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Rabattverträge im Vorfeld des AMNOG

Patentgeschützte Arzneimittel:

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Erstveröffentlichungsdatum: 02.08.2010

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Im Fokus des Rabattvertragsgeschehens stehen bislang in der Regel die Generika. Allerdings gab es in den letzten Jahren bei einzelnen Indikationen sowie in speziellen Märkten auch verstärkte Aktivitäten, Rabatte über patentgeschützte Arzneimittel vertraglich zu vereinbaren. Immerhin ist im patentgeschützten Bereich bereits jede 15. Verordnung rabattiert. Zukünftig wird sich das Rabattgeschäft aufgrund des Arzneimittelmarktneuordnungsgesetzes (AMNOG) deutlich verändern. Neben die dezentralen Verträge von Herstellern mit einzelnen Kassen treten dann auch zentrale Vereinbarungen mit dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV-Spitzenverband).

> In Deutschland sind auf Basis der Pharmazentralnummern (PZN) derzeit rund 2,2 Mio. Rabatte zwischen Krankenkassen und pharmazeutischen Herstellern vereinbart. Dieser eher theoretische Wert entspricht der Anzahl der rabattierten pharmazeutischen Produkte, die gemäß Lauer-Taxe im Mai 2010 als rabattiert ausgewiesen werden, unabhängig davon, ob diese Produkte auch verordnungsrelevant sind. Lediglich knapp ein Prozent, dies sind rund 21.000 Vereinbarungen, sind über patentgeschützte Arzneimittel abgeschlossen. Berücksichtigt man die Versorgungsrelevanz der abgeschlossenen Vereinbarungen anhand der aktuellen Verordnungssituation, ist diese trotz der eher geringen Anzahl an Einzelvereinbarungen gegeben: So sind aktuell 3,7 Mio. rabattierte Verordnungen patentgeschützter Arzneimittel p.a. (Juni 2009 - Mai 2010) zu Lasten der GKV abgerechnet worden. Dies entspricht 6,6 Prozent aller GKV-Verordnungen bzw. 6,4 Prozent der Bruttoausgaben für patentgeschützte Arzneimittel (vgl. Abb. 1).
In der jüngeren Vergangenheit gab es immer wieder Bestrebungen, auch innovative Arzneimittel zum Bestandteil von Rabattverträgen gemäß § 130a Absatz 8 SGB V zu machen. Neben „klassischen“ produktbezogenen Rabattverträgen mit dem Fokus „Preis“ – wie etwa Rabattvereinbarungen im Zuge eines Patentablaufes - werden dabei teilweise auch begleitende Dienstleistungen an Rabatte gekoppelt (sog. Bundling) oder aber definierte Therapieendpunkte (Outcome) in die Vertragsgestaltung integriert.

Mehrwert und Outcome statt Preis im Fokus
Eine reine Orientierung am Preis zeigte sich für Rabattverhandlungen über patentgeschützte Pharmazeutika als nicht zielführend. Da aufgrund der gegebenen Verschiedenartigkeit der Innovationen eine Substitution innerhalb der Apotheke – wie bei generischen Rabattverträgen - nicht möglich ist, kann die Kasse dem Rabattpartner keinen höheren Absatz als Ausgleich für den gewährten Rabatt garantieren. Für die Kopplung von Zusatzleistungen an ein Produkt gilt dies analog. Hier müssen komplexere Mehrwerte für den Rabattpartner (den Hersteller) gefunden werden, um einen solchen Vertrag für beide Parteien interessant erscheinen zu lassen. Das könnte zum Beispiel eine Laufzeit sein, die über den Patentauslauf hinausgeht.
Auch eine Orientierung am Therapieerfolg könnte interessant werden. Ein Beispiel zur Orientierung an Therapieendpunkten ist die Vereinbarung zum Osteoporoseprodukt „Aclasta“, welche der Hersteller Novartis mit den Krankenkassen BARMER GEK sowie DAK als Risk-Share-Vertrag abgeschlossen hat: Das Medikament, das Knochenbrüche vermeiden helfen soll, wird einmal jährlich als Infusion verabreicht. Im Rahmen eines Risk-Share-Vertrags wird das Risiko des Misserfolgs einer Behandlung zwischen Krankenkasse und pharmazeutischem Unternehmen geteilt. Im Misserfolgsfall, also bei einem Knochenbruch, kommt es zu einer Teilkostenübernahme bzw. Erstattung des Arzneimittelpreises. Eine solche Outcome-Orientierung ist nicht bei allen Indikationen trivial, da der Outcome oftmals kaum direkt messbar ist. Damit liegt auch bei diesen Vertragsmodellen ein Hemmschuh für eine breite Umsetzung.

Hauptindikationsbereiche der Rabattverträge über patentgeschützte Arzneimittel
Insbesondere innovative Medikamente zur Diabetes-Therapie sind Bestandteil von Rabattvereinbarungen. Gemessen am aktuellen Verordnungsgeschehen (Juni 2009 bis Mai 2010) haben Arzneimittel aus dem Bereich Diabetes einen Anteil von 68,8 Prozent an den Verordnungen von rabattierten patentgeschützten Arzneimitteln (vgl. Abb. 2). Dies ist der besonderen Situation der Insulinanaloga (ATC3: A10C) geschuldet: Nachdem im Juli 2006 der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) beschlossen hat, dass kurzwirksame Insulinanaloga bei der Behandlung des Typ-2-Diabetes nur in Ausnahmefällen erstattungsfähig sind, haben die Hersteller mit nahezu allen Krankenkassen Rabattverträge abgeschlossen, die eine weitere Verschreibung der Insulinanaloga ermöglichen. Rabattverträge sind in diesem Fall also ein notwendiges Vehikel zur Sicherung des Marktzugangs. Auch für langwirksame Insulinanaloga werden zunehmend dezentrale Verträge abgeschlossen. So haben die Hersteller zu deren Wirkstoffen Insulin Glargin (Lantus, Sanofi-Aventis) und Detemir (Levemir, Novo Nordisk) derzeit bereits 126 resp. 54 Rabattverträge abgeschlossen, die in der Summe jeweils um die 60 Prozent der GKV-Versicherten erreichen. Da laut G-BA-Beschluss vom 14. Juli 2010 diese Wirkstoffe nur noch zu Lasten der Kassen verordnet werden dürfen, wenn keine Mehrkosten im Vergleich zu Humaninsulin entstehen (vgl. BAnz Nr. 103, S. 2422), werden sicherlich weitere Rabattverträge folgen.
Neben den Insulinanaloga stammen rabattierte patentgeschützte Medikamente insbesondere aus dem Verordnungskontext von Blut und blutbildenden Organen sowie des kardiovaskulären Systems. Hier sind es Marktbesonderheiten wie die spezielle Wettbewerbssituation beim Thrombozytenaggregationshemmer Clopidogrel (ATC3: B01C mit 15,9 Prozent) oder im umkämpften Markt der Blutdrucksenker, wo es die unterschiedlichen Sartane (Angiotensin-II Antagonisten; ATC3: C09C mit 4,4 Prozent und C09D mit 4,0 Prozent) sind, die das Bild des Rabattgeschehens unter Patentschutz verordnungsseitig prägen.
Nahezu vergleichbar stellt sich das Bild dar, wenn man die Ausgabenseite fokussiert, jedoch mit ein paar Besonderheiten. Nach Arzneimittelausgaben ist das wichtigste rabattierte, patentgeschützte Produkt das Anti-TNF-Präparat „Enbrel“ von Wyeth, welches u.a. zur Behandlung von rheumatischen Erkrankungen und Psoriasis eingesetzt wird. Knapp 50 Prozent der GKV-Verordnungen dieses Präparats waren im Mai 2010 rabattiert. Patentgeschützte Arzneimittel aus dem onkologischen und nephrologischen Bereich, ein Alzheimer- sowie ein Erythropoetin-Präparat komplettieren die umsatzseitige Übersicht. Tabelle 1 gibt Auskunft über die nach Umsatz wesentlichen patentgeschützten Rabattprodukte (Basis: Juni 2009 bis Mai 2010).

Änderungen des Rabattgeschehens durch das AMNOG
Bislang spielen Rabattvereinbarungen über patentgeschützte Arzneimittel eine eher untergeordnete Rolle. Der geschilderten Rabattsituation im patentgeschützten Markt liegt eine dezentrale Gestaltung zu Grunde: Pharmazeutische Hersteller schließen über § 130a Absatz 8 SGB V mit einzelnen Kassen oder einer Gruppe von Kassen Rabattverträge ab. Mit dem Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG), das voraussichtlich zum 1. Januar 2011 in Kraft tritt, stehen zentrale Vereinbarungen von Erstattungsbeträgen mit dem GKV-Spitzenverband im Fokus (vgl. Abb. 3).
Marktseitig wird es damit ab Ende 2011 vermutlich zu einem Anstieg an Rabattvereinbarungen über patentgeschützte Substanzen kommen, wobei die ersten Auswirkungen erst für 2012 zu erwarten sind. Ob und ggf. wie neben dieser Form der zentralen Vereinbarungen von Erstattungsbeträgen auch komplexere dezentrale Bundle-Verträge (z.B. Kopplung von Rabatten mit begleitenden Dienstleistungen) oder gar outcome-orientierte Vertragskonstrukte (z.B. „Preis-zurück-Garantie“) ihren Weg finden werden, ist derzeit nicht absehbar. Im Sinne einer verbesserten und nicht nur günstigeren Patientenversorgung wären diese Verträge zu begrüßen.
Abschließend bleiben zum AMNOG aus der Perspektive der Versorgungsforschung einige Punkte kritisch zu diskutieren: So ist das Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) nach Einschätzung von Gesundheitsexperten lediglich ein weiteres Kostendämpfungsgesetz. Es wäre aber wichtig, wenn der einzelne Patient und dessen Versorgung in den Fokus der Neuordnung des Arzneimittelmarktes gestellt würden.
AMNOG – ein Rückschritt für die Versorgungsforschung?
Mit dem AMNOG erfährt die Rolle der Versorgungsforschung keine gesetzlich verankerte Aufwertung. So können die Schnellbewertungen von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen nur ohne Berücksichtigung der Versorgung unter Alltagsbedingungen erfolgen, da sich ein Patientennutzen wie -schaden unter Alltagsbedingungen in der Regel erst nach längerer Anwendungszeit zeigt. Und: Kosten-Nutzen-Bewertungen und vertragsbegleitende Versorgungsforschungsstudien gehen nur als optionale und nachgelagerte „Kann“-Klauseln aus dem AMNOG hervor. Hierzu gibt es keinen verpflichtenden Charakter, wodurch eine wesentliche Chance verpasst wurde, Versorgungsforschung verpflichtend für die Hersteller zu machen.
Auch ist vom Gesetzgeber keine Evaluation der mit dem AMNOG neu eingeführten Maßnahmen vorgesehen. Mit dem AMNOG wird demzufolge nicht die dringend notwendige Transparenz zum Versorgungsalltag gefördert, wie sie etwa eine Umsetzung des Paragrafen § 303a-f SGB V zulassen würde, sondern letztlich zusätzliche Intransparenz geschaffen. Dies gilt auch für die Ergebnisse der Verhandlungen zur Erstattung bei gegebenem Zusatznutzen: Denn hierbei ist nicht klar, ob diese Ergebnisse veröffentlicht werden müssen oder nicht. Nur so lässt sich die Wirksamkeit der Maßnahmen wie Rabattvereinbarungen über patentgeschützte Arzneimittel einer detaillierten Bewertung zuführen.
Man kann also konstatieren, dass mit dem AMNOG die Rolle der Versorgungsforschung und deren elementare Forderungen beispielsweise nach Patientenorientierung und Transparenz keine entscheidende Stärkung erfahren werden. Im Sinne einer patientengerechten Ausgestaltung des Gesundheitssystems bedarf es einer profunden Analyse der Versorgungsrealität. So muss die Versorgungsforschung selbstverständliches und kontinuierliches Element der Entscheidungsfindung im Gesundheitswesen werden. <<
Christian Bensing, Dr. André Kleinfeld*