Auf dem dem „AnyDay - Innovation Gesundheit“ am 11. Oktober 2012 in der Stuttgarter Mercedes-Benz-Arena (s. auch S. 22) werden eine Reihe innovativer Versorgungsmanagement-Lösungen vorgestellt. Dabei geht es nicht darum, Projekte mit der „rosa-roten Brille“ zu betrachten, sondern gezielt über Erfolge und Misserfolge zu berichten. Diverse Schwerpunkte beleuchten drei Foren, in denen über Erfahrungen in der Erfolgsmessung (Forum I), best and worst practice im Gesundheitswesen aus verschiedenen Blickwinkeln (Forum II) und innovativen Lösungen (Forum III) berichtet wird. MVF sprach mit Winfried Baumgärtner, Vorstand der mhplus BKK in Ludwigsburg, und Dr. Thorsten Pilgrim, Sprecher der Geschäftsführung von AnyCare.
>> Wie schwer haben es innovative Ideen, im Versorgungsmanagement umgesetzt zu werden?
Pilgrim: Das deutsche Gesundheitswesen befindet sich in einem ständigen Wandel mit kontinuierlichen Anpassungen in der Gesetzgebung. Diese Änderungen können einerseits dazu führen, dass Impulse für neue innovative Lösungen gefunden werden müssen. Andererseits schürt es auch sehr viel Unsicherheit auf Seiten unserer Auftraggeber, neue Versorgungslösungen anzubieten. Wo vormals Versorgungslösungen isoliert auf dem Papier entwickelt wurden, wachsen heute innovative Versorgungsmanagement-Lösungen gemeinsam mit dem Kunden und entsprechend dessen Bedürfnissen. Damit hatten wir die Möglichkeit, uns gezielt auf die Kundenwünsche einzustellen und innovative Lösungen in verschiedenen Bereichen zu entwickeln. So gelingt es uns heute, in relativ kurzer Zeit Betreuungsprogramme zu entwickeln, die sich auf ein ganz bestimmtes Krankheitsbild konzentrieren, unterschiedliche Betreuungsbausteine (Medien, Telefonie, Telemonitoring, Vor-Ort-Betreuung etc.) beinhalten oder verschiedene Kundensegmente zu bedienen.
Welchen Stellhebel kann die Politik bei Innovationen einsetzen?
Baumgärtner: Die wesentliche Rolle in der Weiterentwicklung des Gesundheitswesens kommt Markt und Wettbewerb zu. Auch in der GKV hat Wettbewerb viel bewegt. Politik hat ihren Beitrag geleistet, indem sie mit der Möglichkeit der Versicherten, ihre Kasse relativ einfach zu wechseln, Marktverhältnisse zugelassen hat. Zudem wurden erste Rahmenbedingungen für eine selektive Vertrags- und Produktpolitik geschaffen. Ihre Rolle sollte sein, das Spannungsverhältnis zwischen sozialer Fürsorge zugunsten der Bürger und der Ermöglichung innovativer Weiterentwicklung gut im Lot zu halten. Sie leistet ihren Beitrag dadurch, dass sie wettbewerbliche Rahmenbedingungen erhält bzw. noch weiter verstärkt.
Warum sind Qualität von Ideen und Innovation im Bereich Gesundheit keine Garanten für eine zügige Umsetzung in die Versorgungsrealität?
Pilgrim: Unsere Erfahrung ist, dass innovative Versorgungslösungen am besten in die Versorgungsrealität transferiert werden, je mehr sich das Betreuungsprogramm an den Bedürfnissen des Kunden und der Teilnehmer ausgerichtet hat. Gleichzeitig hängt die Akzeptanz solch eines Betreuungsprogramms stark von der Kommunikation dessen ab. Ein Präventionsprogramm, zum Beispiel, kann noch so effektiv sein, wenn der Nutzen und die Vorteile für den Teilnehmer nicht richtig heraus gestellt werden. Denn letztlich kann ein innovatives Betreuungsprogramm erst Effekte erzielen, wenn die angesprochenen Versicherten daran teilnehmen. Wichtig ist, dass man bei der Entwicklung innovativer Lösungen nie das Ziel, den Versicherten mit all seinen Bedürfnissen und den Kunden mit seinen Erwartungen, aus dem Auge verliert.
Wo würden Sie die Innovationshemmnisse verorten?
Baumgärtner: Finanzausgleiche, die Weiterentwicklung nicht belohnen, hohe Aufsichtsbedürfnisse und -hürden, Budgetvorgaben und fehlende Finanzhoheit der Kostenträger können hinderlich sein. Das Verbot der Eigenbetriebe von Krankenkassen und die insoweit fehlende Möglichkeit eigener Investitionsverantwortung wirkt hemmend.
Pilgrim: Unsere Innovationen entstehen in der Regel aus konkreten Bedürfnissen unserer Kunden. Mehr und mehr geraten wir aktuell in die Situation, die Effizienz und Effektivität unserer Betreuungsprogramme unter Beweis zu stellen - und dies ist auch richtig so. Denn nichts liegt uns ferner als Lösungen anzubieten, die keinen Mehrwert bieten - weder für den Kunden, noch für den betroffenen Teilnehmer. Beim Thema Erfolgsmessung innovativer Lösungen stoßen wir jedoch an viele Grenzen. Zum Einen ist die Datenlage nicht immer so gegeben, wie wir sie für eine Evaluation benötigen. Zum Anderen sind die Anforderungen unserer Kunden an die Methoden der Erfolgsmessung sehr unterschiedlich. Um dieser „Innovationsbremse“ entgegen zu wirken, haben wir mit einigen gesetzlichen Krankenkassen eine sogenannte Entwicklungspartnerschaft gegründet. Diese Entwicklungspartnerschaft hat zum Ziel, gemeinsam mit den Kunden einen einheitlichen Standard in der Erfolgsmessung von Versorgungsmanagementprogrammen zu entwickeln. Damit möchten wir einen weiteren Beitrag zum Abbau dieser Hemmnisse leisten.
Was sind Innovationsbeschleuniger?
Baumgärtner: Förderlich für Innovationen sind offene und risikofreudige Mitarbeiter, Nähe zum Kunden, Wettbewerb und handlungsfähige Strukturen der Beteiligten.
Pilgrim: Sprechen, Netzwerken und sich aktiv im Markt bewegen ist für uns das A und O in der Entwicklung von Innovationen. Neue Ideen generieren wir gemeinsam mit Kunden, beschleunigen diese durch eine Produktentwicklung, die standardisierte Betreuungsmodule individuell zusammen stellt und in möglichst kurzer Zeit Lösungen am Markt platziert. Innovationsbeschleuniger können zudem kurze Wege, pragmatische Vertragslösungen und eine vertrauensvolle Zusammenarbeit auf Fachebene sein. Dies alles sind für uns wichtige Beschleuniger von innovativen Versorgungslösungen.
Schein-Innovation, Schritt-Innovation, Sprung-Innovation. Stimmt die These: Ohne "Schein kein Schritt kein Sprung"?
Pilgrim: In der Automobilbranche ist es in der Regel so, dass innovative Lösungen zunächst im Luxus-Segment verbaut werden und erst Jahre später zur Standardausstattung in der Mittelklasse werden. In einigen Bereichen des Gesundheitswesens ist es ähnlich. Hier wird jedoch vielmehr darin unterschieden, ob Leistungen im Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung aufgenommen oder ob diese auf Selbstzahlerbasis angeboten werden.
Danke für das Gespräch <<