Dementielle Erkrankungen zwischen Medizin und Pflege - Schwierigkeiten für die Versorgungsforschung
Der Barmer-GEK Pflegereport 2010 zeigt implizit am Beispiel dementieller Erkrankungen ein wesentliches Dilemma der Versorgungsforschung auf: Die vielfältigen Interdependenzen zwischen Pflege und Demenz werden einerseits sehr gut beleuchtet, und darüber hinaus sind die weitergehenden Zusammenhänge von Medizin, Pflege und Demenz zwar darstellbar, andererseits ist die Darstellung nur bedingt brauchbar, weil die Abrechnungsdaten aus der ambulanten und vertragsärztlichen Versorgung immer weniger verwertbar sind für Aussagen zur Versorgungsqualität. Dies wird eine zunehmende Herausforderung für die Krankenkassen und das Gesundheitssystem: Wie können anfallende Leistungsdaten aus der ambulanten und vertragsärztlichen Versorgung für die Versorgungsforschung sinnvoll verwertet werden?
>> Die hochgerechneten Fakten lassen keinen Zweifel aufkommen: im Jahre 2060 leben 2,5 Millionen Demenzkranke in Deutschland (heute sind es 1,2 Millionen Menschen), aber in knapp 50 Jahren werden nach der 12. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung nur noch höchstens 70 Millionen Menschen in Deutschland wohnen (Statistisches Bundesamt, Wiesbaden 2009). Auf diese absehbare Herausforderung muss die Gesellschaft sich heute vorbereiten. Insofern sind auch Reformen zur Pflegeversicherung notwendig, die eine nachhaltige Finanzierung sichern.
In diesem Beitrag soll untersucht werden, wie es um den Schnittstellenbereich Medizin/Pflege bei Demenz bestellt ist, denn dieses Thema gewinnt an Aktualität schon deshalb, weil auf die Pflegesäule eine immense Last zukommen wird und die Frage im Raum steht: Werden alle anderen Ressourcen mobilisiert im Sinne von Diagnose, Therapie und Rehabilitation, um den Engpass in der Pflege zu reduzieren?
Vier Aspekte sollen untersucht werden:
1. Wie steht es um die ärztliche Behandlungshäufigkeit?
2. Wie ist es um die Arzneimittelversorgung bestellt?
3. Welchen Stellenwert haben Ergo- und Bewegungstherapie?
4. Demenz-spezifische Versorgungskosten - was sind die Kostentreiber?
Da die Datenbasis im Bereich der medizinischen Versorgungsleistungen aus dem Jahre 2009 stammt (im Bereich der Heilmittelverordnungen aus dem Jahre 2008), können die Schlussfolgerungen aus aktuellen Erhebungen gezogen werden.
Ärztliche Behandlungshäufigkeit
Bereits in einigen zurückliegenden Publikationen (z.B. SÄVIP-Studie über ärztliche Versorgung in Pflegeheimen, Hannover 2005) wurde untersucht, wie intensiv die ärztliche Versorgung in stationären Pflegeeinrichtungen ist; es zeigte sich eine hohe Kontaktfrequenz in der allgemeinärztlichen Versorgung, aber eine deutlich reduzierte Präsenz anderer fachärztlicher Disziplinen im Pflegeheim, z.B. galt dies für die Neurologen, Psychiater, Urologen, Gynäkologen und Ophtalmologen.
Insofern bietet der Pflegereport 2010 die Chance, zu untersuchen: hat sich in der medizinischen Versorgung eine Veränderung ergeben? Zumal der Pflegereport 2010 umfassender recherchiert, indem auch nicht pflegebedürftige, aber demente Patienten oder pflegebedürftige Demenzkranke - nach informeller und stationärer Pflege differenziert - betrachtet werden. Die Tabelle 1 zeigt beispielhaft die Zahl der Behandlungsfälle aus dem Bereich der Allgemeinmedizin, gegliedert nach den dargestellten Patientengruppen.
Die Tabelle 1 zeigt ein relativ unspektakuläres Ergebnis, ein Behandlungsfall von rund 1 pro Quartal bei alten und hochaltrigen Menschen ist keine Überraschung, und dieses gleichförmige Bild wird gemäß einer differenzierten Betrachtung nach Alters- und Geschlechtsgruppen noch bestätigt - siehe hierzu die folgende Abbildung 1.
Diese scheinbar sehr homogene Behandlungssituation ergibt sich nur in der Darstellung, aber nicht in der Behandlungswirklichkeit, denn um die Qualität der medizinischen Versorgung bei pflegebedürftigen und bei Menschen mit Demenz zu beurteilen, kommt es auf die Kontakthäufigkeit des Arztes oder der Ärztin an und nicht auf die Behandlungsfälle.
Hierzu heißt es erläuternd im Sinne einer Präzisierung im Pflegereport: „Die Zahl der ärztlichen Behandlungsfälle wird über die abgerechneten Fälle aus den Daten der ambulanten und ärztlichen Versorgung des Jahres 2009 ermittelt. Dabei bilden alle Leistungen für einen Patienten bei einem bestimmten Arzt innerhalb eines Quartals in der Regel einen Behandlungsfall (Grobe et al. 2007: 34). Innerhalb eines Behandlungsfalls kann es zu mehreren Kontakten kommen.“
[Anm.: Hervorhebung durch den Autor] (Rothgang et al. 2010).
D.h. die Arzt/Patientenkontakte können innerhalb der betrachteten Patientengruppen erheblich schwanken, ohne dass dies in der Darstellung auffällig wird.
Die im Pflegereport gewählte Kapitelüberschrift „Behandlungshäufigkeit“ ist irritierend, denn der flüchtige Leser vermutet aufgrund des üblichen Sprachgebrauchs dahinter die Zahl der Patientenkontakte.
Dieselbe Unschärfe ergibt sich analog bei der Betrachtung der Behandlungshäufigkeit durch die Fachärzte. Es überrascht nicht, dass bei der Gruppe der Neurologen und Psychiater - wie auch bei den übrigen Fachärzten - die Behandlungshäufigkeit deutlich kleiner ist. Da aber die Behandlungskontakte sich nicht erschließen lassen, ist der Erkenntniswert für die Darstellung des Schnittstellenproblems zwischen Medizin und Pflege relativ gering (Tab. 2).
Die Daten aus der Tabelle 2 zeigen tendenziell, dass Menschen mit Demenz öfter eine neurologisch/psychiatrische Behandlung erfordern und auch erhalten, aber selbst bei den dementen Patienten liegt im Durchschnitt die Zahl der Behandlungsfälle bei dieser Facharztgruppe unter 1 pro Halbjahr. Es ist zu bezweifeln, dass dies einer ausreichenden medizinischen Versorgung entspricht (siehe hierzu Hallauer et al. 2005).
Von zweifelhaftem Erkenntniswert ist die Darstellung der Behandlungsfälle unter der Rubrik der „anderen Fachärzte“; es stellt sich ernsthaft die Frage, welche Aussagen getroffen werden können, wenn die Behandlungsdaten so völlig unterschiedlicher Fachärzte wie Internisten, Radiologen, Augenärzte, Urologen, Hals-Nasen- und Ohren-Ärzte und Orthopäden in einer Gruppe zusammengefasst werden (Rothgang et al. 2010, S. 207).
Auch wenn diese Gruppenbildung wegen der so unterschiedlichen Gebietsbezeichnungen wenig aussagekräftig ist, zeigt doch die altersgeschichtete Betrachtung, dass bei Männern und Frauen mit jeder weiteren höheren Pflegestufe die Zahl der Behandlungsfälle fast ausnahmslos abnimmt (s. Abb. 2).
Die Frage drängt sich auf: Folgt das medizinische Versorgungsmuster immer noch einem tradierten Altersbild? Oder wird die medizinische Versorgung mit zunehmender Professionalisierung der Pflege zurückgenommen?
Es war notwendig, dass sich der sechste Bericht zur Lage der älteren Generation in der Bundesrepublik Deutschland mit den Altersbildern in der Gesellschaft befasst; zur Rolle von Altersbildern in der gesundheitlichen Versorgung heißt es dort: „Die Alter(n)svorstellungen der Professionellen sind handlungsableitend für ihren Umgang mit älteren Menschen und bestimmen die Ausgestaltung der Versorgung und damit die Nutzung vorhandener Potentiale mit.“*
Es überrascht dann nicht, wenn manche Diagnose- und Therapieleitlinie nur in Grenzen beachtet wird.
Insgesamt ist zur Behandlungshäufigkeit bei Pflegebedürftigen und dementen Patienten im Pflegereport 2010 festzuhalten: Die Darstellung der ärztlichen Behandlungshäufigkeit anhand von abgerechneten Quartalsfällen ist sicherlich nicht geeignet, eine Aussage über die Qualität und Intensität in der Zusammenarbeit von Pflege und Medizin zu treffen. Möglicherweise war das auch nicht das Ziel der Autoren des Reportes, beides wäre aber wünschenswert, damit hierzu verwertbare und aussagefähige Informationen generiert werden können.
Mit der Veröffentlichung der Berliner Altersstudie und anderer Untersuchungen ist bekannt, dass Menschen über 70 im Laufe eines Quartals sechs bis sieben mal einen Hausarzt benötigen. Ob sich diese erforderliche Kontaktdichte in den Daten der Behandlungsfälle widerspiegelt, kann so nicht annähernd abgeleitet werden (siehe Tab. 3).
Insbesondere durch die weitgehende Pauschalierung bei der Honorierung ärztlicher Leistungen lässt sich die Kontaktzahl zwischen ambulant tätigem Arzt und dem Patienten anhand von Abrechnungsdaten nicht angemessen darstellen. Aber im Vordergrund steht nicht die Darstellung, tatsächlich wird durch die Pauschalierung ärztlicher Leistungen insbesondere die geriatrische medizinische Versorgung beeinträchtigt.
Die Honorarpauschalen aus dem AOK-Hausarztvertrag Baden-Württemberg zeigen beispielhaft, dass diese Honorierung dem Wunsch und dem Bedarf des hochbetagten Patienten entgegensteht, den behandelnden Vertragsarzt öfter im Quartal zu konsultieren (AOK-Hausarztvertrag Baden-Württemberg, Stuttgart 2008) (siehe Tab. 4).
Insofern ist eine Initiative der AOK Baden-Württemberg und des Hausarztverbandes Baden-Württemberg zu begrüßen, den im Jahre 2008 geschlossenen Vertrag im Rahmen eines Modell-Projektes zu ergänzen, indem zusätzliche Honorare für Visiten in Pflegeheimen bereitgestellt werden. Diese Korrektur ist überfällig, denn Defizite in der ambulanten Versorgung beschleunigen zeitversetzt die Ausgaben für die stationäre Versorgung (Vertrag zur Vernetzung ärztlicher und pflegerischer Versorgung im Pflegeheim in den Modellregionen Esslingen und Stuttgart vom 12.1.2011).
Arzneimittelversorgung bei Demenz
Die Angaben zur Arzneimittelversorgung basieren auf der vertragsärztlichen Verordnung (der tatsächliche Verbrauch kann nicht abgeleitet werden) und werden verdichtet in der Zahl definierter Tagesdosen (DDD). Dabei handelt es sich um eine Rechengröße, die nicht verwechselt werden darf mit der verschriebenen Dosis. Die folgenden Datenangaben stellen somit Verordnungsmengen der jeweiligen Arzneimittelgruppen pro Quartal bei den jeweilig definierten Patientengruppen dar.
Generell lässt auch der Pflegereport 2010 erkennen: Die Unterversorgung mit Antidementiva besteht fort.
Darüber hinaus werden in der Arzneimittelversorgung einige Ungereimtheiten und Brüche offensichtlich, die mit leitlinienorientierter Versorgungsqualität wenig gemein haben.
Die Daten aus der Tabelle 5 zeigen am Beispiel der Acetylcholinesterase-Hemmer: Je institutionalisierter die Pflege ist, umso niedriger ist das Versorgungsniveau in der Alzheimertherapie. Die indikativen Schwerpunkte dieser Präparategruppe können diese Diskrepanzen nur zum Teil erklären, wie aus dem folgenden Beispiel von Memantine ersichtlich ist.
Bei dem Wirkstoff Memantine zeigt sich ein vergleichbares Bild. Obwohl der Wirkstoff europaweit zugelassen ist im Indikationsbereich moderate bis schwere Alzheimer-Erkrankung, wird die inverse Beziehung deutlich: je intensiver die Pflege, umso geringer ist das Ausmaß der medikamentösen Therapie (siehe Tab. 6).
Auffällig ist die geschlechts- und altersspezifische Diskrepanz in der Versorgung mit Memantine: Die Patientinnen innerhalb der Pflegestufe II erhalten nach aufsteigenden Altersgruppen immer weniger DDD: 60 bis 69-jährige Frauen 11,3 DDD, 90-jährige und Ältere nur noch 2,2 DDD. Dieses Delta von 9,1 findet sich in derselben Pflegestufe bei den Männern mit nur 1,2 DDD kaum wieder.
Da das Demenzproblem aus Sicht der Prävalenz vor allem ein Problem der Frauen ist, ist diese Diskrepanz versorgungspolitisch von besonderem Interesse. Es ist nicht auszuschließen, dass die Männer besser im hohen Alter versorgt werden, weil sie seltener den Status der Verwitwung erleiden als die Frauen; es fehlt der Kümmerer. Von den über 80-jährigen Frauen sind 78,4 % verwitwet, aber nur 34,8 % der Männer sind Witwer in dieser Altersgruppe (Vierter Bericht zur Lage der älteren Generation in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 2002).
Ergo- und Bewegungstherapie
Die oben beschriebenen Versorgungsbrüche werden durch den Pflegereport auch im Bereich der Ergo- und Bewegungstherapie ausgewiesen. Über alle Gruppen hinweg erhalten pflegebedürftige Personen 0,7 Ergotherapieeinheiten im Vergleich zu Pflegebedürftigen, die gleichzeitig an einer Demenz erkrankt sind (0,2 Einheiten). Bei der Ergotherapie ist ebenfalls eine geschlechtsspezifische Diskrepanz festzustellen. Die Männer erhalten mit 1,0 verordneten Einheiten rund 0,4 Einheiten mehr als die Frauen.
Ein vergleichbares Bild lässt sich bei Physiotherapie (Krankengymnastik) feststellen: nicht Pflegebedürftige und gleichzeitig demente Personen erhalten 0,9 Einheiten, aber nur pflegebedürftige Personen ohne Demenz 5,2 Einheiten und pflegebedürftige Personen mit einer Demenz 3,7 Einheiten. Da insbesondere Bewegungstherapie dazu beiträgt, Restpotenziale bei Dementen zu stabilisieren, ist das Vorenthalten dieser sinnvollen zusätzlichen Maßnahmen nicht nachvollziehbar, zumal mehrere Studien einen deutlichen Hinweis darauf geben, dass medizinische Rehabilitation auch für die Menschen mit Demenz von Nutzen ist (siehe zum Beispiel 1. Welz-Barth A, Stella S, Füsgen I, Häufigkeit kognitiver Störungen in der Geriatrischen Rehabilitation, phys rehab Kur Med 2007; 17: 94-97.2.Volicer l, Hurley A, Alzheimer Disease and Disorders Vol. 11, 1997, Lippincott Raven Publishers, philadelphia).
Kosten der Demenz
Die demenzspezifischen Ausgaben der Gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung lassen sich nicht ohne Weiteres verursachungsgerecht zuordnen, weil durch die wachsende Multimorbidität in den höheren Altersstufen jedwede monokausale Zuordnung fehlerbehaftet ist.
„Nach der Berliner Altersstudie liegt bei den über 70-Jährigen und Älteren die Prävalenz von mindestens fünf gleichzeitig bestehenden Erkrankungen bei 88 %“ (Sachverständigenrat 2009).
In dem BARMER/GEK-Pflegereport 2010 werden die Ausgaben der Krankenkasse wie auch der Pflegekasse nicht nur nach Altersgruppen und Geschlecht differenziert, es werden auch die Ausgaben je Versicherten danach untersucht, ob eine Demenz vorliegt oder nicht. Damit können die wesentlichen Ausgabenblöcke innerhalb der Krankenkasse wie auch der Pflegekasse insgesamt daraufhin analysiert werden, welche demenzspezifischen Zusatzkosten sich ergeben. Dieser pragmatische Ansatz ist hilfreich, und aus dieser Perspektive ist der Report eine sehr gute und aktuelle gesundheitsökonomische Basis.
Diese Vorgehensweise lässt allerdings zwei Aspekte außer Acht:
• Die erheblichen Pflegeaufwendungen, die von Familienangehörigen erbracht werden, verursachen zwar keine primären Ausgaben innerhalb der sozialen Sicherungssysteme, aber die Erschöpfungszustände der pflegenden Familienangehörigen verursachen Erkrankungen und krankheitsbedingte Arbeitsausfälle, die nachgeordnet die Krankenversicherungen belasten.
• Es gibt eine nicht exakt bezifferbare Quote von Menschen mit Demenz, die nie ärztlich diagnostiziert und spezifisch therapiert wurden, bei denen allerdings die Symptome einer Demenz unübersehbar sind. Dieser Kreis der Versicherten und Patienten führt zwangsläufig zu fehlerhaften Ausgaben-Zuordnungen (siehe hierzu insbesondere die Analyse der Deutschen Gesellschaft für Gerontopsychiatrie und –psychotherapie (DIAS) 2008).
Bei einer Detailanalyse der von Rothgang et al. 2010 zusammengefassten Daten über die Leistungsausgaben relevanter Sektoren fällt auf: Die auf die Demenz zurückzuführenden Zusatzkosten sind vor allem im Bereich der stationären Krankenhauskosten und im Bereich der Pflegekosten erheblich.
Die demenzspezifischen Zusatzkosten im Bereich der ambulanten medizinischen Versorgung - und dies gilt sowohl für die ärztliche Betreuung als auch für die Arzneimittelausgaben - sind vergleichsweise gering.
Zu beachten ist:
• Das Delta an demenzspezifischen Zusatzkosten in der ambulanten ärztlichen Versorgung einerseits und die erheblichen demenzbedingten Zusatzkosten im Krankenhaussektor legen den Schluss nahe, die Honorarimpulse für die zusätzliche Besuchstätigkeit in den Pflegeheimen und in den Seniorenwohnanlagen zu verstärken. Diese Schnittstelle in Zukunft genau zu untersuchen, auch im Hinblick auf tatsächlich erbrachte Arzt/Patienten-Kontakte, ist versorgungspolitisch überaus bedeutsam, und diese Aspekte müssten in den Folgeberichten analysiert werden.
• Ob die Vertragsärzte einen dementen oder nicht-dementen Patienten versorgen, bedeutet nur eine recht geringe Differenz im durchschnittlichen monatlichen Honorarvolumen für die vertragsärztliche Tätigkeit - insofern können die Daten der Tabelle 8 gar nicht intensiv genug analysiert werden. Das ist eine wesentliche Erkenntnis aus dem Pflegereport 2010. Diese kleine Honorardifferenz motiviert nicht zur aufsuchenden ärztlichen Versorgung. Umso größer ist dann das Delta bei den durchschnittlichen Krankenhauskosten zwischen den Hochbetagten mit und ohne Demenz.
• Der BARMER/GEK-Pflegereport 2010 betrachtet nur die Ausgabenblöcke „Krankenversicherung“ und „Pflegeversicherung“, analysiert man jedoch generell die Ausgaben der medizinischen Versorgung und die Ausgaben für die pflegerische Versorgung, so muss auch berücksichtigt werden, dass z. B. die Sozialhilfeträger im Jahre 2007 netto insgesamt 2,7 Milliarden Euro bereitgestellt haben für die Hilfe zur Pflege. Damit wird der Ausgabenblock der Gesellschaft für Pflege im Verhältnis zur medizinischen Versorgung noch größer (siehe Pressemitteilung des Statistischen Bundesamtes destatis Nr. 460 vom 2.12.2008).
Zusammenfassung
Der Pflegereport 2010 ist eine wichtige Datensammlung, die das Verhältnis von Demenz und Pflege beleuchtet; die Darstellung der medizinischen Versorgung sollte verbessert werden, weil es wichtig ist, die tatsächliche Kontaktzahl zwischen dem behandelnden Arzt und den zu behandelnden Patienten darzustellen. Vermutlich bestehen die Defizite fort, die bereits mit der SÄVIP-Studie beschrieben wurden: suboptimale fachärztliche Versorgung in stationären Pflegeeinrichtungen. Darüber hinaus zeichnet sich eine Gender-Problematik in der Bereitstellung von geeigneten Antidementiva ab, die die Patientinnen in ihrer Versorgung beeinträchtigen.
Mit dem Pflegereport wird eine Entwicklung offensichtlich: Je schwerer das Krankheitsstadium, je höher der Grad der pflegerischen Versorgung, je älter die Patientin, umso reduzierter ist insgesamt das Niveau der vertragsärztlichen Versorgung. Dies zu analysieren wird zukünftig nicht ausreichen. Faktisch wird in vielen Fällen der Sicherstellungsauftrag in der ambulanten ärztlichen Versorgung nicht wahrgenommen. 11.000 Pflegeheime mit über 700.000 Heimbewohnern sind keine Kleinigkeit!
Es muss für die ambulant tätigen Ärzte in Zukunft attraktiver sein, alte Menschen, die informell oder stationär pflegerisch versorgt werden, medizinisch zu betreuen. Pauschalierte ärztliche Honorare oder fallende Punktwerte im ärztlichen Honorar wirken eher kontraproduktiv, denn der Pflegereport zeigt eindeutig, dass zwei Kostenblöcke nach wie vor erdrückend sind: stationäre Krankenhausaufenthalte und Pflegekosten. Insbesondere die Krankenhauskosten können durch vermehrte ambulante ärztliche Tätigkeit reduziert werden. Das Berliner Modell belegt dies seit Jahren (Kotek, H. 2006). Solange der medizinische „Arm“ parallel zur Pflege nicht gestärkt wird, wird die Pflege auch nicht entlastet. Insofern ist es wichtig, in Zukunft nicht nur die Pflege isoliert als Herausforderung zu betrachten, sondern zu untersuchen, wie die Pflegelast durch ambulante medizinische Versorgung sinnvoll reduziert werden kann. <<