Zusätzliches
- Ausgabe: MVF 03/10 Alle Ausgaben als PDF Printmagazin abonnieren Einzelheft bestellen Open Access
Seit 2002 ist Jens Spahn Mitglied des Deutschen Bundestages und seit November 2005 Vorsitzender Arbeitsgruppe Gesundheit der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Obmann der CDU/CSU-Fraktion im Ausschuss für Gesundheit und gesundheitspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion im Deutschen Bundestag. Der Jungpolitiker, von Hause aus Bankkaufmann, der neben seiner Tätigkeit in Berlin 2008 den Bachelor of Arts (B.A.) in Politikwissenschaft erworben hat, war aber auch Mitglied in der Koalitions-Arbeitsgruppe der CDU/CSU und SPD, die die letzte große Gesundheitsreform vorbereitete und gilt – obwohl erst 30 Jahre alt, katholisch und ledig – als „Vater“ des so genannten Arzneimittelpakets und Ideengeber des „Pharma-Soli“, des zehnprozentigen Sonderrabatts, den die Pharmaindustrie zusätzlich zum bestehenden Zwangsrabatt von 6 % den Kassen einräumen muss. Spahn spricht oft vor Leistungserbringern, ob bei Ärzten, Krankenhausvertretern oder Pharmamanagern wie vor ein paar Tagen bei der Jahrestagung von Cegedim, und lehnt sich meist leger an eine Säule oder setzt sich an eine Tischecke. Das, was er sagt, hat Hand und Fuß und klingt - für einen Politiker selten - ehrlich.
> „Es geht darum, die Herausforderung der kommenden Jahre zu meistern“, macht Spahn, Dinnerspeacher der Cegedim-Jahrestagung in Mannheim, gleich von Beginn an klar, dass das, was er gleich zu sagen hat, keine leicht verdauliche Kost werden wird. Weil Gesellschaft wie Politik alleine im nächsten Jahr mit einem Defizit in der gesetzlichen Krankenversicherung von 10 bis 15 Milliarden Euro – dem „mit Abstand höchsten Defizit, das es je in der Geschichte der GKV gegeben“ hat – rechnen müssen, sei die Größe der Herausforderung klar: „Es ist fast egal, welche Farbe regiert“, sagt Spahn. Wer mit 10 oder 15 Milliarden Euro Defizit umzugehen habe, „dem nützt es nichts, in Weltanschauung zu philosophieren“. Für das nächste Jahr nennt Spahn einige Prämissen:
• Die Einnahmen wachsen um 0 %.
• Die Ausgaben steigen um 5 %, was in allen drei großen Bereichen (ambulante Behandlung, Krankenhaus und Arzneimittelsektor) eine relativ durchschnittliche Entwicklung sei.
• Das bisherige System wird weiter entwickelt, was auch bedeute, den Gesundheitsfonds im Grundsatz beizubehalten.
Wo ist denn der Paradigmenwechsel?
Die Krankenkassen erwirtschaften ja schon seit dem 1. Januar 2009, als der Morbi-RSA (aufgrund von Zeitverzögerungen zufälligerweise) zeitgleich zum Gesundheitsfonds eingeführt worden war, ihren Deckungsbeitrag eben nicht mehr hauptsächlich dadurch, dass sie – so der CDU-Politiker - „möglichst viele Junge, Gesunde und Gutverdienende versichern, was das bisher Attraktivste und Einfachste war“, sondern eben durch die vom M-RSA-gesteuerte Krankheits- und Risikostruktur. Ein Deckungsbeitrag werde im Zeichen des M-RSA aber nur dann erwirtschaftet, wenn insbesondere die chronisch Kranken „knapp unter den Durchschnittskosten“ versorgt würden. Spahn: „Nur wenn eine Kasse ein gutes Versorgungsmanagement - idealerweise durch entsprechende Regelungen mit den Leistungserbringern – installiert, kann sie Deckungsbeiträge erwirtschaften.“ Das Problem sei nun, dass die Kassen auch heute noch „kameral auf das jeweilige Jahr“ blicken, wobei es sie im Zeichen des drohenden Zusatzbeitrags nicht interessiert, ob sie heute durch eine 50-Euro-Investition in einen chronisch Kranken in 3, 5 oder vielleicht auch erst 10 Jahren 200 oder noch mehr Euro vermeiden könnten. Diese Kurzfristdenke habe sich zwar durch den Gesundheitsfonds (eigentlich durch den M-RSA) schon ein wenig geändert; doch Spahn ist sich sicher, dass der mentale Durchbruch erst dann kommt, „wenn wir in die Situation kommen, in der fast alle Kassen einen Zusatzbeitrag haben“. Und dass es bald so weit sein wird, sei ebenso klar.
Aber das wird von ihm sogar begrüßt. Denn Spahn betrachtet den Zusatzbeitrag, ergänzt durch lohnunabhängige Elemente, was „weder Fetisch, noch fixe Idee sei, sondern eine Begründung habe“, als einzige Möglichkeit, um auf lange Sicht aus der ständigen Kostendämpfungsdebatte herauszukommen. „In einer Gesellschaft, die älter wird und in der es medizinischen Fortschritt gibt, werden die Ausgaben für Gesundheit ständig steigen“, sagt Spahn und nennt das: „So simpel ist die Wahrheit.“ Doch steigende Gesundheitsausgaben werden im bisherigen Finanzierungsystem gleichzeitig immer auch zu steigenden Arbeitskosten führen, weil sie seit Bismarck eben lohnabhängig sind. Die Gesellschaft käme aber aus dieser Dynamik, ja aus diesem Junktim und damit aus den ganzen Kostendämpfungsnotwendigkeiten nur heraus, wenn die Gesundheitskosten vom Lohn entkoppelt würden, weil „alle Kostendämpfungsgesetze der letzten Jahrzehnte nur mit der Beitragssatzentwicklung begründet“ wurden. Das Ziel, die steigenden Gesundheitskosten ein Stück weit von den Arbeitskosten zu entkoppeln, ist für Spahn ein wertvolles, weil es „eine dauerhafte andere Richtung in der Finanzierung“ darstelle; und auch ein Ziel, „für das wir uns auch ein bisschen Zeit nehmen sollten, es anzugehen“. Ob es gelinge, kann er indes nicht versprechen, aber die Gesellschaft sollte sich seiner Meinung nach zumindest daran machen, es zu probieren und nicht von vorne herein aufgeben. Spahns feste Überzeugung: „Wir wollen den Einstieg in die Prämie, was wir mit einem Zusatzbeitrag schon begonnen haben.“
Gewollter Weg ins Preisbewusstsein
Aber auch, weil der Zusatzbeitrag zum ersten Mal in der Geschichte der Gesundheitsversorgung in der Bevölkerung für ein erstes Preisbewusstsein gesorgt habe. Früher habe es doch viele Bürger gegeben, rechnet der zahlenaffine CDU-Politiker vor, die bei einer Kasse mit 13,5 % versichert waren, während es gleichzeitig welche gab, die bei der AOK Berlin mit 16,7 % versichert waren. Spahn: „Das sind bei 1.000 Euro brutto 32 Euro Unterschied zwischen einer Kasse und der anderen, bei 3.000 Euro brutto schon 96 Euro Unterschied - geteilt zwischen Arbeitgeber und -nehmer, die man durch nur zwei Briefe hätte sparen können“ - aber pro Monat, nicht wie heute pro Quartal! Und heute scheine der Untergang des Abendlandes bei acht Euro Zusatzbeitrag hereinzubrechen, das mache deutlich, wie wichtig die Prämie – inklusive eines steuerfinanzierten Ausgleichs - als Preissignal sei. Dazu käme, dass laut Spahn bei einem steuerfinanzierten Sozialausgleich im übrigen auch alle Privatversicherten und obendrein all jene, die über der Bemessensgrenze von 3.750 Euro liegen, mit zahlen. Spahn: „Das ist doch am Ende ein gerechteres System als das, das wir heute haben.“ Deshalb sei es so schade, dass diese Idee „durch die Überschriften-Diskussion der letzten Wochen in der öffentlichen Wahrnehmung verbrämt“ werde.
Langfristige Lösung gesucht
Doch bis dieser große Wurf durch Parteien und Politik ist, das dauert. Deswegen zieht die Regierung unter der Knute des drohenden Defizits einige Sparansätze vor, zuallererst den Bereich der Arzneimittel. „In der Arzneimittelversorgung verknüpfen wir im Grunde erstmalig zwei Dinge miteinander“, erklärt Spahn, wohl wissend, dass bisher immer nur der erste Teil stattgefunden hat: nämlich der kurzfristige Sparansatz. „Wir wollen aber kurzfristiges Sparen mit langfristigen Strukturveränderungen verbinden“, verspricht der Gesundheitspolitiker, der noch so jung ist, dass er die Früchte seiner Arbeit vielleicht mal wird erleben können - vielleicht sogar als auch dann noch aktiver Politker.
In diesem Zsuammenhang spricht er von einer großen Chance auch für die Pharmaindustrie, die Kostendämpfungsdebatten ein für alle mal zu beenden; und zwar möglichst so, dass „tatsächlich Innovation und Forschung auch weiterhin befördert werden“, was er als „Segen für alle Beteiligten“ empfände.
Doch zuerst kommt – wie immer – das Sparen. So wurde der „Pharma-Soli“ offiziell als Änderungsantrag zum laufenden Gesetzgebungsverfahren eingebracht, mit dem ab 1. August dieses Jahres ein gesetzlicher Herstellerrabatt auf die Arzneimittel ohne Festbetrag von zusätzlich zehn % eingeführt werden soll - eben als „Solidaritätsbeitrag“ der pharmazeutischen Industrie angesichts des großen Defizits im nächsten Jahr. Die Pharmahersteller werden dabei nicht die einzigen sein, die von der Politik als Sparkasse betrachtet werden. Spahn: „Wir werden auch bei Ärzten und bei den Krankenhäusern nicht einfach der Entwicklung zuschauen können - auch diese Bereiche werden bei einem Defizit von zehn Milliarden Euro nicht ausgenommen werden können.“
Schneller in den Festbetrag
Der zehn%ige Herstellerrabatt, zusätzlich zum bestehenden Zwangsrabatt von sechs % wird also kommen, da führt kein Weg mehr vorbei. Deshalb sollten die Pharmahersteller mehr auf „langfristige Strukturveränderungen“ setzen. Doch auch hier ist nicht alles eitel Sonnenschein. Zwar bezeichnet es Spahn als Prämisse seiner bürgerlichen Koalition, nach der es Forschung und Innovation auch künftig geben und die sich auch lohnen soll, doch hätten seine Kollegen und er „schon den Anspruch, dass das, was auf den Markt kommt, nicht nur neu, sondern auch besser“ sein soll, wobei der Begriff „innovativ“ nicht reduziert werden dürfe auf „nur neu“. Spahn: „Es ist ein hohes Gut, dass in Deutschland neue Medikamente ab Zulassung direkt erstattungsfähig sind, an diesem Gut wollen wir im Grundsatz auch nicht rütteln.“
Gerüttelt wird aber daran, was nun innovativ ist, und vor allem daran, was es kosten darf. Dazu sollen die Pharmahersteller zeitnah nach der Zulassung ein Dossier vorlegen, was sie laut Spahn schon heute in vielen europäischen Ländern tun müssten. Also solle man doch bitte nicht so tun, als bräche da etwas ganz schlimmes über die Pharmaindustrie herein. Dazu werde seines Wissens nach schon heute in 80 bis 90 % der Phase III-Studien auch gegen Therapiealternativen getestet, wo es der Industrie doch ein leichtes sei, „da noch einen Arm dran zu bauen“, um zusätzliche Erkenntnisse über den Zusatznutzen zu gewinnen oder der Frage nachzugehen, welche Patientengruppen wirklich in Frage kommen.
Dass man in einem derartigen Dossier in der Zeit kurz nach der Zulassung nicht alles wird erforschen können, ist Spahn auch klar, deshalb nennt der Politiker das auch eine „Frühbewertung“. Doch auf Basis nur dieses Dossiers soll ja immerhin entschieden werden, ob das neue Medikament ein Analogpräparat ist oder tatsächlich etwas neues, innovatives. „Ich war mir in den Verhandlungen manchmal nicht sicher, ob das alle schon gleich verstanden haben“, sagt Spahn, denn dieser Ansatz werde per se die Zahl der Medikamente erhöhen, die relativ schnell in den Festbetrag wandern werden. Das ist für den Politiker „die größte aller Keulen im System“ - doch ob alle das erkannt haben, sei die Frage.
Eine weitere sei jene, was mit jenen Neueinführungen geschehen soll, bei denen man trotz Dossier objektiv abschließend nichts genaues sagen kann – hier werde eine Art „Rückerstattungsoption“ diskutiert, doch sei man hier noch am Anfang. Ebenso bei der Fragestellung nach einer Übergangslösungen für all jene Medikamente, die schon jetzt in der Phase-III-Studie oder kurz vor Zulassung stehen, und die die Anforderungen eines Dossiers noch nicht erfüllen könnten. Spahn: „Da sind wir noch im Prozess, die Dinge auszuformulieren.“
Ist das Medikament mit seinem Dossier einmal im Markt, muss es erstattet werden. Zu welchem Preis indes, das ist die Frage. Denn innerhalb der ersten zwölf Monate nach Zulassung soll es auf Basis der Dossiers und ebenso der „Inblicknahme der europäischen Preissituation“ entsprechende Verhandlungen mit dem Spitzenverband der Krankenkassen geben. Falls nun Pharmahersteller und SpiBu innerhalb dieses Zeitraums nicht zu einem Ergebnis kommen, soll ein Schiedsverfahren eingeläutet werden, was Spahn als Positivum bezeichnet: Denn die Alternative zum Schiedsverfahren wäre eine Ersatzvornahme durch das Bundesministerium gewesen, was aber der bürgerlichen Koalition ein Gräuel gewesen wäre, wenn sie staatliche Preisfestsetzungen hätte vornehmen müssen. Spahn: „Nun stellt sich die Frage, was wir machen können, wenn die beiden Vertragspartner in den zwölf Monaten zu keinem Ergebnis kommen.“ Will heißen: Die Politik will ein Instrument haben, damit die beiden miteinander verhandeln und auch zu einem Ergebnis kommen müssen.
Zentrale Schiedsstelle mit Vorschlagsrecht
Das Mittel der Wahl ist für Spahn eben die Schiedslösung, die im Prinzip wie alle anderen Schiedsverfahren ablaufen soll; mit einem kleinen Unterschied: „Wir werden eine zentrale Schiedsstelle einrichten, damit nicht wie bei den Hausarztverträgen quer durch die Republik zig verschiedene Schiedsleute zu zig verschiedenen Entscheidungsgrundlagen kommen.“ Diese zentrale Schiedsstelle, neutral besetzt und mit den Vorschlagsrecht auch der Betroffenen – soll innerhalb nach nur drei Monaten zu einem Ergebnis kommen, so dass es „nach insgesamt 15 Monaten einen Preis gibt, der erst einmal gilt“. Jenseits der Verhandlungsebene zwischen dem SpiBu und dem jeweiligen Pharmahersteller soll es nach Willen der Politik auch Gespräche zwischen dem Hersteller und einzelnen Kassen geben – und zwar über Verträge, die keine Preis-, sondern vor allem Versorgungsverträge sein sollen. „Wir wollen, dass die Pharmaindustrie mehr als bisher Partner von IV-Verträgen wird“, erklärt der CDU-Politiker, auch weil „wir glauben, dass insbesondere durch Versorgungsverträge, bei denen die beteiligen Ärzte und Fachärzte, Kliniken, Apotheken und die Industrie mit am Tisch sitzen, die Versorgung verbessert wird.“
Die Vision einer ganz neuen Vertragswelt
Dafür könne man dann Detailregelungen wie Zweitmeinungsverfahren, Wirtschaftlichkeitsprüfung oder Bonus/Malus wegfallen lassen, weil das idealerweise im Sinne von Qualität und Leitlinienversorgung geregelt werden könne. Spahns Vision: „Das soll eine neue Vertragslandschaft werden, die sich rund um die zentralen Verträge des Spibu entwickeln kann.“ Um dies zu ermöglichen, strebt Spahn an, das Wettbewerbs -und Kartellrecht voll durchgängig anwendbar zu machen und Streitfälle durch die Zivilgerichtsbarkeit und nicht mehr durch die Sozialgerichtsbarkeit regeln zu lassen. Das heiße aber auch, dass es das, was die AOK im Moment mache, künftig nicht mehr wird geben können, weil das dann „eine missbräuchliche Ausnutzung marktbeberrschender Stellung“ wäre.
Ebenso soll das neue System möglichst transparent ablaufen, idealerweise analog zu den Phase III-Studien, bei denen es beim BfArM schon lange „early dialogues“ und „Guidance-Gespräche“ gibt. „Solche Gespräche soll und muss es frühzeitig auch mit dem IQWiG und dem G-BA geben“, erklärt Spahn, der diesen Transparenzansatz als „Chance für die Industrie“ bezeichnet, weil sich das IQWiG eben nicht mehr „weltweit aus welchen Kriterien heraus auch immer Studien zusammen klamüsert, die es zur Grundlage der Bewertung macht“ - und zudem „in aller Regel nicht aus Studien, die jemals für den deutschen Markt gemacht worden sind“. Aber nicht nur in der Zusammenarbeit zwischen Industrie, IQWiG und G-BA soll es mehr Transparenz geben, sondern im ganzen System des IQWiG und des G-BA, was Führung, Struktur und Legitimation einbezieht. Denn: „Transparenz ist die Voraussetzung für Akzeptanz.“ <<
von: Peter Stegmaier