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Strukturierte Behandlungsprogramme im morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich am Beispiel von Diabetes und COPD

Zum 1. Januar 2009 wurde der Risikostrukturausgleich (RSA) in der Gesetzlichen Krankenversicherung zum morbiditäts-orientierten RSA für 80 schwerwiegende oder kostenintensive chronische Krankheiten weiterentwickelt (Göpffarth 2009). Bereits seit dem Jahr 2003 bestand aber eine Vorstufe der Morbiditätsorientierung in Form der Koppelung der strukturierten Behandlungsprogramme (auch Disease-Management-Programme - DMP) an den RSA (Busse 2004, Stock et al. 2006). Hintergrund war eine Diskussion über die Steuerungswirkung des (alten) Risikostrukturausgleichs. Unter anderem wurde kritisiert, dass Krankenkassen unter den gegebenen Rahmenbedingungen keine (finanziellen) Anreize hätten, strukturierte Behandlungsprogramme durchzuführen. Führten sie entsprechende Programme durch, so die Argumentation, würden sie für chronisch Kranke attraktiv, die dann verstärkt in die Krankenkasse wechselten. Da aber chronische Krankheiten im RSA nicht berücksichtigt würden, brächten diese Wechsler negative Deckungsbeiträge mit sich und würden so zum finanziellen Ruin der Krankenkasse führen.

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Erstveröffentlichungsdatum: 05.10.2012

Abstrakt: Strukturierte Behandlungsprogramme im morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich am Beispiel von Diabetes und COPD

Im Jahr 2003 wurden strukturierte Behandlungsprogramme (DMP) für ausgewählte chronische Erkrankungen in der Gesetzlichen Krankenversicherung eingeführt. Mit der Anbindung an den Risikostrukturausgleich (RSA) entstanden sehr wirksame finanzielle Anreize für Krankenkassen, entsprechende Programme durchzuführen. Mit der Weiterentwicklung des RSA zum morbiditätsorientierten RSA im Jahr 2009 ist diese Anbindung an den RSA entfallen. Der vorliegende Beitrag untersucht die Unterschiede in den finanziellen Anreizen und den berücksichtigten Personengruppen. Das neue Verfahren ist besser geeignet, Unterschiede in Schweregrad und Multimorbidität zu berücksichtigen. Es gibt Anzeichen dafür, dass bei der Einschreibung in DMPs Patienten mit weniger ausgeprägter Multimorbidität überrepräsentiert sind.

Abstract: Disease-Management-Programs and morbidity-based risk adjustment - a comparision for diabetes and COPD

In 2003, disease management programs (DMP) for selected chronic diseases were introduced in Germany’s Statutory Health Insurance. Their inclusion in the risk adjustment scheme provided financial incentives for sickness funds to implement the programs. In 2009, the risk adjustment scheme was refined to a morbidity-based scheme. Enrolment in a DMP therefore no longer is a risk factor. The changes in the financial incentives and the affected groups of persons are compared under both regimes. The new system takes better account of differences in severity of disease and multi-morbidity. There is some evidence that enrolment in DMPs is biased towards less severe multi-morbidity.

Literatur

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Zusätzliches

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Strukturierte Behandlungsprogramme im morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich am Beispiel von Diabetes und COPD

Zum 1. Januar 2009 wurde der Risikostrukturausgleich (RSA) in der Gesetzlichen Krankenversicherung zum morbiditäts-orientierten RSA für 80 schwerwiegende oder kostenintensive chronische Krankheiten weiterentwickelt (Göpffarth 2009). Bereits seit dem Jahr 2003 bestand aber eine Vorstufe der Morbiditätsorientierung in Form der Koppelung der strukturierten Behandlungsprogramme (auch Disease-Management-Programme - DMP) an den RSA (Busse 2004, Stock et al. 2006). Hintergrund war eine Diskussion über die Steuerungswirkung des (alten) Risikostrukturausgleichs. Unter anderem wurde kritisiert, dass Krankenkassen unter den gegebenen Rahmenbedingungen keine (finanziellen) Anreize hätten, strukturierte Behandlungsprogramme durchzuführen. Führten sie entsprechende Programme durch, so die Argumentation, würden sie für chronisch Kranke attraktiv, die dann verstärkt in die Krankenkasse wechselten. Da aber chronische Krankheiten im RSA nicht berücksichtigt würden, brächten diese Wechsler negative Deckungsbeiträge mit sich und würden so zum finanziellen Ruin der Krankenkasse führen.

>> Der Gesetzgeber hat hierauf im Jahr 2001 reagiert, indem er einen gesetzlichen Fahrplan zur Einführung des morbiditätsorientierten RSA beschloss. Gleichzeitig hat er für die Zwischenzeit als Übergangslösung die DMP vorgesehen. Dabei handelt es sich um Programme für ausgewählte chronische Krankheiten (Asthma bronchiale, Brustkrebs, COPD, Diabetes mellitus Typ 1 und 2, KHK) für die rechtlich verbindliche Anforderungen festgelegt wurden. Die Programme müssen vom BVA zugelassen worden sein, bevor sich Versicherte einschreiben können. Im RSA wurden dann getrennt nach Krankheit eigene Versichertengruppen für die eingeschriebenen Versicherten gebildet, für die dann ein gesonderter Beitragsbedarf ermittelt wurde. Daneben gab es noch eine DMP-Programmkostenpauschale in Höhe von rund 86 Euro je eingeschriebenen Versicherten, um den erhöhten Aufwand bei der Durchführung der Programme abzugelten.
Dies waren insgesamt sehr wirksame finanzielle Anreize, DMP durchzuführen. Nachdem im Laufe des Jahres 2003 die ersten Programme starteten, haben sich bis Ende des Jahres 2005 insgesamt 2,2 Mio. Versicherte in die Programme eingeschrieben. In den Folgejahren stieg die Einschreibung kontinuierlich an: 3,1 Mio. (Ende 2006), 4,3 Mio. (Ende 2007) und 5,5 Mio. Versicherte (Ende 2008).
Mit der Einführung des morbiditätsorientierten RSA entfällt die gesonderte Berücksichtigung der DMP. Die neuen Morbiditätszuschläge werden hingegen für alle Betroffenen einer Krankheit ermittelt, unabhängig davon, ob sie sich in ein Programm eingeschrieben haben oder nicht. Geblieben ist allerdings eine modifizierte Programmkostenpauschale, die 180 Euro je eingeschriebenen Versicherten (ab dem Jahr 2011: 168 Euro) beträgt.
Damit haben sich die finanziellen Anreize der Krankenkassen zur Durchführung der DMP erheblich geändert. Viele haben befürchtet, dass die Programme unter den veränderten Rahmenbedingungen nicht mehr - oder nur in veränderter Form - fortgeführt werden (Stock et al. 2006, Straub/Dietrich 2008, Lüdtke-Handjery 2008). Der Entwicklung der Einschreibezahlen hat dies allerdings keinen Abbruch getan. Im Laufe des Jahres 2009 stiegen die Einschreibezahlen weiter auf 6,2 Mio. Versicherte, und bis Ende 2010 auf 6,5 Mio. Versicherte. Der vorliegende Beitrag stellt die unterschiedliche Berücksichtigung der DMP bzw. der zu Grunde liegenden Indikationen im bisherigen wie im neuen RSA dar und vergleicht die Form der Berücksichtigung am Beispiel von Diabetes mellitus und COPD. Abschließend werden die wesentlichen Ergebnisse zusammengefasst.
Die hier präsentierten Zahlen basieren auf den RSA-Jahresausgleich 2008, der noch auf alter Grundlage erfolgte und stellt sie einem fiktiven Jahresausgleich 2008 nach den Vorgaben des morbiditätsorientierten RSA (Rechtsstand 2010) gegenüber. Zur besseren Vergleichbarkeit werden die Werte des RSA-Jahresausgleichs 2008 ohne Berücksichtigung des Risikopools präsentiert.
Berücksichtigung der DMP im RSA
Der soziodemographische RSA 2003-2008
Der alte RSA beruhte auf soziodemographischen Merkmalen wie Alter und Geschlecht der Versicherten sowie dem Status als Erwerbsminderungsrentner (EM-Status). Die Berechnung erfolgte mit einem Zellenansatz, d.h. die Versicherten wurden anhand der Merkmale einer eindeutigen RSA-Zelle zugeordnet, so dass der Beitragsbedarf als die durchschnittlichen Leistungsausgaben je RSA-Zelle ermittelt werden konnte.
Im Jahr 2003 kam die Einschreibung in ein DMP als weiteres Morbiditätsmerkmal hinzu. Für jedes Programm wurden separate nach Alter, Geschlecht und EM-Status getrennte Versichertengruppen gebildet. Die Zahl der RSA-Zellen stieg damit rasant an, von 670 Zellen auf zuletzt 4.355 Zellen (Otto/Göpffarth 2010: 175). Allerdings muss die Zuordnung zur RSA-Zelle eindeutig sein. Konkret bedeutet das, dass ein Versicherter sich bei Multimorbidität in mehr als ein DMP einschreiben kann (z.B. COPD und Diabetes), er aber nur für ein Programm RSA-wirksam berücksichtigt werden konnte.
Die finanziellen Auswirkungen der DMP im alten RSA wurden häufig überschätzt. So dürfen die 5.521 Euro, die es im Jahresausgleich 2008 für einen eingeschriebenen Versicherten mit COPD gab, nicht mit den 1.811 Euro verglichen werden, die ein nicht eingeschriebener Versicherter erhielt. Vielmehr sind Versicherte mit COPD älter als der GKV-Durchschnitt und hätten bereits ohne DMP-Anbindung altersbedingt höheren Beitragsbedarf erhalten. Die richtige Vergleichsgröße ist daher der Betrag, den eine altersgleiche Vergleichgruppe erhielte, nämlich 3.482 Euro. Der erhöhte Beitragsbedarf für eingeschriebene Versicherte wurde durch eine Absenkung des Beitragsbedarfs für nicht eingeschriebene Versicherte von 1.906 Euro auf 1.811 Euro finanziert. Dies ist aber nur die durchschnittliche Absenkung, deren konkrete Höhe von der konkreten Alters- und Geschlechtsgruppe abhing. Ob eine Krankenkasse von der Anbindung der DMP an den RSA profitierte, hing daher weniger von der rohen Einschreibequote ab, sondern von der alters- und geschlechtsadjustierten Einschreibequote (Otto/Göpffarth 2006).
Da die Absenkung des Beitragsbedarfs für nicht eingeschriebene Versicherte alle Krankenkassen - unabhängig von der DMP-Einschreibung - betraf, kam es für die Krankenkassen tatsächlich darauf an, einen möglichst hohen Anteil ihres Einschreibepotenzials auch tatsächlich zu realisieren - von den Kritikern wurde dies als Einschreibewettbewerb (Straub 2005) beanstandet, während die Befürworter dies als Breitenansatz begrüßten (Stock et al. 2007).

Der morbiditätsorientierte RSA seit 2009
Im Jahr 2009 wurde der RSA zum morbiditätsorientierten RSA weiterentwickelt. Zu den bisherigen Merkmalen Alter, Geschlecht und EM-Status traten nun Morbiditätsgruppen für 80 ausgewählte schwerwiegende und kostenintensive chronische Erkrankungen hinzu. Alle Indikationen für die vor dem Jahr 2009 ein DMP existierte sind unter den ausgewählten 80 Krankheiten (Göpffarth 2008). Die Zuordnung zu den Versichertengruppen erfolgt anhand der von den Ärzten dokumentierten und im Rahmen der Abrechnungen an die Krankenkassen gemeldeten Diagnosen. Während Krankenhausdiagnosen unmittelbar zum Zuschlag führen, greifen bei Diagnosen aus der vertragsärztlichen Versorgung noch weitere Aufgreifkriterien. So müssen die Diagnosen in der Regel in zwei unterschiedlichen Abrechnungsquartalen Behandlungen veranlasst haben. Bei einigen Krankheiten erfolgt zudem ein Abgleich mit den verordneten Arzneimitteln, z.B. bei Diabetes mellitus Typ 1 mit Insulin.
Die Zuweisungen, die eine Krankenkasse für einen Versicherten aus dem Gesundheitsfonds erhält, setzten sich zusammen aus einem nach Alter und Geschlecht differenzierten Basisbetrag sowie ggf. Zuschlägen für den Status EM und/oder der Zuordnung zu den Morbiditätsgruppen. Grundlage für die Zuordnung ist also nicht mehr die Einschreibung in ein Programm, sondern das Vorliegen einer entsprechenden Diagnose. Während die getrennten DMP-Beitragsbedarfe nach Alter und Geschlecht differenziert waren, trifft dies bei den Morbiditätszuschlägen nur in Ausnahmefällen zu. Dafür sind die Morbiditätszuschläge für eine Krankheit zum Teil nach Schweregrad differenziert. Für Diabetes existieren im Jahr 2010 vier verschiedene nach Schweregrad differenzierte Zuschläge. In diesen Fällen werden die Zuschläge in Hierarchien angeordnet, so dass es nur für die höchste dokumentierte Manifestation der Krankheit einen Zuschlag gibt. Insgesamt werden im Jahr 2010 für die 80 Krankheiten 112 unterschiedliche Zuschläge ausdifferenziert.
Die Berechnung der Zuschläge erfolgt anhand eines Regressionsverfahrens und nicht mehr mittels Zellenansatz. Somit sind auch Mehrfachzuordnungen der Versicherten möglich, so dass im Fall von Multimorbidität die Zuschläge miteinander kombiniert werden können.
Dabei wird davon ausgegangen, dass die Ausgaben bei Multimobidität linaer additiv sind, was zunächst einmal kritisch zu hinterfragen wäre. Empirisch scheinen aber nicht-lineare Effekte nur in wenigen Fällen relevant zu sein (Schulte, 2010)
3. Vergleich der Verfahren an den Beispielen Diabetes und COPD
Abbildung von Diabetes und COPD im morbiditätsorientierten RSA
Die Form der Berücksichtigung von Diabetes und COPD im Klassifikationsmodell (Stand 2010) kann der Abbildung 1 entnommen werden. Demnach gibt es für Diabetes - je nach Schweregrad - einen Morbiditätszuschlag zwischen 564 Euro und 2.202 Euro, der zusätzlich zum Basisbeitragsbedarf nach Alter und Geschlecht ausgezahlt wird. Bei COPD sieht man an der Gruppenbildung deutlich, dass die ökonomische Kostenhomogenität bei der Bildung der Morbiditätsgruppen ein wichtiges Kriterium bildet. COPD findet sich hier, teilweise gemeinsam mit Asthma bronchiale, Status asthmaticus und Emphysemen in den HMG 109 und 110. Eine getrennte Analyse wird daher im Folgenden nicht möglich sein. Bei Asthma/COPD handelt es sich um einen der wenigen Fälle, bei denen ein Alterssplitt vorgenommen wurde (Abb. 1).
Für Diabetes ohne Komplikationen wurden keine Aufgreifkriterien definiert, d.h. hier müssen zwei Diagnosen aus der vertragsärztlichen Versorgung oder eine Krankenhausdiagnose vorliegen. Liegen hingegen Komplikationen vor, wird eine Arzneimittelvalidierung mit Insulin oder oralen Antidiabetika (> 182 DDD) vorgenommen. Bei Diabetes mellitus Typ 1 muss Insulin verordnet worden sein. Bei diabetischer Ketoazidose oder Koma muss eine entsprechende Krankenhausdiagnose vorliegen. Bei Mukoviszidose, Emphysem und chronisch obstruktiver Bronchitis sind keine Aufgreifkriterien definiert. Bei Asthma bronchiale muss aber eine Medikation mit mind. 183 Tagesdosen vorliegen, bei Status asthmaticus eine entsprechende Krankenhausdiagnose.
Vergleich von Beitragsbedarf und Zuschlägen
Um den Vergleich mit dem alten RSA herstellen zu können, sollen die Werte beispielhaft für eine 62-jährige Frau dargestellt werden. Im alten RSA erhielt eine Krankenkasse für eine 62-jährige Frau, die sich in das DMP Diabetes (Typ 2) eingeschrieben hat, einen Beitragsbedarf von 3.599 Euro. Im morbiditätsorientierten RSA gibt es einen Basisbetrag von 1.210 Euro. Zusammen mit dem Diabeteszuschlag liegt die Zuweisung zwischen 1.774 Euro (ohne Komplikationen) und 3.412 Euro (mit renalen oder multiplen Komplikationen). Nur bei den schwersten Komplikationen kommt man also auf vergleichbare Werte wie im alten RSA. Bei COPD liegt der Beitragsbedarf einer 62-jährigen Frau bei 4.220 Euro. Im morbiditätsorientierten RSA liegt die Zuweisung hingegen bei 2.093 Euro (1.210 Euro + 883 Euro).
Der Unterschied erklärt sich daraus, dass im morbiditätsorientierten RSA neben dem Zuschlag für die betrachtete Krankheit auch für weitere dokumentierte Krankheiten Zuschläge gewährt werden. Hierzu werden in Abbildung 2 die durchschnittlichen Zuweisungen (Durchschnitt über alle Altersgruppen und Schweregrade) für die einzelnen Morbiditätsgruppen gezeigt. Insgesamt liegen die durchschnittlichen Zuweisungen für Typ 2-Diabetiker (HMG 015 bis 019) zwischen 4.478 Euro und 10.104 Euro, für Typ 1-Diabetiker (HMG 020) bei 8.333 Euro und für Asthma/COPD - (HMG 109/110) zwischen 1.543 Euro und 4.777 Euro. Die vergleichbaren Durchschnittswerte für die DMPs betragen 5.075 Euro (DM2), 6.172 Euro (DM1), 5.521 Euro (COPD) und 2.889 Euro (Asthma).
Die betrachteten Durchschnittswerte sollen nicht über die Varianz im Einzelfall hinwegtäuschen. Während bei den DMP nur geringfügige Unterschiede nach Alter und Geschlecht berücksichtigt wurden, ist die Spanne im morbiditätsorientierten RSA erheblich größer. Treten zum Beispiel bei einem Versicherten mit Diabetes ohne Komplikationen (HMG 019) keine weiteren Krankheiten auf, reduziert sich die Zuweisung auf etwa die Hälfte (2.206 Euro). Die wichtigsten Komorbiditäten für Diabetes und COPD sowie deren Häufigkeit können Tabelle 1 entnommen werden. So erhalten mehr als 45 % der Personen, die einer Diabetes-Morbiditätsgruppe zugeordnet wurden, auch einen Zuschlag für Hypertonie (Tab. 1).
Vergleich der betroffenen Personengruppen
Neben dem Vergleich der Zuweisungen des morbiditätsorientierten RSA mit den Beitragsbedarfen des alten RSA ist auch ein Vergleich der betroffenen Personengruppen von Interesse. Während für den alten RSA die Einschreibung des Versicherten in ein DMP entscheidend war, kommt es nun auf die dokumentierten Diagnosen an. Damit sollte eine Ausweitung des berücksichtigten Personenkreises verbunden sein. Andererseits stellt sich die Frage, ob es eingeschriebene Versicherte gibt, für die es aber zu keinem Morbiditätszuschlag kommt. Auch ist von Interesse, ob sich der eingeschriebene Personenkreis von dem nicht eingeschriebenen unterscheidet.
Tabellen 2 und 3 geben für Diabetes mellitus Typ 2 und Asthma/COPD entsprechende Kreuztabellen an. Die Gesamtzahl bezieht sich auf den Stichprobendatensatz für den RSA, der 4,3 Mio. Versicherte umfasst. Hiervon erhalten knapp 330.000 Versicherte, d.h. rund 7,6 % entweder einen Morbiditätszuschlag für Diabetes mellitus Typ 2 oder sind in das entsprechende DMP eingeschrieben. In das DMP sind etwas mehr als die Hälfte aller Diabetiker eingeschrieben. Knapp 156.000 Diabetiker, die nicht in ein DMP eingeschrieben sind, erhalten einen Morbiditätszuschlag für Diabetes. Immerhin 8,9 % der so definierten Diabetiker erhalten keinen Morbiditätszuschlag für Diabetes. Dies liegt vermutlich daran, dass die Krankheit nicht in zwei Abrechungsquartalen dokumentiert wurde (zum „underreporting“ von Diabetes vgl. Erler et al 2009)
Ein ähnliches Bild ergibt sich für Asthma/COPD. Hier liegt die Prävalenz bei 4,9 %. In die zugehörigen DMP-Programme sind aber nur knapp 20 % des Potenzials eingeschrieben. Auffällig ist hier, dass ein knappes Drittel der eingeschrieben DMP-Versicherten nicht den zugehörigen Morbiditätszuschlag erhält. Das hat damit zu tun, dass bei Asthma bronchiale eine Arzneimittelvalidierung durchgeführt wird. Asthmatiker ohne Arzneimitteltherapie können sich zwar in das DMP einschreiben, werden aber beim morbiditätsorientierten RSA nicht berücksichtigt.
Interessant ist die Frage, ob sich die in ein DMP eingeschriebenen Betroffenen einer Krankheit von den nicht eingeschriebenen unterscheiden. Häußler et al. (2005) kommen zu dem Ergebnis, dass „in den Programmen Jüngere und Patienten mit weniger schweren Erkrankungen überpräsentiert [sind]. Ältere und schwerer erkrankte Patienten werden durch die Programme somit zu wenig erreicht.“ Um diese These zu überprüfen, wird untersucht, ob sich die Zuweisungen für eingeschriebene DMP-Versicherten systematisch unterscheiden. Während Typ 2-Diabetiker insgesamt durchschnittlich 5.444 Euro zugewiesen bekommen, liegt der Wert für die eingeschriebenen Diabetiker bei 5.207 Euro. Dies spricht zunächst für die These.
Eine weitere Differenzierung zeigt aber ein etwas anderes Bild. So fällt die AGG- und EMG-Zuweisung bei eingeschriebenen Versicherten geringfügig höher aus (1.588 Euro zu 1.580 Euro bzw. 81 Euro zu 80 Euro). Hinsichtlich der Alters- und Geschlechtsstruktur und dem Bezug von Erwerbsminderungsrenten unterscheiden sich also eingeschriebene und nicht eingeschriebene Versicherte nicht. Auch der durchschnittliche Morbiditätszuschlag für Diabetes liegt bei eingeschriebenen Versicherten höher (914 Euro zu 902 Euro). Eingeschriebene Diabetiker haben also tendenziell einen leicht höheren (dokumentierten) Schweregrad des Diabetes. Allerdings liegen die durchschnittlichen Zuweisungen für weitere Erkrankungen für eingeschriebene Diabetiker unter denen aller Diabetiker (2.623 Euro zu 2.882 Euro). Der wesentliche Unterschied liegt also darin, dass eingeschriebene Diabetiker unterdurchschnittliche Multimorbidität aufweisen.
Auch bei Asthma und COPD liegen die durchschnittlichen Zuweisungen für alle Betroffenen mit 4.797 Euro erheblich höher als für eingeschriebene Versicherte mit 3.577 Euro. Dieses Ergebnis dürfte aber dadurch verfälscht sein, dass für Asthma eine Arzneimittelvalidierung durchgeführt wird, also gerade die leichteren Fälle sich zwar einschreiben können, aber keinen Zuschlag erhalten.
Schlussfolgerungen
Die finanziellen Rahmenbedingungen für die strukturierten Behandlungsprogramme haben sich mit der Einführung des morbiditätsorientierten RSA erheblich verändert. Zwar sind alle DMP-relevanten Indikationen bei den ausgewählten Krankheiten berücksichtigt, allerdings unterscheidet sich die Form der Berücksichtigung teilweise erheblich. Wesentliche Unterschiede sind die Aufgreifkriterien, die Schweregraddifferenzierung und die Berücksichtigung weiterer Krankheiten.
Die konkreten Morbiditätszuschläge lassen sich mit dem alten DMP-Beitragsbedarf nicht vergleichen, vielmehr muss die Gesamtsumme an Zuweisungen nach Alter und Geschlecht, EM-Status einschließlich der Morbiditätszuschläge für weitere Erkrankungen betrachtet werden. Damit wird eine weit größere Differenzierung der Zuweisungshöhe erreicht, die besser auf unterschiedliche Schweregrade und Komorbiditäten eingeht. Insbesondere im Fall von Multimorbidität wird so eine erheblich höhere Zielgenauigkeit der Zuweisungen erreicht, auch wenn die Berücksichtigung von Multimorbidität auch im morbiditätsorientierten RSA noch verbesserungsfähig ist (Schulte 2010).
Insbesondere werden von den Morbiditätszuschlägen breitere Patientengruppen erfasst als vom DMP-Beitragsbedarf, der auf eingeschriebene Versicherte beschränkt war. Dies stellt aber aus Sicht der DMP auch eine Gefahr dar, weil damit der besondere finanzielle Anreiz zur Durchführung der Programme verloren geht. Positiv gewendet bedeutet dies, dass nun tatsächlich ein Wettbewerb zwischen verschiedenen Versorgungsformen stattfinden kann. Negativ gewendet bedeutet dies, dass die Zuweisung nicht mehr von der Qualität der Versorgung abhängt. Ob die „Nachfragemacht“ der Betroffenen im Wettbewerb als Korrektiv ausreicht - die Betroffenen stellen aus Sicht der Krankenkasse keine schlechten Risiken mehr dar - bleibt abzuwarten. Die weiter bestehende DMP-Programmkostenpauschale kann hier als erstes - ausbaufähiges - Element einer Qualitätsförderung angesehen werden. Angesichts der weiter steigenden Einschreibezahlen reicht diese anscheinend auch aus, die Programme weiter attraktiv für Krankenkassen zu halten.
Auffällig ist das Ergebnis, dass die in ein DMP eingeschriebenen Versicherten zwar nicht jünger und weniger schwerwiegend erkrankt sind als die nicht eingeschriebenen, wohl aber weniger multimorbide sind. Dies deckt sich mit den bisherigen finanziellen Anreizen, die Multimorbidität nicht berücksichtigten. Möglicherweise steckt hier das größte und wichtigste Potenzial zur Weiterentwicklung der DMP. <<