Stratifizierte Medizin: Schwierigkeiten und Chancen in der Versorgung
Dem aufmerksamen Beobachter von Gesundheitsthemen wird in jüngster Zeit überproportional häufig der Begriff „Personalisierte Medizin“ begegnet sein. Doch was genau steht dahinter? Ein oberflächlicher Modetrend oder eine Chance für ein unter hohen Kosten ächzendes Gesundheitssystem?
>> Es mag befremdlich klingen, dass in der Schulmedizin kaum „personalisiert“ behandelt werden soll. Jedoch ist das tatsächlich weitläufig der Fall. Tatsächlich ziehen aus diesem Dilemma alternative Therapierichtungen einen beträchtlichen Teil ihrer Akzeptanz, da sie wesentlich stärker als die Schulmedizin den Patienten selbst in den Mittelpunkt von Diagnostik und Intervention stellen. Im Rahmen der Schulmedizin werden hingegen in erster Linie die Krankheiten und erst in zweiter Linie die kranken Patienten behandelt. Bekanntlich sprechen wir von der Behandlung eines Hochdrucks, des Altersdiabetes, eines Brusttumors usw. Der individuelle Patient spielt dabei zunächst eine eher untergeordnete Rolle. Leitlinien, abgeleitet aus der evidenz-basierten Medizin geben die Handlungsoptionen vor.
Das ist alles andere als ein Vorwurf an die verantwortlichen Akteure. Bisher gab es nämlich kaum Möglichkeiten, den individuellen Patienten so in eine Therapieentscheidung mit einzubinden, wie das eigentlich nötig wäre. Denn schließlich gleicht kein Mensch dem anderen. Und bei genauem Hinsehen gibt es auch kaum identische Krankheitsbilder, auch wenn der Name einer Krankheit das suggerieren mag.
Aus diesem Dilemma heraus werden die zur Behandlung einer Krankheit eingesetzten Arzneimittel hinsichtlich ihrer Wirksamkeit und Verträglichkeit statistisch für eine mehr oder weniger große Testpopulation evaluiert. So wird der Wirkstoff zunächst in unterschiedlichsten biochemisch-pharmakologischen Modellen im Reagenzglas oder an einem isolierten Tierorgan wie beispielsweise Herz, Leber oder einem Blutgefäß, dann in verschiedenen Tiermodellen und schließlich an Probanden und Patienten getestet. Dieses gestufte Vorgehen ermöglicht zuverlässige Aussagen zur prinzipiellen Wirksamkeit und Verträglichkeit des Arzneimittels, und nur wenn eine Nutzen-/Risikoabwägung deutlich zu Gunsten der Nutzenseite ausfällt, wird dem Arzneimittel ein Marktzugang über eine Zulassung durch internationale oder nationale Behörden gewährt.Allerdings haben diese Aussagen für den Einzelnen eine gewisse Unschärfe, da sie in Form einer mehr oder weniger ausladenden Gauß’schen Verteilung anfallen.
Daran hat man sich gewöhnt, weil es hierzu keine Alternative gibt. Wählt man allerdings die Testpopulation groß genug, so beobachtet man teils radikale „Ausreißer“, was sowohl für die Betroffenen – unter Umständen aber auch für das Medikament – katastrophal sein kann. Ausschläge in Richtung „Unwirksamkeit“ sind ebenso möglich, wie Ausschläge in Richtung einer individuellen Überdosierung bei prinzipiell korrekter Anwendung, was sich für die Patienten in Unverträglichkeit bis hin zu einer relevanten Toxizität äußert.
Individuelle Abweichungen
Aber wie soll ein Arzt wissen, ob ein Patient, der ein Medikament erhalten soll, das nach einer statistischen Bewertung den meisten, aber keineswegs allen hilft, die an einer bestimmten Krankheit leiden, tatsächlich von dem Medikament profitiert und dieses Medikament auch gut verträgt?
Die Ursachen solcher individueller Abweichungen von der Norm sind Unterschiede in der genetischen Ausstattung der Menschen (Abb. 1 ). Um diese erkennen und deuten zu können, muss der Arzt in die Genome – also direkt in die Erbinformation – der Patienten schauen. Und das ist heute möglich.
Die neuen Verfahren werden als „molekulare Diagnostik“ bezeichnet. Sie bilden die Basis für eine personalisierte, beziehungsweise stratifiziere Medizin mit dem Ziel, eine Gruppe von Patienten, die alle an der gleichen Krankheit leiden, in mindestens drei Untergruppen aufzuteilen: Eine erste Gruppe von Patienten, die tatsächlich von dem Medikament profitieren, eine zweite Patientengruppe, deren Mitglieder aufgrund genetischer Vorgaben von dem Medikament nicht profitieren kann, und eine dritte Gruppe, die bei Gabe des Medikaments deutliche Nebenwirkungen erfahren.
Die Konsequenzen, die sich ergeben werden, wenn dieses technische Potenzial ausgeschöpft wird, werden einem Paradigmenwechsel gleichkommen. Wir werden in absehbarer Zeit einen Wandel erleben; weg von der Behandlung einer Krankheit und hin zur Behandlung eines Patienten mit einer ganz bestimmten genetischen Ausstattung. Und dies ist eine gewaltige Chance für die Patienten, aber auch für das Gesundheitssystem. Denn Patienten mit einem Arzneimittel zu behandeln, das zwar für die Krankheit zugelassen ist, an der der Patient leidet, das aber bei dieser Person aufgrund physiologischer Besonderheiten nicht wirken kann, ist nicht nur unethisch, sondern ist auch eine Verschwendung von Res-
sourcen, die dringend an an-
derer Stelle im System gebraucht werden.
Beispiele
An Beispielen soll erläutert und damit klar gemacht werden, wie wichtig es wäre, Maßnahmen einer stratifizierten Medizin so schnell und so umfassend wie möglich zu implementieren.
Die ersten beiden Beispiele stammen aus dem Problembereich Tumortherapie. Hier geht es darum, genetische Veränderungen im Tumor zu diagnostizieren, um mit dieser Zusatzinformation möglichst gezielt und damit möglichst erfolgreich den Patienten behandeln zu können. Die relevanten Mutationen, die als Biomarker nachgewiesen oder ausgeschlossen werden müssen, wurden von den Tumorzellen erworben und bilden einen Teil des Pathomechanismus der Erkrankung. In den meisten Fällen ist der Nachweis bzw. Ausschluss der Mutation zwingend erforderlich, da die Wirkstoffe, die zur Therapie eingesetzt werden sollen, an stratifizierten Patienten-Kollektiven getestet wurden und die Zulassung ausdrücklich nur in Kombination mit dem Test erteilt wurde. (La Thangue/Kerr, 2011, 587; Peng Soh et al., 2011, 1621; Savonarola et al., 2012, 277)
Beim ersten Beispiel handelt sich um die beiden rekombinanten Antikörper Cetuximab (Erbitux®) und Panitumumab (Vectibix®), die zur Behandlung des Dickdarm- oder Kolon-Karzinoms zugelassen sind. Beide Antikörper blockieren einen Wachstumsfaktorrezeptor – den epidermalen Wachstumsfaktorrezeptor (EGFR) – auf der Oberfläche der Tumorzellen (Abb.2).
Indem sie den Rezeptor besetzen, verhindern die Antikörper, dass die Tumorzellen durch einen Wachstumsfaktor zur ständigen Teilung stimuliert werden. Voraussetzung für den Einsatz dieser beiden Antiköper ist natürlich, dass die Tumorzellen tatsächlich diesen Wachstumsfaktorrezeptor aufweisen, was diagnostisch zu überprüfen ist, bevor die Therapieentscheidung getroffen wird (Nachweis der Target-Expression).
So plausibel dieses Konzept war und ist, so relativ enttäuschend waren die Therapieerfolge, die man mit diesen Antikörpern erzielen konnte. Das Problem, das Tumore mit sich bringen, liegt darin, dass sie genetisch stark verändert sind. Und dies umso mehr, je fortgeschrittener der Tumor ist.
Eine häufig beobachtete Veränderung, gerade auch bei Kolon-Karzinomen, ist die rezeptorunabhängige Aktivierung eines nachgeschalteten Signalwegs. So gerät beispielsweise die Signalweiterleitung außer Kontrolle, wenn ein bestimmtes Gen, das ras-Gen, derart mutiert, dass das entsprechende RAS-„Schalterprotein“ seine Schalterfunktion nicht mehr korrekt ausüben kann, da sich der molekulare Schalter nicht mehr abschalten lässt (siehe Abb. 2c). Es nützt dann nichts mehr, den Wachstumsfaktorrezeptor mit einem der beiden Antikörper zu blockieren, da diese Blockade durch die permanente Aktivierung einer Signaltransduktionskomponente im Inneren der Zelle funktionell ignoriert wird.
Diese Hypothese bestätigte sich in klinischen Studien. Wie vorhergesagt, erwies sich die Behandlung mit den Antikörpern bei den Patienten ohne Mutation im ras-Gen als viel effektiver im Vergleich zur Behandlung von Patienten, deren Tumorzellen ein mutiertes ras-Gen trugen (Karapetis et al., 2008, 1757). Die Zulassungsbehörden reagierten schnell und schränkten den Einsatz der Antikörper auf solche Patienten ein, die an einem Kolon-Karzinom ohne ras-Mutation erkrankt sind. Somit ist der diagnostische Ausschluss einer Mutation im ras-Gen Voraussetzung für den Einsatz der beiden Antikörper Cetuximab (Erbitux®) und Panitumumab (Vectibix®) zur Behandlung eines EGF-Rezeptor positiven Kolon-Karzinoms.
Das zweite Beispiel betrifft den recht neuen Wirkstoff Afatinib (Giotrif®). Afatinib ist ein Tyrosinkinase-Inhibitor, der den Signalweg ausgehend von allen homo- und heterodimeren Formen der ErbB-Familie hemmt. Der Wirkstoff bindet irreversibel an die Rezeptoren ErbB1, HER2 (ErbB2), ErbB3 und ErbB4 und ist zur Erstlinientherapie nur bei solchen Patienten indiziert, die an einem metastasierten nicht-kleinzelligen Bronchialkarzinom (NSCLC) erkrankt sind, deren Tumorzellen eine Mutation in Exon 19 (del19) oder Exon 21 (L858R) des EGF-Rezeptors aufweisen. Diese beiden Mutationen sind so genannte aktivierende Mutationen, die ebenso, wie bei der oben beschriebenen Mutation im ras-Gen dazu führen, dass eine Schalterfunktion dahingehend verloren geht, dass der Schalter permanent eingeschaltet bleibt. Afatinib bindet dann an diesen defekten Schalter und inaktiviert ihn irreversibel.
Um zu verdeutlichen, wie wichtig diese diagnostischen Differenzierungen sind, sind für die beiden Therapien in Tabelle 1 vier fiktive Studienszenarien beschrieben, die die Konsequenz erkennen lassen, wenn auf eine Patientenstratifizierung durch geeignete Bio-marker verzichtet wird.
Jeweils 100 Patienten werden fiktiv behandelt, wobei die Tumorzellen jeweils zu 100% die Zielstruktur für den Wirkstoff exprimieren. Für die Antikörper im ersten Beispiel ist das der epidermale Wachstumsfaktorrezeptor (EGFR), für das niedermolekulare Afatinib sind es Rezeptoren der ErbB-Familie. Das durchschnittliche Ansprechen der Therapie unter optimalen Bedingungen wird jeweils mit 80% angenommen. Die vier Studiengruppen unterscheiden sich in der Aktivierung des primären bzw. des sekundären Targets. Im Falle der Antikörpertherapie muss die Aktivierung eines sekundären Targets, die permanente Aktivierung des ras-Proteins, ausgeschlossen sein, um mit einem klinischen Ansprechen rechnen zu können.
Im Fall der Behandlung mit Afatinib muss hingegen das primäre Target (ein Mitglied der ErbB-Rezeptorfamilie) durch eine Mutation aktiviert sein, um mit einem klinischen Ansprechen rechnen zu können. Wie man unschwer erkennt, sind die beobachteten klinischen Ansprechraten in den vier Studienpopulationen dramatisch verschieden.
Aus diesem einfachen Beispiel lassen sich folgende Schlüsse ziehen:
1. Eine Target-Expression ist nicht zwingend ein Prädiktor für klinisches Ansprechen.
2. Ein schlechtes klinisches Ansprechen bedeutet nicht, dass der Wirkstoff „schlecht“ ist.
Neben diesen erworbenen Biomarkern, die nur in den pathologisch veränderten Zellen exprimiert werden und aus diesen nachgewiesen werden müssen, gibt es aber auch therapierelevante Bio-
marker, die ererbt wurden und daher in allen Zellen vorhanden sind. Diese lassen sich somit auch aus allen Zellen nachweisen. Hier handelt es sich um Mutationen in Genen, die für Proteine kodieren, die keine Relevanz für die Krankheit haben, mit denen ein Wirkstoff aber nach der Einnahme durch den Patienten in Berührung kommen kann. Zu diesen Proteinen gehören Transporter, die zu verhindern versuchen, dass der Wirkstoff ins System gelangt, Transporter, die Wirkstoffe gezielt in bestimmte Zellen hineinschleusen, eine Vielzahl von Entgiftungs- und Inaktivierungsenzymen, Enzyme, die der Regeneration von Cosubstrat-Systemen dienen usw. Häufig werden die eingenommenen Wirkstoffe chemisch verändert, beispielsweise, um sie für die Ausscheidung vorzubereiten. Oder sie werden chemisch verändert, um einen inaktiven Wirkstoff – ein so genanntes Prodrug – im Körper zu aktivieren.
Dazu zwei Beispiele:
Sehr viele niedermolekulare Wirkstoffe werden in der Leber durch Mitglieder der Cytochrom-P450-Enzymfamilie chemisch modifiziert. Dadurch werden die Moleküle in der Regel besser wasserlöslich und können in Folge leichter über die Niere ausgeschieden werden. Ist eine derartige chemische Modifikation für einen bestimmten Wirkstoff nicht möglich, da das notwendige Enzym aufgrund einer Mutation in dem korrespondierenden Gen gar nicht oder in einer inaktiven Form synthetisiert wird, werden die Patienten bei vorschriftsmäßiger Einnahme des Medikaments teils massive Nebenwirkungen verspüren, da der Wirkstoff im Vergleich zur Normalsituation viel zu langsam eliminiert wird. Umgekehrt kann es auch zu einer Amplifikation des Gens für das modifizierende Enzym kommen. Dann wird der Wirkstoff so schnell ausgeschieden, dass keine therapeutische Wirkung erwartet werden kann.
Für eine Reihe von Psychopharmaka wurde dies empirisch untersucht (Abb. 3 ). Die in der Abbildung gezeigten relativen Wirkstoff-Dosen sind äquieffektive Dosen für schlechte Metabolisierer (poor metabolizer/PM), die kein aktives Metabolisierungsenzym besitzen, für intermediäre Metabolisierer (intermediate metabolizer/IM), die nur die Hälfte einer normalen Enzymausstattung besitzen, für normale Metabolisierer (extensive metabolizer/EM), die die normale Enzymausstattung besitzen, und für superschnelle Metabolisierer (ultra rapid metabolizer/UM), die aufgrund einer Genamplifikation eine deutlich zu hohe Enzymausstattung besitzen (Stingle et al., 2013, 273 ).
Bei Kenntnis dieser Besonderheiten lassen sich die Probleme durch eine einfache Dosisanpassung leicht korrigieren (Abb. 4).
Ein zweites Beispiel ist noch eindrucksvoller. Wie man noch gar nicht so lange weiß, ist der alte, zur Behandlung von Brust- und Eierstockkrebs sehr bewährte Wirkstoff Tamoxifen ein Prodrug, also ein Molekül, das erst im Organismus durch verschiedene Vertreter der Gruppe der Cytochrom-P450-Enzyme chemisch in die Wirkform Endoxifen umgewandelt wird. Endoxifen blockiert den Östrogenrezeptor, der, wie der oben erwähnte Wachstumsfaktorrezeptor EGFR beim Kolon-Karzinom, Wachstumssignale vermittelt – hier allerdings bei Mamma- und Ovarialkarzinomen.
Tamoxifen ist bei Frauen indiziert, die nach der Operation eines Tumors, dessen Zellen einen Östrogenrezeptor enthalten, „chemopräventiv“ behandelt werden sollen. Die Idee ist, das Wachstum von Resttumorzellen, die nicht operativ entfernt werden konnten, zu blockieren, indem diesen Zellen die Möglichkeit genommen wird, über den Östrogenrezeptor Wachstumsstimuli in den Zellkern zu senden.
Betroffene Frauen nehmen das Medikament über Jahre ein, und die Strategie ist sehr erfolgreich. Allerdings nicht so erfolgreich, wie das theoretisch zu erwarten wäre. Der Grund liegt, wie man jetzt weiß, darin, dass einige Patientinnen nicht in der Lage sind, das unwirksame Tamoxifen in die Wirkform Endoxifen umzuwandeln. Große, retrospektive Studien haben gezeigt, dass das für diese Frauen fatal ist. Obwohl ihr Tumor den Östrogenrezeptor enthält, hätten diese Frauen seinerzeit wie Patientinnen behandelt werden müssen, deren Tumor den Östrogenrezeptor nicht exprimiert, da sie die aktive Form des blockierenden Wirkstoffs nicht generieren können. Dies belegen Studien an Biopsiematerial bereits verstorbener Patientinnen erschreckend deutlich (Schroth et al., 2009, 1429; Regan et al., 2012, 441). (Abb. 5).
Heute bietet sich mit den so genannten Aromatasehemmern eine deutlich verträglichere alternative Behandlungsoption an. Die Wirkstoffe aus der Gruppe der Aromatasehemmer verhindern, dass die Tumorzellen Östrogen synthetisieren können. Somit kann auch kein Östrogen an den in den Zellen vorhandenen Östrogenrezeptoren binden. So wird durch eine Therapie mit Aromatasehemmern ein ganz analoges Ergebnis erzielt, wie mit einer Tamoxifen-Therapie – eine für die betroffenen Patientinnen unter Umständen lebensrettende Option.
Auf Basis dieser Daten empfiehlt zwischenzeitlich die amerikanische Zulassungsbehörde FDA (Food and Drug Administration) die genetische Testung von Patientinnen, bevor eine Entscheidung zum Einsatz von Tamoxifen getroffen wird. In Europa ist man hier noch deutlich zurückhaltender.
Gendiagnostik erhöht die Effizienz des
Gesundheitssystems
Viele weitere Beispiele ließen sich aufzählen, bei denen heute schon eine Therapie entscheidend optimiert werden könnte. Diagnostik – und erst recht Gendiagnostik – bekommt hier eine neue Qualität: Sie ergänzt das klassische Feld der krankheitsbezogenen Diagnostik durch eine Diagnostik, die Aussagen darüber macht, ob und wie Arzneimittel bei einer bestimmten Krankheit wirken können. Dies ist in der Tat eine völlig neue Qualität der Diagnostik, die in den allermeisten Fällen gänzlich krankheitsunabhängig ist und deren Ziel darin besteht, Patienten zu stratifizieren in eine Gruppe von Respondern, eine Gruppe von Non-Respondern und in eine Gruppe von adversed drug reaction-Respondern.
Als Konsequenz wird die personalisierte/stratifizierte Medizin nicht nur notwendige Therapien für bestimmte Patienten effektiver und verträglicher machen. Sie wird darüber hinaus auch dazu beitragen, die immensen Gelder, die unser Gesundheitssystem mittlerweile verschlingt, effektiver einzusetzen. Hier von einer „Mogelpackung“ zu sprechen, wie dies in kritischen Beiträgen der jüngeren Zeit zu lesen ist, wird der guten Sache nicht gerecht. Da ist es schon korrekter, von einem „Strategiewechsel“ zu sprechen. Ein Strategiewechsel allerdings mit äußerst positiven Aspekten – für den Patienten ebenso wie für das unter immensen Kosten ächzende Gesundheitssystem. <<
>> Es mag befremdlich klingen, dass in der Schulmedizin kaum „personalisiert“ behandelt werden soll. Jedoch ist das tatsächlich weitläufig der Fall. Tatsächlich ziehen aus diesem Dilemma alternative Therapierichtungen einen beträchtlichen Teil ihrer Akzeptanz, da sie wesentlich stärker als die Schulmedizin den Patienten selbst in den Mittelpunkt von Diagnostik und Intervention stellen. Im Rahmen der Schulmedizin werden hingegen in erster Linie die Krankheiten und erst in zweiter Linie die kranken Patienten behandelt. Bekanntlich sprechen wir von der Behandlung eines Hochdrucks, des Altersdiabetes, eines Brusttumors usw. Der individuelle Patient spielt dabei zunächst eine eher untergeordnete Rolle. Leitlinien, abgeleitet aus der evidenz-basierten Medizin geben die Handlungsoptionen vor.
Das ist alles andere als ein Vorwurf an die verantwortlichen Akteure. Bisher gab es nämlich kaum Möglichkeiten, den individuellen Patienten so in eine Therapieentscheidung mit einzubinden, wie das eigentlich nötig wäre. Denn schließlich gleicht kein Mensch dem anderen. Und bei genauem Hinsehen gibt es auch kaum identische Krankheitsbilder, auch wenn der Name einer Krankheit das suggerieren mag.
Aus diesem Dilemma heraus werden die zur Behandlung einer Krankheit eingesetzten Arzneimittel hinsichtlich ihrer Wirksamkeit und Verträglichkeit statistisch für eine mehr oder weniger große Testpopulation evaluiert. So wird der Wirkstoff zunächst in unterschiedlichsten biochemisch-pharmakologischen Modellen im Reagenzglas oder an einem isolierten Tierorgan wie beispielsweise Herz, Leber oder einem Blutgefäß, dann in verschiedenen Tiermodellen und schließlich an Probanden und Patienten getestet. Dieses gestufte Vorgehen ermöglicht zuverlässige Aussagen zur prinzipiellen Wirksamkeit und Verträglichkeit des Arzneimittels, und nur wenn eine Nutzen-/Risikoabwägung deutlich zu Gunsten der Nutzenseite ausfällt, wird dem Arzneimittel ein Marktzugang über eine Zulassung durch internationale oder nationale Behörden gewährt.Allerdings haben diese Aussagen für den Einzelnen eine gewisse Unschärfe, da sie in Form einer mehr oder weniger ausladenden Gauß’schen Verteilung anfallen.
Daran hat man sich gewöhnt, weil es hierzu keine Alternative gibt. Wählt man allerdings die Testpopulation groß genug, so beobachtet man teils radikale „Ausreißer“, was sowohl für die Betroffenen – unter Umständen aber auch für das Medikament – katastrophal sein kann. Ausschläge in Richtung „Unwirksamkeit“ sind ebenso möglich, wie Ausschläge in Richtung einer individuellen Überdosierung bei prinzipiell korrekter Anwendung, was sich für die Patienten in Unverträglichkeit bis hin zu einer relevanten Toxizität äußert.
Individuelle Abweichungen
Aber wie soll ein Arzt wissen, ob ein Patient, der ein Medikament erhalten soll, das nach einer statistischen Bewertung den meisten, aber keineswegs allen hilft, die an einer bestimmten Krankheit leiden, tatsächlich von dem Medikament profitiert und dieses Medikament auch gut verträgt?
Die Ursachen solcher individueller Abweichungen von der Norm sind Unterschiede in der genetischen Ausstattung der Menschen (Abb. 1 ). Um diese erkennen und deuten zu können, muss der Arzt in die Genome – also direkt in die Erbinformation – der Patienten schauen. Und das ist heute möglich.
Die neuen Verfahren werden als „molekulare Diagnostik“ bezeichnet. Sie bilden die Basis für eine personalisierte, beziehungsweise stratifiziere Medizin mit dem Ziel, eine Gruppe von Patienten, die alle an der gleichen Krankheit leiden, in mindestens drei Untergruppen aufzuteilen: Eine erste Gruppe von Patienten, die tatsächlich von dem Medikament profitieren, eine zweite Patientengruppe, deren Mitglieder aufgrund genetischer Vorgaben von dem Medikament nicht profitieren kann, und eine dritte Gruppe, die bei Gabe des Medikaments deutliche Nebenwirkungen erfahren.
Die Konsequenzen, die sich ergeben werden, wenn dieses technische Potenzial ausgeschöpft wird, werden einem Paradigmenwechsel gleichkommen. Wir werden in absehbarer Zeit einen Wandel erleben; weg von der Behandlung einer Krankheit und hin zur Behandlung eines Patienten mit einer ganz bestimmten genetischen Ausstattung. Und dies ist eine gewaltige Chance für die Patienten, aber auch für das Gesundheitssystem. Denn Patienten mit einem Arzneimittel zu behandeln, das zwar für die Krankheit zugelassen ist, an der der Patient leidet, das aber bei dieser Person aufgrund physiologischer Besonderheiten nicht wirken kann, ist nicht nur unethisch, sondern ist auch eine Verschwendung von Res-
sourcen, die dringend an an-
derer Stelle im System gebraucht werden.
Beispiele
An Beispielen soll erläutert und damit klar gemacht werden, wie wichtig es wäre, Maßnahmen einer stratifizierten Medizin so schnell und so umfassend wie möglich zu implementieren.
Die ersten beiden Beispiele stammen aus dem Problembereich Tumortherapie. Hier geht es darum, genetische Veränderungen im Tumor zu diagnostizieren, um mit dieser Zusatzinformation möglichst gezielt und damit möglichst erfolgreich den Patienten behandeln zu können. Die relevanten Mutationen, die als Biomarker nachgewiesen oder ausgeschlossen werden müssen, wurden von den Tumorzellen erworben und bilden einen Teil des Pathomechanismus der Erkrankung. In den meisten Fällen ist der Nachweis bzw. Ausschluss der Mutation zwingend erforderlich, da die Wirkstoffe, die zur Therapie eingesetzt werden sollen, an stratifizierten Patienten-Kollektiven getestet wurden und die Zulassung ausdrücklich nur in Kombination mit dem Test erteilt wurde. (La Thangue/Kerr, 2011, 587; Peng Soh et al., 2011, 1621; Savonarola et al., 2012, 277)
Beim ersten Beispiel handelt sich um die beiden rekombinanten Antikörper Cetuximab (Erbitux®) und Panitumumab (Vectibix®), die zur Behandlung des Dickdarm- oder Kolon-Karzinoms zugelassen sind. Beide Antikörper blockieren einen Wachstumsfaktorrezeptor – den epidermalen Wachstumsfaktorrezeptor (EGFR) – auf der Oberfläche der Tumorzellen (Abb.2).
Indem sie den Rezeptor besetzen, verhindern die Antikörper, dass die Tumorzellen durch einen Wachstumsfaktor zur ständigen Teilung stimuliert werden. Voraussetzung für den Einsatz dieser beiden Antiköper ist natürlich, dass die Tumorzellen tatsächlich diesen Wachstumsfaktorrezeptor aufweisen, was diagnostisch zu überprüfen ist, bevor die Therapieentscheidung getroffen wird (Nachweis der Target-Expression).
So plausibel dieses Konzept war und ist, so relativ enttäuschend waren die Therapieerfolge, die man mit diesen Antikörpern erzielen konnte. Das Problem, das Tumore mit sich bringen, liegt darin, dass sie genetisch stark verändert sind. Und dies umso mehr, je fortgeschrittener der Tumor ist.
Eine häufig beobachtete Veränderung, gerade auch bei Kolon-Karzinomen, ist die rezeptorunabhängige Aktivierung eines nachgeschalteten Signalwegs. So gerät beispielsweise die Signalweiterleitung außer Kontrolle, wenn ein bestimmtes Gen, das ras-Gen, derart mutiert, dass das entsprechende RAS-„Schalterprotein“ seine Schalterfunktion nicht mehr korrekt ausüben kann, da sich der molekulare Schalter nicht mehr abschalten lässt (siehe Abb. 2c). Es nützt dann nichts mehr, den Wachstumsfaktorrezeptor mit einem der beiden Antikörper zu blockieren, da diese Blockade durch die permanente Aktivierung einer Signaltransduktionskomponente im Inneren der Zelle funktionell ignoriert wird.
Diese Hypothese bestätigte sich in klinischen Studien. Wie vorhergesagt, erwies sich die Behandlung mit den Antikörpern bei den Patienten ohne Mutation im ras-Gen als viel effektiver im Vergleich zur Behandlung von Patienten, deren Tumorzellen ein mutiertes ras-Gen trugen (Karapetis et al., 2008, 1757). Die Zulassungsbehörden reagierten schnell und schränkten den Einsatz der Antikörper auf solche Patienten ein, die an einem Kolon-Karzinom ohne ras-Mutation erkrankt sind. Somit ist der diagnostische Ausschluss einer Mutation im ras-Gen Voraussetzung für den Einsatz der beiden Antikörper Cetuximab (Erbitux®) und Panitumumab (Vectibix®) zur Behandlung eines EGF-Rezeptor positiven Kolon-Karzinoms.
Das zweite Beispiel betrifft den recht neuen Wirkstoff Afatinib (Giotrif®). Afatinib ist ein Tyrosinkinase-Inhibitor, der den Signalweg ausgehend von allen homo- und heterodimeren Formen der ErbB-Familie hemmt. Der Wirkstoff bindet irreversibel an die Rezeptoren ErbB1, HER2 (ErbB2), ErbB3 und ErbB4 und ist zur Erstlinientherapie nur bei solchen Patienten indiziert, die an einem metastasierten nicht-kleinzelligen Bronchialkarzinom (NSCLC) erkrankt sind, deren Tumorzellen eine Mutation in Exon 19 (del19) oder Exon 21 (L858R) des EGF-Rezeptors aufweisen. Diese beiden Mutationen sind so genannte aktivierende Mutationen, die ebenso, wie bei der oben beschriebenen Mutation im ras-Gen dazu führen, dass eine Schalterfunktion dahingehend verloren geht, dass der Schalter permanent eingeschaltet bleibt. Afatinib bindet dann an diesen defekten Schalter und inaktiviert ihn irreversibel.
Um zu verdeutlichen, wie wichtig diese diagnostischen Differenzierungen sind, sind für die beiden Therapien in Tabelle 1 vier fiktive Studienszenarien beschrieben, die die Konsequenz erkennen lassen, wenn auf eine Patientenstratifizierung durch geeignete Bio-marker verzichtet wird.
Jeweils 100 Patienten werden fiktiv behandelt, wobei die Tumorzellen jeweils zu 100% die Zielstruktur für den Wirkstoff exprimieren. Für die Antikörper im ersten Beispiel ist das der epidermale Wachstumsfaktorrezeptor (EGFR), für das niedermolekulare Afatinib sind es Rezeptoren der ErbB-Familie. Das durchschnittliche Ansprechen der Therapie unter optimalen Bedingungen wird jeweils mit 80% angenommen. Die vier Studiengruppen unterscheiden sich in der Aktivierung des primären bzw. des sekundären Targets. Im Falle der Antikörpertherapie muss die Aktivierung eines sekundären Targets, die permanente Aktivierung des ras-Proteins, ausgeschlossen sein, um mit einem klinischen Ansprechen rechnen zu können.
Im Fall der Behandlung mit Afatinib muss hingegen das primäre Target (ein Mitglied der ErbB-Rezeptorfamilie) durch eine Mutation aktiviert sein, um mit einem klinischen Ansprechen rechnen zu können. Wie man unschwer erkennt, sind die beobachteten klinischen Ansprechraten in den vier Studienpopulationen dramatisch verschieden.
Aus diesem einfachen Beispiel lassen sich folgende Schlüsse ziehen:
1. Eine Target-Expression ist nicht zwingend ein Prädiktor für klinisches Ansprechen.
2. Ein schlechtes klinisches Ansprechen bedeutet nicht, dass der Wirkstoff „schlecht“ ist.
Neben diesen erworbenen Biomarkern, die nur in den pathologisch veränderten Zellen exprimiert werden und aus diesen nachgewiesen werden müssen, gibt es aber auch therapierelevante Bio-
marker, die ererbt wurden und daher in allen Zellen vorhanden sind. Diese lassen sich somit auch aus allen Zellen nachweisen. Hier handelt es sich um Mutationen in Genen, die für Proteine kodieren, die keine Relevanz für die Krankheit haben, mit denen ein Wirkstoff aber nach der Einnahme durch den Patienten in Berührung kommen kann. Zu diesen Proteinen gehören Transporter, die zu verhindern versuchen, dass der Wirkstoff ins System gelangt, Transporter, die Wirkstoffe gezielt in bestimmte Zellen hineinschleusen, eine Vielzahl von Entgiftungs- und Inaktivierungsenzymen, Enzyme, die der Regeneration von Cosubstrat-Systemen dienen usw. Häufig werden die eingenommenen Wirkstoffe chemisch verändert, beispielsweise, um sie für die Ausscheidung vorzubereiten. Oder sie werden chemisch verändert, um einen inaktiven Wirkstoff – ein so genanntes Prodrug – im Körper zu aktivieren.
Dazu zwei Beispiele:
Sehr viele niedermolekulare Wirkstoffe werden in der Leber durch Mitglieder der Cytochrom-P450-Enzymfamilie chemisch modifiziert. Dadurch werden die Moleküle in der Regel besser wasserlöslich und können in Folge leichter über die Niere ausgeschieden werden. Ist eine derartige chemische Modifikation für einen bestimmten Wirkstoff nicht möglich, da das notwendige Enzym aufgrund einer Mutation in dem korrespondierenden Gen gar nicht oder in einer inaktiven Form synthetisiert wird, werden die Patienten bei vorschriftsmäßiger Einnahme des Medikaments teils massive Nebenwirkungen verspüren, da der Wirkstoff im Vergleich zur Normalsituation viel zu langsam eliminiert wird. Umgekehrt kann es auch zu einer Amplifikation des Gens für das modifizierende Enzym kommen. Dann wird der Wirkstoff so schnell ausgeschieden, dass keine therapeutische Wirkung erwartet werden kann.
Für eine Reihe von Psychopharmaka wurde dies empirisch untersucht (Abb. 3 ). Die in der Abbildung gezeigten relativen Wirkstoff-Dosen sind äquieffektive Dosen für schlechte Metabolisierer (poor metabolizer/PM), die kein aktives Metabolisierungsenzym besitzen, für intermediäre Metabolisierer (intermediate metabolizer/IM), die nur die Hälfte einer normalen Enzymausstattung besitzen, für normale Metabolisierer (extensive metabolizer/EM), die die normale Enzymausstattung besitzen, und für superschnelle Metabolisierer (ultra rapid metabolizer/UM), die aufgrund einer Genamplifikation eine deutlich zu hohe Enzymausstattung besitzen (Stingle et al., 2013, 273 ).
Bei Kenntnis dieser Besonderheiten lassen sich die Probleme durch eine einfache Dosisanpassung leicht korrigieren (Abb. 4).
Ein zweites Beispiel ist noch eindrucksvoller. Wie man noch gar nicht so lange weiß, ist der alte, zur Behandlung von Brust- und Eierstockkrebs sehr bewährte Wirkstoff Tamoxifen ein Prodrug, also ein Molekül, das erst im Organismus durch verschiedene Vertreter der Gruppe der Cytochrom-P450-Enzyme chemisch in die Wirkform Endoxifen umgewandelt wird. Endoxifen blockiert den Östrogenrezeptor, der, wie der oben erwähnte Wachstumsfaktorrezeptor EGFR beim Kolon-Karzinom, Wachstumssignale vermittelt – hier allerdings bei Mamma- und Ovarialkarzinomen.
Tamoxifen ist bei Frauen indiziert, die nach der Operation eines Tumors, dessen Zellen einen Östrogenrezeptor enthalten, „chemopräventiv“ behandelt werden sollen. Die Idee ist, das Wachstum von Resttumorzellen, die nicht operativ entfernt werden konnten, zu blockieren, indem diesen Zellen die Möglichkeit genommen wird, über den Östrogenrezeptor Wachstumsstimuli in den Zellkern zu senden.
Betroffene Frauen nehmen das Medikament über Jahre ein, und die Strategie ist sehr erfolgreich. Allerdings nicht so erfolgreich, wie das theoretisch zu erwarten wäre. Der Grund liegt, wie man jetzt weiß, darin, dass einige Patientinnen nicht in der Lage sind, das unwirksame Tamoxifen in die Wirkform Endoxifen umzuwandeln. Große, retrospektive Studien haben gezeigt, dass das für diese Frauen fatal ist. Obwohl ihr Tumor den Östrogenrezeptor enthält, hätten diese Frauen seinerzeit wie Patientinnen behandelt werden müssen, deren Tumor den Östrogenrezeptor nicht exprimiert, da sie die aktive Form des blockierenden Wirkstoffs nicht generieren können. Dies belegen Studien an Biopsiematerial bereits verstorbener Patientinnen erschreckend deutlich (Schroth et al., 2009, 1429; Regan et al., 2012, 441). (Abb. 5).
Heute bietet sich mit den so genannten Aromatasehemmern eine deutlich verträglichere alternative Behandlungsoption an. Die Wirkstoffe aus der Gruppe der Aromatasehemmer verhindern, dass die Tumorzellen Östrogen synthetisieren können. Somit kann auch kein Östrogen an den in den Zellen vorhandenen Östrogenrezeptoren binden. So wird durch eine Therapie mit Aromatasehemmern ein ganz analoges Ergebnis erzielt, wie mit einer Tamoxifen-Therapie – eine für die betroffenen Patientinnen unter Umständen lebensrettende Option.
Auf Basis dieser Daten empfiehlt zwischenzeitlich die amerikanische Zulassungsbehörde FDA (Food and Drug Administration) die genetische Testung von Patientinnen, bevor eine Entscheidung zum Einsatz von Tamoxifen getroffen wird. In Europa ist man hier noch deutlich zurückhaltender.
Gendiagnostik erhöht die Effizienz des
Gesundheitssystems
Viele weitere Beispiele ließen sich aufzählen, bei denen heute schon eine Therapie entscheidend optimiert werden könnte. Diagnostik – und erst recht Gendiagnostik – bekommt hier eine neue Qualität: Sie ergänzt das klassische Feld der krankheitsbezogenen Diagnostik durch eine Diagnostik, die Aussagen darüber macht, ob und wie Arzneimittel bei einer bestimmten Krankheit wirken können. Dies ist in der Tat eine völlig neue Qualität der Diagnostik, die in den allermeisten Fällen gänzlich krankheitsunabhängig ist und deren Ziel darin besteht, Patienten zu stratifizieren in eine Gruppe von Respondern, eine Gruppe von Non-Respondern und in eine Gruppe von adversed drug reaction-Respondern.
Als Konsequenz wird die personalisierte/stratifizierte Medizin nicht nur notwendige Therapien für bestimmte Patienten effektiver und verträglicher machen. Sie wird darüber hinaus auch dazu beitragen, die immensen Gelder, die unser Gesundheitssystem mittlerweile verschlingt, effektiver einzusetzen. Hier von einer „Mogelpackung“ zu sprechen, wie dies in kritischen Beiträgen der jüngeren Zeit zu lesen ist, wird der guten Sache nicht gerecht. Da ist es schon korrekter, von einem „Strategiewechsel“ zu sprechen. Ein Strategiewechsel allerdings mit äußerst positiven Aspekten – für den Patienten ebenso wie für das unter immensen Kosten ächzende Gesundheitssystem. <<