Innovationstransfer: Von der Forschung zum Patienten“ hieß das Leitthema des diesjährigen Deutschen Kongresses für Versorgungsforschung. Der zum siebten Mal stattfindende Kongress erhielt eine neue stringente Struktur, die neben dem übergreifenden Leitthema nach Themengebieten strukturierte Blöcke (Chirurgie/Klinik, Methodik in der Versorgungsforschung, Spezialthemen der Versorgungsforschung, freie Vorträge) vorsah. In 32 Sitzungen mit 128 eingeladenen Referenten, 7 Sitzungen mit 40 freien Vorträgen und 8 Postersitzungen mit 83 Postern wurden unterschiedlichste methodische und anwendungsorientierte Aspekte der Versorgungsforschung präsentiert und intensiv diskutiert. Ausrichter der in Kooperation mit dem Deutschen Netzwerk Evidenzbasierte Medizin e.V. (E.A.M. Neugebauer) veranstalteten Tagung war die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie (C. Ohmann, K. Bauer) in Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie (K. Dreinhöfer) und der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (N.M. Meenen).
> Das Konzept des VII. Kongresses für Versorgungsforschung – Tagungspräsident war in diesem Jahr Prof. Dr. Christian Ohmann, Koordinierungszentrum für Klinische Studien des Universitätsklinikums Düsseldorf – wurde von den rund 450 Teilnehmern ausgesprochen positiv bewertet. Gleiches galt auch für die Methodenkurse zur Versorgungsforschung, die im Vorprogramm angeboten wurden und ebenfalls guten Zuspruch fanden:
• Methodik der organisationsbezogenen Versorgungsforschung (H. Pfaff)
• Methodik der lebensqualitätsbezogenen Versorgungsforschung (E.A.M. Neugebauer)
• Methodik der epidemiologischen/registerbasierten Versorgungsforschung (G. Glaeske).
Innovationstranfer –
das Leitthema
Wesentlich geprägt wurde der Kongress von dem Leitthema „Innovationstransfer“. Die krankheitsorientierte transnationale Forschung hat den Transfer aus der Grundlagenforschung in die klinische Forschung zum Gegenstand, die Versorgungsforschung den Transfer aus klinischen Studien in die klinische Praxis. Damit ist der Innovationstransfer ein zentrales Thema der Versorgungsforschung, die hier aufgefordert ist, die Lücke zwischen Erkenntnis und Umsetzung zu schließen. In elf Sitzungen zum Leitthema wurden methodische Grundlagen des Innovationstransfers, die Bewertung von Innovationen vor dem Transfer, Innovationen aus Sicht der Pharma- und Medizintechnikindustrie, Innovationen aus Sicht der Patienten sowie ökonomische, ethische und rechtliche Aspekte des Innovationstransfers durch kompetente Referenten präsentiert.
Anhand von verschiedenen konkreten Beispielen wurden die spezifischen Probleme im Innovationstransfer beleuchtet: „Robodoc“, ein Fräsverfahren am coxalen Femur bei Implantationen von Hüftgelenksendoprothesen, Drug Eluting Stents (DES), die Vakuumsversiegelungstherapie und „NOTES“ (Natural Orifice Translumenal Endoscopic Surgery).
Ebenso wurden die wesentlichen Schritte im Innovationstransfer, die Grundlagenforschung, die Produktentwicklung, die Zulassung für den Markt, die Zulassung als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung und die Umsetzung in die Versorgung herausgearbeitet, wobei die Auswirkungen der unterschiedlichen Gesetze und Regelungen (Arzneimittelgesetz, Medizinproduktegesetz, Gemeinsamer Bundesausschuss) auf den Innovationstransfer analysiert wurden.
Eine wesentliche Rolle nahm dabei die Betrachtung der Hürden und Barrieren für den Innovationstransfer ein. Die lebhafte, zum Teil kontroverse Diskussion fokussierte sich auf drei Hauptaspekte, die wesentlich für einen geregelten Innovationstransfer sind:
• Kanalisierung der Einführung von Innovationen,
• Bewertung von Innovationen nach Einführung,
• Bewertung von Innovationen im Langzeitverlauf.
Lebhafte Disskussionen nach den Vorträgen
Im Hinblick auf die Kanalisierung der Einführung von Innovationen wurden unterschiedliche Ansätze präsentiert: Notwendigkeit adäquater klinischer Studien vor Verbreitung in die Routine, eine bedingte Zulassung von Innovationen zum Erkenntnisgewinn, eine Kennzeichnung von Innovationen mit unzureichend beurteilbarer Nutzen-Schaden-Bilanz und die Überwachung der Einführung durch Register. Bei der Bewertung von Innovationen nach Einführung bestand Übersteinstimmung, dass hier die Durchführung geeigneter möglichst randomisierter kontrollierter versorgungsnaher klinischer Studien notwendig ist. Bei Bewertungen im Langzeitverlauf sind geeignete Langzeitstudien, aber auch Register, gefordert. Thematisiert wurde auch die Bedeutung der Finanzierung geeigneter, industrieunabhängiger Studien; hier wurden Beispiele öffentlicher Förderung, von Krankenkassenförderung oder auch von Industriepools präsentiert.
Darüber hinaus wurden ungeklärte Probleme und offene Fragen thematisiert, so z.B. die Finanzierung von Innovationen, die Priorisierung von Innovationen und das Problem des gerechten Zugangs zu Innovationen. Insgesamt wurde die umfassende Betrachtung eines zentralen Themas aus unterschiedlichen Perspektiven als außerordentlich fruchtbar und anregend empfunden. In der Konsequenz wird sich der Deutsche Kongress für Versorgungsforschung auch in den Folgejahren einem Leitthema widmen.
Unabdingbare Methodendiskussion
Die Methodendiskussion nahm auf dem VII. Deutschen Kongress für Versorgungsforschung eine herausragende Stellung ein. Durch die Mitausrichtung des Kongresses durch das Deutsche Netzwerk Evidenzbasierte Medizin e.V. (E.A.M. Neugebauer) wurde auch nach außen dokumentiert, dass sich die Versorgungsforschung methodisch an den Qualitätsmerkmalen der evidenzbasierten Medizin orientiert. Die Methodensitzungen und die Methodenworkshops waren ausnahmslos gut besucht, was den großen Bedarf an methodischer Klärung in dem Feld der Versorgungsforschung demonstriert.
Memorandum III in der Endabstimmung
Durch verschiedene Arbeitsgruppen des Deutschen Netzwerks für Versorgungsforschung wird derzeit ein Memorandum III vorbereitet. Dieses Memorandum umfasst methodische Grundlagen, Methoden organisationsbezogener Versorgungsforschung und Methoden der Lebensqualitätsforschung. Das Memorandum III ist derzeit in der finalen Abstimmung und wird im nächsten Jahr in der Zeitschrift „Das Gesundheitswesen“ publiziert. Ziel des Memorandums „Methoden der Versorgungsforschung“ ist es, die methodischen Grundprinzipien und Mindeststandards darzustellen, die bei der Durchführung und Veröffentlichung von Versorgungsforschungsstudien beachtet werden sollten. Das Memorandum III soll dazu dienen, die methodische Qualität der Versorgungsforschungsstudien zu sichern und für einheitliche Standards auf dem Gebiet der Versorgungsforschung zu sorgen. Von den einzelnen Arbeitsgruppen wurde das Memorandum III in einer methodischen Sitzung des Deutschen Netzwerks für Versorgungsforschung vorgestellt und diskutiert.
Neben dieser Präsentation gab es eine Reihe weiterer wichtiger Sitzungen, die sich mit methodischen Aspekten der Versorgungsforschung befassten. Besonders hervorzuheben sind hier die Sitzungen zu patientenrelevanten Endpunkten, zur Verknüpfung klinischer Forschung und Versorgungsforschung, zur Gesundheitsökonomie, zur Nutzung von Routinedaten für die sektorübergreifende Versorgungsforschung sowie Methoden der Ergebnismessung und qualitative Methoden der Versorgungsforschung. Wesentlichen Raum in der Diskussion nahm einmal mehr die Abgrenzung zwischen klinischer Forschung und Versorgungsforschung ein.
Die wesentliche Aufgabe der Versorgungsforschung, Versorgungsstrukturen und Prozesse und Versorgungskonzepte unter Altersbedingungen mit validen Methoden zu evaluieren, bedarf einer sorgfältigen Wahl des Studiendesigns mit Abwägung aller Vor- und Nachteile. Dabei sollten – wenn möglich und sinnvoll – versorgungsorientierte (quasi-) experimentelle Designs präferiert werden.
Von herausragendem Interesse, auch für die Medien, war die Diskussion zu Placebo-Operationen. In einer Sitzung mit Beteiligung des Studienzentrums der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie (C.M. Seiler) wurden methodische Grundlagen kontrollierter klinischer Studien in der Chirurgie aufgearbeitet und sinnvolle Möglichkeiten zur Verblindung ausgelotet. Von Seiten der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie (H. Bauer) wurde in diesem Zusammenhang die Notwendigkeit zur sinnvollen Erprobung neuer chirurgischer Verfahren im Rahmen klinischer Studien hervorgehoben.
In den diesjährigen VII. Deutschen Kongress für Versorgungsforschung haben sich neben dem Ausrichter, der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie, und dem Mitausrichter, dem Deutschen Netzwerk Evidenzbasierte Medizin e.V., zahlreiche Mitgliedsfachgesellschaften und -institutionen des Deutschen Netzwerks für Versorgungsforschung (H. Pfaff) eingebracht. Damit wurde einmal mehr die Multidisziplinarität der Versorgungsforschung demonstriert. In diesem Sinne hat der VII. Kongress für Versorgungsforschung einen wichtigen Beitrag geleistet, das Profil der Versorgungsforschung weiter zu schärfen. <<
von: C. Ohmann, H. Bauer, E.A.M. Neugebauer, H. Pfaff