Der bayerische Gesundheitsminister Dr. Markus Söder (CSU) ist ein Gegner des Gesundheitsfonds, schätzt IT-Lösungen im Gesundheitswesen, warnt vor Discount- oder Fließbandmedizin und geht für die Ärzte seines Bundeslandes auf die Barrikaden, die in der derzeit laufenden Umverteilung durch den EBM 2009 noch schlechter dastehen als vorher. Und wenige Wochen vor der Bundestagswahl spricht er sich im Exklusivinterview mit „Monitor Versorgungsforschung“ (MVF) für einen Neustart des gesamten Gesundheitssystems aus.
>> Das Darlehen des Bundes an den Gesundheitsfonds zur Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) aufgrund der Wirtschaftskrise soll in einen Zuschuss umgewandelt werden. Das hat der Verwaltungsrat des GKV-Spitzenverbandes in seiner letzten Sitzung im Juni gefordert. Droht damit nicht über kurz oder lang eine Patientenversorgung je nach Kassenlage im Bundeshaushalt?
Das sehe ich derzeit nicht. Der Fonds sorgt für eine gigantische Umverteilung der Beiträge innerhalb Deutschlands. Die bayerischen Patienten müssen mehr bezahlen und bekommen eine schlechtere Versorgung als vorher. Mittlerweile schlägt auch die Finanzkrise durch. Experten rechnen in diesem Jahr mit einem Defizit im Fonds von rund 2,9 Milliarden Euro. Dieses Defizit wird heuer noch vom Bund ausgeglichen. Tatsache ist aber: Es handelt sich um Schulden der Krankenkassen, die spätestens 2011 zurückgezahlt werden müssen. Da die Beiträge an den Lohn gekoppelt sind, muss bei steigender Arbeitslosigkeit mit weiteren Ausfällen gerechnet werden. Der Fehlbetrag dürfte daher noch steigen. Um den Patienten auch weiterhin eine medizinisch hochwertige Versorgung zu gewährleisten, brauchen wir im Herbst einen Neustart im Gesundheitswesen.
Die bayerischen Hausärzte gehörten in der derzeitigen Umverteilungsphase des EBM 2009 zu den Verlierern. Welche Vorstellungen haben Sie für eine gerechtere Verteilung des - trotz der 2,9 Milliarden Euro mehr - immer noch begrenzten Honorartopfs?
Die Hausärzte werden durch die von uns durchgesetzten Verhandlungsfreiheiten zu den Gewinnern zählen. Die zentralistische Honorarreform des Bundesgesundheitsministeriums ist allerdings komplett gescheitert. Sie hat zu einer enormen Umverteilung von Süd- nach Ostdeutschland geführt. Dadurch sind massive finanzielle Verwerfungen zwischen den Fachärzten entstanden. Deshalb brauchen wir eine neue freie Gebührenordnung. Haus- und Fachärzte sind die tragenden Säulen einer wohnortnahen und flächendeckenden medizinischen Versorgung. Sie dürfen nicht benachteiligt werden.
Hat sich die Versorgung in Bayern mit dem Hausärztevertrag der AOK Bayern bereits verändert - unter Qualitäts- und/oder Wirtschaft-lichkeitsgesichtspunkten?
Der Hausarztzentrierte Vertrag der AOK Bayern ist erst im April 2009 in Kraft getreten. Es wäre verfrüht, schon jetzt eine Bewertung abzugeben. Es ist allerdings schon jetzt spürbar, dass er zu einer Befriedung im hausärztlichen Bereich beigetragen hat. Dies kommt auch den Patienten zugute.
In Bayern wird es im Zuge des AOK-Rabattvertrages zu einem Compliance-Bonus für Apotheker kommen, die die etwaig notwendigen Umstellungen der AOK-Versicherten umsetzen sollen. Die Ersparnisse, die den Pharmaherstellern abgerungen wurden, werden somit in Teilen an die Apothekerschaft verteilt. Sehen Sie die geplanten Zahlungen als gerechtfertigt an?
Generell gilt, dass im Bereich der Arzneimittelversorgung ein unübersichtliches Regelungsdickicht besteht. Die heute geltenden Vorschriften sind in sich widersprüchlich und in der Summe kontraproduktiv. Dabei liegt es gerade im Interesse der Versicherten, dass sie eine bessere Information und Aufklärung erhalten. Rabattverträge führen oft zu vermeidbaren Verunsicherungen der Patienten.
Sind die AOK-Pflegenetze in Bayern ein Zukunftsprojekt für ganz Bayern? Oder auch Deutschland?
Wir haben zwei unterschiedliche Konzepte vorliegen: eines der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns und ein weiteres der AOK Bayern, das nur deren Versicherte betrifft. Für beide muss allerdings gelten, dass im Mittelpunkt das Wohl des Patienten steht. Bewohner eines Pflegeheims müssen alle die gleiche, hochwertige Betreuung erhalten.
Was kann Deutschland von bayerischen Versorgungsformen gene-rell lernen oder auch übernehmen?
Die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns hat gute Konzepte entwickelt. Beispielsweise hat sie teilweise umgesetzt, wie eine Bezahlung nach Qualität der Leistung verbindlich funktionieren kann. Auch das bayerische Modell zur Nutzung medizinischer Großgeräte sowohl im Krankenhaus als auch im niedergelassenen Bereich ist beispielhaft. Ein Wermutstropfen ist allerdings: Viele Strukturverträge, die wir bis zur Honorarreform hatten, waren zukunftsweisend. Diese Verträge brauchen wir wieder. Deshalb fordern wir wieder mehr regionale Spielräume anstelle des Zentralismus aus dem Bundesgesundheitsministerium.
Wie steht denn die CSU zum Modell der Gesundheitsprämie?
Wir brauchen eine Entideologisierung im Gesundheitswesen. Weder die Bürgerversicherung noch die solidarische Gesundheitsprämie lösen die gegenwärtigen Probleme. Sie sind in der Praxis nicht umsetzbar und gefährden langfristig den sozialen Frieden. Wir gehen mit einem bürgerlich-förderalen Modell den Weg der goldenen Mitte.
Wie stellen Sie sich denn die Alternative der CSU zum Morbi-RSA und zum Gesundheitsfonds vor?
Wir brauchen eine patientengerechte und solidarische Finanzierung. Deshalb setzen wir weiterhin auf einen ausgewogenen Mix aus Beiträgen, sozialverträglicher Eigenbeteiligung und einen wachsenden Anteil aus der Steuer für eine soziale Familien- und Seniorenmedizin. In einer immer älter werdenden Gesellschaft brauchen wir eine demographische Dividende. Dies kann auf Dauer nur durch mehr Solidarität an Steuermitteln finanziert werden. Eine stärkere solidarische Steuerfinanzierung im Gesundheitssystem ist auch wirtschaftspolitisch sinnvoll, weil damit die Lohnnebenkosten geschont werden. Und dieser Weg ist zugleich sozialpolitisch gerecht. Bei dem jetzigen Beitragssatz oder der Eigenbeteiligung der Patienten haben wir die Obergrenze erreicht. Mehr ist dem Patienten nicht zuzumuten.
Wie sehen Sie die zukünftige Rolle der PKV?
Die Private Krankenversicherung bleibt bestehen. Sie ist gewachsener Bestandteil unseres pluralistischen Gesellschaftsmodells und im Gesundheitssystem fest verankert. Im Gegensatz zur SPD lehnt die Union eine staatliche Einheitsversicherung ab. Wir bekennen uns zu einer leistungsfähigen privaten Krankenversicherungen mit Voll- und Zusatzversicherungen.
Und was halten Sie von den Priorisierungsbemühungen des Deutschen Ärztetages?
Solche Vorschläge führen in eine Rationierung der medizinischen Leistungen. Das wird es mit uns nicht geben. Wir wollen keine Zwei-Klassen-Medizin. Stattdessen muss - unabhängig von Einkommen, Alter, sozialer Herkunft oder gesundheitlichem Risiko - eine qualitativ hochwertige, wohnortnahe medizinische Versorgung garantiert bleiben. Jeder Patient muss am medizinischen Fortschritt teilhaben können. Grundsätzlich ist genug Geld im System. Es muss nur richtig verteilt werden.
Wie stehen Sie zu dem Einbezug anderer Einkunftsarten zur Finanzierung der Krankenversicherung?
Die Einbeziehung weiterer Einkunftsarten würde nur zu weiteren bürokratischen Hürden führen. Dieser Aufwand würde in keinem Verhältnis zum Mehrwert stehen. Wir haben bereits zuviel Bürokratie im Gesundheitswesen.
Der neu eingeführte Basistarif der PKV stößt bislang auf eine eher geringe Resonanz. Trifft dies Ihre Erwartungen?
Es zeigt vor allem eines: Die Patienten sind durch die staatsmedizinischen Vorgaben aus dem Bundesgesundheitsministerium massiv verunsichert. Deshalb brauchen wir einen Neustart im Gesundheitswesen. Die Menschen sollen wieder mehr Vertrauen ins System haben können.
Die Ärztegewerkschaft Marburger Bund fordert angesichts steigender Gesundheitskosten eine staatlich geförderte private Zusatzkrankenversicherung. Was halten Sie davon?
Schon heute können die Krankenkassen in ihren Satzungen die Zusammenarbeit mit der Privaten Krankenversicherung bestimmen. Von dieser Möglichkeit haben meines Wissens auch fast alle Krankenkassen Gebrauch gemacht. Auf diesem Wege werden vor allem preisgünstige Zusatzkrankenversicherungen vermittelt.
Wie stehen Sie zu einer fakultativ stärkeren Eigenbeteiligung über Mali oder auch Boni-Programme, wie sie Josef Hecken (BVA) im Titel-interview „Monitor Versorgungsforschung“ 03/09 fordert. Wäre die über Anreize gestärkte Eigenbeteiligung/Verantwortung von Patienten ein Weg aus der (drohenden) Unterfinanzierung?
Eigenverantwortung gehört zu den konservativen Grundprinzipien. Grundsätzlich ist es sinnvoll, Menschen für ein gesundheitsbewusstes Verhalten zu belohnen. Durch eigenverantwortliches Handeln könnten im Gesundheitswesen erhebliche Kosten eingespart werden. Doch dies wird nie ausreichen. Deshalb kommt es uns auf einen patientengerechten und ausgewogenen Mix an. Natürlich wäre es unseriös und unehrlich, den Menschen vorzugaukeln, Gesundheit würde in einer älter werdenden Gesellschaft billiger. Spitzenmedizin muss für jeden Patienten gewährleistet werden. Dazu braucht es eben eine demographische Dividende, die stärker von der Solidargesellschaft finanziert werden muss. Nochmal: Den Patienten sind keine höheren Eigenbeteiligungen und Beiträge mehr zuzumuten.
Ist die ärztliche Selbstverwaltung, allen voran die Institution der KV, eine Institution, die wir auch in den nächsten zehn Jahren noch brauchen?
Es braucht eine starke Vertretung der Ärzteschaft. Deshalb treten wir dafür ein, auch den Dienstleistungscharakter der Kassenärztlichen Vereinigungen zu betonen. Durch die zentralistischen Vorgaben aus Berlin verliert die Kassenärztliche Vereinigung jedoch auf Bundesebene zunehmend ihre Unabhängigkeit - in der Folge damit auch ihre Akzeptanz bei der Basis der Ärzte. Dies war in den unzähligen Gesprächen mit niedergelassenen Ärzten erkennbar, die ich in den vergangenen Wochen und Monaten geführt habe.
Würden Sie anderen Verbänden - wie z.B. dem Deutschen Hausärzteverband - die Wahrnehmung des Sicherstellungsauftrages denn eher zutrauen als der KV?
Diese Frage stellt sich nicht. Wir wollen, dass auch in Zukunft die gesundheitliche Versorgung vor allem durch niedergelassene Ärzte, d.h. Hausärzte und Fachärzte, gewährleistet wird.
Wäre es nicht an der Zeit, den „gordischen Knoten“ zu durchschlagen, den eine Serie von Gesundheitsreformen und Gesetzesänderungen im Bereich Gesundheitspolitik geschaffen hat? Was wäre zu tun, um zu einer generellen zukunftsfähigen Neukonzeption unseres Gesundheitssystems zu kommen, wozu sicher erst einmal mehr Wissen - vornehmlich aus der Versorgungsforschung - die Voraussetzung sein wird?
Die Zukunft des Gesundheitssystem steht vor großen ökonomischen, sozialen und demographischen Herausforderungen. Deshalb brauchen wir im Herbst einen Neustart im Gesundheitswesen. Die CSU setzt dabei auf ein bürgerlich-föderales Gesundheitsmodell: Wir wollen wieder mehr Therapie statt Bürokratie, mehr Regionalität statt Zentralismus. Zudem geht es wieder um mehr Freiberuflichkeit statt Staatsmedizin. Wir bekennen uns zum Arztberuf als freien Beruf. Denn freie Ärzte und Patienten sind die Basis der medizinischen Versorgung. Eine wohnortnahe und flächendeckende Versorgung muss gerade auch im ländlichen Raum gewährleistet sein. Die Versorgungsforschung liefert dabei wichtige Erkenntnisse zum Versorgungsbedarf, den entsprechenden Strukturen oder Prozessen. Sie ist ein wichtiger Teil der Gesundheitsforschung. Deshalb muss die Versorgungsforschung an den bayerischen Universitäten weiter gefördert werden. <<
Das Gespräch führte MVF-Chefredakteur Peter Stegmaier