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„Wir müssen uns den Veränderungen stellen“

Marion Caspers-Merk (MdB), Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Gesundheit

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Erstveröffentlichungsdatum: 01.10.2009

Plain-Text

>> Den Nationalen Krebsplan hatten Bundesgesundheitsministerium, die Deutsche Krebsgesellschaft, die Deutsche Krebshilfe und die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren bereits im Juni 2008 vorgestellt – mit dem Ziel, die onkologische Versorgung der Patientinnen und Patienten weiter zu verbessern, die Früherkennung zu stärken und die Zusammenarbeit aller Akteure voran zu bringen. Nun wird aktuell die erste Phase gestartet, auf die wir gleich eingehen werden. Doch vorab, sehr geehrte Frau Staatssekretärin Caspers-Merk: Hat sich denn im zurückliegenden Jahr in der onkologischen Versorgung schon etwas verbessert oder warten sozusagen alle Beteiligten auf den großen Startschuss?
Die Handlungsfelder des Krebsplans werden natürlich in der täglichen Praxis bereits umgesetzt. Klinische Krebsregister gehören in vielen Regionen zum Alltag, sind aber noch nicht flächendeckend in Deutschland vorhanden. Auch haben sich viele Einrichtungen den Anforderungen an ein Qualitätssiegel gestellt, um so auch den Patientinnen und Patienten zu zeigen, dass in diesen Zentren eine qualitativ hochwertige Versorgung stattfindet. So haben Krankenhäuser und Praxen bereits Zertifikate beispielsweise für die Anerkennung als Brustkrebs-, Darmkrebs- oder Prostatakrebszentrum oder als Gynäkologisches Krebszentrum erworben. Darüber hinaus fördert die Deutsche Krebshilfe einige onkologische Spitzenzentren an universitären Einrichtungen. Diese Beispiele zeigen, dass bereits jetzt Verbesserungen im onkologischen Versorgungsalltag vorangetrieben werden.

Dennoch: Die flächendeckende einheitliche Umsetzung der bewiesenermaßen wirkungsvollen Maßnahmen fehlt noch.
Die Versorgung der an Krebs erkrankten Patientinnen und Patienten steht nicht still. Im Gegenteil – gerade in der onkologischen Versorgung findet ein stetiger Wandel statt. Alle Beteiligten müssen sich den schnellen Veränderungen stellen, sei es unter therapeutischen, aber auch unter wettbewerblichen Gesichtspunkten. Daher ist der Nationale Krebsplan als langfristiges Kooperations- und Koordinierungsprogramm angelegt und konzentriert sich bis 2010 zunächst auf vier Handlungsfelder:
1. Weiterentwicklung der Krebsfrüherkennung,
2. Weiterentwicklung der onkologischen Versorgungsstrukturen und Qualitätssicherung,
3. Sicherstellung einer effizienten onkologischen Behandlung und
4. Stärkung der Patientenorientierung.
Die Steuerungsgruppe des Nationalen Krebsplans, in der die für die onkologische Versorgung maßgeblichen Akteure der Ärzteschaft, Krankenkassen, Krankenhäuser, Wissenschaft und Patientenverbände vertreten sind, wurde im Juli 2008 konstituiert und hat sich auf insgesamt 13 Ziele und zahlreiche Teilziele in den vier übergeordneten Handlungsfeldern verständigt.

Wie wurde die Arbeit am Krebsplan denn von den Beteiligten aufgenommen?
Die Arbeit an den Handlungsfeldern des Nationalen Krebsplans ist sehr konsequent und unter großem Einsatz von inzwischen 20 beteiligten Organisationen aufgenommen und angegangen worden. Mehr als 100 Experten haben sich in verschiedenen Arbeitsgruppen zu drei Handlungsfeldern (1, 2 und 4) getroffen und sind einen großen Schritt aufeinander zu und miteinander gegangen, um Maßnahmen und Umsetzungsempfehlungen zu den jeweiligen Zielen und Teilzielen zu erarbeiten.

Was ist denn mit Handlungsfeld 3?
Für das Handlungsfeld 3 wurde zunächst der Auftrag für ein wissenschaftliches Fachgutachten vergeben, welches das komplexe Thema der „Sicherstellung einer effizienten onkologischen Arzneimittelversorgung“ unter medizinischen, gesundheits­ökonomischen und leistungsrechtlichen Aspekten vorstrukturieren und aufbereiten soll. Nach Vorliegen des Gutachtens im Herbst 2009 soll eine Arbeitsgruppe eingerichtet werden, die auf dieser Grundlage umsetzungsfähige Handlungsempfehlungen erarbeiten soll. Bei der ersten Nationalen Krebskonferenz am 23. Juni 2009 wurde der Stand der Arbeiten am Nationalen Krebsplan der Fachöffentlichkeit vorgestellt und diskutiert. Die sich hieraus ergebenden Anregungen werden in den Arbeitsgruppen des Krebsplans aufgenommen.

Im Jahr 2006 nahmen weniger als die Hälfte der Frauen (48 Prozent) und deutlich weniger Männer (21 Prozent) die zur Verfügung gestellten Krebsfrüherkennungs­untersuchungen in Anspruch. Ein Meilenstein der Krebsfrüherkennung war sicherlich die Einführung des bevölkerungsweiten und qualitätsgesicherten Mammographie-Screenings im Jahr 2004. Zudem können seit Juli 2008 gesetzlich Versicherte ab 35 Jahren alle zwei Jahre an einem Hautkrebs-Screening teilnehmen. Wie wurden diese Programme angenommen? Wie sehen die aktuellen Zahlen aus? Wie bewerten Sie die Zahlen?“
Zunächst zwei grundsätzliche Anmerkungen zu dieser Frage: Deutschland nimmt sowohl beim Mammographie-Screening als auch beim Hautkrebs-Screening international eine herausragende Stellung ein. Kein anderes Land verfügt über ein solch großes und modernes qualitätsgesichertes Brustkrebsfrüherkennungsprogramm wie Deutschland, und in keinem anderen Land wird eine Hautkrebsfrüherkennung angeboten.
Nur durch eine langjährige gemeinsame Kraftanstrengung ist es gelungen, für über zehn Millionen anspruchsberechtigte Frauen ein flächendeckendes und qualitätsgesichertes Mammographie-Screening-Programm einzuführen. Das deutsche Mammographie-Screening orientiert sich eng an den Vorgaben der „Europäischen Leitlinien zur Qualitätssicherung des Mammographie-Screenings“. Das aufwändige Programm sieht alle zwei Jahre eine schriftliche Einladung aller Frauen im Alter zwischen 50 und 69 Jahren vor, und zwar unabhängig von deren jeweiligem Versichertenstatus. Die Frauen werden auf der Basis amtlicher Meldedaten von so genannten Zentralen Stellen direkt in eine zertifizierte Screening-Untersuchungseinrichtung eingeladen, die bestimmte qualitätssichernde Auflagen erfüllen muss. Die Qualitätsanforderungen betreffen sowohl die Röntgentechnik als auch das dort tätige Personal. So erfolgt zum Beispiel eine doppelte Befundung aller Screening-Mammographie-Aufnahmen durch zwei unabhängige Ärztinnen oder Ärzte. Sollten sich in den Aufnahmen Auffälligkeiten zeigen, die auf eine Brustkrebserkrankung hinweisen könnten, erfolgt zusammen mit der Ergebnismitteilung eine weitere Einladung der betroffenen Frau zur kurzfristigen weiteren Abklärung.

Aber wie sieht denn der aktuelle Status aus?
Nachdem die organisatorische Einführung des Mammographie-Screenings durch die „Kooperationsgemeinschaft Mammographie“ (www.mammo-programm.de) vor einem halben Jahr erfolgreich abgeschlossen wurde, nehmen derzeit im Durchschnitt rund 54 Prozent der eingeladenen Frauen teil. Mehr als jede zweite Frau entscheidet sich aktuell also für das Screening. Das ist für das noch junge Programm ein beachtlicher Erfolg. Denn viele Elemente an dem Programm sind neu und ungewöhnlich. Bisher gab es in Deutschland zum Beispiel kein zentrales Einladungswesen für eine Früherkennungsuntersuchung. Auch „Screening-Einheiten“ waren bisher unbekannt. Die Frauen müssen zunächst das Programm kennenlernen und Vertrauen gewinnen. Eine vom Bundesministerium für Gesundheit geförderte Studie der „Women‘s Health Coalition“ und der „Frauenselbsthilfe nach Krebs“ hat gezeigt, dass das Programm von den Frauen gut angenommen wird. Demnach würden 90 Prozent der Teilnehmerinnen bei der nächsten schriftlichen Einladung wieder am Screening teilnehmen, und 89 Prozent würden das Programm ihren Freundinnen, Bekannten oder Verwandten weiterempfehlen. Dies zeigt, dass sich das Mammographie-Screening in Deutschland auf einem guten Weg befindet.
Was das Hautkrebs-Screening betrifft, so sind etwa 40 Millionen gesetzlich versicherte Frauen und Männer ab 35 Jahren zur Teilnahme berechtigt. Das Hautkrebs-Screening wurde erst zum 1. Juli 2008 eingeführt und umfasst eine zweijährliche standardisierte visuelle Ganzkörper­inspektion. Ziel ist die frühzeitige Entdeckung der drei häufigsten Hautkrebsarten. Hierzu zählen das Maligne Melanom, der so genannte „schwarze Hautkrebs“, sowie das Basalzellkarzinom und das Spinozelluläre Karzinom, beide werden als „weißer Hautkrebs“ bezeichnet. Einer vorsichtigen Schätzung des Berufsverbandes der Deutschen Dermatologen zufolge haben seit der Einführung ca. 5 Millionen Frauen und Männer das Angebot wahrgenommen. Genaue Zahlen zum Teilnahmeverhalten werden jedoch erst im Rahmen einer vom Gemeinsamen Bundesausschuss vorgesehenen Evaluation des Hautkrebs-Screenings zur Verfügung stehen. Diese Evaluation wird derzeit im Gemeinsamen Bundesausschuss vorbereitet. Ich hoffe, dass das Hautkrebs-Screening in der Bevölkerung auf eine ebenso positive Resonanz stößt wie das Mammographie-Screening.

Eine Expertengruppe des Nationalen Krebsplans hat nun seit einem Jahr Maßnahmen und Empfehlungen erarbeitet, mit denen die Teilnahme an Krebsfrüherkennungs­untersuchungen erhöht werden können. Welche Arbeitsergebnisse der Expertengruppe haben für Sie die besten Chancen, positiv steuernd einzugreifen?“
Im Handlungsfeld „Weiterentwicklung der Krebsfrüherkennung“ des Nationalen Krebsplans besteht Handlungsbedarf vornehmlich in drei großen Bereichen:
Erstens soll die Bevölkerung dafür sensibilisiert werden, das bereits bestehende Krebsfrüherkennungsangebot stärker zu nutzen. Wie Sie vorhin bereits angemerkt haben, nehmen lediglich 48 Prozent der anspruchsberechtigten Frauen und gerade einmal 21 Prozent der Männer an Krebsfrüherkennungsuntersuchungen teil. Es ist unbefriedigend, dass viele Menschen durch teilweise irreführende oder widersprüchliche Informationen von der Teilnahme an sinnvollen Untersuchungen abgehalten werden. Andererseits sind jedoch viele gesetzlich Versicherte bereit, privat Geld für überflüssige oder potenziell schädliche Krebsfrüherkennungs­untersuchungen auszugeben, die aus guten Gründen nicht im Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung enthalten sind. Daher ist eines der wichtigen Ziele des Nationalen Krebsplans durch verbesserte, zielgruppenspezifische Informationsangebote zu Nutzen und Risiken der Krebsfrüherkennung mehr Menschen die Entscheidung für eine Teilnahme zu ermöglichen. Ein zentraler Ansatz ist die Weiterentwicklung und Verbreitung von qualitativ hochwertigen, objektiven und verständlichen Informationen zu Chancen und Risiken der Krebsfrüherkennung. Zur Diskussion stehen zum Beispiel die Etablierung eines unabhängigen Netzwerkes zur Krebsfrüherkennungsinformation, aber auch Fortbildungen der Gesundheitsberufe sowie der Einsatz eines einheitlichen Präventionspasses.
Zweitens wollen wir – nach dem Vorbild des Mammographie-Screenings – weitere Krebsfrüherkennungsuntersuchungen auf Basis entsprechender Europäischer Leitlinien in organisierte Screening-Programme mit einem Einladungssystem überführen. Durch organisierte, qualitätsgesicherte Programme können potenzielle Risiken minimiert und der Nutzen maximiert werden. Für eine Umstellung bieten sich derzeit vor allem die Gebärmutterhalskrebs-Früherkennung und die Darmkrebs-Früherkennung an, da hierzu bereits Europäische Leitlinien vorliegen bzw. kurz vor der Fertigstellung stehen. Derzeit wird intensiv an Lösungsansätzen gearbeitet, wie eine konkrete Überführung der Gebärmutterhalskrebs- und der Darmkrebs-Früherkennung in organisierte Programme ausgestaltet werden könnte.
Drittens wollen wir die bestehenden Krebsfrüherkennungsprogramme in verstärktem Maße als bisher auf ihren Nutzen, ihre Qualität und ihre möglichen Risiken hin wissenschaftlich untersuchen. Solche Evaluationsergebnisse sind eine unverzichtbare Grundlage für die künftige Ausgestaltung von Früherkennungsprogrammen. Besondere Relevanz hat der schlüssige Nachweis einer Sterblichkeitssenkung durch organisierte Krebsfrüherkennungsprogramme. Eine schwierige Herausforderung ist allerdings die Erarbeitung notwendiger rechtlicher, auch datenschutzrechtlicher und finanzieller Rahmenbedingungen auf Bundes-, Landes- und Selbstverwaltungsebene. Ich hoffe aber, dass mit dem neuen Bundeskrebsregisterdatengesetz ein wertvoller Beitrag zur Evaluation geleistet werden kann, da mit dem Gesetz die Beschreibung des Krebsgeschehens in Deutschland durch eine bevölkerungsbezogene Beobachtung und Auswertung sichergestellt wird.
Alles in allem betrachtet, bedarf es eines ganzen Bündels an Maßnahmen, um, wie Sie es ausdrücken, positiv steuernd bei der Krebsfrüherkennung einzugreifen. Im Idealfall sollten die Maßnahmen synergistisch wirken und sich gegenseitig verstärken. Wenn es uns gelingt, die vorhin skizzierten Maßnahmen in der nächsten Zeit gemeinschaftlich und einvernehmlich umzusetzen, wird die Krebsfrüherkennung einen ungeahnten Aufwind in Deutschland und ein gesteigertes internationales Ansehen erfahren.

In der ersten Phase des Nationalen Krebsplans sollen in diesem und im nächsten Jahr vier Bereiche umgesetzt werden: die Weiterentwicklung der Krebsfrüherkennung, die Weiterentwicklung der onkologischen Versorgungsstrukturen und der Qualitätssicherung sowie die Sicherstellung einer effizienten onkologischen Arzneimittel-Therapie. Außerdem soll die Patientenorientierung in den beteiligten Bereichen steigen. Wo sehen Sie die größten Wirkhebel für eine Verbesserung der onkologischen Versorgung?“
Jedes einzelne Handlungsfeld verfolgt essenzielle Ziele und Teilziele sowie sich hieraus ergebende Maßnahmen und Umsetzungsempfehlungen. Dabei gibt es zum Teil inhaltliche Überschneidungen und Ergänzungen. Es gilt nun, dieses große Potenzial für Synergien sinnvoll zu nutzen. Die nachfolgenden Beispiele zeigen auf, an welchen Stellen diese Synergien möglich und notwendig sind.
So befasst sich im Bereich der Krebsfrüherkennung ein Ziel mit der Verbesserung von ausgewogenen und hochwertigen Informationen für Bürgerinnen und Bürger zu den Vor- und Nachteilen der einzelnen Früherkennungsangebote. Gleichzeitig brauchen auch bereits an Krebs Erkrankte und ihre Angehörigen qualitätsgesicherte und seriöse Informationen, um sich bei der Bewältigung ihrer Erkrankung besser orientieren zu können. Ich bin froh darüber, dass der Krebsplan die informationellen, psychosozialen und emotionalen Bedürfnisse der Kranken im Handlungsfeld „Patientenorientierung“ gezielt aufgegriffen hat. Als ein großer Erfolg ist zu werten, dass die Partner des Nationalen Krebsplans ein „Netzwerk Krebsinformation“ gegründet haben. Ich hoffe, dass sich dieses Netzwerk in Zukunft zu der zentralen Anlaufstelle für qualitativ hochwertige und neutrale Krebsinformation entwickeln wird.
Die Diagnose Krebs stellt die Patientinnen und Patienten oftmals vor eine schwierige Situation. In kurzer Zeit müssen viele Entscheidungen getroffen werden, zu der auch die Wahl der weiterbehandelnden Einrichtung gehört. Oftmals sind die Betroffenen hierbei überfordert. An dieser Stelle können Qualitätssiegel helfen. Für einige Krebserkrankungen gibt es bereits zertifizierte Behandlungszentren. Es existieren aber derzeit mehrere Zertifizierungsverfahren, und dies trägt nicht zur Übersichtlichkeit für die Betroffenen bei. Ein Ziel des Nationalen Krebsplans ist, die Orientierung für alle Beteiligten zu erleichtern, damit sie sicher sind, eine qualitativ hochwertige Einrichtung auswählen zu können. Dies kann durch einheitliche Konzepte und Bezeichnungen für die Zertifizierung onkologischer Behandlungseinrichtungen erreicht werden.

Für die Patientinnen und Patienten ist es wichtig, dass sie sich auf eine qualitativ hochwertige Behandlung verlassen können. Wie soll das sichergestellt werden?
Leitlinien können hierzu eine hilfreiche Unterstützung im klinischen Alltag bieten, da sie evidenzbasierte Handlungsempfehlungen geben und so eine angemessene Behandlung gewährleisten können. Für einige wenige Krebsarten konnten bereits Behandlungsleitlinien erarbeitet werden, die den neuesten Stand des medizinischen Wissens definieren und Ärztinnen und Ärzte zur Verfügung stehen. Es gilt nun, für weitere Krebserkrankungen Leitlinien zu entwickeln und umzusetzen. Auch sollen hieraus Qualitätsindikatoren abgeleitet werden können, anhand derer Rückschlüsse auf die Ergebnisqualität gezogen werden können. Zusätzlich soll der Nutzen der Leitlinien evaluiert werden.
Zukünftig sollen die Informationsmöglichkeiten über die Qualität der Versorgung weiter gestärkt werden. Klinische Krebsregister können dazu einen wesentlichen Beitrag leisten. Dadurch können die Patientinnen und Patienten und alle Beteiligten bessere Auskünfte über die individuelle onkologische Versorgung erhalten. Außerdem kann hinterfragt werden, ob die Patientinnen und Patienten das gerade für sie Notwendige an Therapie auch wirklich erhalten haben.
Die alleinige Verbesserung der Qualität des Informationsangebots greift aber zu kurz. Es geht im Nationalen Krebsplan auch darum, die Betroffenen zu Partnern in allen medizinischen Entscheidungsprozessen werden zu lassen. Erfahrungen dazu liegen durch die vom Bundesministerium für Gesundheit geförderten Modellprojekte „Patient als Partner“ vor. Diese haben gezeigt, dass die Einbeziehung von Patientinnen und Patienten zu verbesserten Behandlungseffekten und zu einer höheren Zufriedenheit von Patientinnen und Patienten sowie Ärztinnen und Ärzten führen kann.

Die Handlungsfelder, die Ziele und Teilziele des Nationalen Krebsplans dürfen eben nicht isoliert, sondern in ihrer Gesamtheit und inhaltlichen Verknüpfung betrachtet werden. Aber auch in der Frage der Struktur: Eine strukturierte Versorgung von Krebspatienten bräuchte sicher sowohl ein dichtes Netz als auch eine Versorgung ohne Sektorengrenzen, einen ebenso engen wie möglichst friktionslosen Link zwischen klinischer Versorgung in Kompetenzzentren mit einer ebenso hochqualitativen ambulanten Facharztversorgung. Ist das pure Vision? Wo sehen Sie positive Ansätze?“
Im Handlungsfeld 2 des Nationalen Krebsplans wenden wir uns verstärkt den von Ihnen angesprochenen Aufgaben zu. Lassen Sie mich aber deutlich machen, dass auch schon viel in Deutschland durch das Engagement der an der Krebsversorgung Beteiligten passiert ist. Am Beispiel der onkologischen Zentren zeigt sich, dass die strukturelle Kooperation bei bestimmten Krebserkrankungen gerade diese Punkte im Fokus hat und eine qualitativ hochwertige Versorgung für die Patientinnen und Patienten gewährleisten kann, das heißt insbesondere reibungslosere Übergange zwischen den Sektoren. Und hierbei ist nicht nur der Wechsel zwischen stationär und ambulant gemeint. Auch innerhalb eines Sektors verbessert sich die Kooperation zwischen den an der Behandlung beteiligten Berufsgruppen, idealerweise sollte auch der rehabilitative Bereich eingebunden werden. Wir können bereits jetzt positive Ansätze feststellen und bemühen uns weiter um eine stetige Verbesserung.

Der Nationale Krebsplan soll auch den Ausbau sowie eine bessere Vernetzung von klinischen und epidemiologischen Krebsregistern voranbringen. Wie ist her der aktuelle und vor allem der politisch gewollte Qualitätsstatus? Wie sehen Sie die Rolle der Versorgungsforschung in diesem Zusammenhang?“
Die onkologische Versorgung in Deutschland braucht den internationalen Vergleich nicht zu scheuen. Wir verfügen über sehr gute Einrichtungen und die Patientinnen und Patienten können weitgehend sicher sein, qualitativ hochwertig versorgt zu werden. Aussagekräftige Informationen über die Qualität stehen aber noch nicht für alle Einrichtungen in Deutschland im gleichen Maße zur Verfügung. Deshalb sprechen wir uns für flächendeckende klinische Krebsregister aus, die auch eng mit den epidemiologischen Krebsregistern vernetzt sein sollen, um die verfügbaren Daten effektiv zu nutzen. Nur so kann eine aussagefähige Krebsbericht­erstattung erfolgen. Dies setzt viel Arbeit voraus: einheitliche Datensätze müssen geschaffen werden, die Inhalte müssen mit den onkologischen Leitlinien abgeglichen werden, und die Ergebnisse sollten in die Weiterentwicklung der Leitlinien einfließen. Um die Effekte, die durch die Einführung klinischer Krebsregister zu erwarten sind, besser einschätzen zu können, werden wir in Kürze eine Aufwand-Nutzen-Abschätzung durchführen.
Um auf Ihre Frage zur Versorgungsforschung zu kommen: diese hat einen sehr hohen Stellenwert im gesamten Nationalen Krebsplan. Wir haben in allen Handlungsfeldern Forschungsbedarf ermittelt, sowohl für klinische Studien als auch für Studien der Versorgungsforschung. Und gerade im Bereich der klinischen und epidemiologischen Krebsregister werden sich viele Fragen ergeben, die nur die Versorgungsforschung beantworten kann. Hier hoffen wir natürlich auch auf ein reges Interesse seitens der Wissenschaft.

Eine strukturierte und vor allem evidenzbasierte Behandlung von Krebserkrankungen würde allgemein anerkannte nationale Leitlinien auch bei schwierigen und seltenen Krebserkrankungen erfordern. Was kann die Politik tun, um nationale onkologische Leitlinien zu fördern?
Alle an Krebs erkrankten Patientinnen und Patienten haben Anspruch, in Deutschland eine qualitativ hochwertige Behandlung zu erhalten. Unbestritten ist sicherlich, dass in Deutschland derzeit zu wenige nationale onkologische Leitlinien vorhanden sind. Daher hat die Entwicklung von onkologischen Leitlinien im Handlungsfeld 2 des Nationalen Krebsplans einen wichtigen Platz. Die erforderliche Priorisierung der anstehenden Arbeiten erfordert eine genaue Betrachtung der Häufigkeit der Tumorart, des Bedarfs an Entscheidungshilfen und auch eine Berücksichtigung des Vorhandenseins ausreichender Kompetenz. Diese Entscheidung fällt allerdings in den Ermessensspielraum der zuständigen Expertinnen und Experten. Die Politik kann und muss den Rahmen dafür geben. Diesen haben wir mit dem Nationalen Krebsplan geschaffen, und der intensive Dialog zeigt uns, dass dieses Angebot von den Beteiligten angenommen wird.

Krebs ist eine Indikation im Morbi-RSA. Nun sagen Fachleute, dass die Arzneimitteltherapie als Aufgreifkriterium in der Onkologie nicht gerade relevant ist. In den Niederlanden sind deshalb zum Beispiel nur diejenigen Arzneimittel für die Morbi-RSA-Systematik zugelassen, die stationär ausgelöst wurden, was eine höhere Prognosegenauigkeit ergeben soll. Halten Sie unseren Morbi-Ansatz, bei dem ambulant eingesetzte Arzneimittel zuschlagsauslösend sind, für wirklich ausreichend?“
Aufgrund der bestehenden rechtlichen Regelungen ist für die Festlegung, für welche Versicherten die Krankenkassen einen Zuschlag aus dem Gesundheitsfonds erhalten, das Bundesversicherungsamt zuständig. Dort wird die Ansicht geteilt, dass eine Arzneimitteltherapie als Aufgreifkriterium bei onkologischen Erkrankungen nicht geeignet ist. Für die im Morbi-RSA berücksichtigten onkologischen Erkrankungen werden keine Arzneimittel als Aufgreifkriterium gefordert, da bei vielen soliden Tumoren eine Chemotherapie im frühen Stadium nicht erforderlich ist. Auch in der Nachsorge sind in vielen Fällen keine spezifischen Arzneimittel erforderlich. Eine Arzneimitteltherapie als Aufgreifkriterium bei onkologischen Erkrankungen zur Auslösung eines Zuschlages würde daher eher falsche Anreize im Hinblick auf Frühentdeckung und Nachsorge setzen. Wie bei den übrigen im Morbi-RSA berücksichtigten Krankheiten stellen daher auch bei den onkologischen Erkrankungen Diagnosen das Aufgreifkriterium dar.

Zusatzfrage zum MRSA: Wie beurteilen sie die bisherige Codier-Qualität im ambulanten Bereich sowie die derzeitigen – sagen wir es vorsichtig – Nachcodierungs-Bemühungen der Kassen? Wo sehen Sie ansonsten Probleme in der Richtigkeit und Genauigkeit der für die Entscheidungen herangezogenen Daten?“
Bei den onkologischen Erkrankungen sind dem Bundesversicherungsamt noch keine Auffälligkeiten bezüglich der von Ihnen angesprochenen Nachcodierungs-Bemühungen aufgefallen. Über alle Tumorentitäten zusammengenommen entspricht die Häufigkeit der kodierten onkologischen Erkrankungen den Prävalenzangaben aus dem etablierten Saarländischen Krebsregister.
Qualitätsabstriche ergeben sich nach den Erfahrungen des Bundesversicherungsamtes aber bei der Genauigkeit der Tumorlokalisation und der fehlenden Differenzierung zwischen Neuerkrankungen und in der Nachsorge stehenden Patienten. Durch die Einführung ambulanter Kodierrichtlinien ist aber zu erwarten, dass sich hier in Zukunft die Qualität weiter verbessert.
Im Hinblick auf die Nachkodierungs-Bemühungen der Krankenkassen hat die Regierungskoalition inzwischen Gegenmaßnahmen ergriffen. Im Rahmen der 15. AMG-Novelle wurde mit der Neuregelung des § 273 SGB V zur Sicherung der Datengrundlagen für den RSA die Möglichkeiten des Bundesversicherungsamtes verbessert, unzulässige Erhebungen und Veränderungen der Daten festzustellen und zu sanktionieren. Die Regelung soll sicherstellen, dass Krankenkassen nur noch rechtmäßig übermittelte und erhobene Daten für die Durchführung des RSA verwenden. <<
Das Gespräch führten MVF-Herausgeber Prof. Dr Reinhold Roski und MVF-Chefredakteur Peter Stegmaier