Auswirkung von Rabattvertragsausschreibungen
Die Einführung von Einzelverträgen im Arzneimittelbereich hat den Gesetzlichen Krankenkassen eine strukturelle Weiterentwicklung ermöglicht, damit die erheblichen Einsparpotenziale insbesondere im Generikamarkt gehoben werden konnten. Bereits seit 2003 besteht für die Krankenkassen die Möglichkeit, Rabattverträge mit Arzneimittelherstellern abzuschließen. Mit den gesetzlichen Änderungen des GKV-WSG konnten diese Verträge seit 2007 wirksam werden, da die Apotheker seitdem zusätzlich verpflichtet sind, rabattierte Produkte abzugeben, sofern der verordnende Arzt eine Substitution nicht ausgeschlossen hat.
>> Die Anwendung der Rabattverträge im Arzneimittelmarkt hat dazu geführt, dass die bis 2006 im europäischen Vergleich hohen Preise für generische Arzneimittel durch die breite Anwendung von Einzelverträgen angemessen reduziert werden konnten. Die Absicht einer Krankenkasse derartige Selektivverträge anzubieten ist aus ökonomischer Sicht nach SGB V ein originäres und legitimes Instrument, und führt zur Wettbewerbsgestaltung im Markt. Neben der Möglichkeit, durch den Rabattvertragswettbewerb ausgewogenere Preise für generikafähige Arzneimittel – gemessen an einem im internationalen Vergleich hohen Preisniveau – zu erzielen, führen Rabattverträge auch zu einer höheren Verordnungsstabilität in der Arzneimittelversorgung. So finden während der Laufzeit eines Rabattvertrags bei den betreffenden Patientengruppen in der Regel weniger Medikamentenwechsel statt als früher und es ist zu erwarten, dass dieser seltenere Wechsel unmittelbar zu einer besseren Adhärenz der Patienten mit ihrer Arzneimitteltherapie führt.
Sorgt der Vertragswettbewerb einerseits für im internationalen Vergleich angemessenere Preise bei einer gleichzeitig positiv beeinflussten Adhärenz der Patienten, so hat sich auf Seiten der Hersteller gezeigt, dass mittelständische pharmazeutische Unternehmen eher die Chance erhalten, Rabattverträge mit den Gesetzlichen Krankenkassen abzuschließen und somit ihren Marktanteil zu erhöhen. Das bis 2006 vorherrschende Oligopol größter Anbieter wurde durch die Rabattverträge aufgebrochen und die Marktkonzentration hat abgenommen. Neue Anbieter erhalten durch den Vertragswettbewerb einen breiteren Marktzugang. Die Rabattverträge stellen somit einen Gewinn sowohl für die Arzneimittelpatienten, die Gesetzlichen Krankenversicherungen als auch die zahlreichen Wettbewerber im generikafähigen Markt dar.
Gesetzliche Grundlagen
In den Diskussionen zur Arzneimittelversorgung haben bereits seit Beginn des neuen Jahrtausends sowohl die Krankenkassen als auch die Hersteller verstärkt vertragswettbewerbliche Modelle vorgeschlagen. Diese sind innerhalb des generikafähigen Marktsegments vergleichsweise einfach zu realisieren. Um einen funktionierenden Vertragswettbewerb zu ermöglichen, muss grundsätzlich innerhalb eines nach wie vor einheitlichen Leistungskatalogs der Kontrahierungszwang auf Produktebene – also die gesetzliche Verpflichtung der Krankenkassen, ihren Versicherten in einem Marktsegment alle zugelassenen verschreibungspflichtigen Arzneimittel zu erstatten – aufgehoben werden. Die Krankenkassen sind dann bei generikafähigen Wirkstoffen nicht mehr gezwungen, alle Präparate zu erstatten und können vielmehr Verträge mit einzelnen Herstellern abschließen, die ihnen besonders günstige Konditionen anbieten. Damit lässt sich ein echter Preiswettbewerb auch unterhalb der Festbeträge initiieren, die die Preisobergrenzen der Erstattungsfähigkeit darstellen. Der kollektivvertragliche Pfad wird verlassen und es werden verstärkt wettbewerbliche Elemente in die GKV eingeführt.
Seit dem Jahr 2003 haben die Krankenkassen mit dem § 130a Abs. 8 SGB V die Möglichkeit, mit Herstellern kassenspezifische Rabattverträge abzuschließen. Mit dem am 1. Mai 2006 in Kraft getretenen Gesetz zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit der Arzneimittelversorgung (AVWG) wurden die Regelungen dahin gehend erweitert, dass Leistungserbringer wie Ärztinnen und Ärzte beteiligt werden konnten. Dennoch hatten die Krankenkassen kaum Einfluss auf die Absatzmenge, sofern sie nicht Ärzte oder Apotheker finanziell beteiligten und damit die Verordnung und Abgabe der rabattierten Produkte förderten.
Mit dem zum 1. April 2007 in Kraft getretenen GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG) wurden die Möglichkeiten des Vertragswettbewerbs im Bereich der Arzneimittelversorgung eingeführt bzw. verbessert: Die Apotheken wurden nach § 129 Abs. 1 Satz 3 SGB V verpflichtet, die kassenspezifischen Rabattverträge zu beachten und rabattierte Arzneimittel bevorzugt abzugeben, sofern der verordnende Arzt eine Substitution nicht ausgeschlossen hat. Die Kassen stellen den Apotheken hierfür entsprechende Informationen zu den rabattierten Produkten zur Verfügung. Weitere Gestaltungsmöglichkeiten für die Kasse bestehen darin, dass sie für rabattierte Produkte die Zuzahlung der Patienten halbieren oder aufheben kann sowie – bereits mit dem AVWG eingeführt – auch für Produkte, deren Preise über dem Festbetrag liegen, Rabattverträge zur vollständigen Kostenübernahme abschließen kann, wenn der Rabatt die den Festbetrag übersteigenden Kosten ausgleicht.
Kernziel des neuen Vertragswettbewerbs war eine Senkung der Arzneimittel-Ausgaben der Krankenkassen. Nachdem der Gesetzgeber die einzelvertragliche Wahlmöglichkeit etabliert hat, wird deutlich, dass die Verträge der Krankenkassen, pharmazeutischen Herstellern und Patienten zunehmend Nutzen bringen. Nach einer Vielzahl Vergabe-, Sozial- und Zivilrechtlicher Entscheidungen und durch das GKV-Organisationsweiterentwicklungsgesetz (GKV-OrgWG) hat sich die Rechtssicherheit rund um die Rabattverträge deutlich verbessert. Zuletzt hatte sich die Diskussion um die Rabattverträge verstärkt auf das Thema Austauschbarkeit zwischen wirkstoffgleichen Produkten hinsichtlich Indikationen und Packungsgrößen fokussiert.
Mit dem Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) wurde 2011 der rechtliche Rahmen für Rabattverträge ein weiteres Mal neu justiert. Positiv ist hierbei, dass Fragen hinsichtlich der Austauschbarkeit von Indikation und Packungsgröße geklärt wurden, sodass seit 2011 klargestellt ist, dass wirkstoffgleiche Arzneimittel mit gleicher Wirkstärke und Darreichungsform als austauschbar gelten, wenn sie eine gemeinsame Indikation sowie die gleiche Normpackungsgröße haben.
Mit dem 14. SGB V Änderungsgesetz hat der Gemeinsame Bundesausschuss 2014 die Kompetenz erhalten, eine Liste zu erstellen, die für einzelne Wirkstoffe festlegt, dass keine Substitution des verordneten Präparats beispielsweise im Rahmen von Rabattverträgen erfolgen soll. Hierdurch werden die Effekte von Rabattverträgen bei den betroffenen Wirkstoffen aufgehoben. Inwieweit sich hieraus weniger Präparatewechsel ergeben und zum anderen die Konzentration auf einen oder wenige Anbieter in der Zukunft erfolgt, wird zu beobachten sein.
Rabattmarktsituation bis 2013
Mit den gesetzlichen Regelungen wurde ein weiterer Versuch unternommen, die Wirtschaftlichkeitspotenziale im generischen Markt über den Wettbewerb zwischen wirkstoffgleichen Produkten zu erschließen. So finden sich im Verordnungsjahr 2013 bei den insgesamt 2.433 verordneten Wirkstoffen und Wirkstoffkombinationen im Durchschnitt 4,4 verschiedene Arzneimittel (Standardaggregate) sowie durchschnittlich 27,9 verschiedene einzelne Produkte (Pharmazentralnummern). Bei einzelnen Wirkstoffen, wie beispielsweise Olanzapin, wurden 2013 über 1.000 verschiedene Produkte angeboten und GKV-weit verordnet. Alle Krankenkassen haben die gesetzlichen Möglichkeiten zur selektivvertraglichen Regelung der Arzneimittelversorgung seit 2007 umgesetzt. Dabei haben sie verschiedene Strategien der Vertragsgestaltung im Generikamarkt genutzt (Heltweg et al. 2010):
• Portfolioverträge, bei denen mit Herstellern Verträge mit pauschalen Rabattsätzen über deren Gesamt- oder ein Teilsortiment an Wirkstoffen/Wirkstoffkombinationen abgeschlossen werden. Diese Art von Verträgen musste entsprechend der 16. AMG-Novelle zum 30. April 2013 beendet werden.
• Open-House-Verträge, bei denen von den Krankenkassen Mindestrabattsätze für definierte Wirkstoffe vorgegeben werden, und denen Hersteller beitreten können, wenn sie diese Mindeststandards erfüllen. Nach Beendigung der Portfolioverträge haben einige Kassen verstärkt diese vergleichsweise aufwandsarme Art der Vertragsgestaltung gewählt.
• Wirkstoffverträge, in denen Wirkstoffe/Wirkstoffkombinationen europaweit ausgeschrieben werden und ein oder mehrere Hersteller den exklusiven Zuschlag erhalten. Dieses Modell wurde zuerst von den AOKs umgesetzt und wird zunehmend auch von anderen Krankenkassen durchgeführt.
Die seit 2002 durch das Arzneimittelausgaben-Begrenzungsgesetz in § 129 SGB V verankerte Aut-idem-Regelung, die besagt, dass bevorzugt eines der drei günstigsten substituierbaren Arzneimittel abzugeben sei, wurde nicht flächendeckend umgesetzt. Auch als mit dem Beitragssatzsicherungsgesetz ab 2003 die Möglichkeit für Krankenkassen geschaffen wurde, Rabattverträge abzuschließen, konnten diese zunächst nicht konsequent durchgesetzt werden. Wie zuvor wurden überwiegend die namentlich verordneten Arzneimittel abgegeben, obwohl preiswertere generische Produkte im Markt verfügbar waren. So werden die Preisunterscheide für Präparate mit dem Wirkstoff Omeprazol des Jahres 2006 deutlich: Insgesamt 39 verschiedene Produkte (Omeprazol 20 mg, 30 magensaftresistente Tabletten) wurden im Markt angeboten mit Preisen zwischen 22,67 und 42,08 Euro (siehe Abb. 1). Der Verordnungsanteil der vier preiswertesten Produkte hat im Jahre 2006 bei 2,7 Prozent gelegen. Die jährlichen Einsparberechnungen, die im Arzneiverordnungs-Report vorgelegt werden, bestimmen die nationalen Einsparpotenziale für Generika entsprechend dem „Goldstandard“ (Pfannkuche et al. 2007, Schröder 2008, Pfannkuche et al. 2009). So werden innerhalb jedes generikafähigen Wirkstoffs, getrennt nach den im Betrachtungszeitraum verordneten Packungen, die entsprechend preiswertesten Substitutionskandidaten unter Nutzung der DDD-Nettokosten gesucht, die eine vergleichbare Wirkstärke, Packungsgröße und Darreichungsform haben. Damit eine ausreichende Marktverfügbarkeit gewährleistet wird, muss dabei der Substitutionskandidat im entsprechenden Verordnungsjahr eine Verordnungsmenge von mehr als 10.000 Verordnungen aufweisen. So kam die damalige Berechnung des Einsparpotenzials des Jahres 2006 auf 1.322,7 Mio. Euro (Schwabe und Paffrath 2007). So hätte der damalige Gesamtumsatz in Höhe von 23,7 Mrd. Euro – ohne Einbußen bei der Arzneimitteltherapie – um 5,6 Prozent reduziert werden können, wenn eine stringente Abgabe des preiswertesten vergleichbaren Arzneimittels mit einer ausreichenden Marktabdeckung umgesetzt worden wäre. Die Realität hat jedoch gezeigt, dass dieses hohe Einsparpotenzial erst dann gehoben werden konnte, als die gesetzlichen Instrumentarien dies mit der verpflichtenden Abgabe von preisgünstigen Arzneimitteln im Rahmen der Selektivverträge ab 2007 ermöglicht haben.
Nach dem Start der AOK-Ausschreibung für generische Wirkstoffe Ende 2006 mit Vertragsbeginn zum 1. Januar 2007 haben die Krankenkassen inzwischen Rabattverträge in unterschiedlicher Ausgestaltung abgeschlossen. Hatten im Juli 2007 insgesamt 172 Krankenkassen mit 53 Herstellern Rabattverträge für 17.997 Rabattprodukte abgeschlossen, haben sich diese Zahlen bis Dezember 2012 deutlich erhöht: Alle Krankenkassen hatten Ende 2012 insgesamt 34.879 Rabattprodukte unter Vertrag (Abb. 2). Zum Ende des Monats April 2013 wurden durch die Regelungen der 16. AMG Novelle die nicht öffentlich ausgeschriebenen Verträge unwirksam, was in der Folge dazu führte, dass Teile der bis dahin gelebten Verträge, insbesondere Portfolioverträge, beendet wurden. Somit fiel die Anzahl der Rabattprodukte unter Vertrag im Mai 2013 auf 16.406. Im weiteren Verlauf des Jahres blieb es größenordnungsmäßig bei dieser Anzahl.
Damit bestand annähernd für jedes zweite der im Jahr 2012 verordneten Arzneimittel mindestens ein Rabattvertrag, Ende 2013 galt dies noch für ca. 27%.
Die Marktperformance der Rabattarzneimittel im generikafähigen Markt zeigte sich bereits im Monat Dezember 2007 durch einen eindrucksvollen Anteil von 36 % an den Verordnungen und 29 % am Umsatz. Auch die Marktdurchdringung der AOK-Rabattverträge der Rabattwellen eins bis elf belegt die deutliche Marktwirksamkeit dieses Instruments (Abb. 3).
Hinsichtlich der finanziellen Auswirkungen besteht seit Mitte 2008 ein eigenes Haushaltskonto der Krankenkassen in der amtlichen Statistik (KJ 1, seit 2010 ebenfalls in KV 45), in dem die Einnahmen aus Rabattverträgen ausgewiesen werden. Für das Jahr 2008 wurde hier im zweiten Halbjahr 2008 erstmals ein Rabattbetrag von 310 Mio. Euro gebucht. Für das Gesamtjahr 2012 beträgt der GKV-Rabattbetrag 2,37 Mrd. Euro (2011: 1,72 Mrd. Euro, jeweils nach amtlicher Statistik KJ 1). Im Jahr 2013 ist er auf 2,85 Mrd. Euro angestiegen (nach amtlicher Statistik KV 45) und entspricht damit 9,3 % der Arzneimittelausgaben (siehe Abb. 4). Deutlich wird auch, dass dieses vom Gesetzgeber initiierte selektivvertragliche Feld von der AOK am stärksten genutzt wird. Dabei ist die AOK frühzeitig gestartet und befindet sich zwischenzeitlich mit der Zuschlagserteilung zur 13. AOK-Tranche in einem Routineverfahren. Die erzielten Rabatterlöse machen deutlich, dass in den Preiskalkulationen der Hersteller nach wie vor entsprechende Spielräume für Rabatte vorhanden sind. Dabei stellen die Rabattverträge mit pharmazeutischen Unternehmen für die Gesetzlichen Krankenkassen neben der Prüfung von Krankenhausrechnungen das wichtigste Instrument zur Kostensenkung dar (Sachverständigenrat 2012). Mit den ausgehandelten Rabatten – insbesondere bei generischen Arzneimitteln – wird den Gesetzlichen Krankenkassen ermöglicht die steigenden Arzneimittelausgaben, verursacht durch Mengenausdehnungen und den seit Jahren zu beobachtenden Trend hin zu hochpreisigen Arzneimitteln, zu mildern.
Der Marktanteil der Generikaprodukte am generikafähigen Markt erhöht sich seit Jahren und erreichte im Jahr 2012 einen Verordnungsanteil von 86,8 % und einen Umsatzanteil von 72,3 %. Ein internationaler Vergleich zwischen fünf europäischen Ländern ergab, dass Deutschland bereits 1996/97 den höchsten Generikaanteil am Gesamtmarkt aufwies. Nach aktuellen Vergleichsstudien zum generischen Marktsegment nimmt Deutschland weiterhin einen Spitzenplatz in den verschriebenen Volumina ein, jedoch werden die Arzneimittel in Ländern wie Frankreich, Großbritannien, Niederlande, Finnland, Schweden oder Spanien deutlich preiswerter angeboten. Obwohl Deutschland hohe Generikaquoten erreicht, machen die Preisunterschiede bei generischen Produkten im Ländervergleich deutlich, dass Deutschland als Hochpreisland gelten kann – wenn die zwischen Herstellern und Gesetzlichen Krankenkassen vereinbarten Rabatte unberücksichtigt bleiben: Im Vergleich zu Deutschland (100 %) liegt der umsatzgewichtete Preisindex von 204 umsatzstarken generikafähigen Wirkstoffen und Wirkstoffkombinationen zu Herstellerabgabepreisen in den Niederlande bei 85 %, in Dänemark bei 87 % und in Großbritannien sogar nur bei 71% (Santésuisse 2012). Für Frankreich, Österreich und die Schweiz zeigt die Studie einen höheren Preisindex als in Deutschland.
Rabattverträge führen zu höherer Verordnungs-
stabilität
Neben der Möglichkeit, durch Rabatterlöse Einsparungen zu erwirtschaften, die die jeweiligen Krankenkassen finanziell entlasten, führen Rabattverträge auch zu einer höheren Verordnungsstabilität in der Arzneimittelversorgung. So zeigt eine Analyse der AOK-Rabattverträge durch das WIdO, dass während der zweijährigen Vertragslaufzeit der Wirkstoffverträge weniger Medikamentenwechsel stattfanden als ohne Rabattvertrag (WIdO 2011). Untersucht wurden hierfür 32 Mio. wirkstoffbezogene Patientenprofile von 58 dauerhaft generikafähigen Wirkstoffen. Während im Jahr 2006 – vor Beginn der Rabattverträge – lediglich 70 % der Patienten während des gesamten Jahres immer das gleiche Arzneimittel des jeweiligen Wirkstoffs erhalten hatten, lag dieser Anteil im Jahr 2010 mit 79 % deutlich höher. Das von Rabattkritikern häufig geäußerte Argument, dass Rabattverträge zu mehr Umstellungen führen würden, ist damit für die Wirkstoffverträge der AOK widerlegt. Dabei ist zu erwarten, dass ein seltenerer Wechsel zur Therapieadhärenz der Patienten beiträgt. Werden in Dauermedikation behandelte Patienten nach der Ursache des Präparatewechsels gefragt, sind Rabattverträge nur eine von vielen Gründen. Dies wurde in einer Befragung von Versicherten der AOK Baden-Württemberg im Jahre 2010 gezeigt, in der ebenfalls deutlich wurde, dass mehr als die Hälfte der Befragten Rabattverträge grundsätzlich positiv beurteilt (Hermann und Wienands 2010). In einer bundesweiten Befragung von AOK-Versicherten zu Rabattverträgen im Jahr 2009 antworteten mehr als 75%, mit einer Umstellung auf Rabattarzneimittel keine Probleme zu haben und noch mehr (86,9%) ist es prinzipiell egal, von welchem Hersteller das erhaltene Medikament stammt (WIdO 2009). Letztlich hat eine aktuelle Analyse von Verordnungsdaten ergeben, dass nur in wenigen Ausnahmefällen indirekte Hinweise auf Probleme gefunden wurden, die im Zusammenhang mit einem Präparatewechsel stehen. In der Regel seien diese Probleme jedoch nicht klinisch relevant und ließen sich zudem in den meisten Fällen beispielsweise über eine verbesserte Kommunikation aufheben (Höer et al. 2014).
In ihrer Antwort auf eine Anfrage der Linken-Fraktion zum Einfluss von Rabattverträgen auf die Verfügbarkeit von Impfstoffen und anderer Arzneimittel sieht die Bundesregierung keinen Handlungsbedarf die Rabattverträge einzuschränken (Bundestagsdrucksache 18/753 2014). Die Gründe für temporäre Lieferengpässe seien heterogen und es sei nicht erkennbar, dass Rabattverträge zu gravierenden Veränderungen der Marktstruktur bei den pharmazeutischen Herstellern geführt hätten. Vielmehr sei beim Abschluss von Rabattverträgen die Versorgungssicherheit zu gewährleisten, indem Maßnahmen gegen Lieferengpässe vereinbart werden.
Pharmazeutische Hersteller
Welche Auswirkung die Rabattverträge auf die oligopolartige Vormachtstellung der führenden Generika-Unternehmen haben, kann mit einer Analyse der Marktkonzentration der Jahre 2006 und 2013 untersucht werden.
Die pharmazeutische Industrie hat 2013 im deutschen GKV-Fertigarzneimittelmarkt einen Umsatz von 31,5 Mrd. Euro (2006: 23,7 Mrd. Euro) erzielt. Diese Arzneimittel wurden von rund 140.000 Vertragsärzten und 60.000 Zahnärzten nahezu 70 Mio. GKV-Versicherten verordnet und in knapp 21.000 öffentlichen Apotheken zu Lasten der 134 Gesetzlichen Krankenkassen (2006: 242 Gesetzliche Krankenkassen) abgegeben. Insgesamt waren hieran im Jahr 2013 398 Hersteller mit einem GKV-Fertigarzneimittelumsatz von jeweils mehr als 100.000 Euro beteiligt (2006: 381 Hersteller). Die Verteilungskurven für den Gesamtmarkt und insbesondere getrennt für die pharmazeutischen Anbieter im generischen Marktsegment machen deutlich, dass die Marktkonzentration zwischen 2006 bis 2013 abgenommen hat (Abb. 5 und 6).
Zur Betrachtung der Marktkonzentration der Hersteller im Gesamtmarkt wie im generikafähigen Markt ist es sinnvoll, diese Marktsegmente jeweils vollständig zu betrachten: So zeigt die Entwicklung seit 2007, dass zum Stichtag 1. Januar von jeweils insgesamt ca. 2.500 verordneten Wirkstoffen/Wirkstoffkombinationen (nach ATC) bei jeweils ca. 1.000 ein tatsächlicher generischer Wettbewerb bestand. Für ca. 2/3 dieser Wirkstoffe bestanden zum jeweiligen Stichtag 1. Januar Rabattverträge (Abb. 7). Eine Einschränkung auf einen inhaltlich begründeten Ausschnitt von umsatz- oder verordnungsstärksten Wirkstoffen im Rahmen einer Marktbetrachtung muss daher wohl überlegt erfolgen. Der Ansatz, die Herstellerkonzentration im gesamten generikafähigen Markt zu betrachten, spiegelt die Situation im generikafähigen Markt am umfassendsten wider und berücksichtigt auch Rabattverträge für Wirkstoffe mit insgesamt geringen Marktanteilen.
Die zentralen Kennwerte belegen zweifellos die wettbewerbsfördernde und mittelstandsfreundliche Wirkung von Arzneimittel-Rabattverträgen (Tab. 1). Dabei wird bei dieser Betrachtung entweder der vollständige Arzneimittelmarkt oder ausschließlich das generische Marktsegment analysiert. Dabei zeigt sich beim Herfindahl-Hirschman-Index (HHI), dass die Marktkonzentration der knapp 300 Hersteller, mit mindestens einer Verordnung eines generikafähigen Arzneimittelns zu Lasten der GKV, eine insgesamt niedrige Marktkonzentration aufweist und diese zwischen 2006 und 2013 leicht abgenommen hat. Diese Betrachtung geht davon aus, dass Generikaanbieter die Möglichkeit haben, sich mit entsprechenden Investitionen als Anbieter eines jeglichen Arzneimittels im patentfreien Markt zu betätigen. Dafür spricht die Beobachtung, dass keine zeit- und kostenaufwändige Investitionen mit beispielsweise eigenen Produktionsstätten für Wirkstoffe etc. benötigt werden: Für die Entwicklung eines Generikums bis zur Marktreife müssen durchschnittlich 5 Millionen Euro bei zwei Jahren Entwicklungszeit aufgewendet werden (Bretthauer 2014). Aber auch die Investitionsquote in der Pharmazeutischen Industrie ist im Vergleich beispielsweise zum verarbeitenden Gewerbe in Deutschland zwischen 1998 und 2011 deutlich stärker gesunken (Niedersächsisches Institut für Wirtschaftsforschung 2013). Wurden vor 20 Jahren noch 80 Prozent aller Wirkstoffe in Europa hergestellt, wird heute geschätzt, dass bereits 80 Prozent der Wirkstoffe aus Indien oder China kommen und zwischenzeitlich auch die gesamte Produktion in weitere Länder ausgelagert werden (Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft und Zentrallaboratorium Deutscher Apotheker 2011). Generische Anbieter im deutschen Markt haben somit die Möglichkeit mit vergleichsweise wenig Aufwand flexibel ihr Marktsortiment zu verändern und nutzen dies rege: Untersucht man die Wirkstoffsortimente der einzelnen ca. 200 marktrelevanten Anbieter im generikafähigen Markt in den Jahren 2012 und 2013 zeigt sich, dass im Durchschnitt jeweils über 20 Prozent der Wirkstoffsortimente innerhalb dieser Zeit verändert wurden. Dies macht deutlich, dass es sich hierbei um einen hochdynamischen Markt handelt.
Eine alternative Betrachtungsweise fokussiert die Anbieterstruktur und deren Umsatzanteile auf den Teilmärkten der einzelnen Wirkstoffe/Wirkstoffkombinationen (Albrecht und de Millas 2014). Würde man nach dieser alternativen Betrachtungsweise den Herfindahl-Hirschman-Index auf Wirkstoffebene – für die sowohl 2006 wie auch 2013 patentfreien Wirkstoffe mit mindestens einer Verordnung zu Lasten der GKV – berechnen, so zeigt sich: Bei der Hälfte dieser etwa 550 in 2006 und 2013 patentfreien Wirkstoffen/Wirkstoffkombinationen stagniert die Marktkonzentration (HHI) oder hat zwischen 2006 und 2013 sogar abgenommen. Die durchschnittliche Anbieterzahl von mehr als 16 Herstellern beispielsweise bei den 50 umsatzstärksten Wirkstoffen/Wirkstoffkombinationen dieses Warenkorbs des Jahres 2013 zeigt, dass eine heterogene Anbieterstruktur vorhanden ist. Damit steht eine ausreichende Zahl von Herstellern zur Verfügung, die auch zukünftig weiterhin Rabattvertragsausschreibungen und eine wirtschaftliche Generikaversorgung ermöglicht. Dabei muss betont werden, dass die relevante Marktabgrenzung den gesamten generikafähigen Markt mit einbeziehen muss. Je kleiner entsprechende Marktsegmente zugeschnitten werden, umso höher wird die Marktkonzentration dann auch ausfallen. Würde man die Märkte noch kleiner konfektionieren und beispielsweise noch kleinere Gruppen mit identischem Wirkstoff, identischer Wirkstärke, identischer Darreichungsform und identischer Packungsgröße (siehe beispielsweise Abb. 1 mit Omeprazol 20 mg, 30 magensaftresistente Tabletten) definieren, würde die Marktkonzentration nochmals steigen. Damit würde man unterstellen, dass pharmazeutische Anbieter ausschließlich eine spezifische Packungsform anbieten können – vielmehr passen die generischen Anbieter kontinuierlich ihr Wirkstoffsortiment an. Sowohl innerhalb spezifischer Wirkstoffgrenzen, wie auch über die spezifischen Wirkstoffgrenzen hinausgehend.
Fazit
Das Instrument der Arzneimittelrabattverträge hat zu einer Intensivierung des Preiswettbewerbs geführt, konnte die Arzneimittelkosten eindrucksvoll senken und hat die Marktkonzentration im Generikamarkt reduziert. Dieser Trend hat sich 2013 gegenüber 2011 weiter fortgesetzt. Das bis 2006 bestehende Oligopol weniger Generikagroßkonzerne wurde durch den Vertragswettbewerb aufgehoben. Mittelständische pharmazeutische Unternehmen haben mit dem Vertragswettbewerb realistische Chancen, ihre Marktanteile zu erhöhen. Gleichzeitig wird deutlich, dass vor der Einführung von Arzneimittelrabattverträgen Medikamentenwechsel häufiger zu verzeichnen waren. Da vermutet werden kann, dass der damals häufigere Medikamentenwechsel dazu führte, dass die Therapietreue nachlässt, wodurch sich der Therapieverlauf verschlechtern kann, erhöhen die AOK-Rabattverträge über die Stabilisierung der Produktselektion die Therapiesicherheit und somit die Qualität der Versorgung. <<