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Wege aus der Unterversorgung

Erstveröffentlichungsdatum: 01.03.2009

Literatur

2008: Jönsson Bengt: Patient access to rheumatoid arthritis treatments.The European journal of health economics: HEPAC: health economics in prevention and care 2008;8 Suppl 2():S35-8. 2008: Jönsson B; Kobelt G; Smolen J: The burden of rheumatoid arthritis and access to treatment: uptake of new therapies. The European journal of health economics: HEPAC - health economics in prevention and care 2008;8 Suppl 2(): S61-86. Patient access to rheumatoid arthritis treatments (Bengt Jönsson, Gisela Kobelt, Josef Smolen/Department of Orthopaedics Lund)

Zusätzliches

Plain-Text

Das von dem Burscheider Institut für empirische Gesundheitsökonomie (Ifeg) erarbeitete Gutachten belegt eine erhebliche Unterversorgung bei der Behandlung der rheumatoiden Arthritis (RA). Eine Unterversorgungsquote von 69 % wurde konstatiert. Dabei wurde von einer Prävalenzrate von 0,5 % ausgegangen. Diese Unterversorgung ist eng verknüpft mit dem Mangel an internistischen Rheumatologen in der ambulanten Versorgung, der auch daraus resultierenden verlangsamten frühzeitigen Diagnostik der RA und der auch damit in einem indirekten Zusammenhang stehenden späten oder – im westeuropäischen Vergleich – stark unterdurchschnittlichen innovativen Arzneiversorgung.

>> Ein gut geknüpftes Netz einer sektorenübergreifenden integrierten Versorgung könnte den Weg zu einer verbesserten Situation von Patienten mit RA weisen. 8,5 Mio. Menschen leiden in Deutschland unter einer Arthrose, davon entfällt zumindest 1 Mio. auf die RA. Grund genug zu handeln, insbesondere auch vor dem Hintergrund der von Rychlik et al. festgestellten direkten und indirekten Kosten der Versorgung.

Die Versorgungsrealität
Patienten mit RA sollen früh und konsequent therapiert und dabei engmaschig überwacht werden. Das erfordert in einem besonderen Maße zunächst einmal eine frühzeitige Diagnostik. Die Definition von frühzeitig ist keineswegs einheitlich. Ein Patient mit RA sollte „innerhalb von wenigen Wochen von einem Rheumatologen untersucht werden“, so Dr. R. Alten, Berlin, in der „Ärzte Zeitung“. Andere Autoren kommen zu dem Ergebnis, dass – zur Vermeidung bzw. Verschlimmerung von Gelenkschädigungen – Frühdiagnose und rechtzeitige Therapieeinleitung innerhalb von 3 Monaten nach der Verdachtsdiagnose erfolgt sein sollten.
Die vorgenannten Zielsetzungen korrespondieren nicht mit der Realität des Praxisalltages. Die Mehrzahl der Patienten beklagt die leidigen Wartezeiten. Und nur 46 % der internistischen Rheumatologen sehen sich in der Lage, Hilfe suchenden Patienten einen Termin in den nächsten 4 Wochen zu ermöglichen. Die Wirklichkeit dürfte sich eher in dem nachfolgenden Zitat spiegeln: „... vor 10 Jahren war nur jeder fünfte Patient mit RA innerhalb der ersten 6 Monate bei einem Rheumatologen, heute schon jeder zweite …“ Diese auf den ersten Blick positiv und optimistisch anmutende Anmerkung von Prof. Dr. W. Ruthen, Bad Bramstedt, sollte in Anbetracht der eingangs zitierten Ziele nachdenklich stimmen.
Das angedeutete Problem der Wartezeiten ist eine Konsequenz einer Versorgungslandschaft, die die Unterversorgung aus einer anderen Perspektive ausleuchtet: Bezogen auf die internistische Rheumatologie, die für die ambulante Versorgung zugänglich ist, besteht eindeutig nicht gedeckter Versorgungsbedarf. Dazu sei auf den von der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie erarbeiteten „Minimalschlüssel“ von einem Rheumatologen je 150.000 Einwohner verwiesen; das 2. Memorandum dieser Gesellschaft forderte dann allerdings zwei internistische Rheumatologen je 100.000 Einwohner. Ob Minimalschlüssel oder Forderung des 2. Memorandums – im Vergleich zur derzeitigen Versorgungsdichte fehlen ca. 240 bzw. sogar mehr als 1.000 Rheumatologen in Deutschland. Ein Bedarf, der im Rahmen der derzeitigen Strukturen nicht zu decken ist.
Unterversorgung besteht auch hinsichtlich der „richtigen“ Therapie: Nur jeder Dritte mit Arthroseschmerzen wird nach einer Herner Studie medikamentös behandelt. Wenn nun noch ein deutliches Gefälle in der westeuropäischen RA-Versorgung mit einer adäquaten und innovativen Therapie mit Biologika berücksichtigt wird, so dürfte die Unterversorgungsthese bei den direkten Kosten insbesondere im Sektor der innovativen Arzneitherapie zu suchen sein. So sollen in Deutschland 1,2 bis 6 % der Patienten mit Biologika behandelt werden. An anderer Stelle wird berichtet, dass nur 7,4 % der RA-Patienten in Deutschland Bio-logika erhalten. Egal welche der Zahlen zutreffend ist – es handelt sich um eine der niedrigsten Versorgungsraten in Westeuropa.

Integrierte Versorgung endlich wagen
„Im Bereich der Rheumatologie werden die künftigen politischen Schwerpunkte vor allem in kooperativen Modellen (auch mit stationären Einrichtungen) liegen. Eine strukturierte Versorgung mit frühzeitiger Einbindung eines Facharztes sollte im Bereich der Rheumatologie zum integralen Bestandteil und somit Standard innerhalb des deutschen Gesundheitswesens gehören …“ Dieses Zitat stammt aus der Bestandsaufnahme der ambulanten rheumatologischen Versorgung in Deutschland – Versorgungsstruktur und Leistungsspektrum von Mittendorf, Edelmann, Graf von Schulenburg u.a. Diese Aussage trifft den Kern. Integrierte Versorgung und Disease-Management finden – zumindest in der GKV – nicht oder nur sehr selten statt. Dabei verlangt gerade Diagnostik und Therapie des Rheumas nach solchen sektorenübergreifenden Formen der Versorgung: Die ambulante Rheumaversorgung durch Hausärzte, über Früharthritis-Sprechstunden, in internistisch-rheumatologischen Ambulanzen, durch niedergelassene freipraktizierende Rheumatologen – stationäre Versorgung in spezialisierten Krankenhäusern (nicht nur vollstationär, auch teilstationär oder tagesklinisch z.B. für verschiedene Formen einer sinnhaften Infusionstherapie).
Und die nicht zu unterschätzende nicht-medikamentöse Therapie (Physiotherapie u.ä., Heilmittel i.S. des SGB V) lässt sich ebenso einbinden wie die partiell notwendige Ausstattung mit Hilfsmitteln. Dazu gehört natürlich auch, dass i.R. einer netzinternen Pharmakotherapie leitliniengerecht innovative Arzneimittelversorgung geübt wird. Die Rehabilitation als wichtigen Bestandteil mitzuführen und dabei ambulante Formen zu favorisieren, versteht sich von selbst. Aber vielleicht ist auch sekundäre Prävention ein neuer, aber auf Dauer hilfreicher Ansatz. Dazu gehören auch psycho-soziale Hilfestellungen und die unerlässliche Zusammenarbeit mit Patienten-Organisationen (z.B. Rheuma-Liga). Wenn das mit einer sinnhaften EDV-technischen Untermauerung vollzogen wird, dürfte sich ein Teil der Unterversorgungsproblematik beseitigen, zumindest mildern lassen.
Es existieren vertragliche Ansätze (z.B. Rheuma-Vertrag mit der AOK in Berlin, Vertrag über die integrierte Rheumaversorgung zwischen dem Rheinischen Rheumazentrum Meerbusch-Lank und Barmer Ersatzkasse), die ausbaufähig und notwendig sind, dann aber letztendlich auch in andere Bereichen nach regionaler Anpassung übernommen werden können.
Ziel muss zukünftig einmal mehr und jetzt insbesondere nachhaltig sein, die effiziente Steuerung von Patienten und der Kosten, aber auch der Qualität zu erreichen. Dazu gehören spezielle Methoden des Managed Care, die gesteuerte Versorgung. Dabei ist es wichtig, endlich die definitorischen Auseinandersetzungen zu beenden und Fakten in Form von zielorientierten Verträgen zu schaffen. Solche zukunftsorientierten Steuerungskonzepte sind nur zielführend wenn sie Qualität und Wirtschaftlichkeit als unterschiedliche, aber sich gegenseitig bedingende Seiten einer Medaille sehen.

Neue Ziele anpeilen
Für die Kassen werden sich neue Sichtweisen auch aus dem morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich ergeben. Das dürfte auch für die Rheumaversorgung gelten. Auf die entsprechenden monatlichen Morbiditätszuschläge nach den hierarchisierten Krankheitsgruppen sei verwiesen. Dabei sollte nicht unberücksichtigt bleiben, dass die konstatierte Unterversorgung schon heute in einem besonderen Maße zusätzliche Begleiterkrankungen ausgelöst und häufiger und schneller in kritische Krankheitsstadien geführt hat. Hinzu kommt die hohe Sinnhaftigkeit, eine rheumatoide Arthritis eben richtig und frühzeitig zu erkennen und der Therapie ohne kostenverursachendes und letztendlich direkte und indirekte Dauerkosten auslösendes Zögern zuzuführen. Dazu lassen sich steuernde Elemente leistungsrechtlicher und vertraglicher Art in Integrationsverträgen implementieren.
Dazu sollten in nächster Zeit strategische Evaluierungen und wissenschaftliche Begleitungen gehören. Schon um Korrekturbedarf rechtzeitig zu erkennen, aber insbesondere um endlich die widerstreitenden Interpretationen und Thesen zu der Wirksamkeit oder der Erfolglosigkeit von Integrationskonzepten zu klären. <<

von: Klaus H. Richter*