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Die Finanzierung eines gesundheitlichen Mehrwerts setzt die Unterscheidung von Qualität und Nutzen voraus

Qualität und Nutzen sind auch im Gesundheitssystem häufig verwendete Begriffe, mit welchen wir betonen, dass nennenswerte Ressourcen aufgewandt werden, um eine optimale „Versorgungsqualität“ zu gewährleisten und „Nutzen“ für die Betroffenen zu stiften. Beispiele sind der Anteil ärztlicher Arbeitskraft (ca. 20%), der für Qualitätssicherung gebunden wird und die Ausgaben, die im Rahmen der Zulassung von Arzneimitteln für die Erstellung von Nutzen-Dossiers entstehen (ca. 1 Million Euro/Dossier).Qualität und Nutzen werden demnach als unterschiedliche Dimensionen eines gesundheitlichen Mehrwerts verwendet, wobei Qualität eine notwendige Voraussetzung sein könnte, um Nutzen zu stiften, aber Nutzen nicht notwendigerweise eine Voraussetzung für Qualität ist. Die zunehmende Verknappung von Ressourcen in den Gesundheitssystemen erfordert nicht nur die kritische Analyse neu hinzukommender, sondern auch die Rechtfertigung bestehender Ausgaben. Die nicht unerheblichen Ausgaben für die Sicherung der Qualität und des Nutzens von Gesundheitsleistungen können nicht mehr als Selbstzweck akzeptiert werden1. Sie sind zum einen einer „klinisch-ökonomischen“ Analyse zu unterziehen, durch welche der Aufwand und die erzielten Erträge für Patienten und die Gesellschaft miteinander verglichen werden. Zudem eröffnet die differenzierte Analyse von Qualität und Nutzen neue Überlegungen zur Finanzierung von Gesundheitsleistungen. Um diese Analyse durchführen zu können, ist zunächst zu beschreiben, was unter „Qualität“ und „Nutzen“ im Gesundheitssystem verstanden wird.

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Erstveröffentlichungsdatum: 31.03.2015

Abstrakt: Die Finanzierung eines gesundheitlichen Mehrwerts setzt die Unterscheidung von Qualität und Nutzen voraus

Die zunehmende Verknappung von Ressourcen in den Gesundheitssystemen erfordert nicht nur die kritische Analyse neu hinzukommender, sondern auch die Rechtfertigung bestehender Ausgaben. Zur Sicherung der Qualität und des Nutzens werden Ressourcen aufgewandt, die nicht als Selbstzweck akzeptiert werden sollten. Zum einen sind diese Ausgaben in einer „klinisch-ökonomischen“ Analyse mit dem „Mehrwert“ zu vergleichen, der für die Patienten und das System entsteht. Weiterhin öffnet diese differenzierte Darstellung neue Perspektiven zur Kopplung des vertretbaren Aufwands mit dem erzielten gesundheitlichen Mehrwert. Die hier beschriebenen Überlegungen zu Qualität und Nutzen im Gesundheitssystem sind als Einstieg in eine Analyse zu verstehen. Nach Formulierung einer Hypothese werden die Definitionen von Qualität und Nutzen und deren Konstrukte vorgestellt. Die Konstrukte differenzieren zwischen den Ebenen der Struktur-, Prozess- und Ergebnis-Qualität und unterscheiden den individuellen, den gruppenspezifischen und den gesellschaftlichen Nutzen von Gesundheitsleistungen. Als mögliche Konsequenzen lassen sich verschiedene Formen des Nutzens von Gesundheitsleistungen und ein Wechsel von einer leistungsbezogenen zu einer anreizbezogenen Vergütung ableiten. Dazu sind die Versorgungsergebnisse und der erzielte Mehrwert für das Individuum, die Krankheitsgruppe und die Gesellschaft jeweils anhand geeigneter Indikatoren mit spezifischen Methoden zu erfassen und zu adaptieren. Mit diesem Modell wird über die leistungsbezogenen Anreize eine Kopplung des vertretbaren Aufwandes an den gesundheitlichen Mehrwert der Leistungsempfänger erreicht, die von allen Akteuren des Systems in definierten Intervallen angepasst werden kann.

Abstract: The Payment for Additional Health Benefit Presumes the Differentiation of Quality and Benefit

The increasing shortage of resources in the healthcare system requires not only a critical analysis of all new expenditures, but also justification of existing ones. To ensure the quality and benefit of healthcare services and products, the necessary resources should not be accepted as ends in themselves. Expenditures should first be compared with the additional benefit accrued for the patients and the healthcare system in a clinical-economic analysis. Furthermore, this differential analysis opens up new perspectives for linking acceptable costs (in the broadest sense of the word) with the desired added health benefit. The deliberations concerning quality and benefit in the healthcare system described here provide an introduction to such an analysis. After formulating a hypothesis, the definitions of quality and benefit and their theoretical constructs will be introduced. The constructs differentiate among the levels of quality of the structure, the process, and the result of healthcare services and distinguish among the individual, the group-specific, and the public benefit derived from these services. Different forms of benefit of healthcare services and a transition from a service-oriented to an incentive-oriented reimbursement system are possible consequences. The outcomes of healthcare services and the desired additional benefit to the individual, the group affected by the specific condition, and society at large are to be determined and adapted with specific methods using appropriate indicators. This model makes it possible to link the acceptable public cost to the additional health benefit for the affected individual by means of performance-related incentives, which can be adjusted at predefined intervals by all stakeholders in the healthcare system.

Literatur

1. Schrappe M. Qualität 2030. Die umfassende Strategie für das Gesundheitswesen. MWV Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, 10969 Nini1808Berlin, 2014. ISBN: 978-3-95466-140-4 2. DIN ISO 10004:2015-01: Qualitätsmanagement - Kundenzufriedenheit - Leitfaden zur Überwachung und Messung (ISO 10004:2012); Text Deutsch, Englisch und Französisch 3. Hecken J. Pay for performance funktioniert nicht. HYPERLINK „http://www.aerzteblatt.de/nachrichten/62613/Hecken-Pay-for-Performance-funktioniert-nicht.LetzterDownload5.5.2015“ http://www.aerzteblatt.de/nachrichten/62613/Hecken-Pay-for-Performance-funktioniert-nicht. Letzter Download 5.5.2015 4. Drei Jahre frühe Nutzenbewertung: Erfahrungen – Standortbestimmung – Weiterentwicklung. AMNOG-Fachtagung des G-BA am 30. April 2014 in Berlin. HYPERLINK „https://www.g-ba.de/institution/service/veranstaltungen/veranstaltungen-amnog/fachtagung-2014.LetzterDownload5.5.2015“ https://www.g-ba.de/institution/service/veranstaltungen/veranstaltungen-amnog/fachtagung-2014. Letzter Download 5.5.2015 5. Porzsolt F. Gesund ist, wer wählen darf. Eigenverantwortung im Gesundheitssystem: Der Zusammenhang von Gesund- und Wahlfreiheit. Beiträge zur Stiftung Privatmedizin 2015;1:1-11. http://www.ice-ev.de/deutsch/veröffentlichungen/publikationen/ 6. Donabedian A. Evaluating the Quality of Medical Care. The Milbank Quaterly. 2005;83:691-729. Reprint from The Milbank Memorial Fund Quaterly 1966;44:166-203. 7. Laugesen MJ. HYPERLINK „http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/25367477“ The resource-based relative value scale and physician reimbursement policy. Chest. 2014;146:1413-1419. 8. Nagelhout GE, Willemsen MC, van den Putte B, de Vries H, Willems RA, Segaar D. HYPERLINK „http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/24842854“ Effectiveness of a national reimbursement policy and accompanying media attention on use of cessation treatment and on smoking cessation: a real-world study in the Netherlands. Tob Control. 2014 May 18. pii: tobaccocontrol-2013-051430.

Zusätzliches

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Die Finanzierung eines gesundheitlichen Mehrwerts setzt die Unterscheidung von Qualität und Nutzen voraus

Qualität und Nutzen sind auch im Gesundheitssystem häufig verwendete Begriffe, mit welchen wir betonen, dass nennenswerte Ressourcen aufgewandt werden, um eine optimale „Versorgungsqualität“ zu gewährleisten und „Nutzen“ für die Betroffenen zu stiften. Beispiele sind der Anteil ärztlicher Arbeitskraft (ca. 20%), der für Qualitätssicherung gebunden wird und die Ausgaben, die im Rahmen der Zulassung von Arzneimitteln für die Erstellung von Nutzen-Dossiers entstehen (ca. 1 Million Euro/Dossier).
Qualität und Nutzen werden demnach als unterschiedliche Dimensionen eines gesundheitlichen Mehrwerts verwendet, wobei Qualität eine notwendige Voraussetzung sein könnte, um Nutzen zu stiften, aber Nutzen nicht notwendigerweise eine Voraussetzung für Qualität ist. Die zunehmende Verknappung von Ressourcen in den Gesundheitssystemen erfordert nicht nur die kritische Analyse neu hinzukommender, sondern auch die Rechtfertigung bestehender Ausgaben. Die nicht unerheblichen Ausgaben für die Sicherung der Qualität und des Nutzens von Gesundheitsleistungen können nicht mehr als Selbstzweck akzeptiert werden1. Sie sind zum einen einer „klinisch-ökonomischen“ Analyse zu unterziehen, durch welche der Aufwand und die erzielten Erträge für Patienten und die Gesellschaft miteinander verglichen werden. Zudem eröffnet die differenzierte Analyse von Qualität und Nutzen neue Überlegungen zur Finanzierung von Gesundheitsleistungen. Um diese Analyse durchführen zu können, ist zunächst zu beschreiben, was unter „Qualität“ und „Nutzen“ im Gesundheitssystem verstanden wird.

>> Während der Nutzen, den ein Individuum empfindet, nicht auch von einem anderen Individuum oder aus Sicht der Gesellschaft gleichermaßen empfunden werden muss, wird gute und schlechte Qualität von Experten weitgehend einheitlich unterschieden.
Experten können unterschiedliche Qualitäten auch ohne direkten Vergleich verschiedener Waren oder Dienstleistungen unterscheiden während Laien diese Unterscheidung häufig nur gelingt, wenn sie die Qualität verschiedener Waren oder Dienstleistungen direkt miteinander vergleichen können.
Die Bewertung des individuellen Nutzens folgt anderen Regeln. Nicht nur Experten, auch Laien können einen hohen oder geringen individuellen Nutzen, den eine Ware oder Dienstleistung stiftet, alleine anhand ihrer eigenen Erwartungen unterscheiden. Ein direkter Vergleich unterschiedlicher Waren oder Dienstleistungen ist für die Bewertung des individuellen Nutzens nicht erforderlich. Die Bewertung des individuellen Nutzens beruht auf den individuell geprägten Erwartungen, die auf individuellen Erfahrungen oder auf zugänglichen Informationen beruhen.
Qualität und Nutzen sind relative Werte
Beide Konstrukte, Qualität und Nutzen, lassen sich als relative Werte verstehen, weil jeweils das Verhältnis zwischen einem beobachteten und einem erwarteten Ergebnis gebildet wird. Beide Konstrukte werden umso höher eingestuft, je größer das Verhältnis zwischen dem beobachteten und dem erwarteten Ergebnis ist.
Im Falle der Qualität wird das beobachtete Ergebnis mit den Erwartungen des Gremiums verglichen, welches die Qualitätskriterien definiert hat. Im Falle des Nutzens wird das beobachtete Ergebnis mit den individuellen Erwartungen jenes Akteurs verglichen, aus dessen Perspektive der Nutzen beurteilt wird2-4.
Generell kann angenommen werden, dass sich die Erwartungen eines Akteurs jeweils auf das vordringliche Problem beziehen, das aus dessen Sicht bevorzugt zu lösen ist. Ein Patient wird die Einschränkung seiner eigenen Gesundheit als vordringliches Problem definieren. Kaum ein Akteur im Gesundheitssystem wird dem widersprechen, aber dennoch Überlegungen anstellen, die sein spezifisches, professionelles Problem, z.B. die ausgeglichene Bilanz seines Unternehmens, lösen.
Der Patient möchte die größtmögliche „gefühlte Sicherheit“ für die Lösung seines Gesundheitsproblems gewährleistet wissen. Mögliche Einschränkungen seiner Lebensqualität (intangible Kosten) werden dabei nicht unbedeutend sein, während die monetären Kosten der Diagnostik und Therapie für den Patienten unbedeutend sind, wenn diese von seiner Versicherung getragen werden. Aus der Sicht anderer Akteure werden die Kosten oder z. B. die Anwendbarkeit einer neuen Technologie einen hohen Stellenwert einnehmen.
Wenn der Nutzen einer Ware oder Dienstleistung nicht bezweifelt wird, wird deren Qualität kaum in Frage zu stellen sein. Andererseits kann aber bei nachgewiesener Qualität noch kein Nutzen postuliert werden. Dieser Hinweis auf die Asymmetrie zwischen Qualität und Nutzen ist kompatibel mit dem höheren Informationsgehalt des Nutzens.
Qualität und Nutzen stellen demnach eigenständige Dimensionen eines Mehrwerts dar, wobei Qualität einer weitgehend objektivierbaren Dimension entspricht, während der Nutzen ein subjektives Konstrukt darstellt. Qualität kann weitgehend einheitlich definiert und von Experten weitgehend einheitlich bewertet werden. Nutzen dagegen entspricht einer Wahrnehmung. Allerdings ist zu beachten, dass relative Werte durch eine Änderung der Erwartungen, d.h. alleine durch Information beeinflusst werden können.
Die beschriebenen Überlegungen können nur der Beginn einer umfassenden Diskussion sein, weil sie auf einer Auswahl persönlich präferierter Aspekte beruhen. Jede nicht zitierte wissenschaftliche Meinung verzerrt die angebotenen Überlegungen, während jede zitierte Meinung den Eindruck der Objektivität erweckt. Um diesen unzutreffenden Eindruck zu vermeiden und an die Unvollständigkeit unserer Überlegungen zu erinnern, haben wir uns bei diesem Kommentar auf ein Minimum an Zitaten beschränkt.
Zusammenfassend kann abgeleitet werden, dass die Kriterien zur Bewertung der Qualität eine geringere Varianz aufweisen als die Kriterien zur Bewertung des Nutzens. Individuelle Aspekte sind bei der Diskussion unterschiedlicher Formen von Nutzen bedeutender als bei der Diskussion von Qualität. Die Bewertungen beider Dimensionen, Qualität und Nutzen, lassen sich aber durch Information beeinflussen.
Die Bedeutung von Information und Erwartungen
Erwartungen werden durch Informationen geprägt. Ein Betroffener, der keine Information über erfolgreiche Behandlungsmöglichkeiten hat, wird diese weder erwarten, noch konkret nachfragen. Andererseits wird aber jeder Betroffene erfolgreiche Behandlungsmöglichkeiten erwarten und nachfragen, wenn auch nur der Hauch einer hoffnungsvollen Information für ihn zugänglich ist. Ob die nachgefragte Behandlungsmöglichkeit letztlich Nutzen stiftet, ist von weiteren Faktoren abhängig.
Da die Menge und die Qualität der frei verfügbaren Information nahezu nicht kontrollierbar ist, wird jede Information erwünschte und unerwünschte Effekte induzieren. Information, die einigen zum Vorteil gereicht bzw. von einem Akteur als Vorteil empfunden wird, kann anderen schaden bzw. von diesen als Nachteil empfunden werden.
Zahlreiche Beispiele aus der Werbung bestätigen, dass Erwartungen, Präferenzen und Bedürfnisse durch Information beeinflusst werden können. Diese Beeinflussbarkeit von Qualität und Nutzen durch Information ist zu berücksichtigen5.
Wenn Qualität und Nutzen als Grundlagen für weitere Entscheidungen verwendet werden, bestehen Anreize, den Nachweis von Qualität und Nutzen in eine erwünschte Richtung zu beeinflussen. Ergebnisse, die auf Meinungen oder anderen schwer verifizierbaren Aussagen beruhen, sind wegen der leichten Beeinflussbarkeit für Entscheidungen nur sehr bedingt brauchbar. Um die Parameter zu benennen, die sich für die Bewertung von Qualität und Nutzen eignen, sind die Konstrukte der beiden Dimensionen zu diskutieren.
Die Konstrukte von Qualität und Nutzen
Die Ebenen der Qualität
Die Vielfalt der Eigenschaften und Themen, die unter dem Schirm der Qualität subsumiert werden, ist nahezu unbegrenzt. Diese Vielfalt trifft auch auf die Gesundheitsversorgung zu. Beispiele für Qualitätskriterien sind dort die Patientenzufriedenheit, das Organisationsmanagement und die Patientensicherheit. Diese Kriterien können den Ebenen der Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität zugeordnet werden, die vom Gemeinsamen Bundesausschuss angewandt und eingefordert werden.6
Unter diesen drei Ebenen wird die Messung der Ergebnisqualität übereinstimmend als schwierig eingestuft und deutlich seltener durchgeführt als Messungen der Struktur- und Prozessqualität. Wenn über die Allokation von Ressourcen zur Finanzierung einer Ware oder Dienstleistung im Gesundheitssystem zu entscheiden ist, sind Daten zu Ergebnisqualität hilfreicher als Beschreibungen der beiden anderen Qualitätsebenen. Durch die Überlegungen zur Unterscheidung von Qualität und Nutzen in der Gesundheitsversorgung haben sich Aspekte ergeben, die in dieser Form bisher nicht diskutiert wurden.
Da die Bestätigung des Nutzens Informationen voraussetzt, die mit der Ergebnisqualität beschrieben werden, kann die Ergebnisqualität als bedeutende Schnittstelle von Qualität und Nutzen verstanden werden. Zudem sollen Hinweise auf die Beeinflussbarkeit von Qualitäts- und Nutzen-Ergebnissen gegeben werden.

Die Zielgruppen des Nutzens
Da der Nutzen, der durch eine Ware oder Dienstleitung entstehen kann, aus der Perspektive eines Individuums anders zu bewerten sein wird als aus der Perspektive einer krankheitsspezifischen Zielgruppe oder aus der gesamtgesellschaftlichen Perspektive, schlagen wir vor, den Nutzen von Gesundheitsleistung aus den Perspektiven unterschiedlicher Zielgruppen zu beschreiben. Analog zur Unterscheidung verschiedener Arten von Qualität (Struktur, Prozess, Ergebnis) können verschiedene Arten des Nutzens anhand der Zielgruppen dargestellt werden.
Diese Unterscheidung nach Zielgruppen lässt sich begründen, weil bei unterschiedlichen Zielgruppen verschiedene Dimensionen des Nutzens erzielbar sind, dazu unterschiedliche Nachweismethoden erforderlich sind, und aus dem Nutzen verschiedener Zielgruppen unterschiedliche Entscheidungen abgeleitet werden können (Tab. 1).
Wenn individuelle Patienten versorgt werden, besteht aus der Perspektive vieler Akteure das Interesse, den individuellen Nutzens für den betroffenen Patienten zu erzielen. Zum Nachweis dieses individuellen Nutzens reichen die im Versorgungsalltag üblichen Methoden aus. In vielen Fällen wird dazu die Bestätigung des Patienten über die eingetretene Lösung seines Gesundheitsproblems ausreichen. Weniger gelten sollte die Bewertung dessen, der die Leistung erbracht hat, weil „nicht der Koch, sondern der Gast die Qualität des Steaks beurteilen sollte“.
Die Frage des optimal gewählten Endpunkts ist für eine Patientengruppe ähnlich zu entscheiden, wie bei individuellen Patienten. Sie ist wegen der problematischen Objektivierbarkeit häufig Anlass von Diskussionen1. Aus dem Nachweis des Nutzens für einen individuellen Patienten können für die Versorgung anderer Patienten allerdings keine Konsequenzen abgeleitet werden. Zum Nachweis des gruppenspezifischen Nutzens sind Studien durchzuführen, um zu zeigen, bei welchem Teil der Probanden der angestrebte Endpunkt nur durch spezifische Intervention erreicht wird.
Auch methodische Aspekte sind häufig Gegenstand der Diskussion. Die Wahl der geeigneten Methoden und Endpunkte ist nicht unproblematisch, weil aus dem Nachweis eines gruppenspezifischen Nutzens Konsequenzen für die Versorgung anderer Patienten ableitbar sein sollten.
So ist unklar, ob eine Studie zum Nachweis des Nutzen einer Versorgung unter Alltagsbedingungen randomisiert sein muss, weil die Randomisation zwar das Risiko eines selection bias (interne Validität) reduziert, aber andere Risiken erhöht. So werden potentielle Studienteilnehmer mit stark ausgeprägter Präferenz seltener als andere an einer randomisierten Studie teilnehmen. Dadurch wird das Risiko eines sampling bias erhöht. Studienteilnehmer mit schwach ausgeprägter Präferenz werden durch die Randomisation zwar kaum an der Teilnahme der Studie gehindert, sie werden aber in einer nicht verblindeten Studie ein erwünschtes Studienergebnis häufiger erzielen, wenn sie die präferierte Therapie erhalten (Placebo-Effekt). Der Effekt tritt in jeder nicht-verblindeten, randomisierten Studie auf, in der die Präferenzen der Studienteilnehmer für die unterschiedlichen Therapien ungleich verteilt sind2. Dieser unerwünschte Effekt wird durch die Randomisation nicht reduziert, sondern verstärkt. Der nicht triviale Unterschied zwischen randomisierten und nicht-randomisierten Studien wurde unter dem Slogan aus der Architektur „Porzsolt et al. Form Follows Function“ publiziert.
Durch das Konzept der zielgruppen-orientierten Nutzenbewertung (Tab. 1) kann deutlich gemacht werden, dass die gesundheitsrelevanten Fragestellungen für unterschiedliche Gruppen der Gesellschaft verschieden sind. Die Methoden zur Beantwortung dieser Fragestellungen und die Konsequenzen, die sich daraus ableiten lassen, sind für individuelle Patienten, Patientengruppen und für die Gesellschaft unterschiedlich.
Auf der Ebene des Individuums ist lediglich zu klären, dass bei drohenden oder bestehenden Gesundheitsproblemen tatsächlich Hilfe in irgendeiner Form geleistet werden kann. Auf der Ebene der Patientengruppen ist die Frage der Wirksamkeit einer spezifischen Leistung zu klären. Auf der gesellschaftlichen Ebene ist die Finanzierbarkeit zu klären. Man könnte daraus ableiten, dass die Beurteilungen aus allen drei Ebenen sinnvoll sind, um den Mehrwert von Gesundheitsleistungen zu beurteilen.
Mögliche Konsequenzen für die
Gesundheitsversorgung
Die Problematik der Nutzenbewertung in unterschiedlichen Zielgruppen
Da es einer fairen Bewertung widerspräche, den Nutzen einer Gesundheitsleistung vom Leistungserbringer selbst beurteilen zu lassen, sollten sich auch im Gesundheitssystem die Akteure generell unterscheiden, die eine Gesundheitsleistung erbringen oder den Nutzen dieser Leistung bewerten. In vielen Fällen akuter Erkrankungen können die Betroffenen das Gesundheitsproblem konkret benennen. Diese Betroffen werden in vielen Fällen auch beurteilen können, ob das Gesundheitsproblem gelöst werden konnte und deshalb in der Lage sein, eine Nutzenbewertung vorzunehmen.
Die Sicherung der Versorgungsqualität ist gesetzlich verankert und in den Budgets integriert. Demgegenüber gibt es bisher aber kaum vergleichbare Programme zur Sicherung des Nutzens von Gesundheitsleistungen. Kritische Analysen beider Bereiche könnten zu dem Ergebnis kommen, dass in den bestehenden Organisationen zur Qualitätssicherung eine Erweiterung der bestehenden Aufgaben zur Sicherung des Nutzens von Gesundheitsleistungen angedacht werden sollte. Durch diese Erweiterung könnte der Wert der Ausgaben zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung gesteigert werden.
Durch die Gegenüberstellung von Qualität und Nutzen konnten Überlegungen formuliert werden, die zur Optimierung der Gesundheitsversorgung genutzt werden können. Die Bedeutendste dieser Überlegungen bezieht sich auf die notwendige Abwägung unter welchen Bedingungen verfügbare Ressourcen nicht nur zur Sicherung der Qualität, sondern letztlich zum Nachweis des Nutzens verwendet werden sollten. Diese Überlegungen sind wertlos, wenn sie letztlich nicht dazu beitragen, den Mehrwert zu steigern, den wir bisher für unsere Gesundheitsausgaben erzielen.
Der Gesetzgeber spezifiziert im SGB V vier Kriterien (wirtschaftlich, ausreichend, notwendig und zweckmäßig), die erfüllt sein sollen, um die Ausgaben für Gesundheit zu rechtfertigen. Es wird gefordert, dass
• die Verhältnismäßigkeit zwischen Aufwand und Ertrag oder zwischen monetären Ausgaben und gesundheitlichem Mehrwert gewahrt ist (wirtschaftlich)
• eine Unterversorgung vermieden wird, d.h. realistisch erreichbare Versorgungsergebnisse mit angemessenen Methoden angestrebt werden (ausreichend)
• eine Überversorgung vermieden wird, d.h. keine unrealistischen Versorgungsergebnisse angestrebt oder unangemessene Methoden angewandt werden (notwendig)
• die Versorgung den Zweck der Gesundheitsversorgung erfüllt, d.h. das bestehende Gesundheitsproblem löst und damit Nutzen stiftet (zweckmäßig).
Damit sind die Rahmenbedingungen für beide Werte, Qualität und Nutzen definiert. Es ist unsere gemeinsame Aufgabe, geeignete Akteure und Methoden zu finden, durch welche nachgewiesen werden kann, dass die gesetzlichen Forderungen erfüllt wurden.
Die verfügbaren Modelle sind dazu bedingt geeignet, weil sie immer Annahmen beinhalten, die sich von der Realität teilweise erheblich unterscheiden. Beispiele hierfür sind die Quality Adjusted Life Years (QALYs) die in Großbritannien noch zur Nutzenbewertung verwendet werden oder die Effizienzgrenzen, die von deutschen Behörden favorisiert wurden oder die aktuell diskutierten Methoden zur Präferenzmessung, wie der Analytical Hierarchy Process, oder die Conjoint und Discrete Choice Analysen.
Jedes dieser Modelle beruht auf einer unterschiedlich großen Zahl von Annahmen, die alle erfüllt sein sollten, um das Modell anwenden zu können. Die Realität ist den Modell-Bedingungen immer ähnlich, stimmt aber nie mit ihnen überein. Dieser Exkurs soll lediglich daran erinnern, dass Modelle hilfreich sind die Realität als Modell, aber eben nicht als Realität abzubilden.
Die Diskussion hat aber auch gezeigt, dass die Konstrukte von Qualität und Nutzen durch externe Einflüsse, z.B. durch Information, einfach zu beeinflussen sind. Nicht alle dieser Einflüsse können kontrolliert werden; ihre Effekte können aber bei der Bewertung von Qualität und Nutzen berücksichtigt werden.
Wenn die hier unterbreiteten Vorschläge, die Wahl der Qualitäts- oder Nutzen-Bewertung am angestrebten Zweck zu unterscheiden und die Nutzenbewertung an den Zielgruppen zu orientieren als umsetzbar erachtet werden, können damit die Risiken einer Fehlbewertung von Gesundheitsleistungen auf die Schultern mehrerer Akteure des Gesundheitssystems verteilt werden. Diese Lösung wird nicht weniger gerecht sein als bisherige Lösungen, aber den Konsens zur Bewertung von Gesundheitsleitungen erleichtern.
Gezielte Kopplung von Gesundheit und Vergütung
Die Überlegungen zu den Schnittstellen von Qualität und Nutzen haben zu nicht erwarteten Ergebnissen geführt. Es ist unbestritten, dass ärztliche und kaufmännische Expertisen für die erfolgreiche Führung eines Gesundheitsbetriebs unentbehrlich sind. Ebenso ist unbestritten, dass zunehmend kaufmännische Fähigkeiten über den Erfolg einer Praxis oder Klinik entscheiden, weil die Indikation zur Erbringung einer diagnostischen bzw. einer therapeutischen Leistung häufiger an der vereinbarten Vergütung als am versprochenen Erkenntnisgewinn bzw. Behandlungserfolg orientiert wird.
Unerwartet war, dass aus der Analyse von Qualität und Nutzen ein Modell zur Kopplung von gesundheitlichem und monetärem Nutzen der Gesundheitsversorgung entwickelt werden könnte.
Der monetäre Gegenwert einer Leistung sollte nicht – wie bisher zu häufig – an einem Versprechen7, sondern an der Einlösung des Versprechens orientiert werden8. Die Einlösung eines Gesundheitsversprechens könnte bewusst als Anreiz verstanden werden, um den steuernden Effekt unseres Vergütungssystems sinnvoll zu nutzen. Dazu ist aber die Einlösung des Versprechens zu verifizieren.
Je höher die monetäre Bewertung eines medizinischen Erfolges angesetzt wird, umso häufiger werden die dazu notwendigen Leistungen erbracht werden, sofern die empfundenen Rahmenbedingungen die Erbringung zulassen. Dieser Trend ist unumkehrbar, zum einen weil die Möglichkeiten, Gewinne durch Gesundheitsleistungen zu erzielen, eher ab- als zunehmen und weil eine wirtschaftliche Vereinbarung erheblich mehr Sicherheit bietet als ein wissenschaftlich unsicher begründetes Versprechen. Mit anderen Worten, die Entwicklung der Gesundheitssysteme befindet sich auf einem interessanten Weg, weil sich die Wertvorstellungen verschiedener Bereiche möglicherweise sinnvoll und zielgerichtet verbinden lassen.
Der Lösung des Problems könnte man durch einen Wechsel von einer leistungsbezogenen Vergütung zu einer anreizbezogenen Vergütung näherkommen. In einem anreizgesteuerten System werden die als notwendig erachteten Leistungen deutlich besser vergütet als Leistungen, die als entbehrlich eingestuft werden (Abb. 1).
Das System ist als lernendes System zu konzipieren, indem fortlaufend analysiert wird, welche der erbrachten Leistungen die Effektivität und den Mehrwert der Gesundheitsversorgung steigern. Wenn identische Versorgungsergebnisse mit und ohne Erbringung einer bestimmten Leistung erzielt werden, sollte die anreizgesteuerte Vergütung für diese Leistung sinken. Analog dazu steigt die anreizbezogene Vergütung, wenn die Versorgungsergebnisse durch die Erbringung einer bestimmten Leistung verbessert werden.
Dieses System setzt eine flächendeckend einsetzbare Dokumenta-tion der Versorgungsergebnisse voraus. Diese Dokumentation kann problemlos gewährleistet werden, weil nahezu alle notwendigen Daten für die Leistungsvergütung bereits jetzt erfasst werden.
Um die Steuerung des Systems fair zu gestalten, sind die Versorgungsziele am Nutzen für die Betroffenen zu orientieren und von einer Kommission in regelmäßigen z.B. in jährlichen Abständen unter Einbeziehung von Betroffenen zu bestätigen oder zu modifizieren.
Der Einfluss ärztlicher bzw. kaufmännischer Entscheidungen auf die Qualität bzw. den Nutzen im Gesundheitssystem ist ohne eine Diskussion über die Inhalte von Qualität und Nutzen nicht darstellbar.
Paul Teirstein hat im „New England Journal“ vom 8. Januar 2015 gezeigt, dass die Zertifizierung von Ärzten zwar deren Qualität mit Zahlen beschreiben kann, aber für die Patienten weitgehend nutzlos ist. Deshalb ist es sinnvoll, die Diskussion über Qualität und Nutzen anzustoßen. <<