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Kosten-Nutzen-basierte Bestimmung des adäquaten Erstattungspreises für Arzneimittel in der GKV

Es zeichnet sich derzeit ab, dass die Rabattverträge eine Entwicklung verstärken, die zu Marktergebnissen führt, die weder der relativen noch der absoluten Wertigkeit der Arzneimittel gerecht werden und damit zu allokativen Ineffizienzen führen. Vor diesem Hintergrund wurde ein Vorschlag für einen zentralen Ansatz der Steuerung des generikafähigen Arzneimittelmarktes, basierend auf einer Kosten-Nutzen-Bewertung, entwickelt. Der Kern des Modells besteht darin, dass die Erstattungspreise in der GKV so festgelegt werden, dass sie das Nutzenverhältnis der Arzneimittel untereinander widerspiegeln. Auf diese Weise induziert der Ansatz eine bedürfnisorientierte und effiziente Verteilung der knappen Ressourcen in der Arzneimittelversorgung. Der Ansatz bietet darüber hinaus ein pragmatisches Mehr-Schritt-Szenario bei Budgetneutralität in der Einführungsphase des Modells.

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Erstveröffentlichungsdatum: 19.10.2008

Abstrakt: Kosten-Nutzen-basierte Bestimmung des adäquaten Erstattungspreises für Arzneimittel in der GKV

Es zeichnet sich derzeit ab, dass die Rabattverträge eine Entwicklung verstärken, die zu Marktergebnissen führt, die weder der relativen noch der absoluten Wertigkeit der Arzneimittel gerecht werden und damit zu allokativen Ineffizienzen führen. Vor diesem Hintergrund wurde ein Vorschlag für einen zentralen Ansatz der Steuerung des generikafähigen Arzneimittelmarktes, basierend auf einer Kosten-Nutzen-Bewertung, entwickelt. Der Kern des Modells besteht darin, dass die Erstattungspreise in der GKV so festgelegt werden, dass sie das Nutzenverhältnis der Arzneimittel untereinander widerspiegeln. Auf diese Weise induziert der Ansatz eine bedürfnisorientierte und effiziente Verteilung der knappen Ressourcen in der Arzneimittelversorgung. Der Ansatz bietet darüber hinaus ein pragmatisches Mehr-Schritt-Szenario bei Budgetneutralität in der Einführungsphase des Modells.

Abstract: Determination of the adequate price for prescription drugs based on cost-benefit-analyses

The current development in the German market for generic medicines points up that the system of discount contracts enforces a market situation that does not represent the benefits and value of the medicines and there provokes allocative inefficiencies. In order to avoid a situation like this, a model has been developed to suggest another option for price regulation in the future. The basic message of the introduced method is that a drug’s price which is reimbursed by social health insurance is based on its assessed value in comparison to other drugs. Prices based on cost-benefit-analyses incite innovations as well as they reinforce competition on quality on the market for prescription drugs. A step by step approach which will be which will be budget-neutral for social health insurance in its implementation phase is proposed.

Literatur

Anell, A. (2004): „Priority setting for pharmaceuticals. The use of health economic evidence by reimbursement and clinical guidance committees.“ The European Journal of Health Economics 5(1): 28-35. Antes, G./Jöckel, K-H./Kohlmann, T./Raspe, H./Wasem, J.: Kommentierende Synopse der Fachpositionen zur Kosten-Nutzenbewertung für Arzneimittel – Erstellt im Auftrag des Bundesminsteriums für Gesundheit -. 2007 [cited. Available from: http://www.bmg.bund.de/cln_117/nn_1168248/SharedDocs/Downloads/DE/Neu/Kurzbericht-16-04-08__Synopse-Kosten-Nutzen-Arzneimit-tel,templateId=raw,property=publicationFile.pdf/Kurzbericht-16-04-08_Synopse-Kosten-Nutzen-Arzneimittel.pdf. Greß, S./Kötting, C./May, U./Wasem, J. (2008): Preisregulierung von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln in der gesetzlichen Krankenversicherung nach dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz. Diskussionsbeitrag aus dem Fachbereich Wirtschaftswissenschaften, Universität Duisburg-Essen; Nr. 170. Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG) (2008). Methodik für die Bewertung von Verhältnissen zwischen Nutzen und Kosten im System der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung. Version 1. Köln: Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen. Kötting, C./May, U. (2008,1): „Rabattverträge – Eine Bilanz des Markgeschehens.” Pharmazeutische Zeitung 153(20): 68-73. Neye, H.. Rabatt- und Risk-Share-Verträge in der Auswirkung auf das Verordnungsverhalten der Ärzte. Vortrag bei der Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein. Düsseldorf, 28. Mai 2008. Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen (2001). „Bedarfsgerechtigkeit und Wirtschaftlichkeit“. Baden-Baden, Nomos. Swedish Pharmaceutical Benefits Board (LFN). The Swedish Pharmaceutical Reimbursement System – A brief overview. Solna: Swedish Pharmaceutical Benefits Board; 2007.

Zusätzliches

Plain-Text

Kosten-Nutzen-basierte Bestimmung des adäquaten Erstattungspreises für Arzneimittel in der GKV

Dem deutschen GKV-Arzneimittelmarkt mangelt es wahrlich nicht an Regulierungsmechanismen jeglicher Art, zentrale wie dezentrale. Das tradierte System im GKV-Arzneimittelmarkt war aus politischer Sicht im Hinblick auf die erzielte Steuerungswirkung nicht ausreichend. Das neue System der Rabattverträge wird in Fachkreisen zunehmend kritisch diskutiert. Diese Situation gibt Anlass, abseits der ausgetretenen Pfade nach neuen Ideen zu suchen.

>> Die Bestimmung von Erstattungspreisen auf dem GKV-Arzneimittelmarkt in Deutschland ist derzeit ein Nebeneinander von zentraler Preisregulierung und dezentralen Preisverhandlungen. Auf der einen Seite soll der Spitzenverband Bund Erstattungshöchstbeträge und Festbeträge festlegen (zentrale Erstattungs- und Preisregulierung) – auf der anderen Seite schließen Krankenkassen seit der Implementierung des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes (GKV-WSG) in zunehmendem Maße Rabattverträge mit einzelnen Herstellern ab (dezentrale Preisverhandlungen).
Alternative zu Rabattverträgen:
Bestimmung des adäquaten GKV-Erstattungspreises
anhand einer Kosten-Nutzen-Bewertung
Die Regulierungsmechanismen, die bereits vor dem GKV-WSG die Preise für Arzneimittel in der GKV maßgeblich beeinflusst haben, basieren nicht auf einer Bewertung des Nutzens und können demzufolge auch nicht Ausdruck des jeweiligen Arzneimittelnutzens bzw. der Wertigkeit der Präparate sein.
Zudem zeichnet es sich derzeit ab, dass die Rabattverträge eine Entwicklung verstärken, die zu Marktergebnissen – insbesondere zu (effektiven) Preisstrukturen – führt, die weder der relativen noch der absoluten Wertigkeit der Arzneimittel gerecht werden. Diese insofern verzerrten Preisstrukturen können die optimale Wirkung pretialer Angebots- und insbesondere Nachfragesteuerung nicht entfalten und induzieren auf diesen Ebenen fast zwangsläufig Fehlentscheidungen, die nicht wohlfahrtsmaximierend sind. In der Praxis betrifft dies Steuerungsanreize, die das System für das Verordnungsverhalten innerhalb der Anwendungsgebiete oder im Verhältnis der Indikationsgruppen untereinander setzt.
Überdies zieht es die bestehende Anreiz- und Steuerungsystematik auch nach sich, dass Produkteigenschaften, die zwar nutzen-, aber nicht (hinreichend) preisrelevant sind wie z.B. die Compliance und die Patientenzufriedenheit bei der Steuerung des Verordnungsgeschehens vernachlässigt werden. Beispiele hierfür sind bereits im generikafähigen Rabattmarkt dokumentiert (Neye 2008).
Auf der Angebotsseite, d.h. bei den Arzneimittel-Herstellern, werden durch verzerrte Preisstrukturen vor allem im Hinblick auf Produktentwicklungen und -weiterentwicklungen suboptimale Anreize gesetzt. Präparateeigenschaften, die aus therapeutischer und/oder sozialer Perspektive einen Nutzen haben, der sich aber im Preis nicht widerspiegelt (und daher nicht abgegolten wird), werden konsequenterweise von den Anbietern nicht oder nicht hinreichend berücksichtigt.
Hinzu kommt die reale Gefahr, dass die einseitige Preisfokussierung eines Systems wie dem der Rabattverträge zu Arzneimittelpreisen führt, die in ihrer absoluten Höhe dem Nutzen der Präparate ebenso wenig wie den betriebswirtschaftlichen Belangen der Unternehmen gerecht werden (Kötting/May 2008,1).
Diese Preisstrukturen führen damit in statischer wie in dynamischer Perspektive zu allokativen Ineffizienzen. Vor diesem Hintergrund wird im Folgenden der Frage nachgegangen, wie alternativ ein System zur zentralen Bestimmung eines adäquaten Erstattungspreises ausgestaltet sein könnte. „Zentral“ bedeutet hier entweder durch eine staatliche Institution oder eine Institution der Selbstverwaltung. Die Basierung der Erstattungshöhe auf einer modifizierten Form der Kosten-Nutzen-Bewertung stellt in dem hier vorgestellten Modell den geeigneten Maßstab für eine zentrale Erstattungsbetragsfestsetzung dar: Denn wenn in dieser Kosten-Nutzen-Bewertung die Relation zwischen Kosten und Nutzen der Arzneimittel zueinander ermittelt wurde, ergibt sich daraus ein Anhaltspunkt für die Höhe der von den Krankenkassen für die einzelnen Arzneimittel sinnvoll aufzuwendenden Ausgaben.
Grundzüge eines neuen Verfahrens zur Festsetzung des Erstattungsbetrages
Normale marktwirtschaftliche Gesetze sind augenscheinlich nicht auf die Arzneimittelversorgung übertragbar und haben sich hier zur Preisfindung als nur bedingt tauglich erwiesen. Es stellt sich daher ganz grundsätzlich die Frage, welcher Preis eigentlich für ein konkretes Arzneimittel angemessen und gerecht ist und wer diesen Preis bestimmen sollte. Ebenso wie jeder Konsument, der über eine Kaufentscheidung für ein Konsumgut nachdenkt, muss sich auch die Gemeinschaft der gesetzlich Krankenversicherten (Solidargemeinschaft) fragen, wie viel ihr der „Kauf“ eines bestimmten Arzneimittels Wert ist. Ebenso wie der einzelne Verbraucher wird sich auch die Entscheidung der Solidargemeinschaft danach zu richten haben, wie nützlich die angebotenen Produkte (hier Arzneimittel) sind und wie viel Geld für die Gesamtheit der gewünschten Käufe zur Verfügung steht. Hier wie dort werden Käufer bzw. die Versichertengemeinschaft bereit sein, für ein Gut mit höherem Nutzen mehr Geld auszugeben als für ein weniger nützliches Gut. Dieses ebenso einfache wie für jeden Verbraucher täglich gelebte Entscheidungsprinzip stellt die Grundidee des vorliegenden Vorschlags zur künftigen Festsetzung von Erstattungspreisen für generische Arzneimittel in der gesetzlichen Krankenversicherung dar.
Das Modell zur Bestimmung der Erstattungspreise entspricht folgenden grundsätzlichen Bedingungen:
• Der Erstattungspreis der Krankenkassen spiegelt die Zahlungsbereitschaft und Zahlungsfähigkeit der Versichertengemeinschaft wider.
• Die Erstattungspreise entsprechen dem Nutzen der jeweiligen Präparate. D.h. mehr Nutzen = höherer Preis.
• Der Nutzen eines Arzneimittels wird durch alle aus Sicht der Gesellschaft therapeutisch und ökonomisch relevanten Eigenschaften der Präparate bestimmt.
Der Kern des Vorschlags besteht somit darin, dass die Erstattungspreise in der gesetzlichen Krankenversicherung (quasi: Festbeträge) ähnlich wie die heutigen Festbeträge zentral festgelegt werden. Die Gruppenbildung würde dabei indikationsbezogen erfolgen und die „Quasi-Festbetragshöhe“ wäre nicht alleine von der Marktsituation, sondern in erster Linie vom Nutzen der Präparate abhängig. Ebenfalls nach dem Vorbild der Festbeträge oder der bestehenden Kosten-Nutzen-Bewertung könnte die Erfassung des Marktes sukzessive nach Umsatz- und therapeutischer Bedeutung der Gruppen erfolgen.
Die von der gesetzlichen Krankenversicherung zu zahlenden Erstattungspreise sollten konsequent das aus einer gesellschaftlichen Perspektive (hilfsweise aus einer GKV-Perspektive) bewertete Nutzenverhältnis der Präparate im Vergleich zu anderen Arzneimitteln sowie sonstigen therapeutischen Möglichkeiten und Gesundheitsleistungen darstellen. Das heißt: Arzneimittel sollen bei Implementierung eines solchen Ansatzes entsprechend des Verhältnisses ihres Mehr- oder Mindernutzens teurer oder billiger sein als (insbesondere) andere Arzneimittel. Der GKV-Erstattungspreis soll die in diesem Sinne verstandene Zahlungsbereitschaft der Solidargemeinschaft der GKV widerspiegeln. Insoweit würde das Ergebnis der Kosten-Nutzen-Bewertung die heute gegebenen regulierten Erstattungspreise bzw. effektiven Erstattungshöhen ersetzen, die aufgrund der komplexen Mechanismen, die auf dem Arzneimittelmarkt bislang gewirkt haben, nicht das relative Nutzenverhältnis der Arzneimittel untereinander widerspiegeln (Greß et. al. 2008).
Die schrittweise Einführung eines solchen zentralen Modells der Erstattungs- und Preissetzung würde sinnvollerweise auf einem dreistufigen Evaluations- und Priorisierungsverfahren beruhen. Dieser dreistufige Prozess beginnt auf der Ebene einzelner Indikationsgruppen des GKV-Arzneimittelmarktes. Auf der zweiten Ebene geht es dann um eine indikationsübergreifende Priorisierung des gesamten Arzneimittelmarktes. Schließlich wird eine mögliche, ökonomisch-systematisch naheliegende, wenn auch nicht zwingend erforderliche dritte Stufe einer sektorübergreifenden Priorisierung für sämtliche Leistungsbereiche der GKV skizziert. Die Abbildung verdeutlicht die Interdependenzen der drei Bewertungsebenen (Abb. 1).

Das dreistufige Bewertungsverfahren
Auf der ersten Stufe des Bewertungsverfahrens werden einzelne Arzneimittelindikationsgruppen, d.h. Anwendungsbereiche wie Antidiabetika oder Lipidsenker, jeweils separat betrachtet (vergleichbar mit indikationsbezogenen Festbetragsgruppen). Ziel der ersten Stufe des Verfahrens ist es, den Nutzen der jeweiligen Arzneimittel in einer Indikationsgruppe (angelehnt an das etablierte Verfahren der Nutzenbewertung) zu bewerten und in Relation zueinander zu setzen. Dabei ist zu betonen, dass neben den therapierelevanten Unterschieden der Wirkstoffe innerhalb eines Anwendungsgebiets auch relevante Nutzenunterschiede bedingt durch unterschiedliche Rezepturen, Darreichungsformen u.a. selbst bei wirkstoffgleichen Präparaten relevant sein können. Aus diesem Nutzenvergleich leiten sich unmittelbar die relativen Erstattungspreise der Arzneimittel innerhalb eines Anwendungsbereichs ab. Die absolute Höhe der Preise ergibt sich sodann aus dem gegebenen Ausgabenvolumen des betreffenden Anwendungsbereichs. Ad hoc auftretende Verwerfungen im Hinblick auf die Preisverhältnisse im Markt wären dadurch ausgeschlossen, dass das System die bestehenden Ausgabenvolumina für die definierten Arzneimittelgruppen als Verteilungsbasis heranzieht. Das heißt, die Preisänderungen, die auf Stufe 1 induziert werden, können den Rahmen, der durch das zum Berechnungszeitpunkt gegebene Ausgabenvolumen vorgegeben ist, nicht übersteigen.
Sobald diese erste Stufe des Bewertungsprozesses für mindestens zwei Anwendungsbereiche abgeschlossen ist, kann parallel die zweite Verfahrensstufe eröffnet werden. Ziel ist es hier, das Ausgabenvolumen der einzelnen Anwendungsbereiche untereinander vergleichend zu betrachten. Zu ermitteln ist, welcher Nutzen (wiederum in Anlehnung an die etablierte Nutzenbewertung) mit den in einem Anwendungsgebiet zur Verfügung stehenden Arzneitherapien erzielt wird. Entsprechend diesem Nutzen bzw. den Nutzenverhältnissen sind die Ausgabenbudgets für die Anwendungsgebiete neu zu definieren. Für Anwendungsgebiete mit einem besonders hohen Nutzen fällt die Zahlungsbereitschaft demgemäß höher aus, so dass hier auch mehr Geld eingesetzt werden kann. Die Struktur des Bewertungsmodells stellt dabei sicher, dass die Summe der GKV-Arzneimittelausgaben insgesamt durch diesen Umverteilungsprozess in der Einführungsphase unverändert bleibt. Auch auf der zweiten Stufe des Modells sind Mechanismen denkbar, die sicherstellen, dass Preisveränderungen, die durch das System induziert werden, nicht zu unverhältnismäßigen Verwerfungen bei den gewachsenen Marktgegebenheiten führen.

Die konsequente Fortführung des Modell-Gedankens würde es erfordern, das Modell um eine 3. Bewertungsstufe zu erweitern. Hier wäre der Arzneimittelnutzen mit dem Nutzen anderer Gesundheitsleistungen zu vergleichen und ggf. entsprechende Budgetumschichtungen zugunsten der effizienteren Leistungsarten vorzunehmen.
Nutzendimensionen bei der
Kosten-Nutzen-Bewertung von Arzneimitteln
Das beschriebene Verfahren zielt darauf ab, alle aus gesellschaftlicher Perspektive (oder aus der GKV-Sicht) relevanten Kriterien bei der Höhe des Preises zu berücksichtigen. Auf der Outcomeseite bezieht sich dies auf den patientenrelevanten Nutzen, insbesondere Lebensdauer und Lebensqualität. Ein mögliches indikationsübergreifendes Outcome der Nutzenbewertung, das mit dem beschriebenen Ansatz gedanklich kompatibel ist, wäre etwa das qualitätsadjustierte Lebensjahr (QALY), dass sich international in den letzten Jahren als „de facto-Standard“ etabliert hat (Antes et. al. 2007). Anders als in den vielfachen Verwendungen dieses Outcome-Parameters bei Ressourcen-Allokationsprozessen wäre in dem hier unterbreiteten Vorschlag eine Verwendung eines Schwellenwertes je QALY als Indikator für die Zahlungsbereitschaft der Gesellschaft für medizinischen Fortschritt nicht vorgesehen; vielmehr ergibt sich die Relation von Outcome zu eingesetzten Ressourcen aus der Prämisse der Ausgabenneutralität für die gesetzlichen Krankenkassen. Ethisch umstrittene Werturteile z.B. darüber, was ein Lebensjahr „kosten darf“, haben in dem hier beschriebenen Modell keinen Raum. Vielmehr ist der hier vertretene gedankliche Ansatz grundsätzlich mit jeder gegebenen Zahlungsbereitschaft für Gesundheit und Gesundheitsgüter vereinbar.
Vor dem Hintergrund knapper Ressourcen in allen Bereichen der medizinischen Versorgung ist es offenkundig, dass bei vergleichbarem therapeutischen Nutzen alternativer Arzneimittel der gesellschaftlich relevante Gesamtnutzen einer therapeutischen Option dann größer ist, wenn sie im Vergleich zu den Alternativen mit Kosteneinsparungen einhergeht. Deswegen hat es sich in der gesundheitsökonomischen Evaluation etabliert – und spiegelt sich etwa auch im Entwurf 1.1 des IQWiG zu einem Methodenpapier zur Kosten-Nutzen-Bewertung wider – nicht nur die jeweiligen Interventionskosten, sondern auch die Folgekosten und Einsparungen durch vermiedene Folgekosten (Komplikationen, Nebenwirkungen, bei chronischen Erkrankungen aber insbesondere auch: Veränderungen in den Kostenströmen, die durch geänderte Wahrscheinlichkeiten für alternative Krankheitsverläufe entstehen) zu berücksichtigen (IQWiG, 2008). Diesem Gedanken trägt der vorgestellte Ansatz Rechnung, indem ökonomische Vorteile eines Präparats nutzenrelevant sind und sich damit im Erstattungspreis widerspiegeln.
Die Relation aus Ausgaben für ein Arzneimittel und damit erzieltem Nutzen liefert zugleich die Bewertungsregel, mit der Kosteneinsparungen in zusätzlichen Nutzen (in Gestalt von QALYs) umgerechnet werden können.
Auswirkungen und Umsetzbarkeit
Der Kern des vorgestellten Modells besteht darin, dass die Erstattungspreise in der GKV so festgelegt werden, dass sie das Nutzenverhältnis der Arzneimittel untereinander widerspiegeln. Zugleich soll auch das Ausgabenverhältnis der einzelnen Indikationsgruppen durch deren Nutzenverhältnis zueinander bestimmt werden. In der praktischen Umsetzung würde z. B. das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen mit einer schrittweisen, aber letztlich umfassenden Kosten-Nutzen-Bewertung des Arzneimittelmarktes beauftragt werden; eine Erweiterung des Modelles über den Arzneimittelsektor hinaus kann diskutiert werden. Da ein solcher Ansatz realistisch nicht in einem Schritt implementiert werden kann, wurde ein pragmatisches Mehr-Schritt-Szenario entwickelt, bei dem von Beginn an mit jedem Umsetzungsschritt Effizienzgewinne erzielbar sind. Dieses Szenario trug zugleich der zu erwartenden politischen Anforderung an Budgetneutralität in der Einführungsphase Rechnung. Mittel- und langfristig kann der gedankliche Ansatz dagegen prinzipiell Argumente für eine Absenkung oder ggf. auch eine Erhöhung der Arzneimittelausgaben liefern. Maßgeblich ist die festgestellte Kosteneffektivität der Arzneitherapie und der Innovationsgrad therapeutischer Weiterentwicklungen gemessen an den hier definierten Nutzenkriterien. Bei Einbeziehung der dritten Bewertungsstufe könnten höhere oder auch niedrigere Arzneimittelausgaben aus einem Vergleich der Kosteneffektivität mit anderen Leistungsbereichen resultieren. Dieser Grundgedanke wurde auch bereits durch den Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen in dessen Gutachten „Bedarfsgerechtigkeit und Wirtschaftlichkeit“ aufgegriffen (Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen, 2001).
Das hier skizzierte Modell würde die ausschließliche Preisfokussierung des Wettbewerbs zu Gunsten eines Qualitätswettbewerbs verschieben. Qualität bedeutet dabei Nutzen im Sinne des hier zugrunde liegenden Nutzenbegriffs. Da die Zahlungsbereitschaft der Solidargemeinschaft unmittelbar vom relativen Nutzen eines Produktes aus Sicht eben dieser Solidargemeinschaft resultiert, sind Arzneimittelhersteller, die nach einem hohen Marktanteil und einem adäquaten Preis streben, mithin incentiviert, möglichst nutzenstiftende Arzneimittel zu vermarkten. Aus statischer Perspektive bedeutet dies, dass die Anbieter bestrebt sein werden, den Nutzen ihrer Präparate zu belegen und überdies die bestmögliche, d.h. nutzenmaximierende Anwendung ihrer Präparate zu fördern (z. B. im Sinne eines umfassenden Arzneimittelmanagements). Aus dynamischer Perspektive bietet das Modell Anreize, die Innovationsanstrengungen auf Produkteigenschaften und therapeutische Fortschritte zu lenken, die den von der Solidargemeinschaft vorgegebenen Nutzenkriterien entsprechen. Auf diese Weise würde ein solches Modell positive Beiträge zur statischen und dynamischen Effizienz der Arzneimittelversorgung leisten.
Beispiele aus dem Ausland machen deutlich, dass selbst eine flächendeckende Umsetzung eines vergleichbaren Kosten-Nutzen-Ansatzes in überschaubarer Zeit möglich ist (Swedish Pharmaceutical Benefits Board, 2007). Der zu leistende Evaluationsaufwand wäre unter arbeits-ökonomischen und pragmatischen Gesichtspunkten an die Marktsegmente und deren wirtschaftliche Bedeutung zu adaptieren und sukzessive abzuarbeiten. Der institutionelle und finanzielle Aufwand, der mit diesem Ansatz einhergeht, übersteigt den heute in Deutschland betriebenen Bewertungs- und Steuerungsaufwand in der Arzneimittelversorgung. In Anbetracht eines jährlichen Ausgabenvolumens von rund 26 Milliarden Euro – und des hierin von Experten vermuteten Steuerungs- und Wirtschaftlichkeitspotenzials – dürften sich allerdings die Verfahrenskosten in Relation zu den – eben durch das neue System – erzielbaren Qualitäts- und Effizienzgewinnen als sehr lohnende Investition erweisen. Die Institutionen und Instrumentarien, die eine solche Idee in die Praxis umsetzten könnten, sind in Deutschland bereits vorhanden. Woran es bislang fehlt, ist eine dementsprechende Beauftragung durch den Gesetzgeber. <<