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Rabattverträge zwischen pharmazeutischen Unternehmen und Krankenkassen sind gerade einmal zwei Jahre nach Inkrafttreten des GKV-WSG zu einem etablierten Standard im deutschen Gesundheitswesen geworden. Während im Januar 2008 die Rabattquote noch bei 27,2 Prozent lag, war im Mai 2009 bereits jede zweite Verordnung rabattiert (48,9 Prozent). Hinsichtlich der Ausgaben (nach Apothekenverkaufspreisen – AVP) liegt die Rabattquote mit 24,5 Prozent noch deutlich darunter. Diese Diskrepanz rührt vor allem daher, dass patentgeschützte und damit eher teurere Arzneimittel nach wie vor nur in Ausnahmefällen Bestandteil des Rabattgeschehens sind.

> Zum Mai 2009 waren gerade einmal 4,4 Prozent der Verordnungen im patentgeschützten Bereich rabattiert. Auch ist in diesem Marktsegment in den letzten zwei Jahren kein nennenswerter Anstieg der Rabattanteile zu verzeichnen. Noch immer machen die kurzwirksamen Insulinanaloga einen Großteil der rabattierten Verordnungen im patentgeschützten Bereich aus (88,5 Prozent). Der Anteil rabattierter Originalprodukte, bei denen der Patentschutz ausgelaufen ist, lag im Mai 2009 bei 16,8 Prozent. Dies entspricht 12,4 Prozent der Ausgaben bei Altoriginalen. Die Zahlen legen die Vermutung nahe, dass Rabattverträge in diesem Segment noch nicht als besonders attraktiv empfunden werden. Allerdings waren Ende 2007 gerade einmal 2,6 Prozent aller Altoriginale rabattiert.
Bei Biosimiliars - den Nachfolgeprodukten von Biopharmazeutika, deren Patent abgelaufen ist - ist jede zweite Verordnung und jeder zweite umgesetzte Euro rabattiert. Bei der Interpretation dieser Zahlen ist jedoch zu beachten, dass für dieses Marktsegment lediglich 0,2 Prozent der GKV-Arzneimittelausgaben zu verzeichnen sind.
Das Gros der rabattierten Verordnungen entfällt auf das Generikasegment. 72,1 Prozent aller Generika-Verordnungen waren im Mai 2009 rabattiert. Diese Ziffer enthält noch nicht die jüngst in Kraft getretenen Rabattverträge der Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK) der dritten AOK-Ausschreibungsrunde über 63 Wirkstoffe, die zum 1. Juni 2009 gestartet sind. Und auch die angekündigte Ausschreibung der AOK für die Jahre 2010/2011 wird die Rabattquote vor allem in diesem Marktsegment nochmals steigen lassen.
AOK-Ausschreibung
2010/2011 - über bis zu
94 Wirkstoffe
In einer Vorinformation im Supplement des Amtsblattes der Europäischen Union vom 24. Juni teilte die AOK mit, dass sie zum 17. August ein Vergabeverfahren über bis zu 94 Wirkstoffe und Wirkstoffkombinationen eröffnet. Wie bei der letzten Ausschreibung wird jeder Wirkstoff einem Fachlos entsprechen, für das wiederum fünf Gebietslose gebildet werden. Der geplante Start der neuen Rabattverträge ist der 1. Januar 2010.
Das Volumen der neuen AOK-Ausschreibung ist erneut keinesfalls vernachlässigbar und wird zu weiteren Verwerfungen auf Herstellerseite führen: Im Zeitraum Mai 2008 bis April 2009 wurden knapp 45 Mio. Packungen der 94 Wirkstoffe (exkl. der ausgeschlossenen Darreichungsformen) an AOK-Versicherte verordnet. Dies entspricht einem Ausgabevolumen von ca. 1,5 Milliarden Euro bewertet nach aktuellen Apothekenverkaufspreisen. Zum Vergleich: Das Volumen der 63 Wirkstoffe der letzten AOK-Ausschreibung beträgt ca. 99 Mio. Packungen bei einem Ausgabenvolumen von ca. 2,3 Milliarden Euro. In der neuen vierten Tranche sind demnach tendenziell höherpreisige Wirkstoffe vertreten.
Unter den 94 Wirkstoffen befinden sich 17 der 22 Wirkstoffe, über die aus der zweiten AOK-Ausschreibung Rabattverträge für die Jahre 2008/09 abgeschlossen wurden. Hinzu kommen u. a. mit Clopidogrel und Fentanyl zwei Wirkstoffe, die für jeweils um die 150 Mio. Euro Arzneimittelausgaben innerhalb der AOK stehen, und Pantoprazol, das erst kürzlich generisch geworden ist. Addiert man die Volumina der dritten und vierten Ausschreibung, dann werden 2010 circa 70 Prozent des generikafähigen Marktsegmentes (Generika, Altoriginale und Biosimilars) der AOK unter Rabatt stehen.
Hierbei sind die Sortimentsrabattverträge der einzelnen AOKen noch nicht berücksichtigt (vgl. Abb. 2)
Weitere Ausschreibungen
in den Startlöchern
Auch andere Kostenträger wie KKH Allianz, Deutsche BKK oder spectrum|K – ein Gemeinschaftsunternehmen der Betriebskrankenkassen und ihrer BKK-Landesverbände – haben nennenswerte EU-weite Rabattausschreibungen angekündigt bzw. jüngst veröffentlicht.
Die Techniker Krankenkasse hat z.B. am 15. Juli 2009 eine Ausschreibung über 89 Wirkstoffe bzw. Wirkstoffkombinationen EU-weit platziert, die einem Ausgabevolumen von ca. 465 Millionen Euro entsprechen. Pharmazeutische Unternehmer haben nun bis zum 7. September 2009 Zeit, ihr Angebot für die Lose abzugeben. Der Start der Techniker-Rabattverträge ist für den 1. April 2010 vorgesehen. Das Bundesversicherungsamt (BVA) forderte bereits im März dieses Jahres, Rabattverträge, die ohne Vergabeverfahren geschlossen wurden, zum nächstmöglichen Zeitpunkt zu kündigen und EU-weit neu auszuschreiben. Somit ist davon auszugehen, dass zumindest neue Rabattausschreibungen mit Hilfe eines EU-weiten Vergabeverfahrens umgesetzt werden. Noch gehen nur 4,2 Prozent der rabattierten Verordnungen und gerade einmal 1,7 Prozent des rabattierten Verordnungsumsatzes (nach AVP) auf Ausschreibungen zurück.
Mannigfaltige Kritikpunkte
Trotz der seitens der AOK proklamierten Erfolge bleiben die tatsächlichen Effekte der Rabattverträge unklar. Die Höhe der finanziellen Aufwendungen im Zuge von Rabattverträgen liegt dabei ebenso im Dunkeln wie die Höhe der realisierten Einsparungen, welche die gewährten Rabatte den Krankenkassen bescheren. Aufgrund der teilweise recht unterschiedlichen Ausgangssituationen (deutlich weniger Marktmacht, anders gestaltete Ausschreibungsdetails etc.) kann gemutmaßt werden, dass sich die Rabattverträge hinsichtlich ihrer finanziellen Durchschlagskraft stark unterscheiden. Anders ausgedrückt: Nicht jede Kasse kann in vergleichbarem Maße von Rabattausschreibungen profitieren.
Hiervon unberücksichtigt sind sämtliche anderen kostenrelevanten Faktoren wie Transaktionskosten der Rabattverträge selbst oder aber die Kosten der Sicherstellung der Therapiecompliance auf Seiten der Ärzte und Apotheker. Beispielsweise haben sich in Bayern die AOK und der Landes-apothekerverband auf einen so genannten „Compliance-Bonus“ geeinigt. Dieser beträgt zwischen 0,65 und 1,00 Euro (inkl. MwSt.) pro abgegebenem Rabattvertragsarzneimittel und soll bis zum 31. Dezember 2009 gezahlt werden.Rabattverträge stoßen nicht nur bei vielen Generikafirmen, sondern auch bei anderen Playern im Gesundheitsmarkt aus unterschiedlichen Gründen auf eine negative Resonanz. Jüngst hat beispielsweise das Bundeskartellamt die Rabattverträge der Allgemeinen Ortskrankenkassen als Gefahr für die deutsche mittelständische Generikaindustrie bezeichnet. Das Kartellamt kritisiert, dass die AOKen durch den kollektiven Abschluss von Rabattverträgen Preise erzwingen können, die im marktwirtschaftlichen Wettbewerb nicht möglich wären, das Kartellamt jedoch nicht dagegen vorgehen könne, weil der Gesetzgeber die Krankenkassen in diesem Bereich vom Kartellverbot ausgenommen habe.
Eine andere Kritik zielt darauf ab, dass mit der rein kurzfristigen Kostenorientierung des Systems auf eine nachhaltige Gesundheitsförderung verzichtet werde. Dies führe auf mittel- bis langfristige Sicht zu erhöhten Kostenbelastungen für das Gesundheitssystem, da bestimmte Gesundheitsschäden bei entsprechender Prävention und Förderung (und einer erhöhten Compliance der Patienten) ansonsten vermeidbar wären.
Während einige forschende Arzneimittelhersteller zurzeit unterschiedliche Modelle von Direktverträgen mit einzelnen Kassen testen, bei denen neben Kosteneinsparungen durch Rabatte auch eine Verbesserung der Gesundheitsversorgung der Versicherten avisiert wird, scheinen solche Modelle im Generikabereich noch nicht umfassend angedacht zu werden. Denkbar wären hierbei etwa indikationsbezogene Verträge, die mit zusätzlichen Dienstleistungen im Gesundheitsbereich gekoppelt werden. Dies setzt jedoch die Bereitschaft voraus, neue Kooperationsmodelle einzugehen – sowohl zwischen den Herstellern selbst als auch zwischen Herstellern und anderen Anbietern von Gesundheitsleistungen.
Wenngleich das Rabattvertragsgeschehen mittlerweile von vielen beteiligten Akteuren im Gesundheitsmarkt intensiv verfolgt wird, so fehlt bislang doch in den meisten Fällen eine wissenschaftliche Begleitung. Der Versorgungsforschung kommt hierbei die Aufgabe zu, die unterschiedlichen Formen von Rabatt- und Mehrwertverträgen hinsichtlich Kosten und Nutzen zu evaluieren und auf Basis der Ergebnisse neue Vertragsmodelle zu entwickeln, die auch zu einer Verbesserung der Patientenversorgung beitragen. Rabattverträge haben dahingehend den Weg ein Stück weit geebnet, indem sie Arzneimittelhersteller und Krankenversicherungen in einen stärkeren Dialog gebracht haben. Auf dieser Basis könnte aufgebaut werden, indem weitere Gesundheitspartner an den Verträgen beteiligt werden. An dieser Stelle fehlen bislang aber konkrete Versorgungsforschungs-Projekte. <<
von: Christian Bensing /
Dr. André Kleinfeld

 

Infobox: Kurzwirksame Insulinanaloga
Die Rabattierung der kurzwirksamen Insulinanaloga geht auf eine zurückhaltende Bewertung des therapeutischen Zusatznutzens im Vergleich zu Humaninsulin durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) resp. das IQWiG zurück. Der G-BA hatte im September 2006 entschieden, dass kurzwirksame Insulinanaloga nur noch dann zu Lasten der Krankenkassen verordnet werden dürfen, wenn die Kosten nicht über denen der Therapie mit Humaninsulin liegen. Dies hatte zur Folge, dass zwischen Herstellern und Krankenkassen mehrkostenablösende Rabattverträge im Sinne eines Cost-Sharing abgeschlossen wurden.