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Strukturelle Unterschiede bei den Kassen

Nur das Alter der Versicherten alleine ist keine Erklärung höchst unterschiedlicher Diabetiker-Versorgung

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Erstveröffentlichungsdatum: 01.12.2009

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Diabetes ist eine Volkskrankheit und stellt aufgrund der kostenintensiven Therapie und vor dem Hintergrund steigender Prävalenzzahlen die gesetzlichen Krankenversicherungen vor große Herausforderungen. Die Ausgangssituationen der einzelnen Krankenkassen unterscheiden sich jedoch teils erheblich, wie aktuelle Zahlen von INSIGHT Health zur ambulanten medikamentösen Therapie mit Antidiabetika im Allgemeinen wie auch Insulinen im Besonderen zeigen.

> Bei den 20- bis 79-Jährigen beträgt der Anteil der an Diabetes mellitus Typ 2-Betroffenen fast neun Prozent, so die jüngst veröffentlichten Prävalenzzahlen des vierten IDF Diabetes Atlas. Die nationale Prävalenz wird nach Berechnungen des IDF in den nächsten 20 Jahren deutlich auf über zehn Prozent ansteigen (vgl. www.diabetesatlas.org). Diabetes verursacht nicht nur teils große Einschränkungen der Lebensqualität der Betroffenen, sondern auch enorme Kosten. So gilt Diabetes als die teuerste chronische Krankheit in Deutschland: Die direkten Kosten für Diagnose und Behandlung des Diabetes und seiner Folgeerkrankungen werden auf jährlich 14 Milliarden Euro geschätzt (vgl. Pressemeldung ABDA: Jeder achte Apothekenkunde hat erhöhte Blutzuckerwerte, 13.11.2009), ein Großteil entfällt auf die gesetzlichen Krankenversicherungen. Die Behandlung von Diabetikern stellt demnach einen signifikanten Ausgabenblock für die Kranken- resp. Sozialversicherungssysteme dar.
In der ambulanten Versorgung von Patienten mit Antidiabetika bestehen deutliche Unterschiede zwischen den einzelnen gesetzlichen Krankenversicherungen. Dies soll verordnungsseitig anhand der AOKen, den beiden größten Ersatzkrankenkassen BARMER (BEK) und Techniker (TK) sowie der Knappschaft verdeutlicht werden.
Die gewählte Stichprobe umfasst somit knapp 39 Millionen der rund 70 Millionen gesetzlich Versicherten. Dabei entfallen auf die Gruppe der AOKen 24,0 Millionen Versicherte, 6,8 Millionen auf die BEK, 6,3 Millionen auf die TK und 1,7 Millionen auf die Knappschaft (Quelle: dfg / INSIGHT Health). Die Knappschaft ergänzt aufgrund der besonderen Versichertenstruktur mit 59,5 Prozent Rentnern die Stichprobenauswahl. Zum Vergleich: Der durchschnittliche Rentneranteil bei den Ersatzkassen beträgt gerade einmal 24,2 Prozent, bei den AOKen liegt die Rentnerquote bei 31,9 Prozent (Quelle: BMG, 2009).
In einem ersten Schritt soll die Anzahl der im Jahre 2008 mit Antidiabetika therapierten Versicherten (ATC-Gruppe A10 Antidiabetika) einem Vergleich unterzogen werden. Dabei wird auf eine Hochrechnung auf Basis des Patienten Tracking von INSIGHT Health zurückgegriffen. Grundlage der Hochrechnung bilden rund 10 Prozent aller abgerechneten GKV-Rezepte, so dass von einer hinreichenden Repräsentativität der Stichprobe für die Hochrechnung ausgegangen werden kann. Zudem werden die im Rahmen einer Vollerhebung erfassten Antidiabetika-Verordnungen inkl. der damit verbundenen Ausgaben auf Basis der Apothekenverkaufspreise analysiert (Quelle: Nationale Verordnungs-Informationen von INSIGHT Health).

Ungleiche Verteilung der Diabetiker auf die Krankenkassen
Der Anteil der mit Antidiabetika behandelten Versicherten unterscheidet sich deutlich zwischen den Kassen: Während 16 Prozent der Knappschaft-Versicherten 2008 zumindest ein Antidiabetikum verordnet bekamen, waren es lediglich drei Prozent der TK-Versicherten. Bei der AOK bekam gut jeder zehnte Versicherte ein Antidiabetikum verordnet, bei der BEK erhielten knapp sieben Prozent eine Antidiabetika-Verordnung.
Die analysierten Bruttoausgaben – ohne Berücksichtigung von Rabattverträgen, Zuzahlungen u.ä. – betragen 1,2 Milliarden Euro. Dabei ist jedoch keinesfalls eine ausgewogene Verteilung der Ausgaben zwischen den Kassen festzustellen. So entfallen zwar auf einen Versicherten der TK im Durchschnitt mit rund 15 Euro die relativ geringsten Arzneimittelausgaben für Antidiabetika, bei einer Betrachtung der Kosten je behandeltem Versicherten kehrt sich dieses Bild jedoch um: Die Bruttoausgaben je behandeltem TK-Versichertem liegen mit 458 Euro ca. 140 Euro über denen eines AOK-Versicherten (vgl. Abbildung 1). Dies ist sowohl den höheren Ausgaben je Verordnung geschuldet (60 Euro vs. 54 Euro) als auch den höheren Verordnungszahlen (7,7 vs. 5,9 Verordnungen p.a.). Dies deutet darauf hin, dass bei der TK zwar weniger Versicherte an Diabetes leiden, die Betroffenen jedoch deutlich höhere Kosten in der ambulanten medikamentösen Therapie verursachen.
Analysiert man die Untergruppe der Insuline (ATC-Gruppe A10C nach EphMRA), umfasst die Stichprobe rund 1,4 Millionen Versicherte und 7,9 Millionen Verordnungen mit Bruttoausgaben von rund 756 Millionen Euro. Hierbei findet man ein fast analoges Muster zu den Antidiabetika insgesamt, d.h. erhöhte Prävalenzziffern auf Seiten der Knappschaft und der AOK, geringere bei den Ersatzkassen. Rund 39 Prozent der mit Antidiabetika therapierten Versicherten haben 2008 zumindest einmal ein Insulin verordnet bekommen.
Es zeigt sich wiederum, dass die Morbidität der TK-Versicherten zwar geringer ist - nur ein Prozent wird mit Insulinen therapiert -, die Insulinverordnungen jedoch im Durchschnitt teurer sind (TK: 103 Euro vs. AOK: 95 Euro) und auch häufiger (TK: 7,5 vs. AOK: 5,4 Verordnungen p.a.) erfolgen. Die durchschnittlichen Bruttoausgaben p. a. für Insuline bezogen auf die mit Insulinen behandelten Versicherten betragen bei der TK über 776 Euro und damit 264 Euro mehr als bei der AOK. Die Knappschaft besitzt den höchsten Anteil der mit Insulinen therapierten Versicherten: 6,4 Prozent der Versicherten haben 2008 zumindest einmal ein Insulin im Rahmen der ambulanten Therapie verordnet bekommen.
Beeinflussen soziodemo-
grafische Merkmale die Versorgung?
Die Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOKen) wie auch die Knappschaft haben mit ihrem im Durchschnitt älteren Versichertenkollektiv einen erhöhten Anteil an Diabetikern. Andere Krankenkassen wie die untersuchten Ersatzkassen BEK und TK haben eine andere Versichertenstruktur und im Verhältnis weniger Diabetes-Patienten unter ihren Versicherten. Gleichwohl sind die Aufwendungen je Betroffenem bei einer ambulanten Behandlung bei AOK und Knappschaft vergleichsweise gering, wie ein Blick auf die erhöhten Zahlen der TK verrät.
Ein Erklärungsansatz für die erhöhten Aufwendungen der TK für ihre Diabetes-Patienten könnte darin gesehen werden, dass der durchschnittliche TK-Patient zwar in der Regel „gesünder“ und damit kostenneutral ist; falls er jedoch erkrankt, hat er – evtl. durch einen im Durchschnitt höheren Bildungsstand - höhere Ansprüche an seine Therapie bzw. eine höhere Therapie-Compliance und verursacht dadurch vergleichsweise höhere Aufwendungen. Weitere Versorgungsforschungsanalysen könnten sich mit dieser Hypothese auseinandersetzen.

Krankenkassen unterscheiden sich auch hinsichtlich ihrer Diabetes-Programme
Eine Betrachtung des Anteils der Rentner an den Versicherten je Kasse liefert ein erstes Gespür für die teils relevanten soziodemografischen und morbiditätsbedingten Faktoren. Denn neben dem Lebensalter (hier erfasst über den Anteil der Rentner) stehen zahlreiche weitere Größen im Zusammenhang mit Diabetes. Neben erblichen Aspekten und dem diskutierten Bildungsstand spielen Gewicht (Body Mass Index, BMI) und Lebensstil (z. B. Ernährung und sportliche Aktivität) eine Rolle. Die letztgenannten Faktoren sind zumindest teilweise beeinflussbar und damit Ansatzpunkte für präventive Maßnahmen.
Die Krankenkassen wählen in diesem Zusammenhang unterschiedliche Zugangswege zu ihren Diabetes-Patienten: Denn neben entsprechend großflächigen Angeboten wie strukturierten Behandlungsprogrammen (Disease Management Programme, DMP) verfolgt die BEK in ihrer Initiative beispielsweise einen Patientenzugang über mehr als 3.000 Schwerpunkt-
apotheken. Die TK hingegen ist neben dem DMP-Angebot „TK-Plus“ mit einem Online-Angebot wie dem „TK-Diabetescoach“ engagiert. Im Übrigen führt die TK derzeit in Kooperation mit dem Deutschen Diabetes-Zentrum eine wissenschaftliche Studie zur Diabetes-Prävention durch. <<

 

von: Christian Bensing /
Dr. André Kleinfeld*