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Nutzen der Rabattverträge bleibt fraglich

Rabattverträge – aktueller Stand und Auswirkungen auf die Gesundheitsversorgung nach eineinhalb Jahren GKV-WSG

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Erstveröffentlichungsdatum: 19.08.2008

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Rabattverträge zwischen Krankenkassen und Arzneimittelherstellern sind seit 2007 zu einem Dauerthema geworden. Dies liegt zum einen an der noch immer nicht vollständig geklärten Rechtslage. Zum anderen gab es aber wohl kaum ein gesundheitspolitisches Instrument, das in so kurzer Zeit so breit umgesetzt wurde. Zudem wird der Mehrwert von Rabattverträgen für das Gesundheitswesen noch immer von vielen Seiten in Frage gestellt.

> Die mit dem GKV-WSG zum 01.04.2007 „scharf geschalteten“ Rabattverträge zwischen Krankenkassen und Arzneimittelherstellern haben insbesondere den Generikamarkt aufgemischt: Kleine Firmen konnten in kurzer Zeit ihre Marktanteile vervielfachen und in noch kürzerer Zeit auch wieder verlieren. So verzehnfachte sich etwa der Marktanteil von Biomo bei Omeprazol – dank eines Exklusivvertrags mit der Bundes-AOK – innerhalb des Jahres 2007 von 2,9 Prozent auf über 29 Prozent. Im September 2008 lag Biomo wieder bei 4,6 Prozent.
Die großen Generikahersteller versuchten insbesondere mit Sortimentsverträgen (also Rabattverträgen über das gesamte Produktportfolio) ihre Marktanteile zu sichern. Während sich die Vertragspartner der Techniker Krankenkasse (AbZ-Pharma, Aliud, Betapharm und Ratiopharm) mittlerweile bereits 64 Prozent der Generikaverordnungen an TK-Versicherte teilen, machen die Sortimentsvertragspartner der Barmer Ersatzkasse (Aliud, Betapharm, Hexal, Mylan dura, Q-Pharm und Stadapharm) über 69 Prozent unter sich aus. Die Marktanteile haben sich damit in der Summe gegenüber Anfang 2007 jeweils verdoppelt.
Aktuell sind nahezu sieben von zehn Generikaverordnungen rabattiert. Und auch bei den Alt-Originalen (Originalpräparate, deren Patentschutz abgelaufen ist) ist mittlerweile jede siebte Packung rabattiert. Ende 2007 galt dies für nicht einmal drei Prozent der Verordnungen. Lediglich bei den patentgeschützten Arzneimitteln und jenen ohne generische Konkurrenz spielen Rabattverträge bislang noch keine große Rolle. Da diese beiden Bereiche aber knapp 70 Prozent des Arzneimittelumsatzes ausmachen (bei einem Verordnungsanteil von 26 Prozent), ist davon auszugehen, dass zukünftig auch hier verstärkt Selektivverträge abgeschlossen werden (Abb. 1).
Erstaunlich sind die großen Unterschiede zwischen den Krankenkassen. Während beispielsweise der Rabattanteil über alle Verordnungen bei der AOK Niedersachsen aktuell bei 64 Prozent liegt, sind bei der Taunus BKK, der mit über 800.000 Versicherten drittgrößten Betriebskrankenkasse Deutschlands, nur 0,8 Prozent der Verordnungen rabattiert. Auch innerhalb der Kassenarten sind die Unterschiede beachtlich: So hat die AOK Westfalen-Lippe einen (gemeldeten) Rabattanteil von nur 8 Prozent, im AOK-Durchschnitt liegt dieser Anteil bei 49 Prozent. Bei den Betriebskrankenkassen variieren die Anteile sogar zwischen 0 und 62 Prozent (Abb. 2).
Betrachtet man die andere Seite der Vertragspartner, so sind ebenfalls beachtliche Differenzen zu verzeichnen. Während Aliud einen Rabattanteil im Generikabereich von fast 90 Prozent aufweist, sind bei dem isländischen Generikaproduzenten Actavis nicht einmal 30 Prozent der Generikaverordnungen rabattiert (Abb. 3).

Aktuelle AOK-Ausschreibung im Fokus
Nachdem die Deutsche Angestellten Krankenkasse (DAK) ihre Ausschreibung am 08.10.2008 „aus schwerwiegenden Gründen“ aufgehoben hat (Hintergrund war ein Vergabenachprüfungsantrag beim Bundeskartellamt), richten sich zurzeit alle Augen auf die europaweite Rabattausschreibung der AOK vom 09.08.2008. Diese umfasst 64 Substanzen mit einem jährlichen Ausgabevolumen von 2,3 Mrd. Euro. Das entspricht 43 Prozent aller in diesem Marktsegment zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) verordneten Arzneimittel.
Es handelt sich dabei um 59 Wirkstoffe der AOK-Ausschreibung vom 06.08.2007, die Ende letzten Jahres mit einem Verbot durch die Vergabekammer belegt wurden. Hinzu kamen mit Diclofenac, Felodipin, Ibuprofen, Olanzapin und Risperidon noch fünf weitere umsatzstarke Wirkstoffe. Jeder Wirkstoff stellt ein eigenes Fachlos dar, das jeweils noch in fünf Gebietslose aufgeteilt wird.
Zum 3. November sind – nach Dr. Christopher Hermann, Vorstandsvize der AOK Baden-Württemberg und bundesweiter Verhandlungsführer der Rabattverträge für die AOKen – 68 Bieterangebote eingegangen, wobei „alle namhaften Unternehmen“ teilgenommen hätten.
Dabei sein oder nicht ist bei dieser Ausschreibung nicht nur aufgrund des Volumens und der zweijährigen Laufzeit von höchstem Interesse, sondern auch aufgrund der Tatsache, dass pro Teillos jeweils nur ein Bieter den Zuschlag erhält. on dieser Exklusivität profitiert jener Bieter, der bei dem jeweiligen Wirkstoff in dem jeweiligen Gebietslos der AOK das größte Einsparpotenzial verspricht. Damit ist neben der Rabatthöhe auch die Produktbreite des Bieters innerhalb des Wirkstoffes von hoher Relevanz. Deckt ein Hersteller mit seinem Portfolio nur 80 Prozent der umsatzrelevanten Packungsarten ab, dann muss er gegenüber einem Bieter, der alle Packungsarten im Angebot hat, einen um 25 Prozent höheren Rabatt geben, um auf das gleiche AOK-Einsparpotenzial zu gelangen. Hier sind in der Regel die breiter aufgestellten Marktführer im Vorteil.
Angesichts der tendenziell niedrigeren Herstellkosten im Ausland wird zudem eher den global tätigen Generikaherstellern zugetraut, die niedrigsten Rabattpreise anbieten zu können. Nach Meinung vieler Insider werden daher deutsche mittelständische Hersteller bei den meisten Wirkstoffen keinen Zuschlag erhalten.
Wie abhängig einzelne Hersteller vom Ausgang der AOK-Ausschreibung sind, lässt sich am Beispiel der letzten Ausschreibungsrunde verdeutlichen: Im Zeitraum Oktober 2007 bis September 2008 haben sich nur 25 Generikahersteller über 77 Prozent des AOK-Ausschreibungsvolumens nach Umsatz (über 1 Mrd. Euro) geteilt. Elf Hersteller haben mehr als die Hälfte ihres gesamten GKV-Umsatzes mit AOK-Verordnungen innerhalb der ausgeschriebenen Wirkstoffe getätigt. Und bei einem Hersteller liegt dieser Anteil sogar bei 83 Prozent.
Mit diesen Zahlen vor Augen sehen viele bereits eine Oligopolisierung des Marktes aufziehen, die langfristig – mit zunehmender Marktmacht der verbleibenden Wettbewerber – wieder zu höheren Preisen führen kann.

Der Nutzen für die Versicherten?
Aus Sicht der Versorgungsforschung stellt sich – wie bereits bei den bisherigen Ausschreibungen – wieder die Frage nach dem Mehrwert, den Rabattverträge für die Gesundheitsversorgung der Versicherten bieten. Nahezu einhellige Meinung besteht darüber, dass Rabattverträge über generikafähige Arzneimittel nicht zu einer Steigerung der Versorgungsqualität beitragen. Somit kann das Ziel also nur sein, die gleiche Versorgungsqualität mit geringeren Kosten zu erreichen.
Versorgungsqualität: Wenngleich es bislang keine umfassende, repräsentative Studie zur Veränderung der Compliance in Abhängigkeit von Rabattverträgen gibt, so kann doch davon ausgegangen werden, dass die Compliance einzelner Versicherter aufgrund der Umstellung auf Präparate anderer Arzneimittelhersteller tendenziell abnimmt. Nach einer Umfrage der KV Nord-rhein gibt jeder dritte Arzt an, dass Rabattverträge bei mehr als der Hälfte der Patienten zu Compliance-Problemen führen. Hierbei spielen unterschiedliche Aspekte eine Rolle:
1. Gewohnheit: Einige Patienten identifizieren Arzneimittel über Form und Farbe, die sich bei der Substitution nicht selten ändern; und Kinder akzeptieren ausgetauschte antibiotische Säfte aufgrund des Geschmacks nicht immer (vgl. www.kvno.de, Umfrage zu Rabattverträgen: Ärzte wollen mehr Transparenz und Arzneimittelsicherheit).
2. Wirkungsempfinden: Bei Einnahme eines anderen Präparates klagen einige Patienten über eine schwächere Wirkung oder stärkere Nebenwirkungen. Dies kann auf eine andere Galenik oder Bioverfügbarkeit zurückzuführen sein oder einfach auf eine andere Wahrnehmung (vgl. o. V.: Rabattverträge und Schmerzmittel: Riskanter Austausch, in: Nova 1/2008, S. 6-12).
3. Darreichungsform: Aufgrund der teilweise fehlenden Teilbarkeit von Tabletten resp. Kapseln kann bei einer rabattvertragsbedingten Umstellung die Therapiesicherheit gefährdet sein (vgl. Quinzler, Renate et al.: Teilung von Tabletten: Welchen Einfluss haben die Rabattverträge auf die Verordnungsqualität?, in: Medizinische Klinik, Nr. 8/2008, 103. Jg., S. 569-574).
Kosten: Selbst wenn von gleich bleibender Qualität ausgegangen wird, stellt sich die Frage, wie hoch die Kosteneinsparungen sind. Laut IGES-Schätzungen erzielten die Kassen 2007 – nach Berücksichtigung der Mindereinnahmen durch Zuzahlungsbefreiungen – Einsparungen in Höhe von 89 Mio. Euro; dies entspricht ca. 0,3 Prozent der gesamten GKV-Arzneimittelausgaben. Hierin enthalten sind weder etwaige Komplikationskosten aufgrund mangelnder Compliance bei der Arzneimitteleinnahme noch die zusätzlichen Kosten des Vertragsmanagements. Und ein weiterer Aspekt wird häufig übersehen: die Opportunitätskosten. Dies sind in diesem Falle die Einsparungen, die man mit dem gleichen zeitlichen Aufwand durch andere Maßnahmen hätte erreichen können. Und hierunter fallen dann auch Maßnahmen, die nicht nur zu niedrigeren Ausgaben führen, sondern gleichzeitig auch die Qualität verbessern.
Für 2008 kann aufgrund der deutlich gestiegenen Zahl an Rabattverträgen mit höheren Einsparungen gerechnet werden. Es bleibt jedoch weiterhin fraglich, welchen Nutzen die Rabattverträge für die gesamte Gesundheitsversorgung bieten. Dies ist wiederum ein großes Thema für die Versorgungsforschung, die nicht nur bestehende Rabattverträge evaluieren muss, sondern auch neue alternative Versorgungs- resp. Vertragskonzepte entwickeln sollte. <<

von: Dr. André Kleinfeld