Wandel in der Versorgung durch Direktverträge in Zusammenschau mit der Verflechtung von Leistungssektoren
Prof. Dr. iur. Dr. med. Alexander P. F. Ehlers / Dr. Horst Bitter
Die Kranken- und Gesundheitsversorgung ist und wird im zunehmenden Maße durch Direktverträge geprägt werden. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Leistungserbringer Direktverträge mit den ihnen zur Verfügung gestellten weiteren Instrumentarien nutzen, um die Sektorengrenze zu überwinden. Aus Sicht der Patienten mag es ein großer Vorteil ein, dass ein- und dieselben Ärzte die vor- und nachstationärer Behandlung sowie die stationäre Behandlung selbst durchführen. Auch für die Leistungserbringer im Gesundheitswesen können sich qualitative Verbesserungen und die Erschließung von Effizienzreserven ergeben. Damit erscheint der Ansatz, im Wege des Wettbewerbs und der Durchbrechung althergebrachter Strukturen das System der gesetzlichen Krankenversicherung zu verbessern sowie finanziell zu konsolidieren, erfolgversprechend.
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Erstveröffentlichungsdatum: 23.09.2012
Abstrakt: Wandel in der Versorgung durch Direktverträge in Zusammenschau mit der Verflechtung von Leistungssektoren
Die Kranken- und Gesundheitsversorgung ist und wird im zunehmenden Maße durch Direktverträge geprägt werden. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Leistungserbringer Direktverträge mit den ihnen zur Verfügung gestellten weiteren Instrumentarien nutzen, um die Sektorengrenze zu überwinden. Aus Sicht der Patienten mag es ein großer Vorteil ein, dass ein- und dieselben Ärzte die vor- und nachstationärer Behandlung sowie die stationäre Behandlung selbst durchführen. Auch für die Leistungserbringer im Gesundheitswesen können sich qualitative Verbesserungen und die Erschließung von Effizienzreserven ergeben. Damit erscheint der Ansatz, im Wege des Wettbewerbs und der Durchbrechung althergebrachter Strukturen das System der gesetzlichen Krankenversicherung zu verbessern sowie finanziell zu konsolidieren, erfolgversprechend.
Abstract: Changes in the healthcare sector and the integration of the health care spectrum
The health care system is affected more and more by selective contractual agreements. This applies specifically to contractual agreements, by which the divide between in-patient and out-patient care is deregulated. From a patients view it is beneficial when the physician responsible for the treatment carries out the medical examination before and after the treatment as well. Furthermore health service providers are enabled to generate more quality and efficiency. Therefore it is promising that competition in the health care sector leads to improvement in the statutory health insurance and to more cost-effectiveness.
Schlüsselbegriffe
Direktverträge, Strukturwandel., Verflechtung von Leistungssektoren
Literatur
>> Insoweit gibt das in § 12 Absatz 1 SGB V geregelte Wirtschaftlichkeitsgebot einen Anhaltspunkt. Dort heißt es: „Die Leistungen müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen.“ Diese Norm verdeutlicht, dass die Kranken- und Gesundheitsversorgung bzw. das System der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zumindest auch vom Anspruch der Versicherten bzw. der zu erbringenden Leistung ausgehend definiert wird. Dabei wirkt § 12 Absatz 1 Satz 1 SGB V als Grundnorm des Leistungsrechts nicht nur anspruchsbegründend, sondern auch anspruchsbegrenzend (vgl. Engelhard, in: Juris Praxiskommentar, SGB V, § 12 Rdn. 14 und 18). Wenn von Ansprüchen die Rede ist, muss auch über Kosten gesprochen werden. Angesichts der regelmäßig aufgezeigten demographischen Entwicklung der Bevölkerung und dem kostenintensiven medizinischen Fortschritt ist die Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung eine der gegenwärtig bedeutsamen zu lösenden Aufgaben. „Naturgemäß“ gibt es finanzielle Grenzen und im Rahmen von § 12 Absatz 1 SGB V ist aus juristischer Sicht festzustellen, dass es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist, wenn die gesetzlichen Krankenversicherungen den Versicherten Leistungen nach Maßgabe eines allgemeinen Leistungskatalogs unter Einhaltung des dort normierten Wirtschaftlichkeitsgebots anbieten (vgl. Engelhard, a.a.O., § 12 Rdn. 24 m. w. N.). Andererseits ist die Gesundheit ein grundlegendes Rechtsgut, das allen Menschen erhalten werden soll und dementsprechend Priorität genießt. Im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP für die 17. Legislaturperiode heißt es: „Wir wollen, dass auch in Zukunft alle Menschen in Deutschland unabhängig von Einkommen, Alter, sozialer Herkunft und gesundheitlichem Risiko weiterhin die notwendige medizinische Versorgung qualitativ hochwertig und wohnortnah erhalten und alle am medizinischen Fortschritt teilhaben können“ (Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP, 17. Legislaturperiode, Ziffer 9.1, Seite 85). Um die Finanzierbarkeit des Gesundheitswesens zu gewährleisten bzw. die „Unterfinanzierung“ auszugleichen, kann aus ökonomischer Sicht beispielsweise an die Anhebung des Beitragssatzes, die Erhebung von Zuzahlungen und/oder die Erhöhung des steuerfinanzierten Zuschusses gedacht werden; auch werden „Priorisierung und Rationierung als Methoden zur Sicherstellung einer bedarfsgerechten Versorgung“ diskutiert (vgl. Beske, Bedarfsgerechte Gesundheitsversorgung bei begrenzten Mitteln, Seite 5, 15 ff). Ein weiterer Ansatz, eine qualitativ hochwertige, dem medizinischen Standard entsprechende Versorgung in einem adäquaten finanziellen Rahmen zu gewährleisten, ist es, Effizienzreserven durch organisatorische strukturelle Veränderungen herbeizuführen. Auch diesen Weg beschreitet der Gesetzgeber seit vielen Jahren, beispielsweise durch die an dieser Stelle zu diskutierenden Direktverträge. Diese haben selbstverständlich einen maßgeblichen – rechtlich wie tatsächlich – Einfluss auf die Versorgungssituation. Direktverträge stehen – unbeschadet der parallelen Existenz beider Ansätze – einer kollektivvertraglichen Versorgung nahezu diametral entgegen und sind geeignet, einen Strukturwandel im Gesundheitswesen bzw. der Gesundheitsversorgung herbeizuführen. Die Frage, ob auf diese Art und Weise de facto Kosten eingespart werden, muss an dieser Stelle ebenso dahinstehen. Ein wettbewerblicher Ansatz, wie er mit Direktverträgen verfolgt werden kann, wenn sie nicht allen Leistungserbringern offen stehen, scheint aber grundsätzlich geeignet, Effizienz, Qualität und Kostensenkung der Versorgung zu steigern. Direktverträge sind aber nur eines der beiden besonders wichtigen vom Gesetzgeber vorgehaltenen organisatorischen Elemente, die die Krankenversorgung nachhaltig bzw. strukturell verändern können. Das weitere Element ist die vom Gesetzgeber ebenfalls seit vielen Jahren vorangetriebene Verflechtung der Leistungssektoren bzw. die „Aufweichung“ der Grenzen zwischen ambulanter und stationärer Versorgung. Diese Aufhebung der Sektorengrenze in Zusammenschau mit der Einführung von Direktverträgen soll nachfolgend näher beleuchtet werden. Es zeigt sich, dass aus der Kombination von Direktverträgen und der Verflechtung der Leistungssektoren das System der gesetzlichen Krankenversicherung strukturell verändert werden kann mit nachhaltigem Einfluss auf die Versorgungsstruktur. Die Versorgung der in der gesetzlichen Krankenversicherung befindlichen Versicherten erfolgt nach wie vor hauptsächlich im Rahmen der kollektivvertraglich geregelten Versorgung. Parallel hat der Gesetzgeber im Rahmen mehrerer Reformvorhaben das auf Wettbewerb ausgerichtete System der Direktverträge eingeführt. Beide im Ansatz und Ausgangspunkt recht unterschiedlichen Konzepte werden parallel „gelebt“, so dass von einem dualen System gesprochen werden kann (vgl. Ehlers/Bitter, Rechtliche Rahmenbedingungen für Direktverträge, Seite 211). Kollektivvertragliche Versorgung Am historischen Anfang der gesetzlichen Krankenversicherung war der Einzelvertrag der Regelfall. Seinerzeit waren die Ärzte auf Vertragsabschlüsse angewiesen, die wirtschaftliche und berufliche Abhängigkeit der Ärzte von den Krankenkassen war immens. Ab dem Jahre 1932 schrieb der Gesetzgeber Kollektivverträge zwingend vor. Das Einzelvertragssystem wurde durch das uns heute noch bekannte Kollektivvertragssystem mit Errichtung von Kassenärztlichen Vereinigungen als Vertragspartnern der Krankenkassen abgelöst. Die Berechtigung zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung war seither von einer Zulassung abhängig. Gegenwärtig ist die ambulante vertragsärztliche Versorgung (noch) durch Kollektivverträge geprägt. Klassisches Merkmal des Kollektivvertragssystems in der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung ist die „Vierecksbeziehung“. Diese lässt sich vereinfacht grafisch wie folgt darstellen (Abb. 1). Diese „Vierecksbeziehung“ besteht aus den beteiligten Vertragsärzten, Kassenärztlichen Vereinigungen, denen der Sicherstellungsauftrag obliegt, den Krankenkassen und den Versicherten. Die Krankenkassen haben gegenüber den Vertragsärzten keinen Anspruch auf Leistung. Umgekehrt haben die Vertragsärzte gegenüber den Krankenkassen keinen Honoraranspruch. Diesen haben sie vielmehr gegenüber den jeweiligen Kassenärztlichen Vereinigungen, bei denen eine Pflichtmitgliedschaft besteht. Die Krankenkassen und die Kassenärztlichen Vereinigungen wiederum sind durch Kollektivverträge gebunden. Im Rahmen der Direktverträge stellen sich die Leistungsbeziehungen naturgemäß anders dar. Direktverträge Im Zuge eines vom Gesetzgeber sukzessive angestrebten Systemwandels in der Gesundheitsversorgung hat dieser das Recht der Direktverträge im Rahmen einer Stufengesetzgebung zunehmen perfektioniert. An dieser Stelle sei nur auf das GKV-Modernisierungsgesetz (GMG) vom 14.11.2003, das Gesetz zur Änderung des Vertragsarztrechts und anderer Gesetze (Vertragsarztrechtsänderungsgesetz – VÄndG) zum 01.01.2007 und an das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG) zum 01.04.2007 erinnert. Als Beispiele von Direktverträgen seien die integrierte Versorgung, §§ 140 a ff. SGB V, freiwillige Rabattverträge gemäß § 130 a Abs. 8 SGB V, die Hausarztzentrierte Versorgung gemäß § 73 b SGB V und die ambulante Behandlung im Krankenhaus nach § 116b Abs. 1 SGB V erwähnt. Die Intention des Gesetzgebers geht unter anderem hin zu einer Einführung und Intensivierung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung. Bei einem Direktvertrag können sich die Rechtsbeziehungen auf drei Beteiligte reduzieren, was sich grafisch vereinfacht wir folgt darstellt (Abb. 2). Bei diesem zugegebenermaßen vereinfachten Modell entfällt die Zwischenschaltung der Kassenärztlichen Vereinigungen. Der Sicherstellungsauftrag geht auf die Krankenkassen über. Es liegt aber auf der Hand und findet sowohl im SGB V als auch in der Praxis seinen Niederschlag, dass die Krankenkassen zumindest nicht nur mit „einzelnen, zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Ärzten und Zahnärzten“, sondern auch „deren Gemeinschaften“ sowie sonstigen „größeren Einheiten“ – wie beispielsweise Managementgesellschaften – Verträge abschließen können (vgl. nur § 140b Abs. 1 SGB V). Das auch historisch begründete Erfordernis der Bündelung des Angebots der Versorgungsleistungen steht praktisch wie rechtlich außer Frage und mag für die Kassenärztlichen Vereinigungen in der Form von Dienstleistungsgesellschaften auch eine Funktion in einem zukünftig möglicherweise ausschließlich vertraglich geregelten System gewährleisten. Im Bereich der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung ist für die Teilnahme an Direktverträgen die vertragsärztliche Zulassung nach § 95 SGB V erforderlich. Im Bereich der Hilfsmittel hat der Gesetzgeber (bereits) auf das Erfordernis der Zulassung verzichtet und diese durch die Notwendigkeit des Abschlusses von Versorgungsverträgen ersetzt (§§ 126 ff. SGB V). Verflechtung der Sektoren Das zweite wesentliche Element, mit dem der Gesetzgeber in Deutschland beabsichtigt, einen Strukturwandel herbeizuführen, ist die Erhöhung der Transparenz zwischen den Sektoren stationärer und ambulanter Behandlung. Dies wird die Krankenversorgung nachhaltig verändern, da Patienten von denselben Ärzten sowohl ambulant wie stationär behandelt werden können. Der Gesetzgeber erhofft sich durch die Nutzung der personellen wie sachlichen Ressourcen der stationären Institutionen eine verbesserte qualitative und ggf. auch kostengünstigere Versorgung der gesetzlich Versicherten. Drei Rechtsinstitute sollen nachfolgend beschrieben werden, die deutlich werden lassen, dass sich die Krankenversorgung durch den geplanten Strukturwandel des Gesetzgebers gerade aus Sicht des Patienten nachhaltig für diesen verändern kann, wenn „am Markt“ unbeschadet des dualen Systems die Gesetzvorhaben Realität werden. Ambulantes Operieren im Krankenhaus § 115b SGB V Gemäß § 115b SGB V besteht die Option, zugunsten von zugelassenen Krankenhäusern im Wege eines Vertrages diesen den Leistungsbereich der ambulanten Operationen und sonstigen stationsersetzenden Eingriffe zu ermöglichen. Es handelt sich um einen Normvertrag gemäß § 115b Abs. 1 SGB V der gemeinsamen Selbstverwaltung auf Bundesebene, der neben der Eingriffkatalogisierung eine einheitliche Vergütung und Maßnahmen zur Sicherung der Qualität umfassen soll. Vertragspartner der dreiseitigen Vereinbarung sind der Spitzenverband Bund der Krankenkassen, die Deutsche Krankenhausgesellschaft oder die Berufsverbände der Krankenhausträger gemeinsam und die Kassenärztlichen Bundesvereinigungen. Wesentliche Vereinbarung ist der AOP-Vertrag (ambulantes Operieren im Krankenhaus) einschließlich des AOP-Kataloges und der Qualitätssicherungsvereinbarung. Ambulante Behandlung im Krankenhaus § 116b SGB V Neben der in § 115b SGB V geregelten Möglichkeit ambulant durchführbarer Operationen und sonstiger stationsersetzender Eingriffe eröffnet § 116b SGB V die Durchführung ambulanter Behandlungen im Krankenhaus. Dabei sind im Rahmen von § 116b SGB V zwei unterschiedliche Varianten zu unterscheiden. § 116b Abs. 1 SGB V: Kombination mit DMP Nach § 116b Abs. 1 SGB V können Krankenkassen oder ihre Landesverbände mit zugelassenen Krankenhäusern, die an der Durchführung von Disease-Management-Programmen nach § 137 g SGB V teilnehmen, Verträge über die ambulante ärztliche Versorgung schließen. Voraussetzung ist aber, dass in den Verträgen zu den Disease-Management-Programmen entsprechende Anforderungen an die ambulante Leistungserbringung gestellt werden. Bei Kombination der Institute Direktvertrag und Aufhebung der Sektorengrenzen wird eine neue Versorgungssituation geschaffen. Vertragliche Strukturen und die Einbeziehung von Krankenhäusern in die ambulante ärztliche Versorgung bilden eine innere Einheit bei der vom Gesetzgeber letztlich angestrebten Modernisierung. Der Rückgriff auf Verträge ermöglicht den Übergang zu Wettbewerb, z. B. mit Einkaufsmodellen, Case-Management und flexiblen Versorgungsformen. Das System der nachrangigen Teilnahme von Krankenhäusern an der ambulanten Versorgung – zuvor vor allem im Wege der Ermächtigung – wird umgestaltet. Aufgrund der Anbindung an Disease-Management-Programme ist an dieser Stelle gewährleistet, dass die ambulante Leistungserbringung im Krankenhaus nicht zum Regelfall wird. § 116b Abs. 2 SGB V: Spezifischer Katalog zur ambulanten Behandlung im Krankenhaus Letzteres gilt auch im Bereich der in § 116b Abs. 2 SGB V geregelten Fallkonstellation. Danach kann ein zugelassenes Krankenhaus zur ambulanten Behandlung katalogartig erfasster hochspezialisierter Leistungen, seltener Erkrankungen und Erkrankungen mit besonderen Krankheitsverläufen, bestimmt werden, wenn es einen entsprechenden Antrag stellt. Der Katalog zur ambulanten Behandlung ist in § 116b Abs. 3 SGB V geregelt und kann durch den Gemeinsamen Bundesausschuss ergänzt werden, § 116b Abs. 4 SGB V. Die in § 116b Abs. 2 SGB V geregelte Alternative scheint aus dem vorliegenden Zusammenhang herauszufallen, da es sich ja eben nicht um einen Direktvertrag handelt. Interessant ist aber, dass ursprünglich auch im Bereich von § 116b Abs. 2 SGB V vorgesehen war, dass Krankenkassen mit zugelassenen Krankenhäusern Verträge über die ambulante Erbringung katalogartig erfasster hochspezialisierter Leistungen abschließen. Nachdem die Krankenkassen aber von der Möglichkeit zum Vertragsabschluss in dieser Konstellation keinen Gebrauch gemacht haben, hat der Gesetzgeber mit dem GSK-WSG eine Änderung dahingehend vorgenommen, dass nunmehr auf entsprechenden Antrag des Krankenhausträgers die Landesbehörde ein zugelassenes Krankenhaus zur ambulanten Behandlung „bestimmen“ kann. Über die Gründe bzw. Motive, die seinerzeit nicht zu freiwilligen Vertragsabschlüssen geführt haben, soll an dieser Stelle nicht spekuliert werden. In jedem Fall wird deutlich, dass die Einführung eines „Direktvertragssystems“ mit Aufhebung der Sektorengrenze durchaus auf Schwierigkeiten treffen kann. Integrierte Versorgung, MVZ, Teilzulassung, Vertragsarzt auch Krankenhausarzt Unbeschadet der vorstehenden Regelungen hat der Gesetzgeber zugelassenen Krankenhäusern weitergehende Möglichkeiten eröffnet, durch die Kombination von integrierter Versorgung, der Gründung von Medizinischen Versorgungszentren und der Beschäftigung von ein und denselben Ärzten sowohl im stationären wie auch im ambulanten Bereich, die Sektorengrenze altbekannter Art aufzuheben. Die einzelnen Elemente dieser Option und deren Kombination stellt sich wie folgt dar: Integrierte Versorgung Das Rechtsinstitut der integrierten Versorgung ist geregelt in den §§ 140a ff. SGB V. Das Gesetz enthält in § 140a Abs. SGB V keine ausführliche Beschreibung der integrierten Versorgung. Es beschreibt den Kern der integrierten Versorgung, demzufolge Krankenkassen mit abschließend in § 140b SGB V aufgezählten Vertragspartnern „Verträge über eine verschiedene Leistungssektoren übergreifende Versorgung der Versicherten oder eine indisplinär-fachübergreifende Versorgung“ abschließen können. Krankenhäuser bzw. deren Träger sind potenzielle Vertragspartner der integrierten Versorgung, § 140b Abs. 1 Ziff. 2 SGB V. Medizinisches Versorgungszentrum Die gesetzliche Definition des Medizinischen Versorgungszentrums lautet gemäß § 95 Abs. 1 S. 2, 3 SGB V: „Medizinische Versorgungszentren sind fachübergreifende ärztlich geleitete Einrichtungen, in denen Ärzte, die in das Arztregister nach Absatz 2 S. 3 eingetragen sind, als angestellte oder Vertragsärzte tätig sind.“ Medizinische Versorgungszentren nehmen an der ärztlichen Versorgung teil, § 95 Abs. 1 S. 1 SGB V. Im vorliegenden Zusammenhang ist von Interesse, dass unter anderem Krankenhäuser zu den gründungsberechtigten Leistungserbringern zählen. Nach einer Veröffentlichung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung aus dem Jahre 2010 wurden bis dato insgesamt 1.206 Medizinische Versorgungszentren gegründet, 451 von Krankenhäusern (KBV, Medizinische Versorgungszentren, Seite 2). Die Motivation aus Krankenhaussicht, ein Medizinisches Versorgungszentrum zu gründen, ist erheblich. Zum einen steigt der Wettbewerbsdruck auf dem stationären Sektor u. a. im Zusammenhang mit der DRG-Einführung sowie steigenden Personalkosten. Die nachfolgend noch beschriebene Möglichkeit der gleichzeitigen Tätigkeit von angestellten Ärzten im Krankenhaus und im MVZ ermöglicht zudem die Eröffnung neuer Geschäftsfelder. Letztlich verbessern sie auch ihre Wettbewerbssituation im Vergleich zu anderen Wettbewerbern im stationären Sektor. Teilzulassung, Vertragsarzt als Krankenhausarzt Die Institute „integrierte Versorgung“ und „Medizinisches Versorgungszentrum“ sind in Zusammenschau mit zwei wesentlichen Änderungen der Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (Ärzte-ZV) aufgrund des VÄndG zu sehen. Nicht zuletzt aufgrund zweier maßgeblicher Änderungen der Ärzte-ZV ist den Krankenhäusern die Möglichkeit eröffnet worden, über die integrierte Versorgung mittels MVZ in den ambulanten Sektor vorzudringen, ohne dass wirklich einschränkende Kriterien, wie sie in den §§ 115b, 116b SGB V geregelt sind, ausgemacht werden können. Es handelt sich zum einen um die Erlaubnis, dass Vertragsärzte auch als angestellte Krankenhausärzte arbeiten können (§ 20 Abs. 2 S. 2 Ärzte-ZV), zum anderen um die Möglichkeit, dass Vertragsärzte berechtigt sind, ihre Versorgungsaufträge auf die Hälfte des Versorgungsauftrages zu beschränken (§ 19 a Ärzte-ZV). Es war ein vom Bundessozialgericht begründeter Grundsatz, dass sich die gleichzeitige Tätigkeit als Vertragsarzt und als angestellter Krankenhausarzt aufgrund der Gefahr einer Interessenkollision ausschließen. Das Bundessozialgericht hat mit Urteil vom 05.11.1997, Az. 6 RKa 52/97 (abgedruckt in NJW 1998, S. 3442 f.), ausgeführt, dass sich Patienten bzw. Versicherte nach Beendigung der stationären Behandlung „genötigt“ sehen könnten, die sich anschließende ambulante Behandlung bei ihren konkret behandelnden und gleichzeitig zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Krankenhausärzten fortzusetzen. Auch sei die Gefahr auszumachen, dass Ärzte aus nicht sachgerechten Gründen Behandlungsschritte vom stationären in den ambulanten Sektor und umgekehrt verlagerten. Diese Rechtsprechung des Bundessozialgerichts war ein Hindernis für die Gründung von Medizinischen Versorgungszentren durch Krankenhausträger, das mit dem VÄndG mit Wirkung zum 01.01.2007 beseitigt worden ist (vgl. Bäune/Meschke/Rothfuß, Kommentar zur Zulassungsverordnung, § 20 Rdn. 24 ff.). In § 20 Abs. 2 S. 2 Ärzte-ZV heißt es: „Die Tätigkeit in oder die Zusammenarbeit mit einem zugelassenen Krankenhaus nach § 108 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch oder einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung nach § 111 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch ist mit der Tätigkeit des Vertragsarztes vereinbar.“ Die Möglichkeit sowohl als zugelassener Vertragsarzt als auch als angestellter Krankenhausarzt tätig zu sein, wäre natürlich wertlos, wenn einem Vertragsarzt nicht genug Zeit verbliebe, um als angestellter Krankenhausarzt tätig sein zu können. Um hier ggf. Abhilfe zu schaffen, ist nunmehr in § 19 a Abs. 2 Ärzte-ZV geregelt, dass die Berechtigung des Arztes besteht, „durch schriftliche Erklärung gegenüber dem Zulassungsausschuss seinen Versorgungsauftrag auf die Hälfte des Versorgungsauftrages nach Absatz 1 zu beschränken.“ Fazit Die vorstehenden Ausführungen verdeutlichen, wie nachhaltig die Kranken- und Gesundheitsversorgung bei zunehmender Nutzung der vom Gesetzgeber zur Verfügung gestellten Instrumentarien der Direktverträge und der Institute, die die Aufhebung der Sektorengrenze ermöglichen, verändert werden können. Aus Sicht der Patienten kann es ein großer Vorteil sein, dass die vor- und nachstationäre Behandlung sowie die stationäre Behandlung selbst durch ein und dieselben Ärzte durchgeführt wird. Das System der gesetzlichen Krankenversicherung insgesamt kann darüber hinaus durch diese Institute Vorteile in den Bereichen Qualität und Erschließung von Effizienzreserven haben. Voraussetzung ist aber, dass die Möglichkeit der Direktverträge und die Durchbrechung der Sektorengrenze in der Praxis auch erfolgt. Abzuwarten bleibt die weitere Tätigkeit des Gesetzgebers. Die Signale im Koalitionsvertrag sind vielschichtig. Dort heißt es unter Anderem: „Wir wollen, dass das allgemeine Wettbewerbsrecht als Ordnungsrahmen grundsätzlich auch im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung Anwendung findet … Die Freiberuflichkeit der ärztlichen Tätigkeit ist ein tragendes Prinzip unserer Gesundheitsversorgung und sichert die Therapiefreiheit … Medizinische Versorgungszentren (MVZ) sollen nur unter bestimmten Voraussetzungen zugelassen werden. Der Prozess einer besseren Verzahnung der Sektoren wird fortgesetzt. Dabei ist es unser Ziel, das bestehende Belegarztsystem beizubehalten und zu stärken. Das Verfahren, das die Zulassung von Krankenhäusern zur ambulanten Versorgung bei hochspezialisierten Leistungen, seltenen Erkrankungen und Erkrankungen mit besonderen Krankheitsverläufen regelt, wird kritisch überprüft und gegebenenfalls präzisiert …“ (Koalitionsvertrag, Seite 87, 88, 89). Insoweit gilt es die nächste Gesundheitsreform abzuwarten.
Zusätzliches
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