Aktuell haben mehrere Krankenkassen angekündigt, Zusatzbeiträge erheben zu müssen - nicht zuletzt mit dem Argument zu geringer Zuweisungen aus dem morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich (Morbi-RSA) resp. Gesundheitsfonds. Gleichzeitig rücken in der aktuellen gesundheitspolitischen Diskussion auch die Arzneimittelausgaben der GKV – als traditionell sehr „beliebtes“ Objekt politischer Steuerungsversuche - wieder verstärkt in den Fokus. Auf Basis der krankenkassenspezifischen Rezeptdaten von INSIGHT Health soll in diesem Beitrag der Frage nachgegangen werden, ob hierzu ein Zusammenhang festgestellt werden kann.
>> Neun Krankenkassen werden 2010 definitiv einen Zusatzbeitrag erheben und mindestens drei weitere planen einen solchen (Stand: 11. März 2010). Allerdings gibt es auch vier Krankenkassen, die zurzeit Prämien an ihre Mitglieder ausschütten (siehe Tabelle 1). Die Gründe für diese unterschiedlichen Verhaltensweisen dürften vielfältiger Natur sein: Einkommensentwicklung, Ausgabenentwicklung, Versichertenstruktur, strategische Finanzplanung, politisch-taktisch bedingte Auswahl des Zeitpunktes für einen Zusatzbeitrag resp. eine Beitragsrückerstattung etc.
Angesichts der starken Fokussierung der aktuellen gesundheitspolitischen Diskussion auf die Arzneimittelausgaben stellt sich die Frage, ob die Entwicklung der Arzneimittelausgaben die Wahrscheinlichkeit für Zusatzbeitragserhebungen einzelner Kassen erhöht. Gegen diese Annahme spricht vor allem die Tatsache, dass die Arzneimittelausgaben nur 18,2 % der gesamten GKV-Ausgaben ausmachen. Dafür spricht die überdurchschnittlich hohe Steigerungsrate der Arzneimittelausgaben im Vergleich zu den anderen großen Ausgabenblöcken: durchschnittlich 5,1 % p.a. seit 1998 im Vergleich zu 2,3 % bei den gesamten Leistungsausgaben. Seit 2001 stellen die Arzneimittel den zweitgrößten Ausgabenblock der GKV dar, nach der Krankenhausbehandlung und vor der ärztlichen Behandlung (Quelle: BMG: Gesetzliche Krankenversicherung – Kennzahlen und Faustformeln 2008).
Bei der Betrachtung der im Jahr 2009 abgerechneten GKV-Rezepte fällt zunächst auf, dass die Unterschiede zwischen den einzelnen Krankenkassen erheblich sind. Während die niedrigsten Arzneimittelausgaben (ohne Impfstoffe, Anästhetika und Diagnostika für bildgebende Verfahren) je Versicherter mit 171 EUR die BKK Salvina aufwies, lag der Mittelwert mit 352 EUR mehr als doppelt so hoch. Die höchsten Pro-Kopf-Ausgaben hatte die AOK Mecklenburg-Vorpommern mit nochmals mehr als dem doppelten Wert: 714 EUR (vgl. Abb. 1).
Die sechs Krankenkassen mit den höchsten Arzneimittelausgaben pro Versicherten erheben (bislang) keinen Zusatzbeitrag (Quelle der Versichertenzahlen: dfg – Dienst für Gesellschaftspolitik). Hierzu zählen vier AOK-
en, die Knappschaft und die City-BKK. Allerdings folgt an siebter Stelle die Gemeinsame BKK Köln, die als erste Krankenkasse bereits im Juli 2009 einen Zusatzbeitrag einführte und nun seit 01.01.2010 - mit einem Prozent des monatlichen Bruttoeinkommens - den gesetzlich möglichen Umfang vollständig ausschöpft (siehe hierzu Infobox: Kassenindividueller Zusatzbeitrag). Nach eigenen Angaben hat die Kasse neben einer relativ hohen Morbidität vor allem einen überdurchschnittlich teuren Leistungsfall: Allein für die Behandlung eines neunjährigen Jungen, der an der seltenen Bluter-Erkrankung leide, habe die mit rund 40.000 Versicherten vergleichsweise kleine Kasse im Jahr 2009 über 2,8 Mio. Euro zahlen müssen, welche durch die Ausgleichsmechanismen des Morbi-RSA nicht ausreichend abgefedert würden (vgl. Müller, Simon: GBK Köln fordert Maximalbeitrag, in: „Kölner Stadt-Anzeiger“ vom 04.02.2010).
Die BKK für Heilberufe erhebt seit Anfang 2010 ebenfalls den gesetzlich höchstmöglichen Zusatzbeitrag, weist jedoch unterdurchschnittlich hohe Pro-Kopf-Ausgaben für Arzneimittel auf. Sie selbst führt als Grund für den Zusatzbeitrag an, dass sie überdurchschnittlich viele junge Frauen in ihrem Versichertenstamm habe, kostenintensive Schwangerschaften aber im Morbi-RSA nicht abgebildet würden (vgl. Schlingensiepen, Ilse: Drei Kassen erheben Zusatzbeiträge von über acht Euro, in: Ärzte Zeitung vom 03.02.2010).
Auffällig ist, dass die ZB-Gruppe (Zusatzbeitrag erhebende Kassen) bei den Arzneimittelausgaben mit 426 EUR pro Kopf 21 % über den sonstigen Kassen liegt, während die P-Gruppe (Prämien ausschüttende Kassen) mit 254 EUR aber 27 % darunter liegt. Die vier P-Kassen weisen durchweg unterdurchschnittlich hohe Arzneimittelausgaben je Versicherten auf. In einem zweiten Schritt soll nun ein differenzierterer Blick auf die Verteilung der Arzneimittelausgaben erfolgen.
Spielen indikationsspezifische Arzneimittelausgaben eine Rolle?
Statt der gesamten Pro-Kopf-Arzneimittelausgaben könnte auch nur die Höhe der Arzneimittelausgaben in bestimmten Indikationsgebieten resp. ATC-Gruppen ein Auslöser für die Entscheidung einer Kasse sein, 2010 einen Zusatzbeitrag zu erheben bzw. Prämien auszuschütten.
In einer ersten Analyse wurden daher die Pro-Kopf-Ausgaben der P-Gruppe und der ZB-Gruppe im Vergleich zu den sonstigen Krankenkassen bei den 20 ausgabenintensivsten ATC-Gruppen ohne Impfstoffe (anatomisch-therapeutisch-chemische Klassifikation nach EphMRA - European Pharmaceutical Market Research Organisation) miteinander verglichen. Hierbei fällt auf, dass die P-Gruppe durchweg unterhalb und die ZB-Gruppe durchweg oberhalb der sonstigen Kassen liegen.
Diese Ergebnisse legen den Verdacht nahe, dass die Arzneimittelausgaben je Versicherten – wenn auch nicht für jede einzelne Krankenkasse – einen ersten Grund für die Zusatzbeitragserhebung liefern könnten. Für eine validere Aussage sollten in einem nächsten Schritt detailliertere Analysen aufgesetzt und nach differenzierenden Erklärungsmustern gesucht werden. Von großem Interesse wäre dabei vor allem eine Analyse der arzneimittelintensiven Indikationen sowie der 80 Krankheitsbilder des Morbi-RSA.
Fazit
Die von INSIGHT Health durchgeführten Analysen mit den hier dargestellten Ergebnissen stellen einen ersten Versuch dar, Ansatzpunkte für die Aktionen der Krankenkassen im Hinblick auf § 242 SGB V „Kassenindividueller Zusatzbeitrag“ zu identifizieren – jenseits politisch-taktischer Überlegungen. Für eine tiefergehende Analyse wäre es nun notwendig, ausgehend von der jeweiligen Versichertenstruktur und Größe der einzelnen Kassen, auch die anderen Ausgabenbereiche miteinander zu vergleichen. Dies könnte dann der Auftakt für einen umfassenden Krankenkassenvergleich sein, der ggf. auch eine Bewertung der Zielgenauigkeit des Morbi-RSA ermöglicht. Damit könnte der Morbi-RSA oder – wie es ein Versorgungsforscher einmal ausgedrückt hat - „der weltweit größte Feldversuch ohne wissenschaftliche Begleitung“ doch noch einer Evaluation unterzogen werden. <<
Dr. André Kleinfeld
Methodischer Ansatz
Für die hier vorgestellten Analysen wurden die von INSIGHT Health im Rahmen einer Vollerhebung erfassten abgerechneten GKV-Rezepte der einzelnen Krankenkassen – bewertet zu Apothekenverkaufspreisen (AVP) - den Versichertenzahlen nach dfg (Dienst für Gesellschaftspolitik) gegenübergestellt. Die Indikationsgruppen Impfstoffe (hier J07A und J07B), Anästhetika (N01) und Diagnostika für bildgebende Verfahren (T01) wurden aus der Analyse ausgeschlossen. Sie zeichnen sich durch einen hohen und umsatzrelevanten Anteil an Sprechstundenbedarf aus, der nicht direkt den einzelnen Krankenkassen zuzuordnen ist.
Um auch die Mitgliederbewegungen zwischen den Kassen berücksichtigen zu können, wurden die Arzneimittelausgaben der vier Quartale im Jahr 2009 jeweils durch den Mittelwert der Versichertenanzahl zum 1. Tag des Quartals und der Versichertenanzahl zum 1. Tag des Folgequartals dividiert. Fünf kleinere Betriebskrankenkassen konnten nicht berücksichtigt werden, da für sie keine Versichertenzahlen vorlagen.
Um einen Zusammenhang zwischen Arzneimittelausgaben und Zusatzbeitragserhebungen überprüfen zu können, hat INSIGHT Health die Krankenkassen - nach Fusionsstatus zum 01.01.10 - in folgende Gruppen aufgeteilt:
1. ZB-Kassen: Zusatzbeitrag erhebende Kassen (n = 9 mit insg. 11,1 Mio. Versicherten)
2. P-Kassen: Prämien ausschüttende Kassen (n = 4 mit insg. 1,1 Mio. Versicherten)
3. Sonstige Krankenkassen (n = 151 mit insgesamt 57,6 Mio. Versicherten)
Angesichts der geringen Anzahl an Kassen innerhalb der ersten beiden Gruppen müssen sämtliche Ergebnisse mit Vorbehalt interpretiert werden, können aber ggf. eine erste Tendenz aufzeigen. Die Mittelwerte werden als nicht gewichtete Werte ausgewiesen, um einen Einzelkassenvergleich zu ermöglichen.