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Statistische Risikomodelle: Anwendungsmöglichkeiten zur Optimierung der Patientenversorgung

Das Gesundheitssystem steht angesichts der Herausforderungen des demografischen Wandels vor der Frage, wie die Ressourcenallokation effizient und gerecht gestaltet werden kann. Nur 20% der Versicherten sind für 81,2% der Krankenhaus-, Arzneimittel- und Arztausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) verantwortlich (1). Etwa 5% der Patienten verursachen 50% der Inanspruchnahme (Abb. 1). Fast die Hälfte dieser Ausgaben entfällt auf Krankenhausbehandlungen. Diese sind in vielen Fällen unvermeidbar und dienen der Sicherheit und guten Behandlungsqualität von Patienten. Ein häufiger Grund für Leistungsinanspruchnahme ist das Vorliegen einer chronischen Erkrankung. Zu den 10 häufigsten Gründen für eine Krankenhausaufnahme gehören Diagnosen wie Herzinsuffizienz, Angina pectoris, Hypertonie und Typ-2-Diabetes (1). Die akute Verschlechterung chronischer Erkrankungen wie Diabetes oder Herzinsuffizienz führt oft zur Einweisung in ein Krankenhaus. Das Risiko einer Krankenhausaufnahme steigt deutlich an, wenn mehrere chronische Erkrankungen bei einer Person zeitgleich vorliegen. Um das Risiko einer Person einschätzen zu können, werden Risikoprädiktionsmodelle entwickelt (predictive modelling). Die Zielsetzung von Risikomodellen ist, (Wieder-) Aufnahmen im Krankenhaus zu vermeiden, die Entstehung von Krankenhauskosten zu verhindern und mit einer intensiven, kostengünstigeren, medizinischen Intervention bessere Gesundheitsoutcomes für den Patienten zu erreichen (2). Risikomodelle können viele Informationen aus den Leistungssektoren und Stammdaten parallel berücksichtigen und können sowohl für die Vorhersage von Krankenhausaufenthalten aus beliebigem Anlass als auch wegen spezifischer Erkrankungen eingesetzt werden.

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Erstveröffentlichungsdatum: 24.01.2013

Abstrakt: Statistische Risikomodelle: Anwendungsmöglichkeiten zur Optimierung der Patientenversorgung

Der effiziente und gerechte Einsatz von Ressourcen im Gesundheitswesen kann im Bereich der Vermeidung von Krankenhausaufenthalten, die vermeidbar wären, gesteuert werden. Krankenhausaufenthalte verursachen ein Drittel der Leistungsausgaben und können insbesondere bei multimorbiden Patienten mit chronischen Erkrankungen, die aufgrund einer akuten Verschlechterung einer chronischen Erkrankung stationär aufgenommen werden müssen, partiell verhindert werden. Zur Identifizierung von Patienten, die in besonderem Maße von Versorgungsangeboten profitieren können, mit denen eine Verschlechterung bestehender Erkrankungen und mit ihnen eine Krankenhausaufnahme vermieden werden kann, wurde ein Prädiktionsmodell zur individuellen Vorhersage der Krankenhausaufnahmewahrscheinlichkeit LOH („likelihood of hospitalization“) mit Routinedaten von 12 Millionen AOK-Versicherten entwickelt. Dieses Modell weist im Vergleich sehr zufriedenstellende Gütekriterien auf und wird (in einer Vorläuferversion) in Baden-Württemberg im Projekt PraCMan“ und in der aktuellen Endversion ALOH-A 2.0 (Allgemeine LOH- und Ausgabenprädiktion) in einzelnen AOKen eingesetzt.

Abstract: Statistical Risk Models: Applicability for the Optimization of Patient Care

The efficient and equitable use of health care resources can be controlled in the field of prevention of avoidable hospitalizations. Hospitalizations cause a third of all health care costs and can partly be prevented, especially for patients suffering from chronic, multiple diseases who need to be hospitalized due to an acute deterioration of their health. To identify patients who can participate in a measure of healthcare management with the aim of avoiding a deterioration of pre-existing diseases and thus preventing a hospital admission, a prediction model has been developed. The model can individually predict the probability of a hospital admission LOH („likelihood of hospitalization“) based on routine data of 12 million AOK insurees. By comparison, this model has very satisfactory performance criteria. A previous version is used in Baden-Württemberg in the project “PraCMan“ and the current final version ALOH-A 2.0 (General LOH and expenditure prediction) is used in several AOKs.

Literatur

(1) Gerste B und Günster C, Erkrankungshäufigkeiten und Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen, S. 315-384. In: Günster C, Klose J, Schmacke N, (Hrsg.) Versorgungsreport 2012, Schwerpunkt: Gesundheit im Alter, Kapitel 21, Bettina. Schattauer Verlag Stuttgart (2) Curry, Billings, Darin, Dixon, Williams, Wennberg, Predictive risk project, Literatur review, King’s fund, June 2005. (3) Case finding algorithms for patients at risk of re-hospitalisation PARR1 and PARR2, Billings, Mijanovich, Dixon, Curry, Wennberg, Darin, Steinort, King’s Fund, February 2006. (4) Wolik A, Predictive modeling, Bestimmung von Hospitaliserungswahrscheinlichkeiten mithilfe von Data Mining Verfahren, S. 286-315 In Rebschläger U (Hrsg.): Gesundheitswesen aktuell 2008. (5) Bodenheimer, Krumbach, Understanding Health Policy: A Clinical Approach, 5th edition. New York, 2009. (6) Freund T, Kayling F, Miksch A, Szecsenyi J, Wensing M. Effectiveness and efficiency of primary care based case management for chronic diseases: rationale and design of a systematic review and meta-analysis of randomized and non-randomized trials [CRD32009100316]. BMC Health Serv Res 2010; 10: 112 (7) Freund T, Kunz CU, Ose D, Szecsenyi J, Peters-Klimm F. Patterns of multimorbidity in primary care patients at high risk of future hospitalization. Popul Health Manag 2012 Feb 7. [Epub ahead of print] (8) Freund T, Peters-Klimm F, Rochon J, Mahler C, Gensichen J, Erler A, Beyer M, Baldauf A, Gerlach FM, Szecsenyi J. Primary care practice-based care management for chronically ill patients (PraCMan): study protocol for a cluster randomized controlled trial [ISRCTN56104508]. Trials 2011, 12: 163 doi: 10.1186/1745-6215-12-163

Zusätzliches

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Statistische Risikomodelle: Anwendungsmöglichkeiten zur Optimierung der Patientenversorgung

Das Gesundheitssystem steht angesichts der Herausforderungen des demografischen Wandels vor der Frage, wie die Ressourcenallokation effizient und gerecht gestaltet werden kann.
Nur 20% der Versicherten sind für 81,2% der Krankenhaus-, Arzneimittel- und Arztausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) verantwortlich (1). Etwa 5% der Patienten verursachen 50% der Inanspruchnahme (Abb. 1). Fast die Hälfte dieser Ausgaben entfällt auf Krankenhausbehandlungen. Diese sind in vielen Fällen unvermeidbar und dienen der Sicherheit und guten Behandlungsqualität von Patienten. Ein häufiger Grund für Leistungsinanspruchnahme ist das Vorliegen einer chronischen Erkrankung. Zu den 10 häufigsten Gründen für eine Krankenhausaufnahme gehören Diagnosen wie Herzinsuffizienz, Angina pectoris, Hypertonie und Typ-2-Diabetes (1). Die akute Verschlechterung chronischer Erkrankungen wie Diabetes oder Herzinsuffizienz führt oft zur Einweisung in ein Krankenhaus. Das Risiko einer Krankenhausaufnahme steigt deutlich an, wenn mehrere chronische Erkrankungen bei einer Person zeitgleich vorliegen. Um das Risiko einer Person einschätzen zu können, werden Risikoprädiktionsmodelle entwickelt (predictive modelling). Die Zielsetzung von Risikomodellen ist, (Wieder-) Aufnahmen im Krankenhaus zu vermeiden, die Entstehung von Krankenhauskosten zu verhindern und mit einer intensiven, kostengünstigeren, medizinischen Intervention bessere Gesundheitsoutcomes für den Patienten zu erreichen (2). Risikomodelle können viele Informationen aus den Leistungssektoren und Stammdaten parallel berücksichtigen und können sowohl für die Vorhersage von Krankenhausaufenthalten aus beliebigem Anlass als auch wegen spezifischer Erkrankungen eingesetzt werden.

>> In Großbritannien und den USA ist deshalb die Anwendung von Prädiktionsmodellen im Gesundheitswesen insbesondere zur Vorhersage von Krankenhauswiederaufnahmen verbreitet (3). So hat der NHS (National Health Service) in Großbritannien ein Modell zum Risiko für Wiedereinweisungen (PARR – Patients at Risk for Rehospitalization) entwickelt, das eine Stratifizierung von Risikopopulationen für besondere Versorgungsformen ermöglichen soll (3).
Das besondere dieses Modells ist zum einen die Fokussierung auf Wiederaufnahmen - Erstaufnahmen werden also nicht berücksichtigt - und zum anderen die Nutzung medizinischer Befunddaten. Hier wird ausgenutzt, dass die betrachteten Personen bereits stationär behandelt wurden und darum klinische Daten aus den vorausgegangenen Krankenhausaufenthalten vorliegen.
In Deutschland wurden verschiedene Verfahren zur Erstellung von Prädiktionsmodellen erprobt und entwickelt, zum Beispiel von Wolik zu Data Mining Verfahren (4), jedoch werden diese Modelle bislang kaum in der Praxis zur Prävention oder im Versorgungsmanagement eingesetzt.
Ebenso wurden amerikanische Modelle an deutsche Routinedaten adaptiert, wie die Case Smart Suite, die von DxCG/ Verisk Health als CSSG (Case Smart Suite Germany) angeboten wurde.
International wurden Disease und Case Management Projekte initiiert, die das Voranschreiten von Erkrankungen verzögern oder verhindern sollen bzw. ggf. je nach Erkrankung eine Heilung beschleunigen sollen. Die Ergebnisse der Evaluationen dieser Programme sind sehr heterogen, jedoch profitieren tendenziell besonders Patienten von solchen Angeboten, die ein hohes Risiko für Leistungsinanspruchnahme haben (5).
Risikoprädiktionsmodelle zur Bestimmung der Wahrscheinlichkeit einer Krankenhausaufnahme lassen sich mit Krankenkassendaten entwickeln.
Eine prädiktionsgestützte Fallauswahl für Maßnahmen des Versorgungsmanagements erfolgt dabei durch die individuell vorhersagte Likelihood of Hospitalization (LOH).
Andere Modelle wie Hochkostenmodelle erwiesen sich für den Ansatz, Inanspruchnahme zu verringern, als nicht effizient, da Hochkostenfälle meist durch teure Erkrankungen wie Blutgerinnungsstörungen oder teure Therapien wie die Gabe von Blutgerinnungsmitteln oder durch Akutereignisse wie Polytraumatisierungen entstehen und somit häufig unvermeidbar sind.
Vor diesem Hintergrund hat das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) ein Vorhersagemodell für Krankenhausaufenthalte entwickelt, das auf die Patientenversorgung in Deutschland Bezug nimmt, das sowohl Erst- als auch Wiederaufnahmen zum Gegenstand der Vorhersage macht, das auf einem sehr großen Datensatz der AOK-Versicherten erarbeitet wurde und das im Wesentlichen routinemäßig vorliegende Leistungsdaten einer Krankenkasse auswertet.
Neues Vorhersagemodell für
Krankenhausaufnahmen
Das Risikoprädiktionsmodell des WIdO zur Berechnung der individuellen Krankenhausaufnahmewahrscheinlichkeit ist auf einer Zufallsstichprobe von 12 Millionen anonymisierten und über 3 Jahre durchgehend versicherten AOK-Versicherten erstellt worden. Berücksichtigt werden Abrechnungsdaten aus der ambulanten und stationären Versorgung, Arzneimittel und Stammdateninformationen wie Alter, Geschlecht und Pflegestufe.
Dabei wurden Klassifikationssysteme für ambulante und stationäre Diagnosen (auf ICD-Basis), für Arzneimittel (auf ATC-Basis) und andere wie Regionalfaktoren oder Einteilungen in akute und chronische Erkrankungen entwickelt.
Mittels einer logistischen Regression wurde der Einfluss der Patientendispositionen und deren vorangehender Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen auf das Risiko einer Krankenhausbehandlung überprüft.
Das entwickelte Prädiktionsmodell weist jedem eingelesenen Versicherten dessen persönliche Wahrscheinlichkeit zu, in den nächsten zwölf Monaten stationär aufgenommen zu werden (Erst- und Wiederaufnahme). Dabei liegt die individuelle Likelihood of hospitalization zwischen 0 und 1, sprich zwischen 0-100 Prozent.
Die Gütekriterien Varianzaufklärung, Sensitivität und der positive prädiktive Wert PPV (positive predictive value berücksichtigt zusätzlich die Falschpositiv-Rate) erreichen für das allgemeine Modell gute Werte: das R-Quadrat liegt bei 0,20, die Sensitivität bei 0,14 und der PPV bei 0,58. Ein PPV von 0,58 sagt aus, dass 58% der vorhergesagten Krankenhausaufnahmen auch eingetreten sind.
Das vom WIdO entwickelte Modell ALOH-A 2.0 und die CSSG-AOK 0.8 von Verisk Health erreichen hohe Gütekriterien, wobei das aktuellere Modell ALOH-A 2.0 höhere Werte erzielt (Tab. 1).
Bezogen auf Morbiditätsgruppen (Herzinsuffizienz, Diabetes, KHK, Asthma, COPD und Depression) ergeben sich erwartungskonform insbesondere höhere Sensitivitäten und Varianzaufklärungen, nochmals gesteigert bei der Auswertung des obersten Quintils der vorhergesagten Werte. Der Anstieg der Sensitivität ist dadurch bedingt, dass in Morbiditätsgruppen homogenere Versicherte mit höherer Hospitalisierungsrate zusammengeführt werden.
Im Gesamtdatensatz sind sowohl Versicherte enthalten, die in den vorangegangenen 2 Jahren keinerlei Inanspruchnahme hatten, als auch Schwerkranke. In den Teilpopulationen der Morbiditätsgruppen sind nur Personen enthalten, die im Analysezeitraum wegen ihrer chronischen Erkrankung in Behandlung waren. Für die Herzinsuffizienz liegen diese Werte dann bei der Sensitivität bei 0,39 und der PPV bei 0,59. Die durchschnittliche vorhergesagte Krankenhausaufnamewahrscheinlichkeit bei Herzinsuffizienten liegt bei 40 Prozent, Odds Ratios für die Einflussfaktoren wurden allgemein und speziell für Morbiditätsgruppen ermittelt.
Bei der Auswahl der in der Regression berücksichtigten Variablen gaben Gütekriterien und Signifikanz den Ausschlag. Schrittweise wurden Variablen eliminiert, die keine zusätzliche Aufklärung der Varianz beisteuern konnten. Andere Informationen, die mithilfe der Routinedaten und öffentlich zugänglicher Informationen aufbereitet werden konnten, wurden auf ihre Effizienz getestet. Im Modell verblieben nur Informationen, die zur Varianzaufklärung beitrugen. Beispielsweise konnte kein Effekt des Versorgungsgrades in einer Region auf die LOH zur Verbesserung des Modells festgestellt werden.
Einsatz im Case Management
Die noch vom WIdO und Verisk Health gemeinsam entwickelte CSSG 0.8-AOK wurde von der AOK Baden-Württemberg und der Universität Heidelberg ab 2009 im Projekt PraCMan („Hausarztpraxis-basiertes Case-Management für chronisch kranke Patienten mit hohem Hospitalisationsrisiko“) eingesetzt. Dieses Modell benutzt eigene, von Verisk Health entwickelte, proprietäre Klassifikationssysteme für ärztliche Diagnosen und Medikamentengaben.
Dieses LOH-Modell konnte bereits in einer Pilotstudie zur Fallauswahl für ein Hausarztpraxis-basiertes Case Management angewendet werden (6). Dabei zeigte sich, dass insbesondere multimorbide ältere Patienten identifiziert wurden, die sich nach klinischen Kriterien potenziell für ein Case Management eignen (7). Zusätzlich zeigte sich, dass der Filterbildung eine herausragende Rolle zukommt, denn nicht alle Hochrisikopatienten sind gleichermaßen bereit und fähig, aktiv an einem intensivierten Versorgungsmodell teilzunehmen. Die teilnehmenden Hausärzte bewerteten das Angebot einer Vorselektion von Versicherten durch ein prädiktives Modell zudem überwiegend positiv. Im Rahmen einer Evaluationsstudie zu hausarztpraxis-basiertem Case Management bei multimorbiden Patienten (PraCMan) wurde daher eine kombinierte Fallauswahl durch Einsatz der CSSG-AOK und der klinischen Beurteilung durch Ärzte praktiziert (8); eine Vorstellung der Güte des CSSG-Modells erfolgt in einem späteren Artikel (in Vorbereitung).
Praktische Anwendung
Das eigenständige WIdO-Modell in der Version 2.0 wurde im Dezember 2011 fertiggestellt. Erste Hinweise deuten darauf hin, dass der Einsatz effizient ist. Zur Anwendung des WIdO-Modells werden Routinedaten aus 8 Quartalen benötigt, eine Eingrenzung der Versicherten erfolgt dann über die Definition des Versorgungsmanagements, die vorgibt, Versicherte mit welcher Erkrankung eingeschlossen werden sollen und wie die Ansprache erfolgt (beispielsweise über den Hausarzt). Die Auswahl der Erkrankung kann über Erkrankungshäufigkeiten erfolgen, die Auswahl der Pilotregion über die Lokalisation erhöhter allgemeiner oder indikationsspezifischer LOH-Durchschnittswerte. Um auf aktuelle Veränderungen bei den Patienten, insbesondere auf die Verschlechterung des Gesundheitszustandes schnell reagieren zu können, sollten die Vorhersagewerte quartalsweise aktualisiert werden.
Zusätzlich zur Berechnung der Krankenhausaufnahmewahrscheinlichkeit wird ein Filter gebildet, der Ein- und Ausschlusskriterien definiert. In Zusammenarbeit mit Medizinern wird dabei spezifiziert, welche exakte Definition die Zielerkrankung der Intervention hat, beispielsweise ob nur Typ-2- oder auch Typ-1-Diabetiker angesprochen werden sollen und welche sonstigen Erkrankungen vorliegen müssen bzw. nicht vorliegen dürfen. Ein häufiges Ausschlusskriterium für Interventionen, die einen hohen interaktiven Anteil direkt mit dem Patienten aufweisen, ist beispielsweise das Vorliegen einer Demenz. Dennoch ist es sinnvoll, in einer Einzelfallentscheidung vor Ort von den allgemeinen Auswahlkriterien abzuweichen.
Eine Evaluation der praktischen Anwendung des Vorhersagemodells erfordert einen langen Zeitraum von der Auswahl der Versicherten bis zur Ansprache, dem Start und Ende der Intervention und einem Nachbetrachtungszeitraum von mindestens einem Jahr.
Der Mindest-Nachbetrachtungszeitraum ist relativ lang, da einige Interventionen wie beispielsweise die Verbesserung der medikamentösen, leitliniengerechten Einstellung Herzinsuffizienter zunächst über die steigende Zahl verordneter Medikamente zu einem Anstieg der Inanspruchnahmekosten führt und es dauert, bis teure Krankenhausaufnahmen vermieden werden.
Eine Evaluation des Modells ist zu diesem Zeitpunkt zeitlich nicht möglich.
Die Einhaltung des Datenschutzes wird an verschiedenen Stellen gewährleistet.
So arbeitet das WIdO bei der Modellerstellung ausschließlich mit anonymisierten Daten, in den AOKen findet kein allgemeines Screening statt (in Baden-Württemberg wurden die Prädiktionsmodelle nur für HzV-Patienten angewandt). Datenschützer vor Ort in den AOKen und bei Studien in den Gremien der Teilnehmer (wie die Ethikkommission) entscheiden über das Vorgehen.
Diskussion
Mit dem vorgestellten LOH-Modell wurde auf der methodischen Basis einer multiplen logistischen Regression ein valides, auf Leistungsdaten einer Krankenkasse beruhendes Prädiktionsmodell für zukünftige Krankenhauseinweisungen entwickelt.
Ein Vergleich mit anderen vorliegenden Modellen zeigte höhere oder gute Gütekriterien (soweit vergleichbar).
Der PPV-Wert ist für die Bewertung der Eignung des Modells im Versorgungsmanagement wichtiger als die Sensitivität (Richtig-Positiv-Rate). Wenn als Beispiel das Mammographie Screening betrachtet wird, wird dort bei 4 von 5 Frauen ein Brustkrebs erkannt, was einer Sensitivität von 80% entspricht. Zugleich wird bei deutlich mehr Frauen ein Brustkrebs gemutmaßt, die nicht an Brustkrebs erkrankt sind. Das Mammographie Screening hat einen schlechten PPV, weil mehr Befunde Falsch-Positiv sind als Richtig-Positiv (Vierfeldertafel).
Bei der Prädiktion von Krankenhausaufenthalten ist diese Korrektur wichtig, weil eine vorsorgliche Überschätzung des LOH-Wertes die Sensitivität verbessert, aber zu mehr falschen Vorhersagen eines Krankenhausaufenthaltes führt. Die PPV-Spezifität gibt an, welcher Anteil der positiven Vorhersagen richtig positiv ist und ist deshalb in diesem Zusammenhang als wichtiger einzustufen als die Sensitivität.
Die präventive Anwendung des WIdO-Modells und die Überführung der LOH-Vorhersagewerte in Interventionen werden derzeit in Einzelanwendungen entwickelt.
Grundsätzlich weist die Prädiktion künftiger Krankenhausaufnahmen einige methodische Limitationen auf, insbesondere, da sich nicht alle Krankenhausaufenthalte andeuten: wer einen Herzinfarkt erleidet, kann zuvor gesundheitlich beeinträchtigt gewesen sein, kann einen Arzt aufgesucht haben, muss aber weder zuvor Beschwerden gehabt haben noch, wenn er sie hatte, damit einen Arzt konsultiert haben. Zudem fehlen in den Vorhersagemodellen mittels Routinedaten medizinische Parameter und verhaltens- und personenspezifische Risikofaktoren für Erkrankungen, die für bestimmte Krankheiten als maßgeblicher Faktor für eine Krankenhausaufnahme gelten. Dennoch führt die Eingabe von 488 Variablen zu einer komplexen Einbeziehung unterschiedlichster Kombinationsmöglichkeiten dieser Klassifizierungen.
Diese Kombinationsmöglichkeiten übersteigen die Möglichkeiten der händischen oder teilautomatisierten Auswahl bei weitem, da Versicherte aus Sicht eines innovativen Versorgungsmanagements dann ein hohes Risiko zur Leistungsinanspruchnahme haben, wenn sich dies aus einer Kombination mehrerer Merkmale statistisch ableiten lässt. Es sind nicht unbedingt die Patienten, die eine oder mehrere chronische Erkrankungen haben oder die in der Vergangenheit einen hohen Leistungsbedarf hatten oder die im Krankenhaus waren, die in kurzer Zeit (also innerhalb eines Jahres) stationär aufgenommen werden.
Auf Grundlage von Routinedaten werden Informationen zu der Aussage aggregiert, für wen die Krankenhausaufnahme wahrscheinlich ist. Im Ausblick für die Anwendung des für den Einsatz im AOK-System konzipierten Vorhersagemodells wird die Vermeidung von Krankenhausaufnahmen anvisiert. Vorversuche und rückwirkende Betrachtungen sind abgeschlossen, in kleinem Rahmen erfolgt bereits eine Anwendung. In einer Intervention des Versorgungsmanagements einem Bundesland soll das Modell 2013 flächendeckend eingesetzt werden. Die anschließende Evaluation des Modells nach der Intervention und der Nachlaufzeit für die Evaluation wird wichtige Hinweise auf die Effizienz liefern. <<