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Eine gemeinsame Konzeption tut not

Peter Schmidt, Progenerika, im Interview mit MVF:

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Erstveröffentlichungsdatum: 01.04.2009

Plain-Text

Peter Schmidt ist ein „alter Hase“ im Industrie-, Politik- und Verbandsgeschäft im Gesundheitsbereich. Seit mehr als 25 Jahren ist er auf den verschiedenen Seiten der Schreibtische tätig. Wohl selten kann jemand so genau wie er das derzeitige Politikgeschehen aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten, auch wenn er - Geschäftsführer des Branchenverbands Progenerika - augenblicklich vor allem die Brille der Generika aufhat. Dennoch: Mehr Gemeinsamkeit tut not!

>> Die AOK-Verträge sind in die zweite Runde gegangen und werden spätestens im Juni dieses Jahres wirksam. Was erwarten Sie für die Generika-Branche?
Ich gehe davon aus, dass die aktuellen Rabattverträge der AOK, in denen es um die „generischen Blockbuster“ geht, den Konzentrationsprozess zusätzlich beschleunigen werden. Ihre Gerichtsfestigkeit unterstellt, werden sie den Verdrängungswettbewerb in der Branche nochmals spürbar und nachhaltig anheizen. Der selbstständige pharmazeutische Mittelstand hat in solchen Vertragsszenarien aber nun einmal zum großen Teil das Nachsehen.

Das ist sicher nicht zu verhindern, weil es sich um Verträge handelt, die nach dem An-Aus-Muster funktionieren und das für ganze Regionen und Bundesländer.
Das von der AOK vorgegebene „Highlander-Prinzip“ – es kann je Gebietslos nur einen Anbieter geben – nimmt einem Unternehmen faktisch seinen kompletten Gebietsumsatz mit dieser Krankenkasse, wenn es bei der Vergabe nicht zum Zuge kommt. Auf die AOK entfällt bei den ausgeschriebenen Substanzen immerhin ein Anteil von etwa 43 Prozent des gesamten GKV-Umsatzes mit diesen Wirkstoffen. Bieter, die leer ausgehen, verlieren mithin den Zugang zu fast der Hälfte des GKV-Marktes dieses Wirkstoffs. Gehört das betreffende Unternehmen zudem zu den Herstellern, die keinen Portfoliorabattvertrag mit den Ersatzkassen abgeschlossen haben, ist auch dieser Markt mit weiteren 30 bis 35 Prozent Marktanteil dicht. Was bleibt denn da noch groß übrig?

Portfoliorabattverträge kommen fast nur für Vollsortimenter in Frage und solche gibt es im Mittelstand nicht oder zumindest so gut wie nicht. Wird sich alleine schon dadurch die Dominanz der großen internationalen Anbieter verstärken?
Die Marktdaten sprechen eine klare und eindeutige Sprache: Die Rabattverträge haben die Marktanteile der großen Anbieter und ihrer Tochterunternehmen erhöht. Über diese Unternehmensgruppen sind 2008 etwas mehr als 60 Prozent des Generikaumsatzes gelaufen.

Also sind Ihrer Meinung nach diese Rabattverträge mittelstandsfeindlich?
Was an einem Rabattvertrag überhaupt mittelstandsfreundlich sein kann, muss mir noch jemand erklären. Ein echter Mittelständler hat wohl weder bei Wirkstoff- noch bei Sortimentsrabattverträgen auf Dauer eine Chance. Bei Portfolioverträgen ist er wegen seiner in aller Regel nur relativ schmalen Produktpalette strukturell von vornherein im Nachteil. Bei Molekülverträgen kann er zwar mitbieten, wird wegen der Tiefstpreisstrategie, die insbesondere die AOK verfolgt, aber zu Angeboten gezwungen, die nahe an bzw. sogar unter den Grenzkosten liegen. Die Rabattverträge sind aber nicht nur mittelstandsfeindlich, sondern sie gefährden die Leistungs- und damit die Zukunftsfähigkeit der deutschen Generikaindustrie insgesamt. Denn Niedrigstpreisstrategien der Kassen gehen selbst an den großen Anbietern nicht spurlos vorüber. Auch ihnen wird auf diese Weise Substanz entzogen.

Auf deutsch: Gewinne.
Natürlich: auch Gewinne. Aber vor allem jene finanzielle Substanz, die Unternehmen brauchen, um in Zukunft noch in neue Produkte investieren zu können.

Die viel beschworene generische Innovation.
Die generische Innovation im engeren Sinne umfasst die Optimierung patentfreier Erstanbieterprodukte durch die Entwicklung neuer Darreichungsformen und die Verbesserung der Galenik. Im weiteren Sinne gehört auch die Entwicklung und Vermarktung neuer Generika unmittelbar nach Patentablauf zu ihr. Seit kurzem schließt sie außerdem die Entwicklung von Biosimilars ein, für die ein Unternehmen inklusive der Investitionen in die Produktionsanlagen gut und gerne 120 Millionen Euro und noch mehr hinblättern muss.

Zuzüglich der nötigen Zulassungsstudien wohlgemerkt, von denen Professor Dr. Ludwig im Interview mit „Monitor Versorgungsforschung“ (01/09) forderte, dass deren Level nicht geringer ausfallen darf als das „normaler“ Studien.
Diese Studien sind schon enorm aufwändig und teuer. Hinzu kommen die Ausgaben für die Past-Authorisation-Safety-Studies, in die über Jahre hinweg bis zu 1.500 Patienten eingebunden werden müssen. Das nötige Geld müssen die Hersteller bis dato im klassischen Geschäft verdienen, denn die Ergebnisse aus dem Biosimilar-Bereich sind meines Wissens so berauschend noch nicht. Der Marktanteil der Biosimilars ist durchaus steigerungsfähig. Ich bin aber fest davon überzeugt, dass diese Produkte über kurz oder lang den Siegeszug antreten werden, den die Generika bereits hinter sich haben.

Im generischen Bereich wie bei den Biosimilars - aber auch mit Blick auf den forschenden Arzneimittelbereich - fällt auf: Evidenzbasierte Aussagen zur Wirkung der betreffenden Medikamente und ihrer jeweiligen Wertschöpfung im Versorgungssystem fehlen nahezu vollständig.
Das ist ein Manko, das nicht nur die gesamte Pharmaindustrie viel zu spät erkannt hat. Der Auftrag richtet sich zwar in erster Linie an die forschenden Arzneimittelhersteller, die die Produkte zuerst auf den Markt bringen, Generika- oder Biosimilar-Hersteller setzen ja immer auf einer vorhandenen Produktplattform auf, aber auch sie werden diese Aussagen besser früher als später liefern müssen.

Bei der rhetorischen Abwehrschlacht der forschenden Arzneimittelhersteller gegen die aufkommenden Biosimilars beschleicht einen jedoch eher eine Art von Dejà-vu-Erlebnis.
Das ist sicher richtig. Die Durchsetzung von Biosimilars ist allem Anschein nach mindestens ebenso schwierig und langwierig wie die Durchsetzung der chemisch synthetisierten Generika vor etwa 35 Jahren. Ähnlich wie damals bei den ersten Generika werden heute von interessierter Seite Zweifel an der Wirksamkeit, der Sicherheit und der Qualität der Biosimilars geweckt und geschürt. Selbst das Uraltthema Bioäquivalenz wird im Moment wieder aufgewärmt, wobei man einfach wissen muss, dass genau diese Frage bei Arzneimitteln keine Rolle spielt, die dem Patienten – wie Biosimilars – gespritzt werden. Zum Aspekt Sicherheit und Wirksamkeit: Die Zulassung eines Biosimilars ist an Studien geknüpft, in die der Biosimilarhersteller weitaus mehr Patienten einbeziehen muss als der Orginator, der das Medikament vielleicht vor 10, 15 oder gar 20 Jahren zugelassen hat.
Im zentralen Punkt der Sicherheit und Wirksamkeit ihrer Produkte sind die Biosimilarhersteller auf die Hilfe und Unterstützung der Ärzte angewiesen. Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AKdÄ) hat einerseits ohne Wenn und Aber empfohlen, zur Versorgung neuer Patienten Biosimilars einzusetzen. Andererseits hat sie grundsätzlich davon abgeraten, Patienten vom patentfreien Original auf ein Biosimilar umzustellen. Die AKdÄ vertraut also auf die Wirksamkeit und Sicherheit von Biosimilars. Ihr Statement ist ein professionelles medizinisches Argument pro Biosimilar, das für sich spricht. Dass sie zurzeit prinzipiell von der Umstellung vom patentfreien biologischen Erstanbieterprodukt auf ein Biosimilar abrät, ist nicht zuletzt dem Umstand geschuldet, dass der Einsatz aller Biopharmazeutika im Einzelfall medizinisch mit Unwägbarkeiten befrachtet sein kann.
Alles andere, was man derzeit in der Presse so liest, hat eher mit einem Abwehrverhalten forschender Arzneimittelhersteller zu tun, die ihre Pfründe verteidigen wollen. Dass ein Unternehmen seinen „angestammten“ Markt gegen Biosimilarkonkurrenz behaupten will, verstehe ich ohne weiteres. Aber bitte im fairen Wettbewerb und nicht mit diskreditierenden Unterstellungen.

Wo bleibt das Stichwort Gemeinwohl, das man ach so selten hört?
Das Gegensatzpaar „Gemeinwohl“ und „individuelles Wohl“ markiert einen Interessenskonflikt, bei dem der gesellschaftliche Nutzen mit dem Nutzen eines Einzelnen im Streit steht. Im Gesundheitswesen konfligiert vor allem das gesellschaftliche Interesse an einer guten und bezahlbaren sowie für alle Bürger erschwinglichen Gesundheitsversorgung mit dem legitimen betriebswirtschaftlichen Individualinteresse seiner Akteure, für ihre Dienstleistungen und Produkte eine möglichst hohe Vergütung zu erzielen. Die Politik versucht, diesen Interessengegensatz in erster Linie durch eine Fülle von Regulierungen zu lösen.

Ihr Rat an die Politik? Immerhin waren Sie fünf Jahre lang gesundheitspolitischer Referent in der SPD-Bundestagsfraktion.
Der Politik geht es darum, ein effektives Gesundheitswesen zu schaffen bzw. zu erhalten, das jedem Bürger eine gute Versorgung zu bezahlbaren Preisen gewährleistet. Die Vorstellungen, die sie dafür entwickelt, stoßen aber gelinde gesagt zumindest nicht immer auf ungeteilte Zustimmung. Stichwort Gesundheitsfonds.
Dasselbe trifft für die Mittel und Instrumente zu, die sie wählt, um ihre Ziele zu erreichen. Die Politik schenkt nach meiner Erfahrung insbesondere den potenziellen Konflikten nicht hinlänglich Aufmerksamkeit, die zwischen den von ihr definierten Systemzielen und den betriebswirtschaftlichen Interessen der Akteure im Gesundheitswesen entstehen können. In solchen Konfliktsituationen präferieren wir unsere eigenen Interessen und suchen nach Wegen, sie unter Ausnutzung von Gesetzeslücken und –unklarheiten durchzusetzen. Auf gut deutsch: Das Hemd ist uns näher als die Jacke. Solche Umgehungsstrategien rufen wieder den Gesetzgeber auf den Plan, der nun seinerseits bestrebt ist, gesetzliche Schlupflöcher zu schließen. Das Ergebnis dieses Politik-ansatzes: Eine nicht abreißende Kette von Regulierungsmaßnahmen.

Das Musterbeispiel dafür ist die GKV-Arzneimittelversorgung. Hier haben wir es mit einem hoch komplexen Regelwerk zu tun, das eigentlich kaum noch jemand durchblicken kann. Und noch schlimmer: Die Auswirkungen einer einzelnen Regulierungsmaßnahme lassen sich gar nicht mehr valide quantifizieren!
Das ganze Gebilde „GKV“ ist immer komplizierter und undurchschaubarer geworden. Irgendwann fährt unser Gesundheitssystem nach Auffassung vieler Insider vor die Wand, weil es wegen seiner Komplexität und seiner Interdependenzen nicht mehr beherrsch- und nicht mehr steuerbar ist.
Im dichten, schier undurchdringlichen Gestrüpp der dirigistischen Steuerung des GKV-Arzneimittelmarktes sind die pharmazeutischen Unternehmen letztlich nicht mehr in der Lage, betriebswirtschaftlich konsistente mittel- und langfristig angelegte Dispositionen zu treffen. Kein Manager weiß, wie lange eine Regelung Bestand hat: Kaum ist sie in Kraft getreten, hat die Politik schon wieder irgend etwas in Petto. Ich erinnere nur daran, dass die im AVWG verankerten Rabattverbote und –einschränkungen nicht einmal ein Jahr später mit dem GKV-WSG wieder beseitigt werden sollten. Noch konzeptionsloser kann man eigentlich gar nicht mehr vor sich hin wursteln.

Wie lautet denn nun Ihr Rat an die Adresse der Politik?
Zum einen empfehle ich, Konflikte zwischen den von der Politik intendierten Systemzielen und den betriebswirtschaftlichen Zielen der Akteure im Gesundheitswesen noch während des Gesetzgebungsverfahrens herauszuarbeiten und in den Normen Anreize zu setzen, die die Leistungsanbieter dazu veranlassen, sich in ihrem ureigensten Interesse für die Realisierung der Systemziele ins Zeug zu legen. Das ist Sache einer systematischen wissenschaftlich fundierten Gesetzesfolgenabschätzung. Auf eben dieses essenzielle Instrument verzichten wir aber bislang weitestgehend, und zwar nicht nur in der Gesundheitspolitik.
Eine Politik, die ihre Losung vom Wettbewerb im Gesundheitswesen erst nimmt, sollte sich zum anderen darauf beschränken, einige wenige transparente widerspruchsfreie valide und verlässliche Rahmenbedingungen zu schaffen, innerhalb derer die beteiligten Akteure freie Bahn für dezentrale individualvertragliche Verhandlungslösungen haben. Sie sollte zudem endlich aufhören, immer wieder punktuelle Einzelregelungen zu schaffen. Wir brauchen ein ganzheitliches schlüssiges Konzept, wie heute und in Zukunft – einschließlich der Kosten des medizinischen, technischen und pharmazeutischen Fortschritts sowie des demografischen Wandels - mit der Gesundheitsversorgung umgegangen werden soll. Ist diese Vision definiert, müssen sich ihr alle Instrumente unterordnen. Aber leider ist derzeit kein konzeptioneller ordnungspolitischer Faden erkennbar. Und zwar in keiner Farbe - weder schwarz noch rot noch gelb noch grün.

Den Ball kann man der Pharma-Industrie zurückgeben. Seit 20 Jahren die gleichen Argumente: Arbeitsplatz, Standortsicherung, Forschungsstandort, Mehrwertsteuer.
Ein paar Argumente mehr gibt es schon. Leider haben Sie damit Recht, dass die Pharmaindustrie seit 1989, dem Jahr, in dem mit den Festbeträgen das erste Steuerungsinstrument in der GKV-Arzneimittelversorgung in Kraft getreten ist, den Untergang des Abendlandes an die Wand gemalt hat. Und siehe da – sie lebt noch immer.

Und das jedes fast Jahr aufs Neue, während die Umsatzrenditen im zweistelligen Bereich geblieben sind.
Nur bei der forschenden Arzneimittelindustrie. Die Generikabranche hat sich stets mit weitaus geringeren Margen bescheiden müssen. Bei ihr ist das goldene Zeitalter guter Renditen schon vor einigen Jahren zu Ende gegangen.

Wie sieht es in der Generikaindustrie aus?
Die Hersteller stecken in einem Schraubstock aus Dirigismus einerseits und Rabattvertragswettbewerb andererseits, aus dem sie sich wegen der gesetzlich verfügten Austauschbarkeit ihrer Produkte – homogene Güter – nicht befreien kann. Das ist ihr „Gefangenendilemma“. Man muss sich nur vor Augen halten, dass allein das AVWG die Generikapreise vom März 2006 bis zum März 2007 um stolze 835 Millionen EUR gedrückt hat. Das entspricht durchschnittlichen Preissenkungen von 31 Prozent. Und nun kommen noch die Rabatte oben drauf. Bei einer Reihe von Produkten werden nach Einschätzung von Branchenkennern inzwischen nicht nur die Grenz-, sondern auch die Herstellungskosten unterschritten. Unter dem Strich hat die Politik einen ruinösen Preiswettbewerb im Generikamarkt entfacht, in dessen weiteren Verlauf kleine und mittlere Unternehmen aus dem Markt ausscheiden werden. Und diese Konzentration ist nicht alles: Der Preis- und Kostendruck, unter dem die Unternehmen derzeit stehen, gefährdet den Generikaproduktionsstandort Deutschland ganz massiv.
Und wofür das alles? Ich habe einen Herzenswunsch: Ich möchte den Menschen gerne mal kennen lernen, der der Politik und den Krankenkassen eingeredet hat, dass Rabattverträge für sie auf Dauer etwas Positives sind. Das beginnt schon mit der simplen Frage, welche Einsparungen Rabattverträge generiert haben. Da gibt es im Moment bloß Spekulationen. Nicht zuletzt auf unser ständiges Drängen hin hat das Bundesministerium für Gesundheit die Rechnungsvorschriften für die Krankenkassen ergänzt, so dass sie zumindest ab dem 1. Juli 2008 ihre Einnahmen aus den Rabattverträgen nach 130a Abs. 8 SGB V gesondert erfassen und ausweisen müssen.

Aber nur brutto!
Spätestens Anfang des zweiten Halbjahres 2009 werden wir damit aber immerhin erfahren, welche Brutto-Entlastungen Rabattverträge den Krankenkassen im zweiten Halbjahr 2008 beschert haben. Welche Transaktionskosten die Kassen aufwenden mussten, um die Rabattverträge auszuschreiben, Prozesse zu führen und die Vereinbarungen umzusetzen, werden wir leider nie erfahren, weil diese Kosten schlicht und ergreifend in den Verwaltungskosten untergehen werden.
Man geht sicherlich nicht fehl in der Annahme, dass die 1. Tranche der AOK-Verträge bestenfalls marginale finanzielle Effekte gezeitigt hat. Hinter vorgehaltener Hand räumt der eine oder andere Kassenvertreter ein, man habe erst einmal geübt. Das Gleiche gilt für die Politik, die auch mit den Rabattverträgen einen groß angelegten Feldversuch gestartet hat, bei dem sie schaut was passiert. Dass dabei der Generikastandort Deutschland über die Klinge springen kann, ist ihr wohl immer noch nicht hinlänglich bewusst.

Pharmaindustrie ist Pharmaindustrie. Wenn Merck wie dieser Tage bekannt gibt, dass die Gesamterlöse 2008 um 7,1 Prozent auf die Rekordsumme von 7,6 Mrd. Euro und das operative Ergebnis um 16 Prozent auf 1.131 Mio Euro gesteigert werden konnte, steigen Politikern doch Tränen in die Augen. Und wenn sie dann noch lesen, dass alleine im Unternehmensbereich Pharma die Gesamterlöse um 11 Prozent auf 5.428 Millionen Euro gestiegen sind, wobei dieses Plus vor allem auf gestiegene Umsätze der Medikamente „Rebif“ und „Erbitux“ zurück zu führen seien. Bravo.
Ich meine, dass die forschende Arzneimittelindustrie gut beraten wäre, ein feineres Gespür für die Tonalität entwickeln sollte, mit der sie zweistellige Umsatzrenditen propagiert. Das, was in den Ohren der Analysten gut klingt, hat in den Ohren der Gesundheitspolitiker einen ganz anderen Klang. Einerseits verstärken Aussagen dieses Kalibers die Neigung der Politik nicht gerade, den Interessen der Industrie entgegen zu kommen. Andererseits sollte die Politik stets in Rechnung stellen, dass Arzneimittel nun einmal das Rückgrat jeder Gesundheitsversorgung sind. Und gute Arzneimittel sind gutes Geld wert.

Und vielleicht auch, dass Arzneimittelforschung bisher nie von Staaten, sondern immer aus der Privatindustrie kam.
Das ist wieder eine Frage, die bisher ausgeklammert worden ist: Warum soll Forschung - übrigens auch Versorgungsforschung - nicht auch vom Staat finanziert werden, der Lizenzen an Industrieunternehmen vergeben kann, die das Produkt dann in bestimmten Märkten vermarkten können. Die leidige Frage nach dem richtigen Preis erledigte sich damit partiell von selbst. Ich meine aber gleichwohl, dass Forschung am besten in einem Wettbewerbsumfeld gedeiht, eine ausschließlich staatsgetriebene Forschung möchte ich mir lieber nicht vorstellen.

Wenn sich denn die handelnden Akteure einmal völlig unvoreingenommen an einen großen Tisch setzen können, um die widerstreitenden Interessen, die es natürlich immer gibt, in einen zukunftsfähigen Kompromiss zu überführen, der mal nicht der kleinste gemeinsame Nenner ist.
Das ist ein Traum. Gesundheit wird eine Dauerbaustelle sein, in die wir nie Ruhe bekommen werden. Aber so wie es jetzt läuft, kann es auf keinen Fall weitergehen. Vor allem brauchen die Akteure - allen voran die Industrie - verbindliche Spielregeln, an die sie sich auch noch morgen halten können. Welche Spielregeln das sein sollen, wird in der Pharmaindustrie intensiv diskutiert. Vorzeigbare Ergebnisse gibt es bis jetzt allerdings noch nicht.

Warum investieren Pharmafirmen nicht in zukunftsfähigen Themen, die Versorgungsstrukturen und -qualität betreffen. Oder viel zu wenig?
Das ist Neuland für sie. Bis gestern hat niemand von ihnen erwartet, etwas anderes als Arzneimittel zur Verfügung zu stellen. Entsprechendes gilt auch für andere Player wie die Medizintechnikhersteller. Aber natürlich sind alle Akteure - so auch die Industrie - mehr denn je aufgefordert, sich Gedanken über die Versorgung von morgen zu machen. Sie brauchen aber Partner, mit denen sie derartige Projekte planen und umsetzen. Das können z.B. Krankenkassen, Ärztenetze oder Krankenhäuser sein. Doch erst einmal haben wir eine Bundestagswahl vor uns, nach der sich die Spielregeln wohl aufs Neue ändern und neue Herausforderungen auf die Akteure warten werden.
Erstaunlich ist, dass die Grundthemen in der Gesundheitsversorgung über die Jahrzehnte hinweg nur graduell, nicht aber prinzipiell variieren. Sie sind allem Anschein nach zeitlos. Verlautbarungen des Reichsgesundheitsamtes aus den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts in Sachen Versorgungsqualität und –effizienz könnten ohne weiteres von heute stammen.

Was erwarten Sie sich von den denkbaren parteipolitischen Koalitionen, die uns erwarten werden?
Das Thema „Gesundheit“ ist stets für politische Auseinandersetzungen auch innerhalb einer Koalition gut. Eine schwarz-gelbe Koalition machte da sicherlich keine Ausnahme. Denn das, was die FDP will, unterscheidet sich doch ganz erheblich von dem, was der Union - insbesondere der CSU - vorschwebt. Da er zu gut versteckt ist, wird in keiner der denkbaren Koalitionen der Stein der Weisen gefunden werden. Sicher ist aber: Bei anderen Koalitionskonstellationen würden Konflikte auf anderen Linien als jetzt ausgetragen.

Resignation?
Nein. Harte Arbeit. Pro Generika ist dabei, eine Konzeption für die künftige GKV-Arzneimittelversorgung zu entwickeln. Leider haben auch wir den passenden Schlüssel zum Schloss noch nicht gefunden - aber wir suchen danach. Obwohl das eine wirklich schwierige und auch aufwändige Arbeit ist, zumal wenn man dann noch versucht, die Interessen der forschenden Industrie mit zu denken.

Das tun Sie als Generikaverband? Gibt es zwischen den Verbänden darüber einen Konsens?
Erfreulicherweise haben sich der VFA und Pro Generika vor kurzem darauf verständigt, den Versuch zu wagen, eine gemeinsame Konzeption zu erarbeiten. Drücken Sie uns den Daumen für einen erfolgreichen Abschluss unseres Dialogs.

Wobei bei dem Ganzen noch kein Wort über den Patienten verloren wurde, der damit nicht einmal mehr rhetorisch im Mittelpunkt steht.
Das Gesundheitssystem wird leider vor allem gesundheitsökonomisch betrachtet. Es kommt vereinfacht gesagt in erster Linie auf den gesellschaftlichen Nutzen von Gesundheitsmaßnahmen an. Aber das heißt nichts anderes, als dass dabei der einzelne Mensch, das Einzelschicksal auf der Strecke bleibt. Darüber muss man sich im Klaren sein, wenn man im gesundheitsökonomischen Kontext über die Versorgungswirklichkeit spricht. Diagnose, Therapie, Medikation, Behandlung, Pflege, Betreuung - all das wird in Zahlen gefasst. Das Schicksal des Einzelnen spielt überhaupt keine Rolle, es ist nur eine Facette in einer Statistik. Der Abstraktionsgrad, der der Gesundheitsökonomie immanent ist, ist für denjenigen doch recht befremdlich, der in der Versorgung tagtäglich mit kranken Menschen und ihren Sorgen und Nöten zu tun hat. Ich vermute, dass das Schlagwort von der ökonomisierten inhumanen Medizin hier seine Wurzeln hat.

Punkto inhuman: Dabei sind wir bei der in Deutschland gescheuten Auseinandersetzung um den QALY.
Dahinter steht ein Modell der Kosten-Nutzen-Thematik, das in Deutschland bislang nur in den Fachkreisen diskutiert wird. Das Qaly-Konzept ist meines Wissens der international gebräuchlichste Ansatz für Kosten-Nutzen-Bewertungen von Gesundheitsleistungen. Dass auch wir uns sowohl unter dem Blickwinkel der Kosteneffizienz als auch unter dem Aspekt des individuellen Nutzens der Patienten intensiv mit der Thematik befassen müssen, liegt auf der Hand. Überdies schreibt das SGB V seit dem GMG solche Untersuchungen vor. Welche Tretminen auf diesem Feld vergraben sind, belegen die knallharten Auseinandersetzungen, die um das einschlägige Methodenpapier des IQWiG geführt werden. Die Pharmaindustrie hat an Kosten-Nutzen-Untersuchungen ein essenzielles Interesse. Es geht ihr dabei nicht nur um ihre eigenen finanziellen Belange, sondern auch um die beste Therapie der Patienten. Die Industrie fungiert insoweit durchaus als Anwalt des Patienten, wird allerdings nicht als solcher gesehen.

Die aber der Gesellschaft immerhin geholfen hat, im letzten Jahr die sagenhafte Summe von 10,99 Milliarden Euro - als ob sie das freiwillig getan hätte - zu sparen, wie Sie jüngst kundtaten.
Diese Zahl zeigt immerhin die wichtige Rolle der Generika für eine qualitativ hochwertige und bezahlbare Versorgung, die doch unser aller oberstes Ziel sein sollte. Wenn man die finanzielle Schraube jedoch immer enger anzieht, muss man damit rechnen, dass die Versorgungsqualität irgendwann den Bach hinunter geht. Das ist die Botschaft hinter der Zahl!

Das nennt man dann wohl Kollateralschaden.
Mit Gesundheit kann man keine Wahl gewinnen, aber ohne Gesundheit wird man alles verlieren. <<

Das Gespräch führte MVF-Chefredakteur Peter Stegmaier