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Die medikamentöse Therapie des Diabetes mellitus Typ 2 hat sich in den vergangenen Jahren gewandelt. Signifikante Ausgabenanstiege, vor allem getrieben von moderneren Therapieansätzen wie den DPP-IV-Inhibitoren, waren kontinuierlich zu verzeichnen. 2011 wurde bereits jeder zweite Euro bei den oralen Antidiabetika (OAD) für DPP-IV-Hemmer aufgewendet. Doch das Marktwachstum könnte ins Stocken geraten.

>> Diabetes mellitus Typ 2 ist eine der häufigsten chronischen Erkrankungen in Deutschland. Laut Arzneimittelatlas 2011 ist aktuell mit 4,6 Mio. Typ-2-Diabetikern zu rechnen. Gleichwohl sind diese Zahlen mit Unsicherheit behaftet, denn die Schätzungen zur Prävalenz des Diabetes und deren Zuwachsraten in Deutschland variieren zum Teil deutlich. Ältere Zahlen des Bundesgesundheitssurveys 1998, die 4,7 Prozent bei Männern und 5,6 Prozent bei Frauen zur Prävalenz des Diabetes insgesamt ausweisen, werden mittlerweile als Unterschätzung bewertet. Andere Zahlen wie die des Diabetes Atlas IDF 2010 oder Berechnungen auf Basis der Routinedaten einzelner Krankenkassen liegen deutlich darüber. Es bleibt hierzu deshalb abzuwarten, wie die Ergebnisse des neuen Surveys des Robert Koch-Instituts ausfallen werden (Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland – DEGS).
Zu den Verschreibungen von Antidiabetika sind dagegen verlässliche und aktuelle Daten verfügbar. Im Folgenden soll der GKV-Markt für orale Antidiabetika (OAD) untersucht werden. Die dargestellten Analysen greifen dabei teilweise Analysebefunde auf, die bereits 2009 im „Monitor Versorgungsforschung“ publiziert wurden (vgl. Bensing/Kleinfeld: Bedeutung oraler Antidiabetika nimmt zu, in: Monitor Versorgungsforschung, Nr. 02/2009, S. 10f.)
Gebremster Ausgabenanstieg
Im Jahr 2011 wurden innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung orale Antidiabetika im Wert von 644 Millionen Euro (bewertet zu Apothekenverkaufspreisen ohne Abzug von Rabatten und Zuzahlungen) zur Diabetestherapie eingesetzt. Dies entspricht einem Anstieg von 3,7 Prozent gegenüber 2010. Damit erreichte der Ausgabenanstieg 2011 den niedrigsten Wert der untersuchten letzten fünf Jahre. Die Anzahl an GKV-Verordnungen für OAD ist 2011 sogar um 2,6 Prozent gefallen – auf nunmehr 17,3 Millionen abgerechnete Rezepte (Abb. 1).
Für die medikamentöse Therapie von Diabetes Typ 2 werden verschiedene Wirkstoffklassen eingesetzt. Den DPP-IV-Hemmern kommt bei einem Ausgabenanteil von 54,2 Prozent mittlerweile die größte ökonomische Relevanz zu (Abb. 2). Diese Wirkstoffgruppe ist erst seit 2007 am Markt etabliert, seit 2008 zusätzlich in Fixkombination mit Metformin. Dieser umsatzseitige Bedeutungsanstieg geht relativ gleichmäßig zu Lasten der anderen OADs, mit Ausnahme der besonderen Situation der Glitazone.
Umsatzeinbruch für Glitazone
Der Umsatzeinbruch der Glitazone von 18,0 Prozent 2010 auf 4,2 Prozent 2011 ist beachtlich. Dies geht auf den Mitte 2010 vom G-BA beschlossenen Verordnungsausschluss zu Lasten der GKV zurück (Beschluss veröffentlicht: Bundesanzeiger Nr. 175 (S. 3855) vom 18.11.2010). Der G-BA geht davon aus, dass der mögliche Schaden beispielsweise in Form von Herzinsuffizienzen und Knochenbrüchen den Nutzen überwiegt, da Therapiealternativen zur Verfügung stehen. Im Jahr 2011 entfielen auf Biguanid-Antidiabetika mit Metformin 23,3 Prozent der Umsätze, auf die Alternative Sulfonylharnstoffe 11,0 Prozent. Verordnungsseitig zeigt sich deutlich der hohe Stellenwert der Biguanid-Antidiabetika. Diese machen aktuell 60,5 Prozent der Verordnungen von OAD aus (Abb. 3).
Als Grund hierfür kann angeführt werden, dass Metformin das Antidiabetikum der ers-ten Wahl darstellt. Dies fußt insbesondere auf der belegten Wirksamkeit hinsichtlich Stoffwechseleinstellung und des geringen Einflusses auf Gewicht und Hypoglykämierate (vgl. Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft. Empfehlungen zur antihyperglykämischen Therapie des Diabetes mellitus Typ 2. 2. ed. Berlin. 2009). Bei Metformin-Unverträglichkeit sollte leitliniengemäß eine Sulfonylharnstofftherapie erfolgen. Bei gleichzeitiger Sulfonylharnstoff-Unverträglichkeit sollte auf Alpha-Glucosidase-Hemmer oder DPP-IV-Hemmer ausgewichen werden.
Spannend bleibt die Frage nach der zukünftigen Entwicklung des OAD-Marktes und dabei speziell des Segmentes der DPP-IV Inhibitoren. Für den Wirkstoff Linagliptin („Trajenta“) von Boehringer Ingelheim hat der G-BA in seiner jüngsten Entscheidung vom 29. März aufgrund eines unvollständig eingereichten Dossiers den Zusatznutzen als nicht belegt bewertet. Der Hersteller hatte im Rahmen der frühen Nutzenbewertung in seinem Nutzendossier eine andere als die vorgeschlagene zweckmäßige Vergleichstherapie gewählt. Das pharmazeutische Unternehmen hat die Möglichkeit, ein Jahr nach Veröffentlichung des Beschlusses (s. Interview ab S. 20) ein überarbeitetes Dossier vorzulegen und damit eine erneute Nutzenbewertung des Wirkstoffs zu veranlassen. <<
von: Christian Bensing
Dr. André Kleinfeld