungs- und Kostenproblematik ist die Einführung von wettbewerblichen Elementen. Dieser Wettbewerb kann in unterschiedlichen Interaktionsbeziehungen gestärkt werden. Als „Basisbeziehungen“ im Gesundheitswesen lassen sich folgende Interaktionsebenen identifizieren:
• Patient – Leistungserbringer (Behandlungsvertrag)
• Krankenversicherung – Versicherter (Versicherungsvertrag)
• Krankenversicherung – Leistungserbringer (Versorgungs-vertrag).
Betrachtet man den Leistungsmarkt in der ambulanten Gesundheitsversorgung, so ist dieser durch eine Besonderheit, die Kassenärztlichen Vereinigungen, gekennzeichnet.

>> Die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) übernehmen die Aufgabe der Interessenvertretung und -wahrung der im ambulanten Sektor tätigen Vertragsärzte gegenüber den gesetzlichen Krankenversicherungen (GKVen) (vgl. z. B. Hajen/Paetwo et al. 2000: 130). Kernfunktion ist dabei das Aushandeln der entsprechenden Vergütung mit den GKVen (Luedtke 2007: 107).
Aktuell liegt auch die Sicherstellungsaufgabe in der ambulanten Versorgung bei den KVen. Die Übertragung der Sicherstellungsaufgabe an die KVen im Bereich der ambulanten Versorgung ist nur durch die historische Entwicklung zu erklären: Die KVen wurden als Gegenmacht zum wachsenden Einfluss der Krankenkassen im GKV-System geschaffen (vgl. Herder-Dorneich 1994: 735). Die zunehmende Absicherung der Bevölkerung im Pflichtversicherungssystem der GKV und die damit steigende Nachfragemacht der Kassen bei gleichzeitigem Vorliegen eines Überangebotes an Ärzten führte zu Honorareinbußen der Ärzte. Im Jahr 1931 erließ die Reichsregierung daher eine Notverordnung, welche die Schaffung von Kassenärztlichen Vereinigungen als öffentlich-rechtliche Zwangsorganisationen anordnete (vgl. Oberender/Zerth 2005: 4). Ab diesem Zeitpunkt fanden Preisverhandlungen auf Verbandsebene und nicht mehr unmittelbar zwischen Krankenkassen und Ärzten statt. Zeitgleich wurde die Kontrollfunktion aus dem Versorgungsvertrag auf die Organisation der KV übertragen, Verträge konnten seitdem nur noch mit dem Ärztekollektiv geschlossen werden. Der Sicherstellungsauftrag der Kassenärztlichen Vereinigung kann damit als die Folge des korporatistischen Vertragssystems und nicht als ursprüngliche Legitimation betrachtet werden.
Die Bedeutung der Sicherstellungsfunktion im Gesundheitswesen wird auch durch die amtierende Bundesregierung erkannt. Bereits im Koalitionsvertrag wurde festgehalten, dass die Sicherstellung ein „zentrales gesundheitspolitisches Anliegen ist (…)“, das „(…) im Hinblick auf die demographische und gesellschaftliche Entwicklung an Bedeutung gewinnt.“ (CDU/CSU/FDP 2009: 80). Aussagen darüber, in welcher Form die Sicherstellung gewährleistet werden soll und welche Rolle dabei dem Vertragswettbewerb zukommt, werden jedoch nicht direkt getroffen.
Vertragswettbewerb und Direktverträge
im aktuellen System
Direktverträge zwischen Krankenkassen und Ärzten finden im derzeitigen System nur begrenzt Anwendung. Ab 2009 wurde die Vergütungs- und Honorierungssystematik der ärztlichen Leistung weiter zentralisiert. Der Punktwert wird als Orientierungswert bundeseinheitlich zwischen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) und dem GKV-Spitzenverband verhandelt und festgelegt (§ 87 Abs. 2e SGB V). „Die Gesamtvertragspartner auf Landesebene wurden zum Abschluss von gemeinsamen und einheitlichen Honorarverträgen verpflichtet“ (Graf 2009: 36). Direktverträge, als vertragliche Vereinbarungen zwischen Kostenträgern und einzelnen Leistungserbringern oder Gruppen von Leistungserbringern zugunsten eines abgegrenzten Versicherten- und Patientenkreises, wurden durch den Gesetzgeber in der Vergangenheit zunehmend ermöglicht. Dennoch spielen Modellvorhaben (§§ 63-65 SGB V), Strukturverträge (§ 73a SGB V), die Hausarztzentrierte Versorgung (§ 73b SGB V), besondere ambulante ärztliche Versorgung nach § 73c SGB V, DMPs (§ 137f SGB V) sowie Verträge über integrierte Versorgung (§§140a ff. SGB V) bisher eine untergeordnete Rolle.
So waren z. B. 2008 6.047 IV-Verträge bei der Gemeinsamen Registrierungsstelle zur Unterstützung der Umsetzung des § 140d SGB V gemeldet. Das Ausgabevolumen dieser Verträge wurde für 2008 auf 811 Mio. Euro geschätzt, während die Ausgaben der GKV für den Bereich Arztpraxen bei 27.739 Mio. Euro lag (Grothaus 2009: 8, Statistisches Bundesamt 2010: 43). Der Anteil des Ausgabenvolumens für IV-Verträge beträgt damit weniger als 3 % des Gesamtausgabevolumens für Arztpraxen.
Grundsätze eines wettbewerblichen
Gesundheitssystems
Der Kern eines liberalisierten Gesundheitssystems besteht zunächst in der grundsätzlichen Vertrags- und Kooperationsfreiheit zwischen Kostenträgern und Leistungserbringern (Obernder/Zerth 2007: 398).
Die oben skizzierte korporatistische Struktur ist daher aus marktwirtschaftlicher und ordnungspolitischer Sicht abzulehnen. Die korporative Verhandlungslösung stellt de facto ein bilaterales Monopol dar, da sich sowohl auf der Angebotsseite (KVen), als auch auf der Nachfrageseite (Krankenkassen „gemeinsam und einheitlich“) nur jeweils eine Verhandlungspartei gegenüber steht. Es liegt ein strategisches Spiel zwischen beiden Verhandlungsparteien vor, das neben hohen Zeit- und Transaktionskosten vor allem zu wenig flexibel auf Veränderungen der Versorgungssituation reagieren kann. Wettbewerb, mit dem Anreiz bessere Lösungen als der Mitwettbewerber anzubieten, aber auch eine dafür nötige Vertrags- und Kooperationsfreiheit, sowohl auf Seiten der Ärzte, als auch auf Seiten der Krankenkassen, werden nicht zugelassen. Gerade diese Freiheiten müssen in einem wettbewerblich orientierten Gesundheitssystem etabliert werden.
Um in einem System mit Vertragswettbewerb und Direktverträgen (regionale) Marktmacht zu vermeiden, muss zwangsläufig auch das allgemeine Wettbewerbsrecht (Kartellrecht) Anwendung finden. Das Problem der Ärzte, das zur Gründung der KVen führte, lag in der fehlenden wettbewerblichen Kontrolle der Nachfragemacht der Krankenkassen. Das Problem der Machtasymmetrie ist bei konsequenter Anwendung des Kartellrechts nur von geringer Bedeutung (vgl. Oberender/Fibelkorn 1997: 66). Flankierend müssen jedoch zum Schutz der Patienten und der ökonomisch Schwachen weitere grundsätzliche Regelungen gelten: eine Versicherungspflicht für alle Bürger sowie ein Kontrahierungszwang der Krankenkassen, d. h. ein Verbot für Krankenkassen, bestimmte Versicherte („schlechte Risiken“) abzulehnen. Der Gesetzgeber muss einen Regelleistungskatalog definieren, der solidarisch finanziert wird. Zum Schutz ökonomisch Schwacher, die die Versicherungsprämien, die risikoäquivalent und im Kapitaldeckungsverfahren, d. h. die Prämien müssen auch die zu erwartenden Ausgaben decken, erhoben werden, muss der Staat Transferleistungen (Versicherungsgeld) zur Verfügung stellen.
Auswirkungen von Direktverträgen -
Direktverträge und Sicherstellung
Basierend auf der Referenzbasis des oben dargestellten wettbewerblichen Gesundheitssystems ist mehr Vertragswettbewerb in der ambulanten Versorgung zu fordern und einzuführen. Grundsätzlich müssen sowohl die Ärzte, als auch die Krankenkassen das Recht haben, mit der jeweils anderen Partei Verhandlungen zu führen und individuelle Verträge abzuschließen. Selbstverständlich müssen dabei, im Rahmen der kartellrechtlichen und wettbewerblichen Regelungen, Kooperationen und Zusammenschlüsse einzelner Ärzte als auch Krankenkassen möglich sein.
Die bisherige Honorierungsfunktion der KVen, der KBV und des GKV-Spitzenverbandes Bund, wird durch die individuelle Verhandlung von Preisen zwischen Leistungserbringern und Krankenkassen ersetzt. Damit kann der Preis seine Informations- und Steuerungsfunktion übernehmen und Anreize für das Verhalten von Anbietern und Nachfragern setzen (vgl. Oberender/Fleischmann 2002: 49). Im Rahmen der Sicherstellung bedeutet dies, dass keine Bedarfsplanung im herkömmlichen Sinne mehr stattfindet und grundsätzlich Niederlassungsfreiheit der Ärzte besteht. Wo bereits ein Überangebot an Ärzten existiert, wird eine Niederlassung nur dann Sinn machen, wenn der Arzt seine Leistungen qualitativ hochwertiger oder aber preisgünstiger anbieten kann. Der Ort der Niederlassung wird damit eine individuelle unternehmerische Entscheidung des Arztes.
Bei freier Marktallokation hat das jedoch zur Konsequenz, dass die Mengen- und Kapazitätsplanung über den Vertragswettbewerb und Direktverträge erfolgt und damit regionale Unterschiede die Folge sein werden. Die Sicherstellungsaufgabe liegt dann grundsätzlich bei den Vertragspartnern (Ärzten und Krankenkassen).
Kern der ordnungspolitischen Auseinandersetzung mit der Sicherstellung ist die Frage, wie eine institutionelle und organisatorische Lösung aussehen muss, wenn infolge zu geringer Nachfrage eine Kapazitätsvorhaltung ärztlicher Leistungen nicht (ausreichend) erfolgt. Bei der Frage der flächendeckenden Versorgung handelt es sich um eine normative Festlegung, die die Verfügbarkeit, die Erreichbarkeit und ggf. auch die Qualität der Leistung vorschreibt.
In einem ersten Schritt kann dieses Ziel dadurch erreicht werden, dass eine Ablehnung der Behandlung im Notfall unabhängig von geschlossen Verträgen prinzipiell verboten und damit ausgeschlossen wird. Dennoch müssen das Ausmaß des Zugangs und der Umfang der Finanzierung geregelt werden. Durch den Staat sind, in öffentlicher Diskussion, die gewünschte Verfügbarkeit und weitere normative Festsetzungen zu treffen. Werden diese Grenzen in einer Region unterschritten, ist ein öffentliches Ausschreibungsverfahren zu initiieren, an dem die infrage kommenden Akteure teilnehmen können. Weitere Details der Sicherstellung, wie die konkrete Ausgestaltung zur Erreichung der vorgeschriebenen Mindesterreichbarkeit oder Mindesthilfsfristen sowie Preise und Finanzierung, bleiben dabei im Rahmen des Vertragswettbewerbs den Akteuren überlassen. Nach Ablauf einer bestimmten Frist wird die Prüfung der Unterversorgung wiederholt und ggf. ein neues Ausschreibungsverfahren begonnen. Durch diese Vorgehensweise besteht die Möglichkeit einer Sicherstellung unter Abschaffung von Kollektivverträgen.
Direktverträge und Qualität
Vertragsinhalt von Direktverträgen sind neben dem Preis auch Art und Umfang sowie Qualität der Leistung. Die Krankenkassen haben damit auch die Möglichkeit, Leistungserbringer, die nicht die gewünschte Qualität erbringen, auszuschließen, so dass diese Leistungserbringer keine Versicherten zu Lasten der Krankenkasse mehr behandeln dürfen. Um als Vertragspartner der Krankenkassen berücksichtigt zu werden, besteht seitens der Leistungserbringer der Anreiz, eine höhere Prozess- und Ergebnisqualität anzustreben. Da Direktverträge auch auf die Versicherten eine Auswirkung in der Hinsicht haben, indem nämlich die freie Arztwahl eingeschränkt ist, wird der Aktionsparameter Qualität an Gewicht gewinnen. Eine Einschränkung der Arztwahl wird dazu führen, dass zum Einen die Krankenkassen mit attraktiven und qualitativ hochwertigen Direktverträgen um die Versicherten konkurrieren. Zum Anderen wird auch der Versicherte für die Einschränkung seiner Wahlfreiheit eine entsprechende Erwartungshaltung an die Leistungsfähigkeit des Angebotes formulieren. Dies wird zu einer deutlich stärkeren Qualitätsorientierung als bisher führen.
Direktverträge und Auswirkung auf die KVen
Werden die Auswirkungen von Direktverträgen auf die KVen zusammengefasst, so ist festzustellen, dass die bisherigen Hauptaufgaben (Vergütungs- und Sicherstellungsfunktion) der KVen mit einer konsequenten Einführung und Umsetzung von Direktverträgen wegfallen. Auch die Bedarfsplanung, die bisher von den KVen vorgenommen wurde, erfolgt zukünftig dezentral und würde somit auch aus dem Aufgabenspektrum der KVen fallen.
In einer ersten Analyse kann damit die Schlussfolgerung gezogen werden, dass die KVen in einem System mit durchgehenden Direktverträgen obsolet sind. Diese Aussage greift jedoch zu kurz. Es ist davon auszugehen, dass die KVen in einem derartigen System weiter existieren werden, jedoch eine andere Rolle als bisher übernehmen müssen. In den 80 Jahren ihrer Existenz konnten sich die KVen eine sonst nicht vergleichbare Kompetenz im ambulanten Sektor erwerben. Dieses Wissen können die KVen im Rahmen eines Systems mit Direktverträgen einbringen. Als Dienstleister und Berater ist eine Neudefinition der Aufgabe der KVen erforderlich. Erste Schritte in dieser Richtung wurden bereits mit der Gründung von „KV-Consults“ (z. B. KVWL Consult im Jahr 2003 oder KVNordrhein Consult 2004, in Bayern wird dies von der Tochter „Gedikom“ der KVB wahrgenommen) unternommen. Auch als Unternehmen, die die Qualität der medizinischen Leistung durch die Vergabe von Zertifikaten erkennbar machen, können sich die KVen zukünftig positionieren.
Vertragswettbewerb und Direktverträge:
Mehr Chancen als Risiken!
Das skizzierte wettbewerbliche Modell zur Erfüllung der Sicherstellungsaufgabe mittels Vertragswettbewerb und Direktverträgen impliziert auch Modifikationen und Anpassungen im Rahmen der stationären Gesundheitsversorgung und der Krankenhausplanung. Die Aufgabe der Sicherstellung muss sektorenübergreifend betrachtet und damit auch die Versorgung mit stationären Gesundheitsleistungen in das Modell mit einbezogen werden.
Die Einführung eines umfassenden Vertragswettbewerbs birgt vor allem für Leistungserbringer Risiken, die bisher auf Grund des beschränkten Wettbewerbs und der Monopolstellung, trotz ungenügender Qualität oder Wirtschaftlichkeit an der Versorgung teilnehmen konnten. Derartige Akteure werden zunehmend unter Druck geraten und es wird eine Marktbereinigung stattfinden, wodurch die Qualität im Gesamtsystem erhöht wird.
Da die Festschreibung einheitlicher Preise (Punktwerte) immer auch Regelungen zur Qualität sowie deren Kontrolle notwendig machen, fördern Verträge, bei denen neben der Preiskomponente auch die Qualität der Leistung Vertragsgegenstand ist, die Erhöhung der Transparenz hinsichtlich der Qualität und verstärken damit den Qualitätswettbewerb.
Ein Vertragswettbewerb erhöht die Eigenverantwortung aller Teilnehmer (Ärzte, Krankenkassen und Patienten/Versicherte), aber auch die Entscheidungs- und Wahlfreiheit. Die Versicherten haben die Möglichkeit, sich ein individuelles Versicherungspaket zusammenzustellen und haben dabei eine Wahlmöglichkeit aus verschieden Krankenversicherungen und ggf. Versorgungsmodellen. Die Krankenkassen können die Leistungserbringer, mit denen sie eine gesundheitliche Versorgung ihrer Versicherten gewährleisten wollen, frei wählen. Auch die Ärzte sind in ihrer Entscheidung frei, mit wem sie eine Vertragsbeziehung eingehen wollen und ob sie allein oder ggf. im Verbund ihre Chance im Markt suchen.
Die KVen stehen bei vollständiger Umsetzung eines Systems mit Direktverträgen vor der größten Herausforderung. Ein Paradigmenwechsel bedeutet für die KVen eine neue Definition ihrer Aufgaben und Ziele. KVen sind dann nicht mehr die Interessenvertretung der Ärzte, die in einem korporatistischen System als Monopolist Verhandlungen führen, sondern sie müssen als aktive Unternehmen Dienstleistungen anbieten, die für ihre Kunden (niedergelassene Ärzte) einen Mehrwert bieten. Dieser Rollenwechsel bedingt die Einsicht zur Selbstveränderung und ein aktives sowie zielgerichtetes Change Management. Welche Leistungen und welche Konzepte sich durchsetzen, wird sich im Wettbewerb, auch der KVen untereinander, zeigen.
Ein System mit Direktverträgen und einem Vertragswettbewerb kennt keinen Stillstand und auch keine unangreifbaren Besitzstände. Marktpositionen, Formen der Leistungserbringung, Angebots- und Nachfragestrukturen befinden sich durch Wettbewerbsvorstöße in einem permanenten Wandel. Der Wettbewerb als Such- und Entdeckungsverfahren führt dabei zu den nötigen neuen und innovativen Lösungen. <<