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Qualitätssteigerung durch Transparenz? Einsatz von Gütesiegeln im Gesundheitswesen

Als lange gefordertes ordnungspolitisches Leitbild soll mehr Wettbewerb zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit, der Bedarfsorientierung und der Versorgungsqualität beitragen. Doch neben positiven Effekten führt die (bedingt durch die Wettbewerbsdynamik) erhöhte Angebotsvarianz zu einem Informationsungleichgewicht auf der Nachfrageseite, die eine vollständige Marktübersicht unmöglich macht. Immer mehr Gütesiegel, Zertifikate, Auszeichnungen und Ratings weisen als Orientierungshilfen den Verbrauchern den Weg, deren derzeitige inflationäre Ausuferung wiederum zu einer Verunsicherung führt. Aus diesem Grund wurde in der vorliegenden Omnibus-Studie des Fachbereichs Prävention und Gesundheitsförderung der APOLLON Hochschule, der Standpunkt der Entscheider des Gesundheitswesens zum Einsatz und den Wirkungen von Gütesiegeln untersucht.

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Erstveröffentlichungsdatum: 24.02.2012

Abstrakt: Qualitätssteigerung durch Transparenz? Einsatz von Gütesiegeln im Gesundheitswesen

Die APOLLON Hochschule hat sich im Rahmen einer Entscheider-Befragung mit den Einsatzgebieten, der Wirkung und den Verbesserungspotenzialen von Gütesiegeln im Gesundheitswesen beschäftigt. Demnach werden Gütesiegel befürwortet, da sie die Qualität im Gesundheitswesen steigern können. Indes wurde deutlich, dass Gütesiegel aktuell wenig zur Transparenzsteigerung und Akzeptanz von Produkten beitragen. Seitens der Befragten wurde die ausschließliche Bewertung unabhängiger Institute ohne kommerziellen Charakter sowie standardisierte Bewertungskriterien zur Sicherstellung der Qualitätstransparenz favorisiert. Durchgeführt wurde die Online-Befragung vom Marktforschungsinstitut dostal & partner.

Abstract: Quality improvement through transparency? - Using seals of quality in health care

Through a survey of decision-makers, APOLLON College examined the areas of use, the effect and the potential improvements of seals of quality in health care. Accordingly, seals of quality were approved, as they could increase quality in health care. However, it became clear that seals of quality currently contribute less to an increase in transparency and acceptance of products. Exclusive assessments by independent, non-commercial institutes, and standardized assessment criteria were favoured by those questioned for the guaranteeing of quality transparency. The online survey was carried out by the market research institute dostal & partner.

Literatur

Dierks ML, Diel F, Schwartz FW (2003): Stärkung der Patientenkompetenz: Information und Beratung, in: Schwartz FW, Badura B, Busse R, Leidl R, Raspe H, Siegrist J, Walter U (Hrsg.): Das Public Health Buch - Gesundheit und Gesundheitswesen, Urban & Fischer Verlag,München und Jena, S. 339-348. DISQ (2006): FOCUS-MONEY und das Deutsche Institut für Service-Qualität ermitteln Deutschlands beste Krankenkasse, Pressemeldung des Deutschen Instituts für Service-Qualität vom 04.12.2006, URL:http://www.disq.de/download/PM_04.12.pdf, [Stand 23.07.2012]. Dostal AWT, Dostal G (2011): Potentiale im Zweiten Gesundheitsmarkt: Wellness, Gesundheitsvorsorge und Gesundheitsreisen - Ergebnisse einer Umfrage für Entscheider und Dienstleister im Ersten und Zweiten Gesundheitsmarkt, Vilsbiburg. Frick K, Hauser M (2007): Kontrolle ist nichts, Vertrauen ist alles, in: GDI Impulse - Wissenschaftsmagazin für Wirtschaft, Gesellschaft, Handel, S. 82-97. Hujber T (2005): Werbung von Versicherungsunternehmen, DUV Deutscher Universitäts-Verlag, Wiesbaden. Laufermann B (1998): Transparenz durch Ratings?: Unternehmens- und Produktratings deutscher Nicht-Lebensversicherer, Verlag Versicherungswirtschaft, Karlsruhe. Rauschenbach T, Schilling M (2005) (Hrsg.): Kinder und Jugendhilfereport 2 - Analyse, Befunde und Perspektiven, Juventus Verlag, Weinheim und München. Scherenberg (2011): Nachhaltigkeit in der Gesundheitsvorsorge, Gabler Verlag, Wiesbaden. Verbraucherzentrale (2005): Stichprobe bei Verbraucherforen im Internet: Mangelhafte Meinungen, Pressemitteilung der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen vom 27.07.2005, URL:http://www.vz-nrw.de/UNIQ124353748203746/link197201A.html, [Stand 23.07.2012]. Die Ergebnisse dieses Beitrages wurden parallel im Gesundheitsforen-Themendossier, Ausgabe 6/2012 (Gütesiegel in der Krankenversicherung - Attribut für Qualität vs. Marketingeffekt) veröffentlicht.

Zusätzliches

Plain-Text

Qualitätssteigerung durch Transparenz? Einsatz von Gütesiegeln im Gesundheitswesen

Als lange gefordertes ordnungspolitisches Leitbild soll mehr Wettbewerb zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit, der Bedarfsorientierung und der Versorgungsqualität beitragen. Doch neben positiven Effekten führt die (bedingt durch die Wettbewerbsdynamik) erhöhte Angebotsvarianz zu einem Informationsungleichgewicht auf der Nachfrageseite, die eine vollständige Marktübersicht unmöglich macht. Immer mehr Gütesiegel, Zertifikate, Auszeichnungen und Ratings weisen als Orientierungshilfen den Verbrauchern den Weg, deren derzeitige inflationäre Ausuferung wiederum zu einer Verunsicherung führt. Aus diesem Grund wurde in der vorliegenden Omnibus-Studie des Fachbereichs Prävention und Gesundheitsförderung der APOLLON Hochschule, der Standpunkt der Entscheider des Gesundheitswesens zum Einsatz und den Wirkungen von Gütesiegeln untersucht.

>> Beliefen sich die Internet-Fundstellen bei der Eingabe der Wörter „Gütesiegel und Gesundheit“ in der Suchmaschine Google (beschränkt auf Deutschland) vor fünf Jahren (01.01.2007 bis 31.12.2007) auf 140.000 Treffer (nur Gütesiegel: 1.400.000), so hat sich die Zahl fünf Jahre später (01.01.2011 bis 31.12.2011) auf 1.470.000 Treffer (nur Gütesiegel: 4.000.000) verzehnfacht. Ungeachtet der eingeschränkten Validität und Ungenauigkeit dieses Rechercheinstruments scheint das Thema Gütesiegel aus Anbieter- und Nachfragesicht an Bedeutung zu gewinnen. Nachvollziehbar, denn mit steigender Marktintransparenz üben „greifbare“ Entscheidungskriterien, wie finanzielle Vorteile, Werbung, Markenimage und Gütesiegel einen starken Anreiz aus. Die aktuellen wettbewerblichen Rahmenbedingungen zwingen die Akteure des Gesundheitswesens zu kurzfristigen Vorteilsstrategien.
Diese bergen die Gefahr, dass sich ein zunehmender Preiswettbewerb (bzw. Gütesiegelwettbewerb), statt eines Qualitätswettbewerbs entwickelt (Hujber 2005). Diese Gefahr wird verstärkt durch Vergleichsportale, Produktbewertungen und Empfehlungen Dritter, die sich teils stark auf finanzielle Vorteilsaspekte und nicht auf die Qualität der Angebote konzentrieren. Gerade im Internet haben sich neben etablierten Bewertungen von Verbraucherschutzorganisationen (Stiftung Warentest) und Verbrauchermagazinen (ÖKO-Test) zahlreiche Vergleichsportale entwickelt. So existieren allein für die gesetzlichen Krankenversicherungen (GKVn) mehr als 70 unterschiedliche Gütesiegel (Scherenberg 2011). Hierbei wird entweder die Institution (z.B. Beste Krankenkasse, Beste regionale Krankenkasse, Beste Krankenkasse ohne Zusatzbeitrag) oder deren Service oder ihre Produkte (z.B. TOP-Prävention, Bestes Leistungsangebot) beleuchtet. Zudem werden auf dieser Weise - meist finanzielle - Vorteile für bestimmte Zielgruppen (z.B. Beste Krankenkasse für Singles, Sportler, Aktive, Passive, Berufsstarter, Familien) oder sonstige Vorteile (z.B. Doktors Liebling) beleuchtet. Rund 40% der GKVn weisen auf ihren Internet-Seiten bereits auf solche Auszeichnungen mit entsprechenden Gütesiegeln hin (ebd.).
Gründe für den Einsatz von Gütesiegeln
Die Expansion von Gütesiegeln hat mehrere Gründe: Zum Einen liegt es nahe, dass Verbraucher darauf vertrauen, ein zusätzliches Bewertungskriterium bzw. eine unabhängige Entscheidungsbasis über das unüberschaubare Angebotsdickicht zu erhalten. Zum Anderen stellen anbieterseitig Auszeichnungen, als verbrieftes Zeichen für hervorragende Leistungen, eine marketingstrategische Profilierungsmöglichkeit u.a. im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit dar. Die Online-Befragung im Dezember 2011 der APOLLON Hochschule (zum Themenfeld „Gütesiegel“) im Rahmen der 10. Welle (Dostal/Dostal 2012) des 2008 gestarteten „healthpanels“ bestätigt diese Vermutung (siehe Abb. 1): Denn mehr als ein Drittel der befragten Entscheider der Gesundheitswirtschaft (n=432) (33,8%), die Gütesiegel einsetzen, sehen diese als etablierte Instrumentarien mit Signalwirkung, insbesondere im Bereich Prävention (45,5%), an. Insgesamt setzen 53,7% der Befragten (GKVn zu 50,0%) Gütesiegel ein. Teilnehmer der Studie, die keine Gütesiegel einsetzen, teilen diese Meinung nicht oder setzen Gütesiegel bewusst nicht aus Kosten- oder Überzeugungsgründen ein. Die überwiegende Mehrheit ist demnach davon überzeugt, dass von den etablierten Gütesiegeln eine wichtige Signalwirkung ausgeht und damit Gütesiegel ein adäquates Hilfsmittel zur Orientierung darstellen. Die aktuell inflationäre Zunahme solcher „Orientierungshilfen“ schwächt die Wirkung und läuft damit der ursprünglichen Intention entgegen. Denn laut Aussagen der Befragten (siehe Abb. 2) tragen Gütesiegel nur zu maximal 2,2% zur Transparenzsteigerung und Akzeptanz von Produkten bei. Mehr als ein Drittel der Befragten (39,1%) sind sogar der Meinung, dass Gütesiegel eher zur Verunsicherung beitragen. Auffällig ist, dass die Befragten Gütesiegel insbesondere für den Bereich Prävention Potenziale zur Steigerung des Qualitätswettbewerbs sehen (59,9%) und Gütesiegel weniger als Marketinginstrument betrachten.
Hindernisse und Risiken
Damit Gütesiegel überhaupt einen Beitrag zur Qualitätssteigerung leisten können, ist ein gemeinsames Verständnis über Qualität notwendig. Denn Qualität ist nicht nur schwer greifbar, sondern lässt sich nie ganz objektiv darstellen. Daraus folgt, dass Gütesiegel immer nur ein Versuch sind, der interessierten Öffentlichkeit Ausschnitte der Wirklichkeit vermittelbarer zu machen (Rauschenbach 2005). Zudem hinken die Informations- und Bewertungssyteme der Realität konsequent hinterher, da sie nur den aktuellen IST-Zustand - oft in Teilbereichen (z.B. Service oder einzelne Produkte) abbilden können. Ein weiteres Problem stellt die Finanzierungs-, Verkaufs- und Veröffentlichkeitsnotwendigkeit von Rankings dar, die immer eine gewisse Medienwirksamkeit bedingt. Spektakuläre und verkaufsfördernde Aussagen von Gewinnern und Verlierern fördern die Medienwirksamkeit und damit z.B. die Auflagenstärke entsprechender Zeitschriften, können unangemessen (Lanfermann 1998) oder stimulierend sein. Auch user-generierte Erfahrungsberichte und Hitlisten (z.B. Ciao, Dooyoo) erfreuen sich zunehmender Beliebtheit. Denn neben unabhängigen Experten (z.B. Stiftung Warentest) tauschen immer mehr Konsumenten ihre Erfahrungen aufgrund der zunehmenden Unübersichtlichkeit online aus (Frick/Hauser 2007). Vor diesen mitunter mangelhaften und manipulationsanfälligen Meinungen von Laien warnen Verbraucherschützer (Verbraucherzentrale 2005). Im Gegensatz zu den Niederlanden („Wähle besser“, www.kiesbeter.nl) existiert ein unabhängiges Verbraucherportal zur verstärkten Transparenz und Orientierung der Versicherten im Gesundheitswesen, für den deutschen Krankenversicherungsmarkt bis dato nicht.
Der dringende Bedarf für eine wertneutrale Beratung wurde mit Einführung des § 65b SGB V (GKV-Gesundheitsreform 2000) und der Verpflichtung der GKVn zur „Förderung von Einrichtungen zur Verbraucher- und Patientenberatung“ bereits Rechnung getragen (Dierks et al. 2003). Hierzulande ermöglicht die „Unabhängige Patientenberatung Deutschland gGmbH“ als Modellverbund der Spitzenverbände der Krankenkassen bundesweit eine kostenfreie persönliche Beratung in 22 regionalen Einrichtungen (www.upd-online.de). Eine Ausuferung von mitunter kos-
tenpflichtigen Gütesiegeln kann nicht nur zu einer erneuten Unübersichtlichkeit, sondern mitunter zu einer Wettbewerbsungerechtigkeit führen. Werden kostenpflichtige Gütesiegel von der Öffentlichkeit akzeptiert, haben Anbieter mit geringer Finanzstärke weniger Möglichkeiten, sich auf diesem Wege zu profilieren. Kriterien, die für solche Qualitätsbewertungen im Rahmen von Interviews überprüft werden, sind u.a. Servicekultur, Servicezuverlässigkeit, Umgang mit Reklamationen und Qualifikationen der Mitarbeiter. Produktbewertungen erfolgen mitunter auf Selbstauskunft. Werden Daten nicht wahrheitsgemäß angegeben und halten einer möglichen Prüfung nicht stand (z.B. des DISQ, Deutschen Institut für Servicequalität), findet ein Ausschluss der jeweiligen Kasse und Entzug des Gütesiegels statt (bspw. der Hanseatischen Krankenkasse (HEK) im Jahre 2006;Pressemeldung des DISQ, 04.12.2006). Negative Beurteilungen sowie Ausschlüsse wirken sich wiederum ungünstig aus.
Zentrale Schwächen und
Optimierungsmöglichkeiten
Bezogen auf Gütesiegel können die mangelnde Standardisierung, Vergleichbarkeit, Kontinuität sowie methodische und konzeptionelle Ungleichheit die Chance schmälern, dass Qualitätsanreize geschaffen werden und die gut gemeinte Transparenz zu einem reinen Marketinginstrument verkommt. Alle Akteure (Abb. 3) sind sich darüber einig, dass durch die „ausschließliche Bewertung durch unabhängige Institutionen ohne kommerzielles Interesse“ (86,9%) sowie die Festlegung standardisierter Bewertungskriterien kommerzieller wie nicht-kommerzieller Institutionen (63,9%) die Qualitätstransparenz sichergestellt werden kann. Die GKVn befürworten (an dritter Stelle) eine gesetzliche Transparenzpflicht über Gütesiegel stärker als die Gewährleistung nachweisbarer „Muss”-Kriterien (an vierter Stelle). Der Einsatz von Ampelsystemen oder staatliche Gütesiegel sind nach Meinungen der Akteure eher zu vernachlässigen. Werden Ergebnisse von unabhängigen Instituten erstellt und von einer übergeordneten zentralen Stelle (z.B. Spitzenverband Bund der gesetzlichen Krankenkassen, Verbraucherverbänden) publiziert, erhöht dies die Glaubwürdigkeit, da eine höchstmögliche Objektivität angenommen wird. Damit kann die Informationsasymmetrie zwischen Anbietern und Nachfragern gesenkt werden. Wechselnde Kriterien könnten zudem vermeiden, dass keine Konzentration auf die Optimierung einzelner öffentlichkeitsrelevanter Kriterien, sondern eine inhaltliche Handlungsoptimierung stattfindet. Eine Veröffentlichung trägt im Sinne von „public disclosure“ dazu bei, dass qualitätsbezogenes Verhalten gefördert wird, da die Reputation direkt von der Veröffentlichung betroffen ist. Auch eine gesetzliche Transparenzpflicht sowie einheitliche Standards von Siegel, Ratings, Bewertungsportale bzw. die stärkere Offenlegung von Bewertungskriterien sowie die Transparenz möglicher kommerzieller Interessen kann ein Schritt in die richtige Richtung darstellen. Qualitätsgütesiegel mit unterschiedlichen Stufen können dazu führen, dass die Nachfrageseite für das Thema Qualität sensibilisiert und die Anbieterseite zur Erreichung der nächsten Stufe motiviert wird.
Grenzen von Gütesiegeln im Bereich Prävention
Um die Qualität von Präventionsmaßnahmen zu erhöhen und dem Wert von Gesundheit für das Individuum und die Gesellschaft gerecht zu werden, müssten Bewertungen die Besonderheiten des Gesundheitswesens betrachten. Denn werden präventive Angebote bewertet, so sollte berücksichtigt werden, wie wahrscheinlich es ist, hohe Präventionspotenziale zu erzielen und inwiefern gerade (Hoch-)Risikogruppen mit einem aktuell schlechten Gesundheitsverhalten und Gesundheitszustand daran teilnehmen (können). Angebote, die eher bereits aktive Personengruppen ansprechen, verfehlen das Ziel und leisten keinen aktiven Beitrag zur Verminderung der gesundheitlichen Ungleichheit. Dies setzt voraus, dass das wettbewerbliche Potenzial eine wechselseitige Besserstellung generiert. Zudem handelt es sich bei den „Konsumenten“, um Mitproduzenten der Gesundheit, deren Inanspruchnahme (bzw. Mitwirkung) im Vergleich zu „klassischen“ Produkten von sozialen und ökonomischen Ressourcen beeinflusst wird. Gelingt es Anreize zu schaffen, bei der jene Akteure honoriert werden, die den größten Beitrag am gesundheitlichen Wohlergehen leisten, profitiert langfristig das gesamte Gesundheitssystem. Denn aktuell besteht immer noch ein hoher Anreiz, den Fokus auf attraktive und einkommensstarke Zielgruppen zu setzen, da vulnerable Menschen aus einkommensschwachen Schichten eine eher unattraktive Zielgruppe darstellen. Diese wettbewerblichen Rahmenbedingungen sind nicht nur ethisch, sondern können aus gesellschaftsökonomischer Sicht als bedenklich bezeichnet werden, und stehen insgesamt betrachtet einer nachhaltigen Entwicklung entgegen. Geht es um die Signalwirkung von Gütesiegel, ist anzumerken, das die primäre Informationsquelle Internet und damit auch Vergleichsportale - trotz zunehmender Überwindung der digitalen Kluft - tendenziell von sozial benachteiligten und älteren Menschen weniger genutzt wird. Junge, gut gebildete und ökonomisch abgesicherte Schichten haben damit allein aus informationstechnologischen Gründen einen Partizipationsvorsprung.
Fazit
Um einen wirkungsvollen Beitrag zur Qualitätssteigerung des Gesundheitssystems leisten zu können, muss auf die steigende Unsicherheit aufgrund der Produktvielfalt und Ausuferung von Gütesiegeln reagiert werden. Denn die erkennbare Unüberschaubarkeit führt dazu, dass derzeit auf eher nicht qualitätsorientierte „greifbare“ Kriterien zurückgegriffen wird oder eine Auswahl „instinktiv“ über eine von der Werbung verankerte Sympathieorientierung erfolgt, statt eine leistungsorientierte Entscheidungsfindung vorzunehmen. Eine Abkehr der derzeitigen Dominanz teils finanzieller Vorteilsdarstellungen würde eine stärkere Wettbewerbsdynamik in Richtung Leistungs- und Qualitätswettbewerb anstoßen, die einen gesellschaftlichen Wertbeitrag leistet. Ein fairer Leistungs- und Qualitätswettbewerb setzt sach- und laiengerechte Informationen sowie eine verstärkte Transparenz und Honorierbarkeit des Leistungsbeitrags über qualitätsgesicherte und evidenzbasierte Angebote voraus. Insofern können „vereinzelte“ und „mitunter abgestufte“ Gütesiegel unter den beschriebenen Prämissen einen positiven Beitrag im Gesundheitswesen leisten, vorausgesetzt die interessierte Öffentlichkeit honoriert - mit ihrem Nachfrageverhalten - Qualität. <<