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„Die KV Bayerns ist ein Vorreiter in Deutschland“

Dr. Axel Munte, scheidender Vorstandsvorsitzender der KV Bayerns, im MVF-Titelinterview

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Erstveröffentlichungsdatum: 16.12.2010

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Oft wird das Wirken von Dr. Axel Munte, scheidender Vorstandsvorsitzender der KV Bayerns, darauf verkürzt, dass sein Streben allein darauf ausgerichtet war, den bayerischen Ärzten mehr vom bundesweiten Honorarkuchen zu sichern. Dass ihm das in seiner nun beendeten Amtsperiode gelungen ist, ist unumstritten. Dennoch stehen für ihn persönlich nicht so sehr die Honorare im Mittelpunkt, sondern die felsenfeste Überzeugung, dass gute Ärztliche Qualität eben ihren Wert hat und die durch gute Honorare erzielte Qualität dann ihren versorgungsrelevanten und letztlich auch ökonomischen Nutzen nach sich zieht. Wichtigstes Mittel dabei ist die Versorgungsforschung und zahlreiche Versorgungsverträge und -projekte werden von anderen KVen nachempfunden. Bayern scheint in der ambulanten ärztlichen Versorgung durchaus eine Art „Modellland“ zu sein, in dem die Zukunft der Versorgung teilweise schon heute gelebt wird.

>> Herr Dr. Munte, aus der eben zu Ende gegangenen Wahl zur Vertreterversammlung der KVB ging als stärkste Fraktion die Liste des Bayerischen Hausärzteverbands mit Spitzenkandidat Dr. Wolfgang Hoppenthaller hervor. Was meinen Sie, hat dieses Wahlergebnis an Auswirkungen für den in ihrer Amtperiode eingeschlagenen „bayerischen Weg“ und für die Zukunft des kollektiven und selektiven Vertragswesens in Bayern? Und: Warum wurden Sie nicht wieder gewählt?
Bayerns Ärzte wurden durch die Reformen der vergangenen beiden Jahre extrem verunsichert – zentralistische Honorarreformen haben zu heftigen Verwerfungen geführt und so den Ärzten ihre Planungssicherheit genommen. Zwar war die KVB nur „Vollstrecker“ der Bundesvorgaben, doch viele Ärzte haben das Vertrauen in das jetzige System verloren und sich bei dieser Wahl dem stärksten Kämpfer in der deutschen Ärzteschaft angeschlossen. Inwieweit das Wahlergebnis Auswirkungen auf den „bayerischen Weg“ der Qualitätsorientierung hat, bleibt abzuwarten. Erst einmal wird die nun gewählte Vertreterversammlung im Januar den neuen Vorstand bestimmen.

Aus welchen Erfahrungen heraus ist Ihr persönliches Engagement für die Versorgungsforschung entstanden?
Als ich als niedergelassener Arzt angefangen habe, war mein Alltag von einer Papierflut geprägt. Diagnosen, Behandlungsschritte und so weiter, alles wurde handschriftlich in Karteikarten eingetragen, vieles konnte man nach einiger Zeit sogar selbst schwer entziffern. Der Austausch unter Ärzten war schwer möglich. Informationen wurden zwar von einem Arzt niedergeschrieben, jedoch nicht in einer Form, die hinterher beispielsweise einen Zeitverlauf einfach erkennen ließ - ein Nachteil, den es im Interesse des einzelnen Patienten zu beheben galt. Die Lösung ist aus meiner Sicht die elektronische Dokumentation der medizinischen Daten - vorausgesetzt natürlich, dass der Datenschutz in jeder Hinsicht gewährleistet ist.

Im stationären Sektor ist eine darauf basierende Versorgungsforschung schon fast ein integraler Bestandteil ...
... aber im ambulanten Bereich eine wesentlich größere Herausforderung. Immerhin müssen die Daten, die in den Einzelpraxen schlummern, zunächst zu einem großen „Datenpool“ zusammengeführt werden. In Bayern haben wir hierfür extra ein webbasiertes Dokumentationsportal entwickelt.

Doch Daten alleine sind noch kein Erkenntnisgewinn.
Exakt. Daten müssen benutzt, müssen ausgewertet werden. So haben wir beispielsweise schon herausgefunden, dass die Darmkrebsinzidenz in Bayern unterschiedlich verteilt ist - und können uns nun für entsprechende Handlungsempfehlungen - Stichwort Einladungswesen zur Darmkrebsfrüherkennung - einsetzen. Davon profitieren die Patienten - und das ist meine größte Motivation.

Werten Sie diese Daten selbst aus?
Nein. Ich habe das meinen Mitarbeitern sogar explizit untersagt. Keiner, der seine eigenen Daten sammelt, sollte sie auch noch selbst auswerten, das gilt für Kammern, Kassen oder auch Kassenärztliche Vereinigungen. Wir schreiben Studien immer öffentlich aus und finden so die für jede Aufgabe besten Partner auf Seiten der Versorgungsforschung - und das nicht nur in Bayern, sondern inzwischen auch bundesweit.
Versorgungsforschung und Versorgungsevaluation sind ein wichtiges Anliegen des Vorstands der KVB, schreiben Sie auf Ihrer Website. Was heißt das im Einzelnen?

Es gibt mehrere Gründe, die für eine Versorgungsevaluation sprechen. So haben wir in Bayern in Zusammenarbeit mit Fachexperten Qualitätsmaßnahmen in verschiedenen ambulanten Leistungsbereichen eingeführt - von der Pränataldiagnostik bis hin zur Darmkrebsfrüherkennung, mit denen in der Regel die Struktur- und Prozessqualität verbessert werden soll. Genau hier kommt die Versorgungsevaluation ins Spiel, denn es ist natürlich wichtig, dass wir unsere Qualitätsmaßnahmen evaluieren, um deren Effektivität zu prüfen und gegebenenfalls auch nachzujustieren.

Und was hat der Patient davon?
Die Versorgungsforschung ist wichtig, um die medizinische Versorgung zu verbessern und beispielsweise Krankheiten frühzeitig zu erkennen. Um beim Beispiel Darmkrebs zu bleiben: Dank mehr als einer Million dokumentierter Datensätze können wir den Ursachen von Darmkrebs zunehmend auf die Spur kommen, Empfehlungen wie beispielsweise für ein gezieltes Einladungswesen aussprechen und so die Darmkrebsmortalität perspektivisch senken. Versorgungsforschung dient aber auch der Transparenz über das ambulante Leistungsgeschehen. So haben wir beispielsweise in Kooperation mit dem Landesverband für Ambulantes Operieren eine Studie zur Patientenzufriedenheit nach ambulanten Operationen durchgeführt. Während im stationären Sektor solche Evaluationen an der Tagesordnung sind, hinken wir ja im ambulanten Bereich noch hinterher.

Was kam denn dabei heraus?
96 Prozent der befragten Patienten würden sich wieder ambulant operieren lassen. Die Ergebnisse sind ein guter und wichtiger Beleg für die ambulante Leistungsqualität. Dabei profitieren alle von entsprechenden Ergebnissen: Ärzte, Krankenkassen und letztendlich natürlich die Patienten.

Transparenz ist aber gerade auch über das Leistungsgeschehen wichtig - und zwar wenn es um die Honorarverteilung geht.
Genau. Denn nach den aktuellen Plänen zum GKV-Finanzierungsgesetz soll Bayern benachteiligt werden, wir werden quasi für unsere guten Versorgungsstrukturen bestraft. So werden viele Operationen bei uns in Bayern ambulant durchgeführt, andere Bundesländer könnten das mangels ambulanter Versorgungsstrukturen gar nicht leisten. Ambulant durchgeführte Operationen lösen darüber hinaus Folgekosten im ambulanten Sektor aus, die in anderen Bundesländern im stationären Sektor anfallen. Wir hingegen sollen dafür beispielsweise nun „bestraft“ werden; ein Nachteil nicht nur für Ärzte, sondern natürlich auch für die Kostenträger. Das zeigt, dass wir noch zu sehr in verschiedenen „Finanztöpfen“ - ambulant/stationär - denken und dass Versorgungsforschung wichtig ist für die Transparenz hinsichtlich des Leistungsgeschehens.

Können Ärzte aus der ambulanten Versorgung selbst Versorgungsforschung betreiben? Umgekehrt: wie sehr brauchen Ärzte Ergebnisse aus der Versorgungsforschung?
Natürlich können niedergelassene Ärzte auch Versorgungsforschung betreiben, indem ihre einzelnen Datenschätze zentral strukturiert erfasst und wissenschaftlich evaluiert werden. Wir haben in
Bayern hierfür ein webbasiertes Dokumentationsportal geschaffen: „OPAL“, das „Online-Portal für ambulante Leistungen“. Dort können niedergelassene Ärzte medizinische Daten in verschiedenen Leistungsbereichen online dokumentieren. Die Dokumentationen werten wir - unter Berücksichtigung der Datenschutzbestimmungen - entsprechend aus. Auf den Punkt gebracht: Versorgungsforschung im ambulanten Bereich ist Teamarbeit - jeder niedergelassene Arzt leistet einen Beitrag.

Und wie erhalten die teilnehmenden Ärzte Feedback? Nur so kann sich doch jeder Arzt in seinem Therapieverhalten einschätzen?
Die niedergelassenen Ärzte sollen natürlich nicht „pauschal dokumentieren“, ohne von den Evaluationen zu erfahren. Das ist auch ganz wichtig für die Motivation! Unsere Ärzte erhalten deshalb zwei Arten von Informationen: Erstens ihre persönlichen Ergebnisse, oftmals im Vergleich zu anderen Ärzten ihrer Fachgruppe, um ein individuelles Benchmarking zu erlauben. Da geht es zum Beispiel um Entdeckungsraten von Anomalien oder Komplikationsraten bei Untersuchungen.

Und zweitens?
Informieren wir unsere Ärzte auch über die Auswertungsergebnisse auf aggregierter Ebene, beispielsweise über die räumliche Verteilung der Darmkrebsinzidenz in Bayern. Auch das ist wichtig, damit die Teilnehmer sehen, dass sie nicht „pauschal dokumentieren“, sondern ihre Dokumentationen eine wichtige Basis für die Versorgungsforschung darstellen.

Die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns ist an vielen Forschungsprojekten und Evaluationen beteiligt. Welches sind die grundlegenden Richtungen des Engagements der KVB in der Versorgungsforschung?
Zunächst engagiert sich die KVB im Rahmen der Versorgungsforschung für die Schaffung von Transparenz bei der ambulanten Versorgungsqualität - gegenüber Patienten und Kostenträgern, aber auch Meinungsbildnern in der Politik. So können mögliche Defizite erkannt und behoben werden - oder aber die hohe Qualität der ambulanten Versorgung dargestellt und kommuniziert werden.
Zum Zweiten möchten wir die verschiedenen Qualitätsmaßnahmen, die wir unter dem Dach unseres Qualitätsprogramms „Ausgezeichnete Patientenversorgung“ (www.ausgezeichnete-patientenversorgung.de) zusammengefasst haben, natürlich wissenschaftlich evaluieren. Wir haben derzeit 17 Qualitätsmaßnahmen in verschiedensten Leistungsbereichen, an denen aktuell über 20 Fachgruppen teilnehmen können. Bei den Qualitätsmaßnahmen „Ambulante Operationen“, „Koloskopie“ und „Elektronische Dokumentation in der Schwangerschaft“ ist die Evaluation bereits erfolgt, bei der Qualitätsmaßnahme „Tonsillotomie“ sind wir und die Evaluatoren mit Planung und Datensammlung beschäftigt. Und drittens nutzen wir die im Rahmen unserer Qualitätsmaßnahmen erhobenen Daten für die medizinische Versorgungsforschung.

Können Sie ein Beispiel nennen?
Das Institut für Krebsepidemiologie e.V. an der Universität Lübeck hat beispielsweise zusammen mit dem Krebsregister Bayern und uns einen regionalen Vergleich der Inzidenz kolorektaler Karzinome zwischen 2006 und 2008 in Bayern erstellt. Die Erkenntnisse dieser Studie sind ein erster wichtiger Schritt, um regionale Unterschiede in der Darmkrebshäufigkeit - inklusive der Vorstufen - besser zu erkennen, Risikofaktoren entsprechend zu identifizieren und entsprechende Handlungsempfehlungen abzuleiten.

Was waren denn wichtige erste Erkenntnisse?
Es wurde zum Beispiel aufgezeigt, dass die Darmkrebslast in den Regionen hoch ist, in denen die Teilnahme an der Koloskopie geringer ist und Sozialindikatoren schwächer ausgeprägt sind. Durch diese Studie und ergänzende Analysen ist man jetzt in der Lage, die primäre und sekundäre Prävention auf regionaler Ebene gezielt zu stärken. Die Umsetzung eines organisierten Aufforderungs- oder Einladungsverfahrens zur Darmkrebsvorsorge scheint ein probates Mittel der Sekundärprävention zu sein, um die Teilnahme an der Vorsorge substanziell zu erhöhen.

Was geschieht mit diesen Erkenntnissen?
Die KVB steht derzeit auf Bundes- und Landesebene in Gesprächen, um ein Pilotprojekt umzusetzen. Die durch die Studie identifizierten Regionen, mit geringer Teilnahme und hoher Darmkrebslast, bieten sich für ein Modellprojekt geredezu an, um die Menschen zu erreichen, die man durch das derzeitige opportunistische Screening nicht erreicht.

Wo sind Chancen und Probleme bei Kooperationen mit der Pharmaindustrie?
Eines ist klar: Pharmaunternehmen sind Wirtschaftsunternehmen, deren Ziel es ist, möglichst hohe Gewinne zu erwirtschaften. Dieses Bestreben haben KVen nicht. Für uns steht die bestmögliche ambulante Patientenversorgung im Vordergrund. Diese sicherzustellen - und gegebenenfalls auch zu optimieren - ist eine zentrale Aufgabe einer modernen KV. Dazu gehört im nächsten Schritt auch eine solide Pharmakotherapie-Beratung unserer Mitglieder. Eine unserer größten Herausforderungen ist es, die Studienergebnisse der Pharmaindustrie zu bewerten. Natürlich haben wir einen Vorteil: Als Körperschaft des öffentlichen Rechts sind wir vollkommen unabhängig und keinen Vertriebszwängen unterworfen. Hier liegen aber auch die Chancen von Kooperationen mit der Pharmaindustrie. Bei Forschungskooperationen mit KVen ist ganzheitliche Transparenz gewährleistet - was Studienhintergrund, -design und insbesondere auch Ergebnisse betrifft - das gilt auch bei für die Pharmaindustrie eventuell unangenehmen Ergebnissen.

Dennoch müssen sicher die Berührungspunkte zur Pharmaindustrie stärker strukturiert und insbesondere die Rahmenbedingungen für Kooperationen definiert werden.
Das ist unabdingbar. Einer der geplanten Kooperationsbereiche ist die Durchführung gemeinsamer Vorhaben zur Versorgungsforschung. Das Problem liegt auf der Hand: Viele Arzneimittel werden zwar in jahrelangen Studien vor ihrer Zulassung getestet, ihre Wirkung wird in der Versorgungsrealität dann jedoch kaum mehr evaluiert. Allerdings sind auch hier Studien sinnvoll, um Risiken für Patienten zu minimieren und gegebenenfalls auch die Relation von Kosten und Nutzen zu optimieren. Hier liegen die Chancen einer Kooperation zwischen Pharmaindustrie und KVen, gerade im Hinblick auf die Anforderungen des kommenden AMNOG.

Wann sind für Sie Kooperationen mit der Industrie problematisch?
Aus meiner Sicht dann, wenn sie intransparent ablaufen. Darum haben wir die Kontakte professionalisiert und auch mit „Pharao“ eine transparente Basis für objektive Versorgungsforschungsvorhaben von KVB und Pharmaindustrie geschaffen.

Welches sind die zentralen Punkte dieser Bedingungen bei Kooperationen mit der Pharmaindiustrie? Und wie bewähren sie sich bei der praktischen Durchführung gemeinsamer Projekte?
Zu Beginn einer möglichen Kooperation definieren wir stets klar umrissene Fragestellungen und Ziele. Außerdem wird absolute Transparenz vertraglich vereinbart - hinsichtlich Zielsetzung, Durchführung und insbesondere auch der vollständigen und objektiven Darstellung der Resultate. Dazu werden Unterlagen wie beispielsweise Studienprotokolle und Ergebnisberichte auf der Homepage der Kooperationspartner bereitgestellt. Auf unserer Homepage unter www.kvb.de im Bereich Partner/Versorgungsforschung haben wir alle Kooperationen - unabhängig davon, mit wem wir eine Studie durchführen - veröffentlicht.
Die eigentliche Durchführung von Versorgungsvorhaben läuft dann nach einem fest definierten Prozess ab. So nutzen wir beispielsweise Musterdokumente für die einzelnen Phasen eines Vorhabens und definieren klare Verantwortlichkeiten. Außerdem haben wir die rechtlichen, finanziellen und datenschutzrechtlichen Rahmenbedingungen definiert.

Welche rechtlichen Rahmenbedingungen gibt es denn dafür?
Als Körperschaft des öffentlichen Rechts unterliegen wir natürlich rechtlichen Beschränkungen hinsichtlich unseres Tätigkeitsgebietes. Tätigkeiten, die nicht zu unserem „hoheitlichen Auftrag“ nach dem SGB V gehören, müssen wir durch unsere Rechtsaufsicht, also das Bayerische Staatsministerium für Umwelt und Gesundheit, laut § 75 Absatz 6 SGB V genehmigen lassen. Die Genehmigung des Forschungsvorhabens ist zwingende Voraussetzung für die Durchführung.

Und welche finanziellen Rahmenbedingungen gibt es?
Als Körperschaft des öffentlichen Rechts finanzieren wir uns aus den Beiträgen unserer Mitglieder. Dabei sind wir verpflichtet, diese zweckgebunden für die hoheitlichen oder genehmigten Aufgaben zu verwenden. Versorgungsforschungsvorhaben, sofern sie nicht Bestandteil des hoheitlichen Auftrags sind, müssen wir also kostendeckend über andere Mittel finanzieren.

Also sind hier vor allem die Pharmafirmen gefragt?
Stimmt, doch die forschenden Pharmaunternehmen können Mittel nur entsprechend des Ethikhandbuchs und indikationsbezogen inves­tieren. Darum erstellen wir vor jedem Vorhaben einen Finanzplan und konsentieren diesen mit unserem potenziellen Partner. Idealerweise werben wir aber auch Drittmittel ein, zum Beispiel im Rahmen von Förderprojekten des Bundes. Unsere „DiMelli“-Studie zu Kindern und Jugendlichen mit neu entdecktem Diabetes, die wir in Kooperation mit der Technischen Universität München durchführen, wird beispielsweise vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert - allerdings ist an dieser Studie kein Pharmaunternehmen beteiligt.

Sehen Sie mit Krankenkassen gemeinsame Ansätze für Versorgungsforschungs-Studien? Wo liegen Schwierigkeiten und wo Chancen?
Das Interesse der Krankenkassen an unseren geplanten oder bereits durchgeführten wissenschaftlichen Evaluationen ist groß und zeigt auch, dass wir mit den Krankenkassen auf jeden Fall gemeinsame Ansätze für Versorgungsforschung haben. Dies ist umso erfreulicher, als dass gerade bei der derzeitigen Finanzlage des deutschen Gesundheitswesens unausgeschöpfte Potenziale genutzt werden sollten. Dabei liegen die größten Chancen unter anderem in der Nutzung sektorenübergreifender Datensätze. So haben wir zum Beispiel bei der gemeinsam mit der Ludwig-Maximilian-Universität München und dem Bundesverband für Ambulantes Operieren e.V. durchgeführten Studie zur Qualitätsmaßnahme „Ambulante Operationen“ den Patientenverlauf nach einer ambulanten Operation untersucht. Hierzu haben wir ambulante und - dank des Engagements der Krankenkassen - auch stationäre Abrechnungsdaten heranziehen können. Die große Chance von Forschungskooperationen mit Krankenkassen liegt schlichtweg darin, dass wir über den Tellerrand der ambulanten Versorgung blicken und perspektivisch auch sektorenübergreifend forschen können.

Welche Herausforderungen sind da zu meistern?
Um ein möglichst umfassendes Abbild der Bevölkerung zu erhalten, müssten wir theoretisch idealerweise mit allen Krankenkassen zu einem Thema zusammenarbeiten. Ansonsten können wir rein theoretisch nur Aussagen über die Versicherten einer einzelnen Krankenkasse treffen. Da sich die Versichertenstruktur der einzelnen Krankenkassen zum Teil deutlich unterscheidet, sind Rückschlüsse auf die Gesamtbevölkerung oftmals schwierig. Die Lösung wäre, mit allen Kassen zusammenzuarbeiten, was logistisch bei - allein 160 Krankenkassen im GKV-Bereich - nicht möglich ist. Außerdem haben beide Partner (sowohl Kassen als auch KVB) Vorbehalte, was den Austausch von Daten angeht. Damit meine ich nicht mal aufgrund des Datenschutzes, da dieser in jedem Fall gewährleistet ist. Es geht vielmehr darum, dass beide Partner befürchten könnten, dass der jeweils andere die Daten beispielsweise für Honorarverhandlungen nutzen könnte. Hier müsste man vertraglich den vertraulichen Umgang mit den Daten - auch innerhalb der jeweiligen Organisation - vereinbaren.

Die Kommunikation ist neben der medizinischen Leistung ein entscheidend wichtiger Faktor in der Gesundheitsversorgung. Wie fördern Sie die Kommunikation zwischen Ärzten und Patienten?
Da haben Sie vollkommen Recht! Kommunikation ist für die Gesundheitsversorgung enorm wichtig - und zwar verständliche Kommunikation. Patienten müssen ihre Diagnose, deren Auslöser und die Gründe für die Handlungsempfehlungen ihrer Ärzte verstehen. Beispielsweise kann im Präventionsbereich ein gutes Aufklärungsgespräch Patienten im besten Fall zu einer Vorsorgeuntersuchung motivieren. Im Rahmen unserer Qualitätsmaßnahme „Darmkrebsprävention“ motivieren wir beispielsweise unsere Ärzte, das Beratungsgespräch zur Darmkrebsfrüherkennung elektronisch zu dokumentieren. Die Dokumentation dient dem Arzt dabei als Leitfaden für das Gespräch. So wird sichergestellt, dass Patienten alle für sie relevanten Informationen erhalten - und zwar in verständlicher Form. Das Ergebnis ist ein qualitätsgesichertes Beratungsgespräch - wofür teilnehmende Ärzte übrigens einen Honorarzuschlag erhalten.
Auch im Bereich der Pränataldiagnostik unterstützen wir teilnehmende Ärzte, indem wir in die elektronische Dokumentation eine Funktion eingebaut haben, mit deren Hilfe der Arzt sozusagen auf Knopfdruck einen Patientinnenbrief erstellen kann. Dieser Brief erklärt der schwangeren Frau auf verständliche Art und Weise die Ergebnisse und die Bedeutung der Ultraschalluntersuchung. Auch dafür erhalten teilnehmende Ärzte einen Honorarzuschlag. Die beiden Beispiele zeigen, wie Kommunikation gefördert und Ärzte für ihr Engagement auch finanziell belohnt werden können.

Welche Rolle spielt Kommunikation in der Versorgungsforschung?
Eine ganz wichtige! Evaluationsergebnisse müssen natürlich in jedem Fall transparent kommuniziert werden. Insbesondere Entscheidungsträger sollten über Studienergebnisse informiert werden.

Das Versorgungsmanagement gewinnt immer mehr an Bedeutung. Wo sehen Sie hier die großen Linien für die Zukunft? Wie intensiv muss Versorgungsmanagement mit Versorgungsforschung verknüpft sein?
Das Versorgungsmanagement der Zukunft ist meiner Meinung nach der „Pay for Performance“-Ansatz - kurz P4P, also die qualitätsorientierte Vergütung. P4P nimmt international an Bedeutung zu und ist ein zukunftsweisendes Instrument zur Qualitätssteigerung und gleichzeitig Kostensenkung im Gesundheitswesen. Bei vielen unserer Qualitätsmaßnahmen wird der Ansatz mit Zuschlägen oder Zu- und Abschlägen angewandt. Dieser Ansatz schafft also finanzielle Anreize für eine transparente - sprich nachgewiesene - qualitativ hochwertige Versorgung. Das motiviert Ärzte zur Teilnahme.

Ohne Versorgungsforschung kann also im Prinzip kein sinnvolles Versorgungsmanagement entstehen?
Das ist wahr. Versorgungsforschung nach objektiven Kriterien ist bei fast allen Schritten des Versorgungsmanagements notwendig, angefangen vom Erkennen von Versorgungsdefiziten über die Konzeption von Versorgungsmodellen bis hin zur Erfolgsmessung etablierter Versorgungsmodelle. Ich plädiere für einen intensiveren Einsatz der Versorgungsforschung, sowohl zur Schaffung von Transparenz als auch zur Begleitung des Versorgungsmanagements - aber natürlich nur in Bereichen, in denen dies sinnvoll ist.

Mit dem eben erstmals vergebenen Bayerischen Gesundheitspreis sollen Projekte gewürdigt und gefördert werden, die - so die gemeinsame Ausschreibung der KV Bayerns und der Vereinigten IKK - „auf besonders kreative und innovative Weise zu einer qualitativ hochwertigen, ambulanten ärztlichen Versorgung in Bayern beitragen“ und dabei „nachhaltigen Nutzen stiften, nach den Kriterien der Wirtschaftlichkeit umgesetzt worden sein und einen Vorbildcharakter für weitere Regionen besitzen“ sollen. Herr Dr. Munte, wieviele Projekte haben sich denn um diesen Preis beworben und welche Erkenntnisse nehmen Sie als Organisator und Juror mit?
Insgesamt haben wir 54 Bewerbungen erhalten. Diese tolle Resonanz schon im ersten Jahr hat uns sehr gefreut. Besonders beeindruckt hat mich das hohe Maß an persönlichem und oft auch ehrenamtlichem Engagement, mit dem die Projekte umgesetzt wurden und werden. Und das gilt für alle Projekte, nicht nur für die Preisträger. Insbesondere auch in ländlichen Regionen haben Ärzte viele gute Ansätze entwickelt, wie sie trotz der oft großen Entfernungen dem Patienten eine optimale Versorgung bieten können. Ich würde mich freuen, wenn einige der für den Bayerischen Gesundheitspreis nominierten Projekte als Vorbild genommen werden und sich weiter verbreiten.

Bayern scheint in der ambulanten ärztlichen Versorgung eine Art „Modellland“ zu sein, seit dem Sie im Jahr 2008 das Qualitätsprogramm „Ausgezeichnete Patientenversorgung“ gestartet haben. Nun könnte man - negativ formuliert - sagen, dass die bayerischen Ärzte dies dringender als ihre Kollegen in anderen Bundesländern nötig gehabt hätten, oder aber aus positiver Sicht, dass in Bayern aufgrund der schon guten ambulanten Versorgung ein derartiges Qualitätsprogramm erst möglich war. Wie haben Sie denn 2008 argumentiert?
Tatsache ist, dass Deutschland im internationalen Vergleich seinen Versicherten ein sehr hohes Versorgungsniveau bietet. Dennoch gibt es immer wieder Versorgungsbereiche, in denen Defizite bestehen, die auf Bundesebene nicht so zeitnah ausgeräumt werden können, im Rahmen einer regionalen Qualitätsmaßnahme hingegen schon. Bei der Einführung unseres Qualitätsprogramms ging es mir nicht nur um die Optimierung einzelner Versorgungsbereiche, sondern insbesondere auch darum, die bereits bestehende Qualität innerhalb der ambulanten Versorgung transparent darzustellen. Meine Vision dabei war und ist, dass Ärzte, die sich bereit erklären, überdurchschnittliche Standards in Prozess- und Strukturqualität zu erbringen, dafür auch angemessen „belohnt“ werden. Damit sind finanzielle Anreize - Stichwort „Pay for Performance“ - genauso gemeint wie mögliche Marketingeffekte, wie die Verleihung unseres „Gütesiegels“ im entsprechenden Versorgungsbereich, das Zertifikat für die Arztpraxis und den Eintrag in unsere spezielle Arztsuche auf www. ausgezeichnete-patientenversorgung.de.

Der Ansatz damals war wirklich neu, aber ist die KV Bayerns heute noch Vorreiter für das Bundesgebiet?
Neue Ideen brauchen immer einen Vorreiter - eine Rolle, die nicht immer ganz angenehm ist und mit der man häufig in die Kritik gerät. Diese Rolle habe ich trotzdem gerne eingenommen und der Kritik stand gehalten, um meine Vision weiter zu verwirklichen. Ich sehe mich bestärkt auf meinem Weg, da gerade in der letzten Zeit immer mehr Länder-KVen und sogar die KBV auf uns zugekommen sind, um unsere Versorgungsverträge zu übernehmen. Den Vertrag zu unserer Qualitätsmaßnahme „Tonsillotomie“ - also der Verkleinerung der Gaumenmandeln bei Kindern - haben beispielsweise inzwischen sieben weitere KVen übernommen.

Im Zuge des GKV-WSG sollten die Möglichkeiten der KVen für regionale Verträge stark eingeschränkt werden, was Sie durch die Einführung des sogenannten „Qualitätsparagraphen“ 136 Absatz 4 zu verhindern wussten. Dazu haben Sie ein Jahr lang Gespräche mit politischen Entscheidungsträgern geführt, bei denen Sie für den bayerischen Weg der qualitätsorientierten Vergütung warben. Welche Pro- oder auch Kontra-Meinungen bekamen Sie denn da zu hören?
Das war ein harter Kampf damals. Umso mehr freue ich mich heute, dass der „Qualitätsparagraph“ schließlich ins Gesetzbuch aufgenommen wurde. Damals haben wir viel Rücken- aber auch viel Gegenwind zu spüren bekommen. Hauptargument waren natürlich unsere bestehenden Erfahrungen. Immerhin hatten wir bereits mit Zu- und Abschlägen (damals höheren und niedrigeren Punktwerten) gearbeitet und konnten die Steuerungswirkung bereits nachweisen. Unsere Beispiele waren anfassbar, wir konnten politischen Entscheidungsträgern live zeigen, wie zum Beispiel unsere Fachwissensprüfungen online ablaufen oder wie unsere Ärzte schon damals medizinische Daten online dokumentiert haben. Angesichts der knappen Mittel im Gesundheitswesen ist der Ansatz einer qualitätsorientierten Vergütung natürlich auch eine hervorragende Möglichkeit für eine gerechte Verteilung der Honorare.

Zweifler stellen sicher die wichtige Frage, ob Ihr bayerischer Weg „im großen Stil“, sprich bundesweit, überhaupt umsetzbar sein würde?
Durchaus. Und besonders hinterfragt wurde, ob finanzneutrale Lösungen - und das ist ja das Prinzip des „Qualitätsparagraphen“ - überhaupt technisch und organisatorisch umsetzbar sein würden. Insbesondere die Krankenkassen befürchteten, dass die KVen den „Qualitätsparagraphen“ als „Trick“ nutzen könnten, um eine Mehrvergütung zu verhandeln. In Zeiten ständiger Reformen wurde außerdem angezweifelt, ob der neue Paragraph im Zusammenspiel mit den anderen gesetzlichen Vorschriften überhaupt funktionieren würde. Doch ein Blick zurück zeigt mir heute: Die Umsetzbarkeit war und ist möglich. Und wir „tricksen“ natürlich keine Kassen aus - auch wenn ich durchaus der Meinung bin, dass in manchen Bereichen ein Zuschlagsystem dem Bonus-Malus-System weichen sollte. Nur bei der Vereinbarkeit mit anderen gesetzlichen Regelungen haben wir in der Tat immer mehr Probleme - ein weiterer Beleg dafür, dass das System zu komplex ist und gute Regelungen durch immer kompliziertere Reglementierungen schleichend verdrängt werden.

Vorbilder brauchen immer auch Nachahmer. Was behindert denn die Translation der bayerischen Vorbild-Projekte in andere Bundesländer oder auch Regionen?
Da ist natürlich zunächst die Skepsis und oftmals auch der klare Widerstand seitens der Ärzteschaft zu nennen. Auch die Einführung bei uns damals war ein harter Kampf - durchaus öfter auch gegen den Wunsch der eigenen Mitglieder. Mittlerweile hat ein Umdenken stattgefunden. Wir haben zunehmend Erfolgsbeispiele, wie Projekte den Fachgruppen eine höhere Vergütung gesichert haben. Die Teilnahmezahlen unser Projekte steigen mittlerweile kontinuierlich - und nicht nur das. Die Ärzte machen sich auch selbst Gedanken, wie man die Versorgung verbessern könnte. Das zeigt eindrucksvoll unser „Ideenwettbewerb“, den wir im Winter 2009/2010 ausgeschrieben haben. Damals konnten sich unsere Mitglieder mit neuen Ideen für Qualitätsmaßnahmen bewerben. Mehr als 30 Vertragsideen wurden damals eingereicht, einige haben wir bereits umgesetzt. Unsere neueste Maßnahme „Risikoprävention bei Kinderwunsch“ basiert auf dem Konzeptvorschlag einer niedergelassenen Gynäkologin. Das Beispiel zeigt mir, dass zumindest in Bayern langsam ein Umdenken stattfindet. Meine Vermutung ist jedoch, dass die Widerstände in anderen Bundesländern noch in größerem Ausmaß vorhanden sind.

Die zweite Herausforderung ist sicher die nötige IT-Infrastruktur.
Genau, denn elektronische Dokumentationen und auch Online-Tutorials erfordern entsprechende webbasierte Plattformen. Viele KVen haben so etwas nicht und leider herrscht im KV-System immer noch ein gewisses Konkurrenzdenken. Es besteht eine gewisse Hemmschwelle, Produkte von „Schwester-KVen“ zu übernehmen.

Was wäre Ihr Vorschlag?
Wir sollten gemeinsam an einem Strang ziehen, unsere Erfahrungen teilen und keine Hemmungen haben, gute Produkte zu übernehmen oder anzubieten. Vor diesem Hintergrund freut es mich sehr, dass sich die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) dazu entschieden hat, unser Online-Portal für ambulante Leistungen - kurz OPAL - bundesweit anzubieten. Wir haben mittlerweile eine kleine Außenstelle der KBV hier in München, in der das Portal zentral für alle KVen gemeinsam entwickelt und betrieben wird. So setzen wir unsere gesammelten Erfahrungen zur bundesweiten Förderung der ambulanten Versorgungsqualität ein.

Demnach hat das IT-Zeitalter in Bayern im Gegensatz zu anderen Bundesländern bereits begonnen.
Und das schon vor sieben Jahren. Seither haben wir als Vorbild für eine bundesweite IT-Struktur agiert. Immerhin haben wir im Jahr 2003 KV-SafeNet geschaffen, ein virtuelles privates Netzwerk, das sich mittlerweile als bundesweiter Vernetzungsstandard in der ambulanten Ärzteschaft durchgesetzt hat. Gerade im IT-Bereich - egal ob damit die Einführung von elektronischen Dokumentationen, Online-Fachwissens-prüfungen oder Vernetzungsmöglichkeiten zwischen Praxen und KVen gemeint ist - sehen wir uns immer wieder darin bestätigt, dass die KVB ein Vorreiter in Deutschland ist. Das ist schon lange so, und soll so auch bleiben!

Für solche Projekte braucht es sicher auch Mitarbeiter mit entsprechenden fachlichen Fähigkeiten.
Auch hier hat zumindest bei uns in der KVB ein Umdenken begonnen. Während wir uns früher zurecht stärker auf die operativen Bereiche konzentriert und entsprechendes Personal rekrutiert haben, bauen wir seit 2002 kontinuierlich strategische Unternehmensbereiche auf, die sich mit der Entwicklung von Dienstleistungen, IT-Lösungen und Qualitätsmaßnahmen beschäftigen. Damit sich die KVen weg von behaglichen Behörden hin zu modernen Dienstleistungsunternehmen entwickeln können, brauchen wir entsprechende Produkte oder Software-Lösungen. Mit solchen strategischen Themen beschäftigen sich bei uns in Bayern 60 Mitarbeiter.

Qualitätsorientierte Vergütung muss eines im Auge haben, soll es nicht nur zu einem Honorar-Plus für den Arzt führen: den Patienten. Mit welchen Instrumenten, Ideen und Argumenten, die über den sowieso bestehenden Gewährleistungsauftrag und hippokratischen Eid der Ärzteschaft hinausgehen, konnten Sie denn ein eindeutiges Plus für den Patienten erreichen?
Wer mich kennt, weiß, dass für mich die bestmögliche Patientenversorgung oberste Priorität hat. Mit dieser Vision im Blick war und bin ich weiterhin bereit, auch Kritik seitens der Ärzteschaft einzustecken. Die Vorteile für Patienten, die sich aus den einzelnen Qualitätsmaßnahmen ergeben, sind vielfältig: Neben der allgemeinen Qualitätssicherung der Diagnose und Untersuchung gibt es ganz konkrete Aspekte, von denen Patienten profitieren. Zum Beispiel bietet die Arztsuche der „Ausgezeichneten Patientenversorgung“ eine Art Kompass: Anhand objektiver Qualitätskriterien können Patienten Ärzte aus über 20 verschiedenen Fachrichtungen mit Hilfe der Online-Suche in ihrer Nähe finden.

Welches der seit 2003 eingeführten Projekte - angefangen mit dem Mammografie-Screening - war denn das, welches für Sie bundes- oder vielleicht europaweit Vorbildcharakter hat?
Sie haben es bereits angesprochen: Das Mammografie-Screening, also die Einführung einer systematischen Früherkennungsuntersuchung von Brustkrebs, war unser erstes Projekt, das hier geboren und dann im Jahr 2007 an die Vorgaben der Krebsfrüherkennungsrichtlinien angepasst und in das bundesweite Screening integriert worden ist. Dabei hat es sich noch dazu um ein besonders komplexes Projekt gehandelt, nicht zuletzt aufgrund der standardisierten Befundungskette. Danach werden die Röntgenbildaufnahmen von mindestens zwei verschiedenen Befunden begutachtet - und das setzt wiederum eine sichere Online-Verbindung voraus. In diesem Zusammenhang haben wir die Online-Anbindungsvariante KV-SafeNet entwickelt.
Aber auch im Bereich der Hygiene haben wir Maßstäbe gesetzt: Im Rahmen der so genannten „HYGEA-Studie“ wiesen 1999/2000 bei Endoskop-Prüfungen in München fast die Hälfte der untersuchten Endoskope hygienische Mängel auf - und das bei freiwilliger Teilnahme. Als Konsequenz haben wir die regelmäßige mikrobiologische Untersuchung flexibler Endoskope in der Praxis niedergelassener Ärzte etabliert. Das Robert Koch-Institut (RKI) hat dann die von der KVB in Zusammenarbeit mit Dr. Lutz Bader vom Max von Pettenkofer-Institut an der Ludwig-Maximilians-Universität München entwickelten Hygienerichtlinien übernommen. So wurde aus dem Projekt von damals ein bundesweiter Standard. Übrigens: Wenn die Ergebnisse der Endoskop-Beprobung ohne Beanstandungen sind, ist die mikrobiologische Untersuchung für teilnehmende Ärzte kostenfrei: die Kosten werden von den gesetzlichen Krankenkassen erstattet.

In selektiven Verträgen, wie zwischen AOK und einigen BKKen sowie MEDI geschlossen, gibt es wohl Bonus aber keinen Malus. Qualitätsorientierte Vergütung der KVB hat jedoch oft ein kombiniertes Bonus-Malus-System. Würden Sie das als Erfolgsfaktor werten?
Ich setze mich schon seit Jahren für eine Steuerung der ärztlichen Vergütung über Qualität ein. Ein reines Bonus-System erfordert aber zusätzliche Mittel von den Krankenkassen. Und die Kassen agieren seit Einführung des Gesundheitsfonds, über den Finanzmittel aus Bayern abgezogen werden, sehr restriktiv im Hinblick auf zusätzliche Mittel. Das „Bonus-Malus-System“, das mit dem § 136 Abs. (4) auch auf Initiative der KVB ins Gesetz aufgenommen wurde, gibt uns die Möglichkeit, Qualität zu belohnen und dennoch finanzneutral für das System zu bleiben. Unsere Auswertungen bestätigen: Die Steuerungswirkung hin zu nachgewiesener Qualität funktioniert. Aber natürlich hat ein solches System auch seine Grenzen. Wenn zum Beispiel nahezu alle Ärzte die Qualitätsanforderungen erfüllen, können Zuschläge für Teilnehmer nicht mehr aus den Vergütungsabschlägen der Nicht-Teilnehmer finanziert werden. In Kassenverhandlungen setze ich mich in erster Linie für reine Bonus-Systeme ein. Und da konnten wir zum 1. Oktober wieder einige neue Verträge für unterschiedliche Fachgruppen abschließen, unter anderem mit der AOK Bayern.

Ein weiterer Erfolgsfaktor ist die sektorale Verknüpfung. Wie sieht es mit den entsprechenden Schnittstellendefinitionen in Bayern aus? Wie werden auf vertraglicher Basis Krankenhaus- sowie Arzt- und Facharztschiene verknüpft?
Damit sprechen Sie einen wunden Punkt an, denn eine echte sektorale Verknüpfung gibt es leider noch nicht - übrigens nirgendwo in Deutschland. Mit dem Erfolgsmodell KV-SafeNet wäre eine solche Verknüpfung zwar realisierbar, aber bis dato fehlen notwendige Standards zwischen Arztinformationssystemen und Krankenhausinformationssystemen. Diese Standards sind eine zwingende Voraussetzung für den einfachen Austausch beispielsweise von Befunddaten. Man könnte sagen, wir benötigen einen Dolmetscher zwischen den Systemen, und zwar zwischen allen Systemen. Erst wenn dieser Dolmetscher existiert und integriert ist, kann eine echte sektorale Verknüpfung geschaffen werden. Fazit: Die Systemhersteller sind am Zug. <<

 

Das Gespräch führten MVF-Herausgeber Prof. Dr. Reinhold Roski und MVF-Chefredakteur Peter Stegmaier.