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Management multiresistenter Erreger: Implikationen für den Übergang von stationärer zu ambulanter Versorgung

In der gesundheitlichen Versorgung bilden die Übergänge zwischen stationärem und ambulantem Sektor eine besondere Herausforderung. Aus Patientensicht sind die Festlegung von Behandlungspfaden und deren fortlaufende Optimierung entlang klar definierter Schnittstellen von essentieller Bedeutung. Dementsprechend gehört die Verbesserung intersektoraler Kommunikation und Zusammenarbeit zu den wesentlichen Zielen vieler Initiativen, Maßnahmen und Verbünde. In der Gesundheitsregion Ostseeküste wird im Rahmen von HICARE1 – Aktionsbündnis gegen multiresistente Erreger (MRE) – eine modellhafte Implementierung regionaler Konzepte angestrebt und durch Versorgungsforschung begleitet. Aus der Perspektive niedergelassener Ärzte* sollen in diesem Beitrag Herausforderungen und Perspektiven bei den Übergängen von Patienten mit Kolonisation oder Infektion mit MRE zwischen den Sektoren dargestellt werden. Anregungen hierzu wurden von niedergelassenen Kollegen* in der Region gegeben.

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Erstveröffentlichungsdatum: 24.01.2013

Abstract: Management of multidrug-resistant organisms: Implications for the transition from inpatient to outpatient care

The spread of multidrug-resistant organisms (MDRO) is a problem worldwide. Currently, measures for decolonization in hospital patients are implemented only for the eradication of methicillin-resistant Staphylococcus aureus (MRSA). The decolonization often cannot be completed in the hospital due to the usually short stays of the patients. Thus, the decolonization therapy must be continued after discharge. A documentation sheet, obligatory by law, on the progression of the MDRO status provides information for the physician responsible for subsequent management of MRSA and potentially further MDRO including vancomycin-resistant enterococci (VRE) or multiresistant Gram-negative bacteria (MRGN). However, practitioners with their array of different tasks often have limited experience in the management of MDRO. Regional concepts of patient-centered care may help to optimize the transition from clinic to practice and may contribute to improve effective prevention and treatment of MDRO.

Literatur

1: Health, Innovative Care and Regional Economy (HICARE) 2: Verordnung zur Hygiene und Infektionsprävention in medizinischen Einrichtungen Mecklenburg-Vorpommern (MedHygVO M-V) vom 22. Februar 2012 Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz BMJV (2013): IfSG 2000 Infektionsschutzgesetz vom 20. Juli 2000 (BGBl. I S. 1045), das zuletzt durch Artikel 2 Absatz 36 u. Artikel 4 Absatz 21 des Gesetzes vom 7. August 2013 (BGBl. I S. 3154) geändert worden ist“ Stand: Zuletzt geändert durch Art. 2 Abs. 36 u. Art 4 Abs. 21 G v. 7.8.2013 I 3154. http://www.gesetze-im-internet.de (abgerufen am 23.05.2014) Bundesministerium für Gesundheit BMG (2011): Pressemitteilung vom 8. Juli 2011 „Gesetz zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes und weiterer Gesetze passiert Bundesrat“. http://www.bmg.bund.de/ministerium/presse/pressemitteilungen/2011-03/infektionsschutzgesetz.html (abgerufen am 23.05.2014). Kassenärztliche Bundesvereinigung KBV (2014): KBV-Praxisinformation „Anschlussregelung MRSA-Vergütungsvereinbarung“, 01. April 2014: http://www.kbv.de/media/sp/2014_04_10_Praxisinformation_MRSA_Anschlussregelung.pdf (abgerufen am 09.05.2014) Köck, R./ Mellmann, A./ Schaumburg, F./ Friedrich, A.W./ Kipp, F./ Becker, K. (2011) Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus in Deutschland. Epidemiologie. Deutsches Ärzteblatt 2011, 108, 45: 761-767 Kramer, A./ Assadian, O./ Exner, M. (2011): Perioperative Prophylaxe und Therapie von Infektionen. Präventionsstrategien in der Krankenhaushygiene. Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerztherapie 2011, 46: 684-691 Robert Koch-Institut (RKI) und Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (1999). Empfehlung zur Prävention und Kontrolle von Methicillin-resistenten Staphylococcus aureus-Stämmen (MRSA) in Krankenhäusern und anderen medizinischen Einrichtungen. Bundesgesundheitsblatt-Gesundheitsforschung-Gesundheitsschutz 1999, 42: 954–958 Robert Koch-Institut (RKI) und Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (2008). Kommentar zu den „Empfehlungen zur Prävention und Kontrolle von MRSA-Stämmen in Krankenhäusern und anderen medizinischen Einrichtungen“. Hinweise zu Risikopopulationen für die Kolonisation mit MRSA. Epidemiologisches Bulletin 2008, 42: 363-364 Robert Koch-Institut RKI (2012): Empfehlung der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention. Hygienemaßnahmen bei Infektion oder Besiedlung mit multiresistenten gramnegativen Stäbchen. Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 2012, 55: 1311–1354 Robert Koch-Institut RKI (2013): Eigenschaften, Häufigkeit und Verbreitung von MRSA in Deutschland – Update 2011/2012. Epidemiologischer Bulletin 2013, 21:187-193 Robert Koch-Institut (RKI) und Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (2014): Empfehlungen zur Prävention und Kontrolle von Methicillin-resistenten Staphylococcus aureus-Stämmen (MRSA) in Krankenhäusern und anderen medizinischen Einrichtungen. Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 2014, 57, 6: 695-732

Zusätzliches

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Management multiresistenter Erreger: Implikationen für den Übergang von stationärer zu ambulanter Versorgung

In der gesundheitlichen Versorgung bilden die Übergänge zwischen stationärem und ambulantem Sektor eine besondere Herausforderung. Aus Patientensicht sind die Festlegung von Behandlungspfaden und deren fortlaufende Optimierung entlang klar definierter Schnittstellen von essentieller Bedeutung. Dementsprechend gehört die Verbesserung intersektoraler Kommunikation und Zusammenarbeit zu den wesentlichen Zielen vieler Initiativen, Maßnahmen und Verbünde. In der Gesundheitsregion Ostseeküste wird im Rahmen von HICARE1 – Aktionsbündnis gegen multiresistente Erreger (MRE) – eine modellhafte Implementierung regionaler Konzepte angestrebt und durch Versorgungsforschung begleitet. Aus der Perspektive niedergelassener Ärzte* sollen in diesem Beitrag Herausforderungen und Perspektiven bei den Übergängen von Patienten mit Kolonisation oder Infektion mit MRE zwischen den Sektoren dargestellt werden. Anregungen hierzu wurden von niedergelassenen Kollegen* in der Region gegeben.

 

>> MRE sind sowohl in der stationären als auch in der ambulanten Versorgung ein ernst zunehmendes Thema mit wachsender Bedeutung. Im stationären Bereich sind sie durch die Konzentration infektionsgefährdeter Patienten besonders problematisch. Daher ist es wichtig, diese Erreger bei einer stationären Aufnahme möglichst frühzeitig zu entdecken und gleichzeitig effektive Schutzmaßnahmen zur Vermeidung von Komplikationen oder Übertragungen auf Personal und Mitpatienten zu etablieren. Es ist aber ebenso notwendig, dass sich der vertragsärztliche Bereich seiner Verantwortung für die Prävention von MRE bewusst ist (Kramer et al. 2011).
Das HICARE-Verbundprojekt hat sich im Zeitraum 2011 bis 2014 das Ziel gesetzt, in einem regional konzertierten Ansatz wirkungsvolle, standardisierte und transferierbare Interventionsstrategien zu entwickeln, um der Verbreitung von MRE entgegenzuwirken. Am HICARE-Projekt beteiligen sich u.a. die Universitäten Greifswald und Rostock, 12 Akutkliniken, 4 Rehabilitationseinrichtungen sowie insgesamt über 40 institutionelle und industrielle Partner (www.hicare.de). Zur Prävention und Kontrolle von Methicillin-resistenten Stapyhlococcus aureus (MRSA)-Stämmen in Krankenhäusern und anderen medizinischen Einrichtungen wurde von der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO) beim Robert Koch-Institut (RKI) erstmals 1999 eine umfassende Empfehlung erarbeitet, die 2008 und 2014 aktualisiert wurde. Die KRINKO hat 2012 zudem Empfehlungen zu Hygienemaßnahmen bei Infektionen oder Besiedlung mit multiresistenten Gram-negativen Stäbchenbakterien (MRGN) herausgegeben.
Durch die Novelle des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) 2011 haben die Empfehlungen der KRINKO bindenden Charakter erhalten (BMJV 2013; BMG 2011). Im Rahmen des HICARE-Projektes wurden diese KRINKO-Empfehlungen implementiert und fanden Eingang in die regionalen HICARE-Empfehlungen zur Prävention und Behandlung von MRE. Unter Zuhilfenahme eigener und internationaler Studienergebnisse wurden zudem das Screening und die Präventionsstrategie von Vancomycin-resistenten Enterokokken (VRE) in HICARE implementiert.
Zur Unterstützung der Umsetzung der Empfehlungen zur Prävention von MRSA, VRE, ESBL-Bildnern und MRGN wurden Frage-, Dokumentations- und Patienteninformationsbögen für den stationären Bereich entwickelt. Neben einem Fragebogen zu MRE-Risikofaktoren bei stationärer Aufnahme wurde u.a. ein Behandlungsbogen (Abb.1) zur systematischen Dokumentation der MRE-Diagnose und etwaiger Kontrollabstriche entwickelt und erprobt. Der Dokumentationsbogen adressiert auch die Überleitung der Patienten und wird dem weiterbehandelnden Arzt zur Verfügung gestellt. Diese Informationen helfen, der Krankenhaushygieneverordnung des Landes Mecklenburg-Vorpommern (MedHyg VO M-V)2 laut §11 zur Weitergabe von infektionsschutzrelevanten Informationen von Patienten mit MRE zu entsprechen.
Überleitung von MRE-Patienten vom stationären in den niedergelassenen Bereich
In der Praxis ist zu berücksichtigen, dass der Überleitungsbogen eine große Anzahl von Informationen aufnehmen kann und daher u. U. nicht für alle Adressaten selbsterklärend ist. Der weiterbehandelnde Arzt steht dann etwa vor den Fragen „Was kann ich als Hausarzt aus den Informationen des Bogen für den Patienten tun?“ „Kommt eine Dekolonisierung in Betracht und wenn ja, welche Kontrollabstriche sind zur Erfolgskontrolle notwendig?“ und „Was mache ich überhaupt als Hausarzt mit den Informationen auf dem Bogen?“ Daher wurde von Hausärzten der Wunsch geäußert, dass der Entlassungsbrief Handlungsvorschläge auf Basis aktueller Empfehlungen enthält.
Anforderungen an die Behandlung MRE-positiver Patienten im niedergelassenen Bereich
Ambulante Arztpraxen sind ein wesentlicher Anlaufpunkt für Patienten sowohl in der Vor- und Nachsorge stationärer Aufenthalte als auch bei der Versorgung von Patienten in der Häuslichkeit. Die MRE-Thematik berührt die ambulante Versorgung in den Punkten Aufklärung und Beratung, Diagnostik, MRSA-Sanierungsbehandlung und MRSA-Langzeit-Sanierungskontrolle (Abb. 2). Die abrechenbaren Leistungen (Infobox 1) beziehen sich auf MRSA und sind seit dem 1. April 2014 als Bestandteil des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes (EBM) festgelegt. Eingangsvoraussetzung ist, dass es sich um einen „Risikopatienten“ handelt (Infobox 2). Zudem ist der Nachweis über eine entsprechende Fortbildungsmaßnahme für die Vergütung nötig. Abrechnungsberechtigte Vertragsärzte müssen die Zusatzausbildung „Infektiologie“ und/oder „MRSA“-Zertifizierung vorweisen. Diese kann entweder durch das Fortbildungsseminar „Ambulante MRSA-Versorgung“ oder durch die Teilnahme an einer Online-Fortbildung zu MRSA erworben werden. Weitere Informationen befinden sich unter der Webadresse: www.ebm.de; MRSA-Fortbildung (KBV 2014).
Die MRE-Problematik umfasst neben den oben genannten Themen auch weitere Faktoren, die im Folgenden aufgeführt werden (ebenfalls Abb. 2). Die Risikofaktoren für MRE unterscheiden sich je nach Erreger und sind unterschiedlich gut untersucht. Für MRSA wurden neben den in Infobox 2 beschriebenen Faktoren eine Reihe weiterer Risikofaktoren eruiert, die sich je nach Erreger-Subtyp unterscheiden (RKI 2013; Köck et al. 2011). Häufige Antibiotikatherapien fördern den Selektionsdruck auf die Mikroorganismen und die Resistenzentwicklung. Im Rahmen des HICARE-Projektes wurden an der Universitätsmedizin Greifswald regionale Antibiotikaempfehlungen für die initiale kalkulierte Antibiotikatherapie (weiter)entwickelt, die einen zielgenauen und kritisch geprüften Einsatz von Antibiotika fördern sollen. Es ist geplant, diese Empfehlungen für den ambulanten Bereich zu erweitern.
Folgendes Beispiel soll veranschaulichen, dass umfassende und spezifische Informationen zum Thema MRE notwendig sind, um die Versorgung MRE positiver Personen zu gewährleisten: Ein Bewohner eines Seniorenwohnheimes kommt nach einer Krankenhausbehandlung zurück in die Einrichtung. Aus dem Überleitungsbogen geht hervor, dass beim Patienten im Urin ein E. faecalis mit
Vancomycin-Resistenz (VRE) nachgewiesen wurde. Was bedeutet das für das Seniorenwohnheim und den weiterbehandelnden Arzt? Was ist an weiteren Schritten nötig? Welche hygienischen Maßnahmen sind angezeigt? In Gesprächen zwischen niedergelassenen Ärzten, Hygienikern und Mikrobiologen im Rahmen des HICARE-Verbundes zeigte sich, dass zur MRE-Thematik viele Fragen und Unsicherheiten der betroffenen Stellen existieren. Dabei ist u.a. zu berücksichtigen, dass die Empfehlungslage für den stationären Bereich wesentlich konkreter als für den vertragsärztlichen Sektor ist. Zudem stellen sich im häuslichen Bereich teilweise völlig andere Fragen als in der Klinik. Geringe Fallzahlen an MRE in der einzelnen Praxis limitieren die Häufigkeit, mit denen ein niedergelassener Arzt tatsächlich mit der MRE-Problematik konfrontiert wird. Ist nur eine kleine Anzahl von Patienten betroffen, wird unter Umständen eine Abwägung stattfinden. So sagte ein Vertreter aus dem niedergelassenen Bereich: „Wenn das [für die einzelne Praxis] nur wenige Fälle pro Jahr sind, dann kann […] [die Etablierung eines einheitlichen Vorgehens] schwierig sein. […]. Das Problem ist nämlich, wenn man für den ersten Patienten zusammengerechnet ungefähr eineinhalb bis zwei Stunden Aufwand hat, dann überlegt man es sich beim Zweiten, ob man diesen Aufwand wieder aufbringen kann“. Mit zunehmender Erfahrung im Umgang mit MRE-positiven Patienten verringere sich der Aufwand für den einzelnen aber dementsprechend.
Ebenfalls hilfreich ist der kollegiale Austausch beim Umgang mit MRE. Im Rahmen von HICARE ist dabei wiederholt deutlich geworden, dass sowohl bei den Vertragsärzten als auch den Pflegeheimen die nötige Sensibilität und Offenheit für eine Verbesserung des Managements von MRE vorhanden ist, auf dem regionale Netzwerke aufbauen können. Ein Ansatz auf der Basis von Selbstorganisation ist z.B. die Benennung von regionalen Ansprechpartnern. Das wurde, neben regelmäßigen Workshop-Angeboten – z.B. zum täglichen Umgang mit MRE in der Arztpraxis oder zur rationellen Antibiotikatherapie im niedergelassenen Bereich – in der Gesundheitsregion Ostseeküste von einem Ärztenetz in der Region Greifswald/Wolgast erfolgreich initiiert.
Fazit
In den letzten Jahren fand der ambulante Bereich bezüglich der Versorgung von Patienten mit MRE zunehmend Beachtung. Das spiegelt sich z.B. auch darin wieder, dass vor rund zwei Jahren spezielle Abrechnungsziffern für die Fortsetzung einer im Krankenhaus begonnen Sanierungsbehandlung bei MRSA-Patienten eingeführt wurden, die eine Honorierung der erbrachten Leistungen ermöglichen. Jüngst wurde ein eigener Abschnitt für MRSA-Leistungen in den EBM eingeführt. Dennoch erscheint es notwendig, den ambulanten Bereich verstärkt in die Konzeption und Umsetzung regionaler MRE-Versorgungsstrukturen einzubeziehen sowie zielgruppenspezifische Fortbildungs- und Informationsangebote zum Thema MRE anzubieten. Versorgungsforschung kann dazu beitragen, mehr über die Bedingungen (z.B. Verbreitung von MRE) und Bedürfnisse (z.B. zu Informationen und Kooperationen) im niedergelassenen Bereich in Erfahrung zu bringen und darauf aufbauend die sektorenübergreifende Versorgung zu optimieren. <<