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Pro: Pflegekammern: Wenn nicht jetzt, wann dann?

Kommentar von Rolf Höfert, Geschäftsführer des Deutschen Pflegeverbands und Mitglied im Deutschen Pflegerat e.V.

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Erstveröffentlichungsdatum: 23.09.2012

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>> Die Gesundheits- und Sozialpolitik wird geprägt von der Selbstverwaltung. Allerdings wird die größte Gruppe der Gesundheitsberufe, die Pflege mit immerhin 1,2 Millionen Menschen, immer noch ausgegrenzt.
Die berufsfremde Selbstverwaltung ist im politischen und strategischen Geschäft verankert. Sie ist es, die so das Maß von Qualität der Pflege definiert oder auch rationiert. Die Pflegenden dagegen werden zwar hier und da beteiligt, aber nicht verbindlich integriert. Versuche, diese Situation zu ändern, blieben bisher erfolglos.
Es zeichnet sich ab, dass der Notstand der Pflege heute größer ist als 1989 und der demografische Wandel große Herausforderungen stellt. Stimmten damals noch Parteien und Regierung darin überein, dass es Mängel in der pflegerischen Versorgung der Bevölkerung gibt und Verbesserungen notwendig sind, scheint diese Erkenntnis inzwischen anderen politischen Zielen geopfert worden zu sein.
Die Planung von Ausbildungskapazitäten in den Pflegeberufen unterliegen über­wiegend ökonomischen Interessen und nicht der zuständigen Pflegeprofession. Studiengänge der Pflegewissenschaft, Pflegelehre und des Pflegemanagements an mehr als 40 Universitäten und Fachhochschulen belegen die wissenschaftliche Fundierung der Profession Pflege. Mit dem Krankenpflegegesetz ab 01.01.2004 und dem Altenpflegegesetz ab 01.08.2003 wurden der Pflege eigenverantwortliche Aufgaben zugeordnet. Nur eine Kammer für Pflegeberufe wäre die richtige Institution, um weitere Fehlentwicklungen zu verhindern. Welche grundsätzlichen Ziele hätte die Pflegekammer? Vor allem der Schutz der Bevölkerung vor Pflegefehlern bzw. schwarzen Schafen, die Qualitätssicherung und -erweiterung in der Pflege und die Sicherheit für die Berufsinhaber/innen stehen im Vordergrund. Außerdem würde die Pflegekammer eine verbindliche Berufsordnung, Berufsethik und die geforderte Selbstverwaltung des Berufsstandes garantieren.
Diese Module wären ein echter Ansatz zur Qualitätssicherung im Sinne der integrierten und sicheren Versorgung. Die jüngsten Debatten zur Pandemieplanung im Rahmen der Schweinegrippe und der EHEC-Dramatik zeigten erneut, dass eine wesentliche und größte Gruppe der Gesundheitsberufe nicht verbindlich registriert ist!
Der Sachverständigenrat zur Begutachtung im Gesundheitswesen hat bereits in seinem Gutachten 2007 neue Ansätze für Kooperation und Verantwortung für alle Akteure im Gesundheitswesen gefordert.
Fundierte Rechtsgutachten zur Verkammerung der Pflege liegen seit 1994 fortlaufend vor. Das aktuelle Gutachten des Kieler Rechtsgelehrten Prof. Gerhard Igl (2008) im Auftrag des DPR entkräftet alle bisherigen Gegenargumente. Er kommt zu dem Schluss:
„Eine Verkammerung, das heißt die Einrichtung einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft mit Pflichtmitgliedschaft der Pflegeberufe, ist verfassungsrechtlich möglich. Die Gesetzgebungskompetenz für die Einrichtung der Kammern liege bei den Bundesländern.“
Der Deutsche Pflegerat mit seinen 14 Mitgliedsverbänden positionierte sich am 22.01.2009 wie folgt:
„Der Deutsche Pflegerat als Dachorganisation der Pflegeorganisationen fordert umgehend Gesetzesinitiativen in den Bundesländern zur Schaffung von Pflegekammern als Körperschaften des öffentlichen Rechts im Sinne der Selbstverwaltung.
Der DPR sieht sich perspektivisch als Bundespflegekammer“.
In den letzten 18 Jahren gab es in mehreren Bundesländern Initiativen für eine Pflegekammer. Doch erst mit der Initiative des Bayerischen Staatsministers für Umwelt und Gesundheit, Dr. Markus Söder, sieht der DPV seine Forderung im Sinne des Schutzes der Bevölkerung und der Sicherheit für Berufsinhaberinnen und –inhaber der Pflegeberufe realisiert. Es ist der erste Vorstoß für eine Pflegekammer durch eine Regierungspartei.
Das politische Gegenargument, Kammern seien nicht mehr zeitgemäß, wurde gerade in den letzten Jahren ad absurdum geführt. In den Bundesländern sind Heilberufsgesetze mit dem Ziel der Einrichtung einer Psychotherapeutenkammer geändert worden.
In Hessen liegt ein umfangreiches Positionspapier des „Fachbeirates Pflege“ beim hessischen Sozialministerium „Zur Errichtung einer Kammer für Pflegeberufe in Hessen“ seit 2006 vor.
Bereits 1995 hat unser Verband gemeinsam mit dem Förderverein zur Gründung einer Pflegekammer in Bayern und dem Arbeitskreis zur Gründung einer Pflegekammer in Berlin, einem Vertreter des Katholischen Berufs­verbandes für Pflegeberufe und Frau Professorin Edith Kellnhauser den Runden Tisch „Kammer für Pflegeberufe“, heute Nationale Konferenz zur Errichtung von Pflegekammern in Deutschland, gegründet.
Auch die erste Landesärztekammer als Körperschaft öffentlichen Rechts wurde 1946 in Bayern gegründet, bis dann alle anderen Bundesländer nachzogen. So braucht jetzt kein Bundesland mehr Angst zu haben, das erste zu sein.
Der Deutsche Pflegeverband ist Mitglied des am 09.02.2011 gegründeten Bündnisses für eine Pflegekammer in Bayern und wird die weiteren Schritte zur Realisierung konstruktiv mitgestalten.
Seit 07.03.2011 liegt der Gesetzentwurf zur Änderung des Heilberufe-Kammer­gesetzes mit Implementierung einer Pflegekammer in Bayern vor.
In der Europäischen Union sind in vielen Ländern Pflegekammern, bzw. kammerähnliche Institutionen Selbstverständlichkeit.
Das immer wiederkehrende Argument der Kammergegner, die Pflegebasis würde eine Kammer mit Pflichtmitgliedschaft nicht tolerieren, ist aufgrund von überzeugenden Unterschriftsaktionen und großer Pro-Resonanz bei unzähligen Veranstaltungen nicht greifend.
Die Basis fordert aufgrund des seit langem schwelenden, untragbaren Zuständigkeitsgerangels eine rechtlich verbindliche Körperschaft mit Wirkung nach innen und außen. Die Bundesregierung ist jetzt gefordert, umgehend ein Berufsgesetz für die Pflegeberufe auf den parlamentarischen Weg zu bringen. In den Bundesländern müssen die Heilberufegesetze geändert und öffentlich-rechtliche Selbstverwaltungsorgane für die Pflegeprofession realisiert werden.
Es reicht nicht, wie in Bremen, Hamburg und im Saarland, Berufsordnungen zu erlassen, die von niemandem in der Praxis überprüft werden. Alle politischen Parteien und auch die Gewerkschaften haben hiermit eine Chance, dem Bürger eine Botschaft zur qualitätsorientierten Versorgung durch Pflege mit der Pflegeprofession zu senden!
Die Einrichtung einer Pflegekammer ist daher die logische und absolut wichtigste Konsequenz zur Sicherung der pflegerischen Versorgung. <<