Längsschnittanalyse von Psoriasis, rheumatoider Arthritis, Psoriasis-Arthritis, axialer Spondylo-arthritis und chronischen Darmerkrankungen
Eine Reihe von chronischen, immunvermittelten Entzündungserkrankungen (engl. immune-mediated inflammatory diseases, IMID) haben das Potenzial, Folgeerkrankungen aus dem zugrunde liegenden pathophysiologischen Formenkreis nach sich zu ziehen. Sie stellen eine Gruppe klinisch heterogener Erkrankungen dar, die unter anderem Psoriasis (Pso), Psoriasis-Arthritis (PsA), axiale Spondylarthritis (AxSpA) und chronisch-entzündliche Darmerkrankungen (CED, Morbus Crohn, (MC); Colitis ulcerosa, (UC)) umfassen (El-Gabalawy et al. 2010; Zink et al. 2010). Die rheumatoide Arthritis (RA) ist die häufigste entzündlich-rheumatische Erkrankung, insbesondere die „seronegative“ Form wird häufig zunächst unspezifisch kodiert und mündet nicht selten im Verlauf in eine andere definierte muskuloskelettale Erkrankung. Die Krankheitsentitäten unterscheiden sich neben genetischer Prädisposition und Art der Immunreaktion hinsichtlich der primär befallenen Organe (z. B.
Haut, Gelenke, Darm) und innerhalb einzelner Entitäten in Krankheitsverläufen und Schweregrad (Cho/Feldman 2015). Zur Behandlung von IMID stehen verschiedene medikamentöse Therapien zur Verfügung, die darauf abzielen, die entzündliche Aktivität der Erkrankung zu verringern (Högenauer et al. 2019), wodurch eine Linderung der Symptome, eine Verbesserung der Lebensqualität oder sogar eine Remission erreicht werden kann (Moura et al. 2015; Schöffski et al. 2007; van Mens et al. 2019).
>> Betroffene weisen also ein erhöhtes Risiko auf, parallel zu einer primären IMID eine weitere, sekundäre IMID zu entwickeln (El-Gabalawy et al. 2010; Högenauer et al. 2019; Aletaha et al. 2019). Dabei können unterschiedliche Organsysteme betroffen sein, weshalb zur optimalen Versorgung dieser Patient:innen eine Kooperation verschiedener Fachdisziplinen sinnvoll ist (Högenauer et al. 2019; Nast et al. 2017). Das Auftreten von IMID-Folgeerkrankungen stellt somit eine Herausforderung an das interdisziplinäre diagnostische und therapeutische Management dieser Patient:innen dar (Högenauer et al. 2019). IMID können zu einer erheblichen Einschränkung der Lebensqualität und zum Teil irreversiblen Organschäden führen, weshalb einer frühzeitigen Diagnose und optimalen Therapiesteuerung für den weiteren Krankheitsverlauf eine große Bedeutung zukommt (Zink et al. 2010; Moura et al. 2015; Russell et al. 2011; Schneider et al. 2020).
Die vorliegende Studie widmete sich den folgenden Fragestellungen:
• Wie stellt sich bei IMID-Neuerkrankungen der Krankheitsverlauf dar?
• Wie folgt der Therapieverlauf dem Krankheitsverlauf?
Basierend auf Abrechnungsdaten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) wurden hierfür inzidente Patient:innen verschiedener IMID identifiziert und deren Krankheits- und medikamentöser Therapieverlauf über einen Zeitraum von vier Jahren beobachtet. Der Krankheitsverlauf wurde anhand auftretender IMID-Folgediagnosen untersucht. Um mögliche Unterschiede beim Therapieverlauf gemäß dem Krankheitsverlauf zu untersuchen, wurde nach Patient:innen mit beziehungsweise ohne Folgediagnose differenziert.
Methodik
Datenbasis und Studiendesign
Datengrundlage der Studie war die Datenbank des Instituts für angewandte Gesundheitsforschung Berlin GmbH (InGef). Die Datenbank umfasst aggregierte, anonymisierte Datensätze der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) von circa 60 Krankenkassen mit bundesweit etwa acht Millionen Versicherten und enthält Daten zu Arzneimittelverschreibungen sowie zu ambulanten und stationären Diagnose- und Leistungsdaten. Die Analyse erfolgte auf Basis einer für die deutsche Bevölkerung in Bezug auf Alter und Geschlecht repräsentativen Stichprobe von circa vier Millionen GKV-Versicherten (Andersohn/Walker 2016). Zur Darstellung des Krankheits- und medikamentösen Therapieverlaufs wurde eine retrospektive Längsschnittstudie durchgeführt. Es wurden beispielhaft Patient:innen mit einer initialen Diagnose (gemäß ICD-10-GM) einer Pso (L40.- ohne L40.5), RA, differenziert nach seropositiv (M05.-) und seronegativ (M06.-)
und CED (MC oder CU; K50 oder K51.‑) (Tab. S1) im Jahr 2014 ausgewählt und über einen Zeitraum von vier Jahren hinsichtlich ihres Krankheitsverlaufs, des Auftretens von IMID-Folgediagnosen und hinsichtlich des medikamentösen Therapieverlaufs beobachtet.
Identifikation der Studienkohorte
Die Studienkohorte umfasste Patient:innen, die während des gesamten Studienzeitraums (Kalenderjahre 2014–2018) durchgängig beziehungsweise durchgängig bis zum Tod versichert waren sowie eine dokumentierte IMID-Erstdiagnose im Kalenderjahr 2014 („Indexjahr“) aufwiesen. Alle Patient:innen mit mindestens einer gesicherten Diagnose der in Tab. S1 genannten definierten Entitäten als ambulante Diagnose in zwei unterschiedlichen Quartalen (M2Q) beziehungsweise mit mindestens einer stationären Haupt- oder Nebendiagnose während des Indexjahres wurden eingeschlossen. Zur Aufnahme in die Studienkohorte wurde zusätzlich ein vorausgehender diagnosefreier Zeitraum von 365 Tagen („Washout“-Periode) definiert, in dem keine der folgenden Diagnosen vorliegen durfte: Pso (L40.- ohne L40.5), PsA (L40.5 und/oder M07), RA (M05.- und/oder M06.-), CED (K50 oder K51.-), AxSpA (M45.-).
Identifikation der Subkohorten
Ausgehend von der Studienkohorte wurden innerhalb der Entitäten je zwei Subkohorten gebildet, abhängig davon, ob eine weitere IMID-Diagnose innerhalb des vierjährigen Nachbeobachtungszeitraums auftrat („mit Folgediagnose“) oder nicht („ohne Folgediagnose“). Die folgenden Entitäten wurden hierbei berücksichtigt: Pso, RA (seropositiv oder -negativ), PsA, CED (MC oder CU) und AxSpA (Tab. S2). Die Subkohorten wurden nach Geschlecht und Alter (Pso und CED: <40 und ≥40 Jahre, RA seropositiv und seronegativ: <45 und ≥45 Jahre) stratifiziert. Der Krankheitsverlauf wurde anschließend anhand der Anzahl der Patient:innen mit jeweiliger Folgediagnose sowie der durchschnittlichen Dauer ab dokumentierter Erstdiagnose bis zur Folgediagnosestellung beschrieben.
Therapieklassen
Zur Beschreibung des medikamentösen Therapieverlaufs wurden fünf Therapieklassen definiert: Biologika (bDMARDs)/Januskinase-Inhibitoren (targeted synthetic (ts)DMARDs), konventionelle „Disease-modifying anti-rheumatic drugs“ (csDMARDs) und Immunsuppressiva, systemische Glukokortikoide, nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR)/Coxibe und topische dermale Therapien (Tab. 1, Tab. S3). Der medikamentöse Therapieverlauf wurde anschließend in den Subkohorten anhand des Anteils an Patient:innen mit mindestens einer Verordnung der definierten Therapieklassen innerhalb des Indexjahres sowie jeweils innerhalb der vier Nachbeobachtungsjahre beschrieben. Außerdem wurde die durchschnittliche Dauer von der ersten dokumentierten Diagnose bis zur ersten Verordnung ermittelt.
Ergebnisse
Insgesamt wurden 13.970 inzidente Patient:innen mit einer der definierten Krankheitsentitäten im Indexjahr identifiziert (Abb. 1)
(0,33% der Versicherten). Davon wies mehr als die Hälfte eine dokumentierte Pso-Diagnose auf (n = 7.109, 50,9%). Innerhalb der Studienkohorte mit einer dokumentierten RA-Diagnose wiesen mehr Patient:innen eine seronegative als eine seropositive RA-Dia-gnose auf (n = 4.149, 29,7% vs. n = 598, 4,3%). Unter denjenigen Patient:innen mit einer dokumentierten CED-Diagnose (n = 2.114) waren CU-Diagnosen häufiger als MC-Diagnosen (n = 1.194, 8,5% vs. n = 895, 6,4%). 25 Patient:innen wiesen sowohl eine Dokumentation eines MC als auch einer CU auf. 37,8% der Patient:innen mit initialer CED-Diagnose gehörten der jüngeren Altersgruppe (<40 Jahre) an, in den weiteren Entitäten fiel der Anteil derjenigen Patient:innen, die der jeweils jüngeren Altersgruppe angehörten, geringer aus (Abb. 1, Onlineanlage Tab. S4).
Krankheitsverlauf
Im Beobachtungszeitraum wurde bei 11,6% (n=1.623) der inzidenten Patient:innen mindestens eine Folgediagnose dokumentiert – mehrere Folgediagnosen (Mehrfachzählungen) waren möglich (Tab. S5). Bei den n = 7.109 Patient:innen mit einer Pso-Erstdiagnose wurde innerhalb der Subkohorte mit Folgeerkrankung (n = 471) während des vierjährigen Beobachtungszeitraums mit einem Anteil von 70,1% am häufigsten eine PsA-Diagnose, im Mittel nach 1,2 Jahren, dokumentiert. (Abb. 2, Onlineanlage Tab. S5). Bei 35,2% wurde eine seronegative RA dokumentiert. Bei einer seropositiven RA-Erstdiagnose war die häufigste beobachtete Folgediagnose die seronegative RA, während umgekehrt bei einer seronegativen RA-Erstdiagnose die seropositive RA die häufigste dokumentierte Folgediagnose war. Bei Patient:innen mit einer CED-Erstdiagnose wurde innerhalb der Subkohorte mit Folgediagnose (n = 99) am häufigsten eine Pso-Diagnose (43,4%) dokumentiert (Onlineanlage Tab. S5).
Medikamentöser Therapieverlauf
Bei den Patient:innen mit Pso zeigte sich innerhalb der Subkohorte mit Folgediagnose im Zeitverlauf eine Entwicklung von einer topischen dermalen Therapie hin zu einer Therapie mit systemischen Glukokortikoiden, csDMARDs und Immunsuppressiva oder bDMARDs/tsDMARDs (Abb. 3). Innerhalb der Subkohorte mit Folgediagnose erhielten bis zu 14,2% (Jahr 3) eine Verordnung für systemische Glukokortikoide. Bei Patient:innen mit RA (seropositiv und seronegativ) erreichte der Anteil derer, die eine Verordnung für csDMARDs oder Immunsuppressiva erhielten, jeweils im Jahr 1 in den Subkohorten mit Folgediagnose Anteile von 39,0% (Patient:innen mit seropositiver RA) beziehungsweise 57,5% (Patient:innen mit seronegativer RA).
Von den betrachteten Therapieklassen erhielten Patient:innen mit CED (mit und ohne Folgediagnose) am häufigsten eine Verordnung für csDMARDs oder Immunsuppressiva. Der Anteil dieser Patient:innen mit einer entsprechenden Verordnung erreichte im Jahr 4 bis zu 61,6% (Subkohorte mit Folgediagnose) beziehungsweise 50,7% (Subkohorte ohne Folgediagnose). In der Subkohorte mit Folgediagnose erhielten zudem zwischen 10,1% (Jahr 3) und 36,4% (Jahr 4) der Patient:innen mit CED eine Verordnung für NSAR/Coxibe, in der Subkohorte ohne Folgediagnose waren dies zwischen 12,7% (Jahr 1) und 35,6% (Jahr 4) (Abb. 3).
In allen betrachteten Entitäten waren die Anteile derjenigen Patient:innen, die eine Verordnung für csDMARDs und Immunsuppressiva erhielten, in den Subkohorten mit Folgediagnose höher als in den Subkohorten ohne Folgediagnose. bDMARDs/tsDMARDs wurden in allen Entitäten eher selten verordnet. Im Zeitverlauf stieg der Anteil der Patient:innen mit einer entsprechenden Verordnung insbesondere innerhalb der Subkohorten mit Folgediagnose zwar leicht an, lag aber meist unter 10%. Eine Ausnahme bilden hier die Patient:innen mit CED mit Folgediagnose (Jahr 4: 19,2%) (Abb. 3).
Die mittlere Dauer bis zu einer Verordnung der betrachteten medikamentösen Therapieklassen infolge der initialen Diagnosestellung ist in Abb. 4 und Tab. S6 dargestellt.
Diskussion
Während des Beobachtungszeitraums wurde bei inzidenten Patient:innen mit Pso lediglich ein Anteil von 6,63% an Folgediagnosen dokumentiert. Dies steht im Gegensatz zu Kohortenuntersuchungen, aus denen hervorgeht, dass bei bis zu 42% der Patient:innen mit Pso über einen Zeitraum von zehn Jahren zusätzlich eine PsA dokumentiert wird (Gladman et al. 2005; Mease/Armstrong 2014). In der Subkohorte mit Folgediagnose wurde am häufigsten als Folgeerkrankung eine PsA dokumentiert. Die PsA tritt häufig im Zusammenhang mit Pso auf, in etwa 80% der Fälle geht eine Erkrankung mit Pso voraus beziehungsweise tritt gleichzeitig auf (Aletaha et al. 2019; Gladman et al. 2005; Mease/Armstrong 2014). In der vorliegenden Analyse war der Beobachtungszeitraum auf die ersten vier Jahre nach einer initialen Diagnosestellung begrenzt. Bei 330, oder 4,6% der Patient:innen mit einer initialen Pso-Diagnose wurde innerhalb dieses Zeitraums eine PsA dokumentiert. Der geringe Prozentsatz initialer Pso-Diagnosen könnte auf die Art der Datenerhebung, auf die Vielzahl der behandelnden und kodierenden Fachrichtungen und auf Fehlkodierungen zurückzuführen sein. Die Ergebnisse dieser Studie sind jedoch vergleichbar mit einer ebenfalls auf der InGef-Datenbank basierenden Analyse, in welcher bei 3,4% der Patient:innen mit einer inzidenten Psoriasis vulgaris innerhalb von vier Jahren eine PsA dokumentiert wurde (Rech et al. 2020). Aufgrund der hohen Prävalenz von PsA bei Patient:innen mit Pso wird in der S3-Leitlinie zur Behandlung der Psoriasis vulgaris ein jährliches Screening auf PsA mittels Fragebogen und kooperativer rheumatologischer Evaluation empfohlen (Nast et al. 2017). Die Ergebnisse dieser Studie unterstreichen zudem, dass eine Kooperation zwischen den Fachdisziplinen Dermatologie und Rheumatologie bei der Behandlung von Patient:innen mit Pso von Beginn an bedeutsam ist, da bereits innerhalb der ersten Jahre nach einer initialen Pso-Diagnose ein Auftreten einer PsA (70,1%) beobachtet wurde.
Am zweithäufigsten wurde bei inzidenten Patient:innen mit Pso eine seronegative RA (35,2%) dokumentiert. Da Pso selten mit RA assoziiert ist – es wird von einer Prävalenz von RA bei prävalenten Patient:innen mit Pso von unter 1% berichtet – lassen sich bei den beobachteten RA-Folgediagnosen mögliche Fehl- beziehungsweise verkannte PsA-Diagnosen vermuten. Letzteres könnte darauf hinweisen, dass aufgrund eines mangelnden interdisziplinären Austauschs Rheumatolog:innen nicht ausreichend in den diagnostischen Prozess involviert sind. Eine AxSpA oder CED wurde nur bei 6,6% bzw. 8,9% der Patient:innen mit Pso-Erstdiagnose dokumentiert (Tab. S5). Dabei zeigen Daten aus diversen Kohortenuntersuchungen, dass sogar bis zu 42% der Patient:innen mit extraartikulären Manifestationen gleichzeitig eine CED, Uveitis oder Psoriasis entwickeln, wenn eine AxSpA im Vordergrund steht (Vander Cruyssen et al. 2007).
Bei Patient:innen mit Pso fiel innerhalb der Subkohorte mit Folgediagnose ein häufiger Einsatz von systemischen Glukokortikoiden auf. Jeweils über 10% dieser Patient:innen erhielten während des Beobachtungszeitraums eine dementsprechende Verordnung, obwohl systemische Glukokortikoide nicht Bestandteil der S3-Leitlinie sind (Nast et al. 2017) und ein Verringern der Dosis oder ein Absetzen der Medikation zu einer Verschlimmerung der Symptome („Rebound-Effekt“) führen kann (Augustin et al. 2011). Eine mögliche Erklärung könnte eine separate Behandlung der jeweils betreffenden Organsysteme möglicherweise durch unterschiedliche (Fach-)Ärzt:innen sein, wodurch Gelenkbeschwerden gegebenenfalls ohne Berücksichtigung des Gesamtzustandes der Patient:innen mit Glukokortikoiden behandelt werden. Dies deutet auf einen Verbesserungsbedarf bei der Kooperation
zwischen unterschiedlichen Fachgruppen bei der Versorgung von primär dermatologisch betroffenen Patient:innen mit Beschwerden im Bewegungsapparat hin.
Bei den n = 2.114 (15,1%) CED-Erstdiagnosen wurden in 25 Fällen eine CU und ein MC im Indexjahr kodiert. Da aufgrund ähnlicher Symptome eine diagnostische Unterscheidung erschwert sein kann (Wehkamp 2016), weist dies auf eine irrtümlich abweichende Kodierung hin, die möglicherweise durch unterschiedliche Ärzt:innen zustande kam. In Fällen, in welchen eine Differenzierung der beiden Erkrankungen nicht möglich ist, liegt eine Colitis indeterminata (ICD-Code K52.3) vor, diese Kodierung war jedoch nicht Bestandteil dieser Analyse.
Eine CED-Erstmanifestation tritt meist im jungen Erwachsenenalter auf, wobei die Inzidenz in der Gruppe der 15- bis 29-Jährigen am höchsten ist (Wehkamp 2016; Johnston/Logan 2008). Ein Großteil der in dieser Studie identifizierten inzidenten Patient:innen mit CED gehörte jedoch der Altersgruppe ≥40 Jahre an. Da einzelne Erkrankungsschübe mehrere Jahre auseinanderliegen können (Stallmach et al. 2012; Kucharzik et al. 2020), besteht die Möglichkeit, dass die gewählte Methodik (365 Tage diagnosefreie „Washout“-Periode) nicht ausreichte, prävalente Patient:innen vollständig auszuschließen. Verglichen mit den anderen Entitäten traten bei Patient:innen mit einer CED-Erstdiagnose Folgediagnosen seltener auf. Dies steht im Einklang mit epidemiologischen Studien, die zeigten, dass Patient:innen mit CED im Vergleich zu anderen IMID tendenziell weniger häufig sekundäre IMID-Erkrankungen aufweisen (Aletaha et al. 2019). Möglicherweise ist es auf das tendenziell jüngere Alter der Population dieser Patient:innen zurückzuführen. Aus einer aktuellen Kohortenstudie aus Deutschland geht jedoch hervor, dass bei Patient:innen mit einer CED und mittleren Krankheitsdauer von 1,3 (+/- 2,4 Jahre) 19,4% der Patient:innen eine Spondyloarthritis aufweisen (Rios Rodriguez et al. 2022). Auch hier ist wahrscheinlich die mangelnde interdisziplinäre Zusammenarbeit und das mangelnde Bewusstsein für extraintestinale Erkrankungen Grund für die niedrige Anzahl an Folgediagnosen.
Ein beträchtlicher Anteil der Patient:innen mit einer CED erhielt eine Verordnung für NSAR/Coxibe. Innerhalb der Subkohorten mit und ohne Folgediagnose stieg im vierten Beobachtungsjahr der Anteil der Patient:innen mit einer dementsprechenden Verordnung auf jeweils über ein Drittel (36,4% bzw. 35,6%). Grund könnte die Behandlung von Gelenkschmerzen sein, die bei Patient:innen mit CED als extraintestinale Symptome auftreten können (Arvikar/Fisher 2011). Während Coxibe bei Gelenkschmerzen bei CED eingesetzt werden können (Preiß et al. 2014), gelten NSAR aufgrund ihrer schubauslösenden Wirkung als kontraindiziert; insbesondere eine langfristige Behandlung mit NSAR wird nicht empfohlen (Tränkner et al. 2003; Harbord et al. 2016). In dieser Analyse wurden NSAR/Coxibe als aggregierte Therapieklasse betrachtet, jedoch weisen die Ergebnisse einer vorangegangenen Querschnittsanalyse (Leipe et al. 2023) darauf hin, dass der Anteil dieser Therapieklasse hauptsächlich durch Verschreibungen von NSAR getrieben wurde. Dies deutet darauf hin, dass eine interdisziplinäre Abklärung mit Hinzuziehung von Rheumatolog:innen nicht stattgefunden haben könnte, und verdeutlicht die Notwendigkeit eines interdisziplinären Therapiemanagements bei Patient:innen mit IMID.
Eine deutliche Mehrheit der Patient:innen mit einer RA-Erstdia-gnose wies eine dokumentierte seronegative RA-Diagnose auf. In der Literatur wird jedoch angenommen, dass schon zu Beginn der Erkrankung etwa die Hälfte der Patient:innen eine seropositive RA aufweisen (Myasoedova et al. 2020). Daher lassen sich hier mögliche Fehlkodierungen oder -diagnosen vermuten, weshalb eine Interpretation der Ergebnisse nur eingeschränkt möglich ist. Eine Therapie mit csDMARDs ist die empfohlene Erstlinientherapie bei Patient:innen mit RA (Schneider et al. 2020; Fiehn et al. 2018; Smolen et al. 2019), jedoch fiel der Anteil der Patient:innen mit einer entsprechenden Verordnung im Diagnosejahr eher gering aus. Da eine fehlende csDMARD-Therapie bei der Diagnose RA nicht mit den gültigen Leitlinien vereinbar wäre, könnte diese Diskrepanz auf einer fehlerhaften Dokumentation beruhen.
bDMARDs/tsDMARDs wurden verglichen mit den anderen definierten Therapieklassen in den betrachteten Entitäten eher selten eingesetzt. Im Zeitverlauf ließ sich jedoch insbesondere innerhalb der Subkohorten mit Folgediagnose ein Anstieg der Anteile derjenigen Patient:innen beobachten, die eine Verordnung für bDMARDs/tsDMARDs erhielten. Ein möglicher Erklärungsansatz für diese Tendenz ist, dass JAK-Inhibitoren zum einen (noch) nicht für alle Entitäten während des gesamten Beobachtungszeitraums zugelassen waren (Walter 2019; Pfizer 2019). Zum anderen werden bDMARDs/tsDMARDs generell erst bei mittelschweren und schweren Krankheitsverläufen sowie bei unzureichendem Ansprechen auf andere konventionelle Therapieklassen als Zweitlinientherapie empfohlen (Nast et al. 2017; Kucharzik et al. 2020; Preiß et al. 2014; Smolen et al. 2019; Gossec et al. 2020). Dies weist darauf hin, dass Patient:innen mit Folgediagnose möglicherweise tendenziell einen schwereren Verlauf aufgewiesen haben könnten als Patient:innen ohne Folgediagnose.
Die Stärke dieser Studie stellt die zugrundeliegende repräsentative Datenbasis dar, welche die Möglichkeit bot, anhand einer großen
adjustierten und bundesweiten Stichprobe gesetzlich Versicherter das Versorgungsgeschehen authentisch abzubilden. GKV-Routinedaten werden unter Routinebedingungen erhoben und unterliegen daher keinen verzerrenden Einschränkungen, die bei Primärdatenerfassungen oder Registerdaten auftreten können, beispielsweise sind sie nicht auf bestimmte Fachdisziplinen beschränkt. Abrechnungsdaten sind jedoch davon abhängig, wie im klinischen Alltag kodiert wird, beispielsweise können Fehlkodierungen auftreten. Das Längsschnittdesign ermöglichte Einblicke in den Krankheits- und Therapieverlauf. Aufgrund von Datenschutzrichtlinien war der Beobachtungszeitraum jedoch auf vier Jahre nach initialer Diagnose beschränkt. Das deskriptive, explorative Studiendesign ließ zudem keine kausale Interpretation der Ergebnisse zu. Außerdem ließen sich mit der zugrundeliegenden Datenbasis Krankheitsschweregrad und die Einnahme von Over-the-Counter-Präparaten nicht abbilden. Eine für die Patient:innen individuelle Untersuchung von Krankheits- und Therapieverlauf war nicht vorgesehen. Zudem wurden die Fachrichtungen der für die Erst- und Folgediagnosen sowie für die Arzneimittelverordnungen zuständigen Ärzt:innen nicht analysiert.
Die Ergebnisse weisen auf einen Verbesserungsbedarf bei der Kooperation unterschiedlicher Fachdisziplinen, insbesondere zwischen Derma- und Rheumatologie, bei der Diagnostik und Therapiesteuerung von IMID-Folgeerkrankungen hin. <<