Prof. Dr. med. Wolf-Dieter Ludwig gilt nicht nur in seiner Funktion als Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft als Kritiker der Pharmaindustrie, sondern auch in jener des Mitherausgebers des unabhängigen, pharmakritischen Informationsblattes „Der Arzneimittelbrief“. Aber auch als Chefarzt der Klinik für Hämatologie, Onkologie und Tumorimmunologie im HELIOS Klinikum Berlin-Buch hat er tagtäglich mit medikamentenbasierten oder -gestützten Therapien zu tun und sieht, was die pharmazeutische Industrie auf der einen Seite – auf Basis welcher Studien auch immer – verspricht und was die Medikamente dann wirklich halten. Darüber spricht er im Titelinterview mit „Monitor Versorgungsforschung“.
>> Herr Prof. Dr. Ludwig, sehen Sie sich eigentlich wirklich als der Gegner der Pharmaindustrie, als der sie oft in Publikumsmedien – wie zuletzt wieder bei „Frontal 21“ – dargestellt werden?
Ich bin kein Naivling. Die Pharmaindustrie spielt eine wichtige Rolle im Gesundheitssystem. Doch wenn sie diese Rolle verantwortungsbewusst übernehmen will, erwarte ich, dass alle Stakeholder – allen voran die Ärzte und Patienten – weder von der Pharmaindustrie ständig desinformiert noch mit sogenannten Innovationen versorgt werden, deren Studienlage mehr als dürftig ist. Hier sprechen wir noch gar nicht von Versorgungsforschung, sondern von der Planung und Durchführung jener Studien, die zur Zulassung eines Medikaments notwendig sind und eine hinreichende Wirksamkeit aufzeigen sollten.
Es wird ebenso oft behauptet, dass die Pharmaindustrie den Ärzten etwas „in die Feder“ diktieren oder per Pushmarketing in den Markt drücken könne.
Was sie zum Teil ja auch tut.
Was indes ein – mit Blick auf eine oft gehörte Forderung auf Patientenseite – nicht gerade sehr positives Bild des „informierten Arztes“ entwirft.
Ich denke, dass sich alle handelnden Personen im Gesundheitswesen auf ihre Berufsethik besinnen sollten. Das gilt für das Pharmamarketing ebenso wie für die Kassenseite als auch im ganz besonderem Maße für die Ärzteschaft. Allen Verantwortlichen ist doch bewusst, dass wir uns um eine gerechte Verteilung der dem Gesundheitssystem zur Verfügung stehenden Ressourcen bemühen müssen. Dazu müssen wir eben sicher stellen, dass wir nicht Geld an einer Stelle unnütz ausgeben, das wir an anderer Stelle dringend brauchen würden. Dies gebietet uns im Prinzip schon die ärztliche Berufsethik, nämlich eine gute Versorgung mittels einer möglichst gerechten Verteilung der Ressourcen zu gewährleisten. Dieses Thema liegt mir sehr am Herzen, und es ist letztlich auch die Basis dessen, was in der breiten Öffentlichkeit dann schnell als Kritik an der Pharmaindustrie wahrgenommen wird.
Dennoch bleibt die Kritik an mangelhafter Studienlage.
Es bleibt nicht nur die. Genauso wie sich Ärzte auf ihre Berufsethik besinnen müssen, zu der es eben auch gehört, sich ständig aktiv mit Therapien, Innovationen, Nebenwirkungen und wirklich evidenzbasierten Therapieempfehlungen zu beschäftigen, muss sich auch die Pharmaindustrie auf das besinnen, was sie groß und letztlich so bedeutend gemacht hat: Gute Medikamente zu erforschen und basierend auf aussagekräftigen Studienergebnissen in den Markt zu bringen. Dass hierzu ergänzend sowohl gute Fachinformationen und lesbare Packungsbeilagen als auch eine faire, weil wahrhaftige Kommunikation zu Arzt, Apotheker und Patient dazu gehören, versteht sich doch wohl von selbst.
Soziologen haben einen treffenden Begriff für dieses Phänomen, das ein Kollege von Ihnen – Prof. Dr. Heinz-Harald Abholz – einmal so beschrieben hat: „Der Verlust der professionellen Autonomie oder das Leid darüber, dass wir nicht mehr das tun können, was wir für richtig halten.“
Ein wahrer und wichtiger Satz. Wenn wir Ärzte nicht aktiver an unserer professionellen Autonomie arbeiten, indem wir uns richtig, ausreichend und unabhängig informieren und uns immer der prinzipiellen ärztlichen Verantwortlichkeiten besinnen, wird es letztlich dazu kommen, dass die Ärzteschaft an wesentlichen gesundheitspolitischen Entscheidungsprozessen gar nicht mehr beteiligt wird. Das wird dann ganz böse für das System, weil damit ein wichtiges Korrektiv fehlen würde, das sich – durchaus als Anwalt des Patienten – mit Reglementierungen und Instrumentarien beschäftigt, die häufig in erster Linie auf die Ökonomie ausgerichtet sind. Alleine ein Professionalisierungsschub kann der allseits zunehmenden Ökonomisierung und Technokratisierung sowie der Auflösung der ärztlichen Autonomie entgegenwirken. Noch einmal: Ich verordne jeden Tag in der Klinik Medikamente. Doch weil ich das machen muss, möchte ich möglichst sicher sein, dass ich damit wirklich Nutzen und nicht vorwiegend Risiken erzeuge. Und wenn ich das dann auch noch in einem optimalen Kosten-Nutzen-Verhältnis tun könnte, werde ich gerne von einem Saulus zu einem Paulus.
Sie geben zwei wichtige Stichwörter, die uns zur klinischen, danach weiter zur Versorgungsforschung oder vielleicht – besser – zu einem neuen Ganzen bringen: dem richtigen und dem ausreichend dokumentierten Nutzen.
Zunächst ist festzuhalten, dass von der Pharmaindustrie initiierte oder auch gesponserte Studien – sagen wir – fast zwangsläufig immer eine Art tendenziöses Ergebnis haben: Fast zwangsläufig wird sozusagen der untersuchte Wirkstoff eines betreffenden Herstellers in einem besseren Licht erscheinen, als er es in einer absolut unabhängigen, wissenschaftsinitiierten klinischen Studie tun würde. Dazu gibt es eine Vielzahl unabhängiger wissenschaftlicher Analysen und muss somit als Fakt, den man nicht wegreden kann, gelten. Aber: Das ist ja zunächst einmal noch gar nichts Verwerfliches!
Wie bitte?
Das ist ganz einfach die Realität, die man sich nur bewusst machen muss. Es ist nun einmal eine Tatsache, dass Ergebnisse aus klinischen Studien, die wir zum Zeitpunkt der Zulassung haben, uns nie die ganze Wahrheit vermitteln werden. Diese Art von Studien geben uns nur einen Hinweis darauf, wie der betreffende neue Wirkstoff im Vergleich zum untersuchten, bereits länger eingesetzten Arzneimittel oder Placebo auf bestimmte Endpunkte wirkt. Sie geben aber ganz gewiss nicht Antworten auf die für die tägliche Versorgung in Klinik und Praxis relevanten Fragestellungen.
Dafür dürfte Ihr Fachgebiet der Onkologie, deren Innovationen hohe Jahrestherapiekosten zwischen 30.000 und 100.000 Euro verursachen, wohl sicher ein Paradebeispiel sein.
Im Bereich der Onkologie habe ich mit Sicherheit den besten Einblick, doch wird es in anderen Gebieten ähnlich sein. Wir wissen zum Beispiel, dass in der Onkologie neben einer Verbesserung der häufig nicht untersuchten Lebensqualität das Gesamtüberleben ein ganz wesentlicher Endpunkt in klinischen Studien ist. Das Ansprechen einer Tumorerkrankung oder eine Verzögerung des Fortschreitens einer Tumorerkrankung sind natürlich auch wichtige Endpunkte, insbesondere wenn sie auch tatsächlich mit längerem Überleben oder besserer Lebensqualität korrelieren.
Die Industrie untersucht – das ist sicher ein Kritikpunkt – nur das minimal Mögliche und Nötige.
Was man auch verstehen kann, weil es ja auch seitens der Zulassungsbehörden nicht anders gefordert wird. Aber: Das bringt uns doch nicht weiter! Erfreulicherweise überdenkt die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMEA) derzeit ihre Anforderungen an klinische Studien und deren Endpunkte in der Onkologie, die zur Zulassung herangezogen werden.
Wenn denn nun noch transparent und nachvollziehbar eine Nutzenbasis definiert würde, gegenüber der sich eine Innovation zu messen hat.
Das wird die nächste Frage sein. Man benötigt immer einen wirksamen Vergleichsarm, also eine möglichst nahe am aktuellen Therapiestandard sich befindende Vergleichssubstanz, deren Nutzen bereits bewiesen ist, was nicht selten auch bei zugelassenen Arzneimitteln der Fall ist. Natürlich stellt sich häufig auch die Frage, ob das Arzneimittel, das Eingang in den medizinischen Standard gefunden hat, überhaupt auf Basis qualitativ vergleichbarer Studien zugelassen wurde, die man nun von dem neuen Wirkstoff verlangt. Wobei es – auch das muss klar sein – immer Situationen geben wird, in denen ein Placebo als Vergleich akzeptiert werden muss, weil eben noch keine Alternative oder aber kein Standard existiert.
Man kann natürlich nun entgegenhalten, dass es bei der Menge an Indikationen und Arzneimitteln viel zu lange dauern würde, diese Basis für eine Nutzenbewertung zu schaffen.
Auf der einen Seite ist es natürlich verständlich, dass im Sinne des Patienten neue Arzneimittel relativ schnell zugelassen werden, gerade bei Tumorerkrankungen, bei denen es noch keine wirksamen Therapiealternativen gibt. Aber wenn wir auf der anderen Seite nach Zulassung einen wie auch immer gearteten Zusatznutzen nicht in klinischen Studien nachweisen können, haben wir schon mittelfristig ein echtes Problem, da wir dann nie in eine Kosten-Nutzen-Bewertung eintreten können.
Gehen wir jetzt einmal davon aus, dass die Zulassungsstudie optimal abgewickelt wurde.
Und nicht vorzeitig abgebrochen wurde, weil gewisse vorher definierte Endpunkte erreicht wurden. Das hat nämlich zur Folge, dass wir die Wirksamkeit eines neuen Wirkstoffs über- und dessen Risiken unterschätzen würden. Darunter leiden dann die Patienten. Außerdem ist die Beobachtungsdauer in vorzeitig abgebrochenen Studien häufig viel zu kurz, um versorgungsrelevante Fragen zur Sicherheit des neuen Wirkstoffs zu beantworten.
Gut. Gehen wir also zum einen davon aus, dass die Zulassungsstudie
optimal geplant und nicht vorzeitig abgebrochen wurde. Dann wird es doch künftig verstärkt darum gehen, nach der Zulassung eines Arzneimittels Erkenntnisse zu sammeln, die per se in Zulassungsstudien nie gesammelt werden können. Dazu muss man ebenso genau unterscheiden zwischen den Fragestellungen, die im Rahmen einer randomisierten und kontrollierten Zulassungsstudie beantwortet werden können und müssen, und jenen, die für die Versorgung der eben nicht randomisierten und nicht kontrollierten Patienten mit jenem Arzneimittel ausschlaggebend sind. Hier stellt sich die Frage, ob überhaupt von den gleichen Patientengruppen gesprochen oder je gesprochen werden kann?
Die Kernfrage lautet wirklich, ob das untersuchte Arzneimittel bei den Patientengruppen, die in den Zulassungsstudien ausgeschlossen wurden, dieselbe Wirksamkeit zeigt wie in der randomisierten kontrollierten Studie (RCT). Das beginnt beispielsweise schon bei einer ganz einfachen Fragestellung, die nun einmal in der Versorgungsrealität nahezu jeden Tag, nicht aber in klinischen Zulassungsstudien auftritt und lautet: Welche Risiken und Wechselwirkungen treten bei Patienten mit Begleiterkrankungen auf, die möglicherweise deshalb zusätzliche Medikamente einnehmen müssen?
Das ist Versorgungsforschung pur und wohl in den wenigsten Fällen RCT-basiert.
Auch eine nicht-interventionelle Studie, wenn sie denn sehr gut geplant und vor allen Dingen umfangreich dokumentiert wird, ist ein wichtiger Bestandteil der Versorgungsforschung. Ich lehne aber Anwendungsbeobachtungen, auch eine Form der nicht-interventionellen Studien, entschieden ab, wenn – wie sehr häufig – der Marketingeffekt eindeutig im Vordergrund steht. Es wäre realitätsfremd anzunehmen, Versorgungsforschung nur unter dem Aspekt des höchsten Evidenzgrades betrachten zu wollen. Denn den werden wir häufig nicht erreichen können. Aber es gibt ja auch andere Mittel und Wege, wie beispielsweise Register, wenn sie denn wirklich unabhängig ausgewertet werden und wenn die Fragestellungen, mit der diese Register durchgeführt werden, die richtigen Erkenntnisse ergeben.
Wie immer kommt es darauf an, wer wann die richtigen Fragen stellt und die Antworten dann auch noch veröffentlicht.
Ärzte müssen akzeptieren, dass zum Zeitpunkt der Zulassung viele Fragen zur Wirksamkeit und Sicherheit eines neuen Arzneimittels offen sind. Sehen sie sich einmal den europäischen Bewertungsbericht an, den die EMEA dann veröffentlicht, wenn sie ein neues Arzneimittel zulässt. In diesem Bericht werden die wesentlichen offenen Fragen formuliert, die nach Zulassung rasch beantwortet werden müssten. Nun stelle ich seit vielen Jahren fest, dass diese offenen Fragen gar nicht mehr aktiv angegangen werden. Entweder, weil die dazu notwendigen sogenannten Phase-IV-Studien von der pharmazeutischen Industrie nicht durchgeführt werden oder aber auch, weil wissenschaftsinitiierte versorgungsnahe Studien, die diese Fragen zum Teil auch angehen könnten, aufgrund bürokratischer Hürden, fehlender Man- bzw. Womanpower und Finanzierungsproblemen nicht stattfinden.
Damit kommen wir zu dem Thema, wer Versorgungsforschung finan-
finanzieren soll.
Finanzieren und vor allem durchführen. Durch die enorme Arbeitsverdichtung in den Krankenhäusern hat fast kein Arzt mehr Zeit für solche klinischen Studien, wenn nicht durch Drittmittelfinanzierung dafür zusätzliche personelle Ressourcen geschaffen werden. Als ich in den 80er Jahren in der Klinik angefangen habe, war es sehr wohl möglich, Therapieoptimierungs-Studien durchzuführen und gut zu dokumentieren, so dass dann im Rahmen dieser Studien, die damals vollkommen unabhängig von der Industrie liefen, auch wirklich wichtige Erkenntnisse erarbeitet wurden. Damals wurde im Bereich der Hämatologie, in dem ich tätig bin, in Deutschland der Grundstein für zahlreiche, heute weltweit akzeptierte und z.T. auch führendeTherapieoptimierungs-Studien gelegt, sowohl bei akuten Leukämien als auch bei malignen Lymphomen.
Betrachten Sie doch einmal Ihr klinisches Umfeld. Welche versorgungsrelevanten Studien fehlen Ihnen? Oder welche fehlen Ihnen am meisten?
Da gibt es wohl mehr, was wir evidenzbasiert nicht wissen, als das, was wir wissen. Ein ganz einfaches Beispiel: Kreuzschmerzen. Die Liste mit relevanten Fragen für die Versorgungsforschung ist lang. Zum Beispiel haben wir keine guten Untersuchungen über die immer häufiger eingesetzten Opioide, einschließlich Pflaster, zur Behandlung von chronischen Kreuzschmerzen. Wir haben aber auch keine guten Studien zur Effektivität klassischer Arzneimittel wie Paracetamol oder Metamizol. Weiterhin existieren keine guten Untersuchungen zu „muskelentspannenden“ Medikamenten, die wir früher, wenn wir Kreuzschmerzen hatten, alle mehr oder weniger auch geschluckt haben. Oder was ist mit dem Stellenwert der physikalischen Therapie bei Kreuzschmerzen?
Ein anderes Beispiel: Behandlung degenerativer Gelenkerkrankungen. Kardiovaskuläre und gastrointestinale Komplikationen nach traditionellen nichtsteroidalen Antirheumatika im Vergleich zu den Coxiben sind unzureichend untersucht. Und auch zu umstrittenen Arzneimitteln, die von den Orthopäden häufig verordnet werden, wie Hyaluronsäure und Glucoamin, ist die Datenlage unbefriedigend.
Und im Bereich der Tumorschmerzen?
Gleiches gilt natürlich auch für den Bereich Tumorschmerz. Zur Behandlung von Tumorschmerzen gibt es neue stark wirksame Opioide wie Fentanyl, Oxycodon oder Hydromorphon, die deutlich teurer sind als die bisher eingesetzten stark wirkenden Opioidanalgetika und die darum dem Gesundheitssystem enorme Kosten verursachen. Für diese Arzenimittel konnte bisher nicht überzeugend belegt werden, dass sie einen echten Zusatznutzen bringen im Vergleich zur klassischen Morphingabe und trotzdem rangieren sie unter den Top 30 der meist verschriebenen Arzneimittel in Deutschland.
Woher kommt das?
Gerade hinsichtlich der neuen, stark wirksamen Opioide gibt es aus meiner Sicht derzeit eindeutig eine Fehlversorgung, die sowohl Kosten erzeugt als auch zum Teil Risiken in sich birgt. Und dann werden derartige Wirkstoffe auch noch in anderen Bereichen wie zum Beispiel dem der chronischen Kreuzschmerzen stark propagiert. Das nenne ich dann eine eindeutige Fehlversorgung, die letztlich nur aus dem Wunsch resultiert, neue teure Arzneimittel auf dem Markt zu bringen, für die häufig in einem bestimmten Anwendungsgebiet gar kein Bedarf besteht.
Aber natürlich profitieren auch z.B. Tumorpatienten davon, wenn sie nach einer ausreichend langen Einstellungsphase mit Morphin nur alle drei Tage ihr Fentanyl-Schmerzpflaster wechseln müssen – das ist bequem und steigert die Lebensqualität.
Die Pflaster sind ja an sich durchaus in Ordnung und stellen auch eine patientenrelevante Weiterentwicklung dar. Sie werden nur viel zu häufig verordnet.
Es gibt also alleine hier eine Vielzahl von versorgungsrelevanten Themen, die man untersuchen müsste.
Die, das ist wichtig, eigentlich für die Qualität der medikamentösen Versorgung fast wichtiger wären als viele der neuen Analogpräparate oder Pseudoinnovationen, die Jahr für Jahr auf den Markt kommen.
Doch diese umfassenden Versorgungsforschungs-Studien durchzuführen, die nicht nur den Zusatznutzen eines einzelnen Medikaments, sondern im Prinzip alle Therapieoptionen innerhalb einer Indikation vergleichen und im Versorgungsalltag untersuchen müssten, kann nicht Aufgabe der Pharmaindustrie oder eines einzelnen pharmazeutischen Herstellers sein.
Nein. Das kann und wird die Industrie nicht leisten. Doch Krankenkassen müssten ein originäres Interesse daran haben, beispielsweise anhand unabhängig geplanter und ausgewerteter klinischer Studien zu vermeiden, dass schlecht geprüfte Behandlungsstrategien flächendeckend eingesetzt werden. Auch die Politik müsste daran interessiert sein, weil damit erhebliche Kosten eingespart werden könnten. Und letztlich müssen auch die Ärzte ein großes Interesse daran haben, weil sie doch eigentlich alle ihre Patienten wirklich gut versorgen und nicht immer nur jeder Scheininnovation aufsitzen wollen.
Im Sinne einer Qualitätsverbesserung, aber nicht der reinen Ökonomie?
Sicher. Wir können nicht nur das Ziel haben, sparen zu wollen. Gerade wir als Ärzte können doch gerade durch die Einsparung nicht benötigter Arzneimittel oder nicht benötigter diagnostischer Prozeduren die Qualität unserer Versorgung verbessern. Das Thema Qualitätsverbesserung liegt mir stark am Herzen, weil viele die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft und auch meine Person als Sparkommissar betrachten. Ich sehe mich eher als jemand, der unnötige Dinge vermeiden möchte, wenn sie wissenschaftlich nicht belegt sind.
Und trotzdem passiert in der Versorgungsforschung nur wenig.
Dazu müssten ja auch erst einmal alle, die an der Versorgung der Patienten beteiligt sind, zusammengeführt werden und bereit sein zur konstruktiven Kooperation.
Wobei sich dann gleich die nächste Frage stellt, wie und unter welcher Führung, was dann ein Part in der nächsten Gesundheitsreform sein
dürfte.
Ja, auch diese Frage ist wie so viele andere Fragen offen. <<
Das Gespräch führten MVF-Herausgeber Prof. Dr. Reinhold Roski und
MVF-Chefredakteur Peter Stegmaier