Rabatt- und Direktverträge - Vertragsmanagement aus Sicht der Krankenkassen
Die Entwicklung der Arzneimittelausgaben steht seit Jahren im Fokus der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Ursprünglich als ergänzende Leistung zur ärztlichen Behandlung gedacht, sind sie zwischenzeitlich zu den „TOP 3“ der ausgabenintensivsten Leistungsarten aufgestiegen. Zeitweise lagen sie sogar höher als die Ausgaben der GKV für die ärztliche Behandlung. Im Jahr 2008 gab die GKV 29,1 Milliarden Euro für Arzneimittel aus, im Jahr 2009 stieg die Ausgabensumme um 5,4 % auf 30,7 Milliarden Euro. Auch im ersten Quartal des Jahres 2010 ist eine Ausgabensteigerung von fast 5,5 % festzustellen. Dieser unaufhaltsame Ausgabenanstieg, der ohne denkbare Kompensationseffekte bei anderen Leistungsarten stattfindet, sorgt dafür, dass immer wieder neue Instrumente entwickelt und eingesetzt werden, um die Höhe der Ausgaben zu steuern. Vornehmlich werden Steuerungsansätze diskutiert, die Versorgungsqualität und Wirtschaftlichkeit miteinander in Deckung bringen.
>> Rabattverträge können aber nicht nur zur Kostensenkung eingesetzt werden, sondern auch, um andere Märkte zu erschließen und hinsichtlich Versorgungsqualität positiv zu beeinflussen. Die Notwendigkeit zeichnet sich vor allem vor dem Hintergrund ab, dass die Steigerungen der Arzneimittelausgaben vornehmlich durch patentgeschützte Arzneimittel verursacht werden. Unter der Annahme, den Einsatz der patentgeschützten und damit teuren, aber nicht zwangsläufig innovativen Arzneimittel zu steuern, können spezifische Versorgungsverträge auf die Komponente der Arzneimittel ausgedehnt werden. Unter anderen bieten sich hier vorhandene Strukturen im Rahmen der Integrierten Versorgung oder der Disease Management Programme an, bei denen in Zusammenarbeit mit den behandelnden Ärzten und deren Fachgesellschaften eine Arzneimittelversorgung sach- und leitliniengerecht implementiert werden kann.
Selektives Kontrahieren als
ordnungspolitische Voraussetzung
Im Jahr 2004 wurden mit dem Gesundheitsmodernisierungsgesetz in einigen Teilmärkten die rechtlichen Rahmenbedingungen für selektive Verträge geschaffen. Dies war der Beginn für die Akteure im Gesundheitswesen, steuernde Maßnahmen durch selektives Kontrahieren einzuleiten. Krankenkassen können nun mit einzelnen Leistungserbringern individuelle Vertragsabschlüsse realisieren und damit Abstand vom einheitlichen Kollektivvertrag nehmen. Damit wurde ein wettbewerbliches Instrument entwickelt, mit dem sich Krankenkassen bezüglich Qualität, Wirtschaftlichkeit und Patientenorientierung voneinander abheben können. Insbesondere aus Sicht der Kostenträger sind zwei wesentliche Effekte vorteilhaft. Zum einen bewirkt selektives Kontrahieren für jede einzelne Kasse die Chance auf eine Kontrolle der Ausgaben und zum anderen ist die Möglichkeit gegeben, die Auswahl von qualitativ hochwertigen Leistungserbringern, also eine Beeinflussung des Qualitätsniveaus vorzunehmen. Gerade die Einwirkung auf die Kosten in einem System, in dem der Kostenträger bislang nur einen geringen Einfluss auf die Preisgestaltung hat, wird sowohl als Wettbewerbs- als auch als Steuerungsinstrument genutzt. Versicherte dagegen befürchten Qualitätseinbußen in der Sorge, dass Kostenträger sich bei der Auswahl ihrer Vertragspartner ausschließlich auf den Preis fokussieren, während die Qualität eine verminderte Rolle spielt. Mangelnde Transparenz der Verträge, steigender Informationsaufwand und Transaktionskosten bei allen Beteiligten verstärken diese Angst der Versicherten, werden aber auch von anderen Akteuren häufig als Argument angeführt, Folge des Einzugs von Wettbewerb in den Gesundheitsmarkt zu sein.
Tatsächlich aber bietet sich allen beteiligten Akteuren durch selektives Kontrahieren die Chance, die alten kollektiven Strukturen durch die Erprobung innovativer Konzepte, bedarfsgerechter Verträge hochwertiger und zielgerichteter Leistungen aufzubrechen und Wettbewerbsvorteile aufzubauen. Aus Gesundheitspolitik wird durch selektives Kontrahieren Gesundheitsmanagement.
Methodische Bedingungen selektiven
Kontrahierens
Die Möglichkeit, Selektivverträge im Arzneimittelbereich zu schließen, wird den Krankenkassen explizit im Sozialgesetzbuch (SGB V) eingeräumt. Im Rahmen von Rabattverträgen über Arzneimittel des generischen Bereichs wird das Instrument seit seiner Einführung von vielen Krankenkassen genutzt. Grundvoraussetzung für die Umsetzung ist die Substituierbarkeit der Arzneimittel, also die genaue Definition der Homogenitätsbedingungen der zu kontrahierenden Güter. In §129 Abs. 1 SGB V werden in diesem Zusammenhang die Wirkstoffgleichheit, die Packungsgröße, das Indikationsgebiet und die Darreichungsform als Kriterien herangezogen. In Hinblick auf die Darreichungsform gilt entweder eine gleiche oder austauschbare (definiert vom Gemeinsamen Bundesausschuss) als untereinander substituierbar. In der Praxis führt insbesondere das Thema der Indikationsgleichheit der Arzneimittel zu Diskussionen zwischen den einzelnen Akteuren. Dabei basiert das Konstrukt der Rabattverträge auf der rechtlich definierten Homogenität der generischen Arzneimittel. In diesem Zusammenhang darf nicht vergessen werden, dass die Wirkung von Arzneimitteln zwar einen objektiv messbaren Nutzen haben, aber auch eine individuell abhängige Größe sein kann.
Sowohl in der öffentlichen Debatte als auch in realen Verträgen wird die Preiskomponente häufig als einziger Inhalt der Selektivverträge gesehen. Aber gerade im Gesundheitswesen spielt der Nutzen eine wesentliche, wenn nicht sogar die wichtigste Rolle. Die Messung des Nutzens gestaltet sich komplex, ist aber für die langfristige Beurteilung der Kontrakte entscheidend. Die Analyse eines empirisch zuverlässigen Kosten-/Nutzen-Verhältnisses wird in diesem Rahmen nur ein Messinstrument sein. Diese Argumente im Blick kann das Instrument der Selektivverträge zur zielgerichteten Steuerung der Ausgaben eingesetzt werden.
Rabattverträge haben inzwischen im Arzneimittelsektor eine goße Bedeutung eingenommen. Sie haben sich im Markt etabliert und werden inhaltlich nicht mehr in Frage gestellt. Allerdings erschließen sich immer wieder rechtliche Rahmenbedingungen, die der Definition bedürfen. Der Weg des Vertragsabschlusses und die Zuordnung zu einem Rechtszweig sind dabei die wichtigsten Elemente.
Während generische Arzneimittel unter den definierten Bedingungen rechtlich als homogen definiert werden und damit eine singuläre Rolle im Komplex der selektiven Verträge einnehmen, so werden bei patentgeschützten Originalpräparaten oder anderen möglichen Inhalten die Methoden der Kontraktbildung verändert werden müssen. Vor allem in Hinblick auf die Umsetzung im Markt sind hier andere Instrumente notwendig, auch die Beteiligung weiterer Akteure wird erforderlich sein. Generika-Rabattverträge werden in der Regel zwischen einer Krankenkasse und einem pharmazeutischen Hersteller geschlossen, die Umsetzung erfolgt reglementiert durch die Apotheke; Ärzte dagegen stehen nicht im Handlungsfokus. Bei der Etablierung von Verträgen im patentgeschützten Markt wird der behandelnde Arzt eine herausragende Rolle einnehmen. Dadurch kann sich der Komplex der Selektivverträge vom Fokus auf die Preiskomponente zu innovativen Versorgungskonzepten entwickeln. Hier kann ein weiterer Grundstein für selektive Versorgungsverträge gelegt werden, die sich dann über ihre Qualität und den individuellen Patientennutzen zum wettbewerblichen Instrument der Krankenkassen um ihre Versicherten entfalten.
Zielkonzeptionen von Vertragsstrategien
Strategien verfolgen langfristige Ziele, dies gilt auch für Vertragsstrategien. Mit Arzneimittelverträgen sollten aus Sicht der gesetzlichen Krankenkassen folgende Ziele verfolgt werden:
• Prozessoptimierung
• Qualitätsoptimierung
• Innovationsförderung
• Mengensteuerung
• Preissteuerung.
Diese Ziele werden folgend erläutert.
Prozessoptimierung
Effektivität und Effizienz sind Schlagworte, die immer mehr an Bedeutung im Gesundheitswesen gewinnen. Bei der Auswahl des Behandlungsprozesses ist es maßgeblich, dass dieser zuerst effektiv ist, um ihn dann inhaltlich effizient auszugestalten. Leider ist nicht jeder Behandlungsprozess im deutschen Gesundheitssystem optimal gestaltet. Neben inhaltlichen weist er auch strukturelle Defizite auf. Die Trennung, ja regelrechte Abschottung der Sektoren führt immer wieder zu Unwirtschaftlichkeiten in Form von
• Doppeluntersuchungen
• Informationsverlusten
• Wartezeiten und
• vermehrten Einsatz von Untersuchungsmethoden.
Vor diesem Hintergrund ist es eine klare Zielsetzung der Krankenkassen, mit Hilfe von intelligenten und innovativen Arzneimittelverträgen den Behandlungsprozess so zu beeinflussen, dass der Patient nicht aus Kostengründen (die in der Arzneimitteltherapie liegen) in einen anderen Sektor oder auch nur innerhalb des Sektors „verschoben“ wird.
Neben dieser sektorenübergreifenden Betrachtung gilt es aber auch, den Versorgungsprozess mit Arzneimitteln durch den einzelnen Arzt effizient zu gestalten. Heute muss der Arzt aus einer Anzahl von über 60.000 Arzneimitteln entscheiden, welches Präparat er zu Lasten der Krankenkassen verordnet. Zusätzliche Regeln zur Austauschbarkeit von Arzneimitteln, Negativliste, Arzneimittel-Richtlinien usw. müssen vom Arzt ebenfalls berücksichtigt werden. Als Entscheidungsgrundlage stehen ihm eine Vielzahl von Informationsquellen (seriöse und weniger seriöse) zur Verfügung – und mit jeder Verordnung muss er die Frage der Wirtschaftlichkeit seines Verordnungsverhaltens prüfen.
Arzneimittelverträge können eine Hilfe in dieser Situation sein – die Wirtschaftlichkeit der entsprechenden Präparate wurde von den Krankenkassen im Vorfeld geprüft und der Arzt ist nur für die leitliniengerechte Anwendung und Dosierung bzw. verordnete Menge verantwortlich. Die geforderte Therapiefreiheit hat weiterhin Gültigkeit, da der Arzt im Regelfall frei in seiner Arzneimittelwahl ist. Zu Beginn werden Arzneimittelverträge den Ablauf in der Arztpraxis aufhalten – schließlich muss vom gewohnten Verordnungsverhalten abgewichen werden. Durch gezielten Einsatz und Weiterentwicklung von Praxissoftware kann dieser Mehraufwand reduziert werden – und die oben dargestellte Verfahrenssicherheit dürfte beim Arzt dazu führen, dass er wieder mehr Zeit für seine Patienten hat.
Insgesamt ist festzuhalten, dass intelligente Arzneimittelverträge sowohl den gesamten Behandlungsprozess als auch den Behandlungsablauf in der Arztpraxis effizienter gestalten können.
Qualitätsoptimierung
Die qualitative Arzneimittelversorgung in Deutschland ist nach einem Gutachten des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen aus dem Jahr 2000/2001 insbesondere bei der Versorgung von Chronikern ungenügend. Die Versorgung kranker Menschen entspricht häufig nicht dem Stand der medizinischen und pharmazeutischen Erkenntnisse. Diese Situation hat sich in vielen Bereichen bis heute nicht verändert. Die medizinische Unterversorgung führt zu erheblichen Folgekosten, die durch eine frühzeitige medikamentöse Therapie verhindert oder zumindest zeitlich verzögert werden könnten. Ein Ansatz zur Vermeidung dieser Mittelverschwendung ist der Einsatz von evidenzbasierter Medizin. Dabei handelt es sich um den „gewissenhaften, ausdrücklichen und vernünftigen Gebrauch der gegenwärtig besten externen wissenschaftlichen Evidenz für Entscheidungen in der medizinischen Versorgung individueller Patienten.
Die Praxis der evidenzbasierten Medizin bedeutet die Integration der Grundelemente von individueller klinischer Expertise mit der bestmöglichen externen Evidenz aus systematischer Forschung orientiert an den Bedürfnissen des individuellen Patienten.“
Auf Basis der Erkenntnisse der evidenzbasierten Medizin gilt es Leitlinien zu entwickeln, die dem Arzt in seinem Behandlungsalltag als Entscheidungsgrundlage dienen. Die Notwendigkeit, die Komplexität der vorliegenden Studien auf eine umsetzbare Leitlinie zu reduzieren, wird auch von der Ärzteschaft gesehen.
Die vorstehenden Ausführungen machen deutlich, dass Arzneiverträge alleine keine Qualitätsverbesserung im Bereich der Arzneimittelversorgung erreichen können. Nur durch ein konstruktives Zusammenspiel von Krankenkassen, Ärzten und Patienten können die Rahmenbedingen geschaffen werden, um die Qualität der Arzneimittelversorgung zu verbessern. Aus Sicht der Krankenkassen ist es nicht notwendig, die Steuerungsinstrumente in Form von Wirtschaftlichkeitsprüfung und Richtgrößenvereinbarung abzuschaffen, um die notwendigen finanziellen Mittel für eine Qualitätsverbesserung zu erreichen. Durch den Einsatz der richtigen Arzneimittel können Einsparpotenziale generiert werden, die für die Qualitätsverbesserung genutzt werden können. Eine Steigerung der Behandlungsqualität aus Sicht des Patienten kann durch sogenannte Mehrwertverträge erreicht werden. Bei dieser Vertragsform werden zwischen Krankenkasse und pharmazeutischem Unternehmen zusätzliche Leistungen vereinbart, die der Patient kostenfrei in Anspruch nehmen kann. Neben den klassischen Angeboten wie Zugang zu speziellen Internetangeboten oder die Nutzung von Telefonhotlines reicht das Spektrum dieser Verträge bis zum Angebot für die Patienten, sich durch speziell geschultes medizinisches Personal persönlich unterweisen zu lassen. Zielsetzung dieser Zusatzleistungen ist die Erhöhung der Compliance auf Seiten des Patienten und damit eine Erhöhung der Behandlungsqualität.
Innovationsförderung
Patentgeschützte Arzneimittel verursachen den größten Teil der Arzneimittelausgaben. Allerdings fällt es hochpreisigen innovativen Arzneimitteln z.T. schwer, am Markt „Fuß zu fassen“. Erschwerend zu dieser Ausgangssituation kommt hinzu, dass positive Effekte von innovativen Arzneimitteln nicht bei den Steuerungsinstrumenten „Wirtschaftlichkeitsprüfung“ und „Richtgröße“ berücksichtigt werden. Werden z.B. Krankenhauseinweisungen durch die gezielte Gabe von entsprechenden Arzneimitteln vermieden, wird dies nicht bei der Wirtschaftlichkeitsprüfung berücksichtigt. Vor diesem Hintergrund hat der Behandler einen negativen Anreiz, (kostenintensive) innovative Präparate einzusetzen. Arzneimittelverträge können effektive Instrumente sein, um echte Arzneimittelinnovationen am Markt zu fördern. Der Begriff der „Innovation“ und erst recht der „echten Arzneimittelinnovation“ ist in der Literatur bis heute nicht eindeutig definiert bzw. sehr umstritten.
Aus Vereinfachungsgründen soll hier davon ausgegangen werden, dass unter Arzneimittelinnovationen Medikamente verstanden werden, die bei gleichen Kosten einen höheren Nutzen besitzen. Der gezielte Einsatz solcher Präparate kann durch besondere Vertragsformen initiiert werden. In der Vergangenheit haben sich insbesondere Risk-share-Verträge als geeignet erwiesen. Bei diesem Vertragsmodell einigen sich Krankenkasse und pharmazeutisches Unternehmen darauf, dass durch den Medikamenteneinsatz ein bestimmtes (Behandlungs)-Ziel erreicht werden soll. Wird das Ziel nicht erreicht, werden die angefallenen Kosten durch das pharmazeutische Unternehmen getragen. Durch diese „Geld-zurück-Garantie“ dokumentiert das pharmazeutische Unternehmen sein Vertrauen in die Wirksamkeit seiner Präparate und garantiert bei Mißerfolg einen entsprechenden Kostenersatz. Aus Sicht der Krankenkassen bietet diese Vertragsform eine gute Chance, die Arzneimittelversorgung zu verbessern. Das Krankenkassen bei dieser Vertragsform eine Rückvergütung erhalten, wenn die Behandlung nicht erfolgreich war, ist aus ethischen Gesichtspunkten kritisch zu hinterfragen. Dem Risiko der Mengenausweitung bzw. Überversorgung durch Risk-share-Verträge ist dadurch zu begegnen, dass die Verordnung der entsprechenden innovativen Arzneimittel entsprechend der Leitlinien zu erfolgen hat. Es kann durchaus zu gewünschten Mengenausweitungen kommen – dies ist dann der Fall, wenn durch die zusätzlich verordneten Arzneimittel weitergehende Behandlungen nicht notwendig werden (z.B. Krankenhauseinweisungen) und die Kosten des gesamten Behandlungsprozesses nicht steigen oder gar niedriger werden.
Mengensteuerung
Die Arzneimittelausgaben setzen sich aus den Faktoren Menge der abgegebenen Arzneimittel und Apothekenverkaufspreis zusammen. Zur Begrenzung des kontinuierlichen Ausgabenanstiegs stehen die Krankenkassen vor der Herausforderung, eine Mengenausweitung der Arzneimittel zu vermeiden, ohne dass die Versorgungsqualität darunter leidet. Aus Sicht der Krankenkassen kann dies nur durch eine engere leitliniengerechte Indikationsstellung erfolgen. Die mit dieser Vorgehensweise verbundene Chance zur Kostendämpfung ist mit der Gefahr verbunden, dass der Behandler sich in seiner Therapiefreiheit eingeschränkt fühlt und gleichzeitig der Eindruck einer Rationierung statt Rationalisierung entsteht. Dem Anspruchsdenken der Patienten muss dadurch entgegen gesteuert werden, dass durch Krankenkasse und Behandler deutlich gemacht wird, dass nicht bei jeder Erkrankung eine Arzneimittelverordnung Bestandteil einer guten Behandlung ist.
Preissteuerung
Die Preisfindung im Arzneimittelbereich entzieht sich dem klassischen marktwirtschaftlichen Preisfindungsprozess: Auf Basis des vom Hersteller frei festzulegenden Herstellerabgabepreises kommen verschiedene gesetzlich geregelte Aufschläge, die zu einem einheitlichen Apothekenverkaufspreis führen. Die entsprechenden Aufschlagsregelungen finden sich in der Arzneimittel-Preisverordnung. Indirekt wird damit der Arzneimittelpreis in Deutschland per Gesetz geregelt. Ein Verstoß gegen die Arzneimittelpreisverordnung ist unzulässig und wird entsprechend geahndet. Erst mit Einführung des § 130a Abs. 8 SGB V zum 01.01.2003 haben die Krankenkassen die Möglichkeit bekommen, Herstellerrabatte mit pharmazeutischen Unternehmen zu vereinbaren. Rahmenbedingungen, die eine Umsetzung dieser Regelung ermöglichten, wurden allerdings erst zum 01.04.2007 mit der Substitutionsverpflichtung durch die abgebenden Apotheken geschaffen. Durch diese Verpflichtung der Apotheken entstand auf Seiten der pharmazeutischen Unternehmen ein großes Interesse am Abschluss von Rabattverträgen mit den Krankenkassen. Die Krankenkassen wiederum nutzten diese Möglichkeit der Preisgestaltung zur Kostendämpfung, aber auch zur Marktpositionierung durch entsprechende Markenpartner auf Seiten der pharmazeutischen Industrie. Der Markt teilte sich sehr schnell in die Bereiche der preisorientierten Krankenkassen (u.a. die AOKen) und die Krankenkassen, die zusätzlich Wert auf ein hohes Markenimage legten (insbesondere die Ersatzkassen). Der überwiegende Teil der in der Vergangenheit abgeschlossenen Rabattverträge wurden im Rahmen von Vertragsverhandlungen vergeben. Die zwischenzeitlich erfolgte Rechtsprechung hat festgelegt, dass die gesetzlichen Krankenkassen Rabattverträge grundsätzlich ausschreiben müssen. Dieser Beschaffungsweg gilt insbesondere für den Bereich der Generikaversorgung. Ob das Ausschreibungsverfahren notwendig ist oder eventuell ein Markterkundungsverfahren Originalpräparate ausreichend ist, ist bis heute vergaberechtlich noch nicht abschließend entschieden. Krankenkassen setzen die Ausschreibungspflicht in unterschiedliche Strategien um:
1. Preisführerschaft durch niedrigste Beschaffungspreise
2. Markenführerschaft durch Nutzung des noch vorhandenen Spiel-
raums zur Auswahl möglicher Vertragspartner
Systemische Anreizstrukturen
Seit 2009 existiert der Gesundheitsfonds in Kombination mit einem morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich (RSA). Mit diesem Instrument wurde den Krankenkassen die Beitragsautonomie entrissen. Der Gesundheitsfonds wird durch die Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträge nach einem einheitlichen, von der Bundesregierung vorgegebenen Beitragssatz gespeist. Zusätzlich fließen noch Staatszuschüsse in den Fonds. Anschließend wird das Geld im Rahmen des morbiditätsorientierten RSA auf alle Krankenkassen verteilt. Die Verteilung erfolgt im ersten Schritt nach den Kriterien der indirekten Morbidität, dazu gehören Alter, Geschlecht und Erwerbsminderung. Im weiteren Verfahren erhalten die Krankenkassen risikoadjustierte Zuweisungen aufgrund von ausgewählten Krankheiten (direkte Morbidität). Diese Zuweisungen sollen dazu führen, dass Krankenkassen, die mit Kosten für die Behandlung dieser ausgleichsfähigen Erkrankungen belastet sind, keine finanziellen Anreize haben, um in diesen Bereichen Risikoselektion vorzunehmen. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass auf diesem Weg zusätzlicher Wettbewerb zur Effizienzsteigerung und Qualitätsverbesserung auf Seiten der Krankenkassen initiiert werden. Im Vergleich zum bisherigen Ausgleichsverfahren entfallen die Ausgleichszahlungen für Hochkostenfälle (Risikopool) und die Zahlungen für Einschreibungen in besondere Behandlungsprogramme (DMP).
Vor dem Hintergrund dieser Finanzzuweisungen haben Krankenkassen ein großes Interesse daran, ein effektives und effizientes Fallmanagement zu entwickeln und umzusetzen. Zielsetzung dieses Fallmanagements besteht darin, die durchschnittlichen Fallkosten bei den ausgleichsfähigen Erkrankungen auf ein Niveau zu bringen, das unterhalb der Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds liegt. Gleichzeitig haben Krankenkassen ein großes Interesse daran, dass sie für alle Versicherten mit ausgleichsfähigen Erkrankungen auch die entsprechenden Zuweisungen erhalten.
Die vorgenannten Ansätze können durchaus zu einer verbesserten Qualität der Behandlung führen – insbesondere in Bereichen, in denen eine Unterversorgung bekannt ist. Bezogen auf die Finanzlage muss die Krankenkasse jedoch folgendes beachten:
Die Zuschläge für die direkte Morbidität werden für 2009 auf Basis der Arzt- und Arzneimitteldaten aus dem Jahr 2006 und den Ausgaben der anderen Leistungsarten aus dem Jahr 2007 ermittelt. Durch diesen Zeitverzug werden finanzielle Investitionen in neue Therapieformen erst erheblich später im Geldfluss an die Krankenkassen bemerkbar. Reichen die Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds aber nicht aus, um die Liquidität der Krankenkasse bis zum Zeitpunkt des Geldflusses zu gewährleisten, ist die Krankenkasse gezwungen, einen Zusatzbeitrag zu erheben, der wiederum zu einem Wettbewerbsnachteil führt. Diese Situation ist zwischenzeitlich bei einigen Krankenkassen eingetreten und wird zukünftig immer mehr Krankenkassen betreffen. Durch diese Situation besteht die Gefahr, dass die Krankenkassen innovative Versorgungsprojekte, die kostenintensiv sind, nicht initiieren werden. Krankenkassen werden vor diesem Hintergrund ihre Vertragsstrategien unter dem Aspekt des Zeithorizonts trennen:
• Kurzfristige Projekte mit der Zielsetzung der Liquiditätssicherung
• Mittel- und langfristige Projekte mit der Zielsetzung zur Verbesserung der Versorgungsqualität und Erhöhung der Kosteneffizienz.
Fazit
Mit der Möglichkeit des selektiven Kontrahierens im Arzneimittelbereich hat der Gesetzgeber den Krankenkassen ein Instrument an die Hand gegeben, um im Bereich der ambulanten Arzneimittelversorgung Preis- und Qualitätsverbesserungen einzuführen. Allerdings reichen innovative und intelligente Arzneimittelverträge alleine nicht – sie benötigen vertragliche Rahmenbedingungen, in denen sie gesteuert werden können. Ob und in welchem Maße diese Möglichkeiten genutzt werden, hängt von allen Beteiligten ab. Beim Abschluss von Individualverträgen muss beachtet werden, dass die Vertragsinhalte durchaus mit bestehenden kollektiven Steuerungsinstrumenten wie z.B. Festbeträge, Leistungsausschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses und Wirtschaftlichkeitsprüfung kollidieren können – hier wird jede einzelne Krankenkasse für sich die Entscheidung treffen müssen, ob sie mehr auf Selektivverträge und deren Effekte oder aber auf die kollektiven Steuerungsinstrumente setzt. Der vom Gesetzgeber durch Arzneimittelverträge gewollte Wettbewerb zwischen den Krankenkassen trifft auch die pharmazeutische Industrie. Die Rabattverträge im Generikabereich zeigen eindrucksvoll, welche Marktverschiebungen solche Verträge erzeugen können. Diese Marktveränderungen können existenziell für kleinere und mittlere pharmazeutische Unternehmen werden – dies ist aber offensichtlich so gewollt. Hier sind die Krankenkassen gefordert, das Instrument der Vertragsgestaltung so einzusetzen, dass auf Seiten der pharmazeutischen Unternehmen keine Monopolstellung entsteht. Für Arzneimittelverträge gibt es nicht die goldene Lösung – hier sind alle Beteiligten gefordert, sich einzubringen, neue Vertragsmodelle zu entwickeln oder bestehende Verträge weiter zu entwickeln. Die aktive Beteiligung aller Akteure ist eine zwingende Notwendigkeit, um marktgerechte und praktikable Modelle hervorzubringen, die zu Prozess- und Qualitätsoptimierung und einer Innovationsförderung führen. Krankenkassen dürfen die Ökonomie bei der Vertragsgestaltung nicht außer Acht lassen – das Verhältnis von Transaktionskosten und Nutzen aus den Verträgen müssen in einem angemessenen Verhältnis stehen. <<