>> Die Bundesregierung hatte im Wahljahr auf Ruhe innerhalb der Ärzteschaft gehofft. Denn die zum Jahresanfang in Kraft getretene Reform der Ärztehonorare erfüllt viele Forderungen, die die Ärztinnen und Ärzte über Jahre hinweg vertreten hatten: Die Angleichung der Ärztehonorare im Osten an die im Westen, die Einführung fester Preise für die Arztleistungen und die Berücksichtigung des zunehmenden Anteils älterer Patientinnen und Patienten bei den Honorarverhandlungen mit den Krankenkassen. Dazu kommt ein Anstieg der bundesweiten Honorarsumme um zehn Prozent innerhalb von nur zwei Jahren.
Trotzdem gehen insbesondere in Süddeutschland, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfallen viele Ärztinnen und Ärzte auf die Barrikaden. Denn die Reform bringt nicht nur Gewinner, sondern auch Verlierer hervor. Innerhalb der Ärzteschaft wird kräftig umverteilt. Von West nach Ost, innerhalb des Westens von reicheren in ärmere Regionen und auch zwischen den verschiedenen Fachgruppen.
Für die veränderten Finanzflüsse gibt es gute Argumente. Weshalb sollte ein Arzt in einer Region mit hoher Arbeitslosigkeit schlechter honoriert werden als sein Kollege in einem wohlhabenden Bundesland? Und auch die bisherigen Honorarunterschiede zwischen den Fachgruppen hatten vielfach mehr historische als sachliche Gründe.
Vor diesem Hintergrund sollte man die Honorarreform nicht vorschnell für gescheitert erklären. Ob das neue System tatsächlich zu mehr Honorargerechtigkeit führt, wird sich wohl erst im nächsten Jahr feststellen lassen. Bis dahin werden GKV-Spitzenverband und Kassenärztliche Bundesvereinigung ihre Spielräume nutzen müssen, allzu große Härten zu vermeiden.
Vorwerfen darf man allerdings der Bundesregierung, dass sie das neue Honorarsystem von heute auf morgen eingeführt hat. Dabei wäre eine längere Anpassungsphase unbedingt erforderlich gewesen. Vorbild hierfür hätte die Einführung des Fallpauschalensystems in den Krankenhäusern sein können. Fast noch schwerer wiegt aber ein anderes Versäumnis. Der „neuen Honorarwelt“ ist anzusehen, dass sie nicht mehr taufrisch ist. Die Auseinandersetzung über sie hat schon in den 1990er Jahren angefangen. Seither hat aber in der internationalen Diskussion über die Ärztevergütung ein Paradigmenwechsel stattgefunden. Die Frage, wie Honorierung und Behandlungserfolg in einen Zusammenhang gebracht werden können, spielt eine zunehmend größere Rolle. Dieser Aspekt findet in der Honorarreform aber keine Berücksichtigung. Sie transportiert weiter die Illusion, dass es zwischen den Ärztinnen und Ärzten keine Qualitätsunterschiede gibt.
International haben „Pay-for-Performance“-Systeme (P4P) mittlerweile eine erhebliche Bedeutung erreicht. So erhalten die britischen Allgemeinärzte schon seit dem Jahr 2004 einen rund 20- bis 30-prozentigen Anteil ihres Honorars nur dann, wenn sie bestimmte Qualitätsstandards und Leitlinien einhalten. In den USA beinhaltet etwa die Hälfte der staatlichen Medicaid-Programme auch P4P-Komponenten. Für die nächsten fünf Jahre wird ein Anstieg auf 85 Prozent erwartet.
In Deutschland hat die AOK Baden-Württemberg mit dem Ärztenetzwerk „Gesundes Kinzigtal GmbH“ im Jahr 2006 einen neunjährigen Integrationsvertrag abgeschlossen, bei dem der Gesundheitsgewinn für die dortigen AOK-Versicherten im Vergleich zur Gesamtbevölkerung gemessen wird. Das Honorar der Ärztinnen und Ärzte wird abhängig von dem erzielten Gesundheitszuwachs berechnet. Zusatzhonorare für die Durchführung von Früherkennungsuntersuchungen oder für gute Behandlungsergebnisse sind auch in Hausarzt- und Pilotverträgen verschiedener anderer Krankenkassen sowie den Chroniker-Programmen vorgesehen. Alles in allem kommt P4P in Deutschland bisher nicht über regionale und indikationsspezifische Ansätze hinaus. Wichtige Anstöße für eine beschleunigte Weiterentwicklung hätte die Bundesregierung mit der Honorarreform leisten können. Diese Gelegenheit hat sie aber leider ungenutzt verstreichen lassen. Offensichtlich hat ihr dazu die Durchsetzungsfähigkeit gegenüber den Besitzstandswahrern in Ärzteschaft und deren Interessenvertretern in der Koalition gefehlt.
Damit wird auch in den nächsten Jahren die Ausweitung von P4P in Deutschland nur langsam vorangehen. Allerdings wird angesichts des zunehmenden Stellenwerts von Selektivverträgen und dem erheblichen Interesse an P4P in Krankenkassen und innovationsbereiten Teilen der Ärzteschaft mittelfristig der Trend nicht aufzuhalten sein. Für die Versorgungsforschung entsteht damit ein überaus wichtiges Feld. Und das umso mehr als sich die Forschungsergebnisse im Ausland nicht einfach auf Deutschland übertragen lassen. Dazu sind die Gesundheitssysteme und auch die Erwartungen der Patientinnen und Patienten zu unterschiedlich. Was ist unter Behandlungserfolg zu verstehen? Wie lässt er sich messen? Wie kann verhindert werden, dass P4P zur Benachteiligung schwer kranker Patientinnen und Patienten führt? Die Beantwortung dieser und anderer wichtiger Fragen gehört auf die Tagesordnung auch der Forschungsförderung des Bundes. <<