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Weniger Zentralismus, mehr Regionalität – das waren Kernforderungen des Vorstands der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) für das Anfang 2012 in Kraft tretende GKV-Versorgungsstrukturgesetz. Wie die KVB die Vorgaben umsetzen will und wie die künftige Ausgestaltung der ambulanten Versorgung in Bayern aussehen soll - nämlich möglichst individuell und den regionalen Besonderheiten gerecht werdend - macht Dr. Wolfgang Krombholz, der Vorstandsvorsitzende der KV Bayerns (KVB) im Interview mit „Monitor Versorgungsforschung“ deutlich. „Mit dem Wunsch nach mehr Evidenz rennen Sie bei mir offene Türen ein: Es ist eines meiner ganz großen Anliegen, bezüglich des hausärztlichen Versorgungsauftrags endlich für Klarheit zu sorgen“, sagt er, aber auch, dass solche Evaluationen der Leistungserbringer garantiert für zusätzliche Bürokratie in den Praxen sorgen würden.

>> „Viele Probleme kommen aus Berlin. Dezentralisierung ist darum eines meiner vorrangigen Ziele“, sagen Sie, Herr Dr. Krombholz auf Ihrer Profilseite der KVB. „Es geht mir dabei in erster Linie um den Erhalt der hausärztlichen, fachärztlichen und psychotherapeutischen Praxen ...“ Das müssen Sie als Standesvertreter der Allgemeinärzte vielleicht so sagen, aber warum ist ein hausarztzentriertes System denn wirklich besser und zukunftsfähiger?
Die Dezentralisierung hat mit der hausarztzentrierten Versorgung erst mal gar nichts zu tun. Beides ist aus meiner Sicht allerdings sinnvoll und sollte eigentlich nicht nur von der Ärzteschaft gefordert, sondern auch von Politikern, Krankenkassen und Gesundheitsökonomen gefördert werden. Zunächst zur Dezentralisierung: Darunter verstehe ich, dass die Kompetenzen zur Regelung wichtiger Felder der ärztlichen Tätigkeit auf der Landesebene liegen müssen. Dazu gehört die Fort- und Weiterbildung genauso wie die Honorarverhandlung und -verteilung. Aus meiner Sicht kann man am „grünen Tisch“ in Berlin schlecht regeln, wie man beispielsweise die Notfallversorgung im Bayerischen Wald zukunftssicher gestaltet. Das kann nur durch Initiative und Engagement vor Ort erfolgen. Ganz ähnlich ist die Sachlage bei dem inzwischen allseits anerkannten Thema Ärztemangel einzuschätzen. Auch hier muss man sich die Situation vor Ort ansehen und nach regionalen Lösungen suchen. Der Gesetzgeber hat hier im hausärztlichen Bereich insofern Schützenhilfe geleistet, als er inzwischen die hausarztzentrierte Versorgung per Gesetz fest verankert hat. In § 73 b SGB V ist eindeutig festgelegt, dass die Krankenkassen ihren Versicherten eine hausarztzentrierte Versorgung anzubieten haben. Leider fühlen sich viele Krankenkassen nach wie vor nicht verpflichtet, entsprechend zu handeln und solche Verträge abzuschließen. Deshalb kann man auch noch nicht davon sprechen, dass wir flächendeckend ein hausarztzentriertes System haben. Ich würde ein solches allerdings sehr begrüßen: als Aufwertung der enorm anspruchsvollen hausärztlichen Tätigkeit und als gute Basis eines sinnvollen Miteinanders von Hausärzten und den in einzelnen Fachgebieten spezialisierten Fachärzten, die ja heute schon primär auf Überweisung der Hausärzte tätig sind.

Glauben ist gut, Wissen wäre besser. Es gibt weltweit, wie Prof. Dr. Gerd Glaeske in MVF 06/11 betont, „keine Evidenz dafür, dass ein allgemein- oder hausarztzentriertes System wirklich das bessere“ wäre. Dennoch sei es politisch - nicht wettbewerblich, sondern verpflichtend - eingeführt worden, was eine nicht evidenzgestützte, sondern rein politische Entscheidung gewesen sei. Wäre es also nicht an der Zeit, für Evidenz zu sorgen?
Herr Professor Glaeske sollte auch beachten, dass wir auf Grund der eben beschriebenen Blockadehaltung vieler Krankenkassen noch gar nicht genug Daten aus der Praxis haben können, was die Effizienz einer hausarztzentrierten Versorgung in Deutschland angeht. Ich bin aber zuversichtlich, dass man in naher Zukunft mit Erkenntnissen aus Baden-Württemberg die Kritik von Herrn Glaeske sachlich widerlegen kann. Mit dem Wunsch nach mehr Evidenz rennen Sie bei mir offene Türen ein: Es ist eines meiner ganz großen Anliegen, bezüglich des hausärztlichen Versorgungsauftrags endlich für Klarheit zu sorgen. Nur, indem man die Frage fundiert beantwortet, was ein typischer Hausarzt eigentlich leistet, kommen wir zu einer Definition des haus-ärztlichen Versorgungsauftrages. Hier Klarheit zu schaffen, ist für uns in der KVB ein relevantes Thema. Erste Analysen haben schon gezeigt, dass im hausärztlichen Versorgungsbereich auch viele Kolleginnen und Kollegen tätig sind, die gar nicht typisch hausärztlich arbeiten, sondern sich auf bestimmte Felder wie Psychotherapie spezialisiert haben. Das machen sie sicher auch gut, aber als Basisversorger fallen sie damit aus. Nachdem sie jedoch in der Bedarfsplanung mitgezählt werden, entsteht so ein verzerrtes Bild der Realität. Dies auch im Sinne einer guten Versorgung der Patienten gerade zu rücken, ist eines meiner zentralen Anliegen.

„Die Folgen dieses sich immer schneller drehenden Reformkarussells haben auch die KV geprägt. Sie ist als Vertretung der niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten heute weiter denn je von ihren Mitgliedern entfernt. Schuld daran ist unter anderem, dass sie als Körperschaft öffentlichen Rechts die Vorgaben von Gesetz und Politik umsetzen muss, und das oft genug zum Nachteil ihrer Mitglieder.“ Auch das sagen Sie auf Ihrer Profilseite. Darin verbirgt sich auch Kritik an der KVB selbst. Was wollen Sie a) anders und b) besser als bisher machen?
Ich möchte an dieser Stelle nicht die Arbeit meiner Vorgänger im Vorstand der KVB beurteilen. Denn es geht mir nicht um ein „besser oder schlechter als bisher“, sondern darum, meine Vorstellungen von einer guten KV umzusetzen. Ich habe das mal auf den kurzen Nenner gebracht: Gut ist, was für die Praxen gut ist. Meine Vorstandskollegen Pedro Schmelz, Ilka Enger und ich wollen die KVB service-orientiert und transparent gegenüber ihren Mitgliedern aufstellen und bei diesen nicht als reine Vollstrecker von Gesetzen auftreten. Dazu gehört auch eine stärkere Präsenz in den Regionen Bayerns jenseits der Metropolen München und Nürnberg. Natürlich sind wir als Vorstand einer Körperschaft des öffentlichen Rechts an Recht und Gesetz gebunden. Das heißt aber nicht, dass man die Interessen seiner Mitglieder nicht auch stark und wirkungsvoll nach außen vertreten kann. Denken Sie nur an unsere Berlin-Präsenz durch die Freie Allianz der Länder-KVen, kurz FALK. Hier konnten wir im Sinne der Ärzteschaft einiges Positives bewirken. Auch die Rückmeldungen der Kolleginnen und Kollegen beispielsweise bei Mitgliederversammlungen zeigen mir, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Das größte Stück dieses Weges liegt allerdings noch vor uns.

Als Vorstand der KVB haben Sie die Gesamtverantwortung für die KVB und damit auch für deren Fortbestehen. Auf der anderen Seite stehen Sie dem Bayerischen Hausärzteverband nahe, der erhebliche Honoraranteile – und damit Einnahmen der KVB – aus den KVen in die Hausärzteverbände umlenken will. Wie ist dabei Ihre Position? Setzen Sie sich z.B. für eine Abrechnung der Hausarztverträge über die KVen ein, wie das zum Beispiel die Kinderärzte schon praktizieren?
Ich stehe dem Bayerischen Hausärzteverband nicht nahe – ich bin aus tiefster Überzeugung ein aktives Mitglied dieses Verbandes. Es ist uns inzwischen gelungen, auch in Bayern wieder zu einem konstruktiven Miteinander von Kassenärztlicher Vereinigung und Hausärzteverband zu finden. Das ist extrem wichtig, denn in vielen Bereichen, wie zum Beispiel bei den Themen Nachwuchsförderung oder Bereitschaftsdienst, können wir nur gemeinsam – ich rechne hier neben Berufsverband und KV auch die Ärztekammer mit ein – zum Erfolg kommen. Als Vorstandsvorsitzender der KVB wäre ich natürlich sehr froh, wenn die Abwicklung aller Versorgungsverträge über die KVB laufen würde. Entsprechende Angebote habe ich auch dem Vorstand des Hausärzteverbandes gemacht. Aber es ist auch klar, dass der Verband selbst entscheiden kann, wen er mit der Abrechnung und Abwicklung seiner Verträge beauftragt. Sollte es hier in Bayern bei den Hausarztverträgen zu Ausschreibungen kommen, werden wir uns bewerben. Denn schließlich haben wir als KVB einen Sicherstellungsauftrag. Und um diesen zu erfüllen, benötigen wir auch in Zukunft ausreichend niederlassungswillige Haus-
ärzte. Diese können wir aber nur für uns gewinnen, wenn es über gut dotierte Hausarztverträge entsprechende finanzielle Anreize für eine Niederlassung gibt.

Wie sieht es in diesem Zusammenhang mit Evaluation und Versorgungsforschung aus? Brauchen wir nicht eine Pflichtevaluation auch in der Regelversorgung und auch für die Leistungserbringer?
Zum einen möchte ich klarstellen, dass bei den Hausarztverträgen, die wir in Bayern unter anderem mit der AOK Bayern bis Ende letzten Jahres hatten, eine Evaluation nach drei Jahren vorgesehen war. Mit der Kündigung durch die Kassen im Dezember 2010 war dieses Vorhaben natürlich nicht mehr zu realisieren. Zum anderen möchte ich eine Lanze brechen für die niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten in diesem Land. Nehmen Sie allein Dauer und Schwierigkeitsgrad des Studiums inklusive Fort- und Weiterbildung, bis man sich endlich „Facharzt für Allgemeinmedizin“ nennen kann. Verraten Sie mir bitte mal, welche andere Berufsgruppe eine ähnlich herausfordernde Ausbildung zu absolvieren hat. Mir fällt auch keine andere Berufsgruppe ein, die per Gesetz eine permanente Fortbildungspflicht hat und diese durch das Erreichen bestimmter Punktzahlen auch nachweisen muss. Hinzu kommt: Wir haben in Deutschland eine freie Arztwahl. Wenn Patienten mit ihrem Haus- oder Facharzt nicht zufrieden sind, dann können sie wechseln. Das ist für mich eine Form der gelebten Evaluation unserer Tätigkeit. Jede weitere, von Ihnen so genannte „Pflichtevaluation“ der von Ihnen so genannten „Leistungserbringer“ sorgt garantiert für zusätzliche Bürokratie in den Praxen – ob damit den Patienten geholfen wäre, scheint mir fraglich. Zumindest eines ist aus meiner Sicht klar: Mit der Ankündigung einer „Pflichtevaluation“ über die sowieso schon umfassende, permanent geprüfte Fortbildungspflicht sowie die umfangreichen Dokumentationspflichten in den Praxen hinaus werden Sie den Nachwuchs kaum für die ärztliche Tätigkeit begeistern können.

„Die KV Bayern ist ein Vorreiter in Deutschland“. Das war die Headline unseres Gesprächs mit Dr. Axel Munte, dem damaligen Vorstandsvorsitzenden der KV Bayerns im Dezember 2010 (MVF 6/2010). Wie sieht es denn mit dieser Vorreiterrolle heute aus?
Wer ein Vorreiter sein will, der sollte immer auch schauen, ob er in die richtige Richtung unterwegs ist und ob ihm wirklich jemand folgt. Ich kann gut damit leben, kein Vorreiter zu sein, wenn wir dafür flächendeckend eine funktionierende medizinische Versorgung mit zufriedenen Ärzten, Psychotherapeuten und natürlich auch Patienten haben. Wir haben im Vorstand der KVB jetzt eine andere Ausrichtung, als dies im vorherigen Vorstand der Fall war. Wir wollen für unsere Mitglieder und deren Anliegen offen sein und sie auch nach außen gut repräsentieren – ohne uns dabei mit anderen KVen vergleichen zu müssen oder zu wollen. Wir haben auf Grund der besonders gut ausgebauten ambulanten Strukturen in Bayern natürlich einzelne Gebiete, wo wir bundesweit überdurchschnittlich gut sind. Man nehme als Beispiel die ambulanten Operationen oder auch die wirtschaftliche Verordnungsweise von Arzneimitteln. Dafür ist beispielsweise in anderen Bundesländern die Impfrate höher. Wir setzen nicht auf Konfrontation, sondern auf Kooperation im KV-System. Deshalb haben wir gemeinsam mit anderen Partnern ja auch FALK gegründet und konnten so unseren politischen Einfluss besser denn je geltend machen.

Als ein Zeichen dieser Vorreiterrolle wurde das „Gütesiegel der „Ausgezeichneten Patientenversorgung“ genannt, eben jenes hat der neue KVB-Vorstand gerade eingestellt wird. Was war der Grund dafür?
Wir haben uns im Vorstand sehr intensiv mit dem Thema beschäftigt und sind schließlich zu der Entscheidung gekommen, zwar einzelne Maßnahmen weiterzuführen, aber die Dachmarke „Ausgezeichnete Patientenversorgung“ als solche einzustellen. Aus unserer Sicht ist allein schon die gewählte Begrifflichkeit unglücklich. Hinzu kommt, dass es nicht annähernd für alle Arztgruppen wirklich auch Projekte unter der Dachmarke gegeben hat. Wenn man Auszeichnungen vergibt, dann muss auch jeder grundsätzlich Zugang zu diesen Auszeichnungen haben und darf nicht von Beginn an durch ungleiche Bedingungen benachteiligt werden. Zudem wurde in dem Programm lediglich ein kleiner Teil des Versorgungsgeschehens beurteilt. Ein Beispiel: Der Arbeitsschwerpunkt der haus-
ärztlichen Tätigkeit, die Anamnese und Befunderhebung, lässt sich durch eine wie auch immer geartete elektronische Dokumentation und Analyse nicht sachgerecht beurteilen.

Kann man denn allen Ernstes behaupten, dass alle Ärzte gleiche Qualität liefern? Dagegen sprechen so ziemlich alle Ergebnisse der Versorgungsforschung.
Noch einmal: Eine Auszeichnung muss für alle Mitglieder der KVB erreichbar sein. Das war bei dem Programm „Ausgezeichnete Patientenversorgung“ nicht der Fall.

Ist es nicht generell kritisch zu signalisieren, dass man keine Transparenz über Qualität mehr will? Wie man hört, war sich der Vorstand intern auch nicht einig – warum fiel die Entscheidung so? Was waren die Pro- und Kontra-Argumente?
Bauen Sie Ihre Fragen eigentlich alle auf Gerüchte und Hörensagen auf? Natürlich streben wir nach wie vor an, dass alle unsere Mitglieder – Ärzte wie auch Psychotherapeuten – gute Qualität liefern. Dabei ist aber der Inhalt wichtig und nicht ein Pseudo-Etikett, das man sich ans Revers heften kann. Das sehen auch unsere Mitglieder so: Wir haben per Mail und Fax viel Zustimmung zu unserer Entscheidung erhalten. Mal eine Gegenfrage: Ist Ihnen bekannt, dass wir im Internet unter www.kvb.de in der Rubrik Über uns – Unsere Aufgaben – Gewährleistungsauftrag einen Qualitätsbericht veröffentlicht haben? Dies werden wir auch in den kommenden Jahren tun. Zudem stellen wir nicht nur im Internet, sondern auch in unserer monatlich erscheinenden Mitgliederzeitschrift „KVB FORUM“ immer wieder auch Themen aus den Bereichen Qualitätssicherung und -management offen und umfassend dar. Transparenz gilt bei uns für alle Themen, nicht nur für die Qualität.

Die KV Bayerns setzt sich für eine „gerechte Honorarverteilung“ ein. Was sind die Maßstäbe einer solchen gerechten Verteilung? Müssten dabei nicht gerade auch Qualitätsunterschiede berücksichtigt werden?
Gerechtigkeit in der Honorarverteilung bedeutet erst einmal, dass sich nicht eine Arztgruppe auf Kosten der anderen bereichert. Es muss klar sein, wie viel Geld in den einzelnen Töpfen zur Verfügung steht. Gerechtigkeit ist auch wichtig innerhalb der einzelnen Fachgruppen, also dass beispielsweise ein Ausgleich zwischen operierenden und konservativ tätigen Ärzten stattfindet. Über die Verteilung und das Erreichen größtmöglicher Honorargerechtigkeit diskutieren wir dann mit den Repräsentanten der einzelnen Berufsverbände. Wie schon erwähnt, ist meinen Vorstandskollegen und mir der Kontakt zu den Berufsverbänden enorm wichtig. Wir können nicht unabhängig von der Basis agieren, sondern brauchen die Rückmeldungen aus der Ärzteschaft. Nachdem die Meinungen, gerade auch was Gerechtigkeit angeht, hier oft sehr unterschiedlich sind, sehen wir die Berufsverbände als Ort, wo sich Mehrheitsmeinungen bilden und entfalten können. Deshalb stehen wir in permanentem Kontakt. Sicher kann man unter den Bedingungen eines begrenzten Budgets nicht jeden Wunsch erfüllen. Aber es ist ganz klar unser Anliegen, Gerechtigkeit herzustellen, was die Chancen jedes einzelnen Vertragsarztes und -psychotherapeuten angeht, ein angemessenes Honorar zu erzielen.

Was halten Sie denn überhaupt vom Konzept Pay for Performance?
Erst einmal stehe ich der Übernahme von in den USA entwickelten Versorgungskonzepten und -strukturen kritisch gegenüber. Das Gesundheitssystem dort hat erhebliche Nachteile für die Patienten und ist trotz enormer Kosten – insbesondere was einen flächendeckenden und für alle Menschen offenen Zugang zu ärztlichen Leistungen angeht – aktuell nicht mit den Gesundheitssystemen vieler europäischer Staaten vergleichbar. Man sehe sich den Film „Sicko“ an und verstehe, was ich meine. Andererseits ist der unter „Pay for Performance“ subsumierte Gedanke, die Vergütung an Qualitätsindikatoren auszurichten, erst einmal nicht falsch. Man muss allerdings dabei zum einen bedenken, dass zwar die Struktur- und Prozessqualität im breiten Spektrum der hausärztlichen Tätigkeit messbar ist, die Ergebnisqualität jedoch kaum. Zum anderen trägt eine finanzielle Honorierung der Einhaltung bestimmter Indikatoren immer auch die Gefahr der Risikoselektion in sich. Chronisch kranke Patienten, die auf Grund ihres Zustands dem Arzt die Statistik verschlechtern könnten, wären die Leidtragenden einer solchen Entwicklung. Zudem benötigt man für die Umsetzung von „Pay for Performance“ Krankenkassen, die bereit sind, den zusätzlichen Aufwand auch zu bezahlen. Es gibt für mich ein sehr positives Beispiel aus Großbritannien. Ich zitiere aus einem Artikel des Deutschen Ärzteblatts vom 30. September 2009: „Das derzeit umfangreichste europäische Referenzprojekt wurde 2004 in Großbritannien eingeführt. Das erklärte Ziel des britischen P4P-Programms ist es, die hausärztliche Qualität mithilfe finanzieller Anreize zu verbessern. Dafür hat die britische Regierung zusätzliche Gelder in Höhe von 2,5 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt.“ Genau so muss es gehen: Kassen und Politik müssen zusätzliche Mittel bereit stellen. Dann können wir in den Praxen daran arbeiten, die sowieso bereits gute Versorgung noch weiter zu optimieren.

Die Integrierte Versorgung soll eine bessere Versorgungsqualität für Versicherte und Patienten erreichen. Waren die Disease-Management-Programme ein Erfolg oder zumindest ein Schritt in die richtige Richtung? Wo sehen Sie die Fortentwicklung? Regionalisierung? Neuere Versorgungsmanagementkonzepte?
Was Sie eingangs für die hausarztzentrierte Versorgung konstatiert haben, gilt im Prinzip auch für die Disease-Management-Programme: Noch ist es zu früh, deren Wirkung abschließend zu beurteilen. Zwar gibt es inzwischen viele unterschiedliche Auswertungen, aber im Endeffekt fehlt noch die klare Evidenz, wie gut und sinnvoll diese Programme wirklich sind. Fakt ist, dass die vorhandenen DMP inzwischen recht gut etabliert sind, die Teilnehmerraten auf Ärzte- wie auch Patientenseite recht hoch sind. Aber dazu ein Zitat aus der „Ärztezeitung“ vom 19. September des vergangenen Jahres: „DMP sind eine Erfolgsgeschichte, wenn man die Beteiligung zählt. Doch über ihren Nutzen für Patienten und die Effizienz lässt sich auch nach zehn Jahren kaum etwas sagen“ (Anm. d. Red: Aus einem Bericht über den MVF-Fachkongress „10 Jahre DMP“ in Berlin). In diesem Bereich ist also offensichtlich noch viel Versorgungsforschung notwendig.

Das Versorgungsstrukturgesetz ist nun verabschiedet worden. Wie wird die KVB damit umgehen?
Wir werden damit so umgehen, wie wir es als Körperschaft des öffentlichen Rechts mit jedem Gesetz tun: Wir werden es umsetzen – mit dem notwendigen Gestaltungsspielraum und in dem festen Willen, es im Sinne unserer Mitglieder auszulegen. Die Möglichkeiten erhalten wir auch dadurch, dass im Gesetz eine stärkere Regionalisierung vorgesehen ist. Wobei man auch gleich wieder einschränkend sagen muss: Viele Regularien, die im Vorhinein zu treffen sind, hat man wieder auf die Bundesebene und den Gemeinsamen Bundesausschuss verlagert. Das Gesetz bietet zudem einige sinnvolle Anreize, um die Niederlassung gerade auf dem Lande wieder attraktiver zu machen. Das wollen wir natürlich auch unterstützen. Kritisch sehen wir die Schaffung einer neuen Versorgungsebene, der ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung. Hier sind meine beiden KVB-Vorstandskollegen sehr aktiv, Schaden für das Gros der niedergelassenen Fachärzte, die sich daran wohl nicht beteiligen können, abzuwenden.

Im Versorgungsstrukturgesetz (GKV-VStG) wird – anders als im Entwurf niedergeschrieben – von den Ärzten keine Kodierpflicht mehr eingefordert. Das hätte die Politik auf Druck von Ärzteverbänden wieder herausgenommen, wie der Stv. Vorstandsvorsitzende der Barmer GEK, Dr. Schlenker, auf dem 10. Deutschen Versorgungsforschungskongress erklärte. Was haben denn Ärzte gegen eine Pflicht der Kodierung?
Das ist ein leider weit verbreitetes Missverständnis: Die Ärzte haben in der Regel gar nichts gegen die Kodierung. Gerade in Bayern wird diese schon lange und intensiv praktiziert, was den hiesigen Krankenkassen in der früheren Systematik auch entsprechende Zuwendungen aus dem Risikostrukturausgleich gebracht hatte. Man kann sicher geteilter Meinung darüber sein, ob die ICD 10-Kodierung wirklich gerade im hausärztlichen Bereich die perfekte Lösung ist. Problematisch war für uns vor allem aus praktikablen Gründen die ursprünglich geforderte Pflicht, die Ambulanten Kodierrichtlinien umzusetzen. In Bayern gab es dazu sogar Praxistests, die gezeigt hatten, dass die Einführung der Ambulanten Kodierrichtlinien ein wahres Bürokratiemonster gezeugt hätte. Befürworter auf ärztlicher Seite hatten zwar davon gesprochen, dass man mit der Einführung von Kodierrichtlinien den Krankenkassen noch ein klareres Bild über die „Krankheitslast“ in der Bevölkerung hätte bieten und damit mehr Finanzmittel für die Versorgung hätte generieren können. Doch das waren die selben ärztlichen Funktionäre, die auch schon davon gesprochen hatten, dass der so genannte EBM 2000 plus endlich betriebswirtschaftlich kalkulierte, verlässliche Honorare und einen Punktwert von 5,11 Cent für die Praxen bringt. Was daraus geworden ist, kann jeder selbst leicht in Erfahrung bringen.

Zum Schluss zurück nach Bayern: Aktuell dominiert im Bayerischen Hausärzteverband der Konflikt zwischen Dr. Geis und Dr. Hoppenthaller die Medien. Wie man hört, ist Dr. Hoppenthaller andererseits aber als bezahlter Berater für die KVB tätig. Was bedeutet dies für die Position der KVB in diesem Konflikt?
Generell mischt sich der Vorstand der KVB nicht in Themen und Probleme innerhalb eines Berufsverbandes ein. In diesem Fall ist die Situation insofern für mich etwas Besonderes, als ich in dem Haus-
ärzteverband an der Seite der Kollegen Geis und Hoppenthaller berufspolitisch gesehen groß geworden bin. Wir haben gemeinsam und mit weiteren aktiven Mitstreitern in den vergangenen Jahren viel für die Hausärzteschaft bewegt. Dass vor rund einem Jahr in Nürnberg über 2.800 bayerische Hausärzte bereit und willens waren, ihre Zulassung zurückzugeben und so der Politik und den Krankenkassen gegenüber ein klares Zeichen gesetzt haben, war ein großer Erfolg. Dass aber diese Zahl nicht ausgereicht hat, um den Systemumstieg zu schaffen, hat es uns schwer gemacht, wieder zur Tagesordnung überzugehen. Und nachdem die meisten Krankenkassen sich nach wie vor standhaft weigern, ihrem gesetzlichen Auftrag nachzukommen und Hausarzt-Verträge abzuschließen, fehlen die großen Erfolge, die die Hausärzteschaft wieder zusammenschweißen würden. Aus meiner Sicht arbeiten wir – also Vorstand des Hausärzteverbands und der KVB – aber gut und kooperativ daran, wieder auf die Siegerstraße zu kommen. Und nur ein Satz zu Ihren gut informierten Quellen, von denen Sie soviel gehört haben: Kollege Hoppenthaller ist Mitglied der Vertreterversammlung der KVB und eines der Mitglieder unserer Beratenden Vorstandskommission – eines Gremiums, das unsere Vorgänger im Vorstand der KVB ins Leben gerufen hatten und das wir in anderer Besetzung weiterführen.

Dr. Hoppenthaller hat seine Vorwürfe gegenüber Dr. Geis mit sehr differenzierten Berechnungen der Fallwerte der neuen Hausarztverträge untermauert. Wie man hört, sind Vorwürfe laut geworden, er habe dafür die KVB-Datenbestände in unzulässiger Weise genutzt. Selbst wenn dies nicht stimmen sollte, hat Dr. Hoppenthaller als Berater zumindest Zugang zu umfangreichen Daten und Ressourcen der KVB. Wie stellen Sie denn sicher, dass dies in einem zulässigen und angemessenen Rahmen bleibt?
Die Gerüchte, die Sie in Ihrer Frage verbreiten wollen, entbehren in der Realität jeder Grundlage. Tatsächlich war und ist die KVB mit den Verträgen zur hausarztzentrierten Versorgung beschäftigt, da es Vorverhandlungen wegen möglicher Dienstleistungen im Bereich der Abrechnung durch uns gab. Dazu waren Berechnungen der Verträge notwendig, um auch unsere Kosten und Aufwände genau kalkulieren zu können. Kollege Hoppenthaller hat diese Kalkulation auf Grund seiner großen Erfahrung der hausärztlichen Praxis mit unseren Analysten gemeinsam erstellt. Die Ergebnisse unserer Untersuchungen sind jetzt Grundlage der Gespräche, die wir mit dem Hausärzteverband und der Hausärztlichen Vertragsgemeinschaft geführt haben und weiter führen werden.

Das Gespräch führten MVF-Herausgeber Prof. Dr. Reinhold Roski und MVF-Chefredakteur Peter Stegmaier. <<