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>> Das Verhältnis von Kommunikation und Qualität in der Gesundheitsversorgung wird zwar vielfach thematisiert, jedoch nur selten aus politischer Sicht betrachtet und in einen systematischen Zusammenhang gebracht. Der folgende Beitrag will diese Aufgaben ohne Anspruch auf Vollständigkeit beschreiben, Anregungen für eine vertiefte wissenschaftliche Betrachtung geben und erste Lösungsansätze für die skizzierten Probleme aufzeigen.
Strukturprobleme im deutschen Gesundheits-
wesen - Hauptursachen für Qualitätsmängel,
Ineffektivitäten und Ineffizienzen
Auch wenn das deutsche Gesundheitswesen keinen Vergleich mit anderen Gesundheitssystemen scheuen muss, so bestehen kaum Zweifel, dass dieses System an vielen Stellen Mängel aufweist und unzureichend für die künftigen Herausforderungen - wie zum Beispiel der demografische Wandel, der medizinische Fortschritt, die Globalisierung oder die sozio-ökonomischen Veränderungen - gerüstet ist. Hauptursachen für Defizite in der Qualität und Effektivität der Versorgung sowie der Effizienz der Mittelverteilung sind u.a.
• die Fragmentierung und Verkrustung der Versorgungsstrukturen,
• die sektorale Trennung der Steuerungsinstrumente Planung und Honorierung,
• das unzureichende Schnittstellenmanagement an den Übergangspunkten,
• die Fokussierung auf die Akutversorgung und die damit einhergehende Vernachlässigung von Prävention, Rehabilitation und Pflege,
• die Arztzentrierung und die schwache Stellung anderer Gesundheitsberufe,
• die unzureichende Patienten-, Nutzer- und Bürgerorientierung,
• die Konzentration von Qualitätssicherung und Qualitätsmanagement auf Struktur- und Prozessqualität,
• die Phobie vor Messbarkeit und Ergebnisqualität.
Zugespitzt: Es fehlt an Kommunikation, Koordination und Kooperation zwischen den Akteuren im deutschen Gesundheitswesen.
Kommunikationsprobleme auf unterschiedlichen Ebenen des deutschen Gesundheitswesens
Diese K-Probleme beginnen auf der politischen Ebene (Makro-Ebene). Gesundheit ist ein schwieriges Politikfeld. Mit Gesundheit, so der frühere Bundesminister und heutige bayrische Ministerpräsident Horst Seehofer, kann man keine Wahlen gewinnen, aber jede Wahl verlieren. Von daher kann die Bedeutung der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der gesundheitspolitischen Akteure aus Bund und Ländern kaum unterschätzt werden. Entsprechend vielfältig sind die Kommunikationsformen von persönlichen Gesprächen über die Vermittlung zunehmend komplexerer Inhalte mit Hilfe klassischer und neuer Formen des Journalismus bis hin zur Zielgruppenarbeit und Massenkommunikation. Den sachlichen Diskurs ersetzt häufig ein aggressiver politischer Lobbyismus, der sich ebenfalls aller medialen Formen bedient. Hitler, Honnecker und der US-Imperialismus werden als Schreckgespenster jeder Gesundheitsreform bemüht. Der Wechsel der politischen Bühne vom verträumten Bonn nach Berlin und die digitale Revolution haben die Medienwelt in der Hauptstadt spürbar verändert. Hinzu treten ökonomische Zwänge (Stichwort Medienkrise) und Strukturveränderungen in den Medien. Die wissenschaftliche Politikberatung mäandert zwischen verbrämtem Lobby-
ismus und Evidenzbasierung; sie findet häufig keinen gemeinsamen Code mit den politisch Verantwortlichen. Partizipative Elemente wie Bürgerorientierung, Mitwirkung und Mitentscheidung - neudeutsch Shared Decision Making - sind im paternalistischen Gesundheitswesen unterentwickelt.
Das Thema Qualität spielt auf dieser Ebene eine schillernde Rolle. Zum einen definieren alle politischen Akteure die Verbesserung der Qualität der gesundheitlichen Versorgung als eines der zentralen politischen Ziele ihres Handelns und als Voraussetzung zur Lösung aktueller Strukturprobleme und kommender Herausforderungen. Zum anderen lässt sich Qualität nur schwer in konkrete Strategien und praktische Maßnahmen inkorporieren. Allerdings zeigen positive Beispiele, wie die Strategie der Bundesregierung zur Förderung der Kindergesundheit oder der Nationale Aktionsplan Krebs, dass Elemente der Qualitätssicherung erfolgreich in bedeutsame Vorhaben integriert werden können. Schließlich müssen die Langzeitprogramme des Bundesministeriums für Gesundheit zur Entwicklung, Implementierung und Evaluation von Ansätzen und Projekten zur Qualitätssicherung in unterschiedlichen Versorgungsbereichen besonders hervorgehoben werden. Trotz der Erfolge dieser Strategien und Programme lassen sich Qualitätsverbesserungen nur schwer positiv kommunizieren.
Diese Probleme setzen sich auf der korporatistischen Ebene (Meso-Ebene), der in Deutschland besondere Bedeutung zukommt, fort. Der Korporatismus hat im System der Selbstverwaltung eine eigenständige Form ausgeprägt, die über einen speziellen Stil und eigene Codes verfügt. Seine Institutionen sind geprägt vom Ausgleich der unterschiedlichen Interessen von Kostenträgern und Leistungserbringern, häufig aber auch durch Spannungen in deren Binnenverhältnissen (z.B. GKV versus PKV oder niedergelassene Ärzte versus Krankenhäuser).
Gerade auf dem Feld der Qualitätssicherung hat sich in jüngster Zeit eine harte, teilweise polemische Debatte zwischen unterschiedlichen Akteuren entwickelt, welche Institution den Zuschlag für die Entwicklung und Implementierung der sektorübergreifenden Qualitätssicherung erhält. Diese Debatte bietet ein eindrückliches Beispiel für Kommunikationsdefizite auf der mittleren Ebene.
Gleiches gilt für das Thema E-Health. Zwar sind die gesetzlichen Vorgaben für die elektronische Gesundheitskarte und den elektronischen Heilberufsausweis mehrfach präzisiert worden, doch stehen flächendeckende Einführung und Bestimmung der vielfältigen Applikationen - wie beispielsweise das elektronische Rezept oder die elektronische Patientenakte - noch in den Sternen. Wesentlicher Grund dafür, dass dem Gesundheitswesen in Deutschland noch immer eine einheitliche Plattform für eine leistungsfähige Telematikinfrastruktur fehlt, sind die Interessengegensätze zwischen den verbandlichen Akteuren. Wie so oft geht es beim Kampf um die Datenhoheit um Macht, Einfluss und Geld. Wenn der Langsamste das Tempo des Geleitzuges bestimmt, wird der von allen grundsätzlich bejahte Fortschritt eine Schnecke. Andererseits bieten Selektivverträge von der hausarztzentrierten Versorgung bis zur integrierten Versorgung die Möglichkeit, neue Kommunikationswege und -formen zu erproben - wie beispielsweise beschleunigte Abrechnungswege über private Abrechnungszentren oder diverse Applikationen in der Telemedizin. Hindernisse treten hier bei der Finanzierung der aufwändigen Investitionen und der (technischen) Kompatibilität mit der Regelversorgung auf.
Schließlich ist auch die Mikroebene im berühmten Dreieck „Versicherter/Patient - Arzt/Leistungserbringer - Kostenträger“ ein Bereich vielfältiger Kommunikationsprobleme. Speziell in der Arzt-Patienten-Beziehung ist ein deutlicher Wandel spürbar, der sich hinter Begriffen wie Autonomie, Partizipation, Empowerment, Coaching, Shared Decision Making, Compliance oder Adherence verbirgt. Diese Entwicklung, die sich durch das Internet extrem beschleunigt hat, verlangt vom Arzt ein anderes Rollenverständnis (Partner statt Patriarch) und höhere Kommunikationskompetenzen gegenüber einem (über-, manchmal auch fehl-)informierten Patienten. Auch das Verhältnis der Krankenkasse zu ihren Versicherten hat sich durch die Einführung der Kassenwahlfreiheit und die Ausweitung des Wettbewerbs spürbar verändert. Information, Aufklärung und Beratung sind nicht nur gesetzlich verankerte Ansprüche der Versicherten gegenüber ihrer Kasse, sondern Kernelemente von Mitgliedergewinnung und -betreuung, Marketing und Service. Eine ähnliche Entwicklung lässt sich schließlich in den Beziehungen zwischen Krankenkasse und Leistungserbringern beobachten. Auch hier verändert der Wettbewerb, speziell im Rahmen des selektiven Kontrahierens, Form und Inhalte der Kommunikation.
Im Bereich der Qualitätssicherung kreisen die Fragen auf der Individualebene um Aufklärung, Dokumentation, Messung, Controlling, Feedback usw.. Von der Qualität der Kommunikation auf dieser Ebene hängen die Outcomes der Versorgung in wesentlichem Maße ab. Gerade in den individuellen Beziehungen ist die Bereitschaft hoch, neue Kommunikationstechniken und -formen zu erproben und einzusetzen, ehe sich die Politik und/oder die mittlere Ebene auf einheitliche Vorgaben und Standards verständigt haben. Der Fortschritt ist hier besonders schnell und vielfältig, aber leider auch nicht frei von Irrungen und Wirrungen.
Ansätze zur Aufwertung der
Gesundheitskommunikation
All diese Probleme sollten detaillierter untersucht werden. Im Hinblick auf die hier aufgeworfene Frage, inwieweit Kommunikation als Voraussetzung und Ermöglichung für Versorgungsqualität angesehen werden kann, gilt es festzuhalten, dass Qualität ein wesentliches Ziel der gesundheitlichen Versorgung darstellt und Qualität wesentlicher Teil der professionellen Identität aller im Gesundheitswesen Tätigen sein muss. Dann kann und wird Kommunikation als wesentliches Instrument zur Erreichung dieses Ziels und zur Herausbildung dieser Identität dienen. Das setzt voraus, dass
• Kommunikation selbstverständlicher Teil von Aus-, Weiter- und Fortbildung aller Gesundheitsberufe (einschließlich von Management und Administration) wird,
• Kommunikation selbstverständlicher Teil von Struktur- und Prozessplanung und -steuerung der Akteure wird,
• besondere Kommunikationsformen für komplexe Strukturen und Prozesse (z.B. bei der integrierten Versorgung oder in Disease-Management-Programmen) entwickelt und eingesetzt werden,
• der Kommunikationsaufwand speziell in qualitätsbezogenen Vergütungsformen angemessen vergütet (Pay for Performance) wird,
• Kommunikation als Teil eines Kulturwandels unter den Paradigmen Patienten-, Nutzer-, Bürgerorientierung verstanden wird.
Kommunikation wird so verstanden zur Verbesserung von Koordination und Kooperation führen und einen gewichtigen Beitrag zur Verbesserung der Qualität der Versorgung und der Effizienz des Mitteleinsatzes leisten. <<