Wissenstransfer aus der Forschung in die Routineversorgung von Lungenkrebs
Gerhard Schillinger / Kron Anna
Lungenkrebs ist eine der häufigsten Tumorerkrankungen und die häufigste Krebstodesursache in Deutschland.1,2 Nur etwa 1/3 der nicht-kleinzelligen Lungenkarzinome (NSCLC), das in 80% aller Lungenkrebsfälle vorliegt, ist bei der Erstdiagnosestellung operabel.3 Für Patienten mit einem fortgeschrittenen oder nicht kurativ behandelbaren NSCLC wurden über Jahrzehnte in der systemischen Therapie, meist mit einer Chemotherapie, nur marginale Verbesserungen hinsichtlich des Ansprechens und Überlebens erreicht. Mit der Entdeckung, dass das Wachstum eines Teils der Tumoren durch eine aktivierende Mutation der Tyrosinkinase angetrieben wird, und sich diese zielgerichtet hemmen lassen, gab es im Feld der Präzisionsmedizin, auch personalisierte Medizin genannt, seit etwa zehn Jahren erhebliche Fortschritte bei der Behandlung von Lungenkrebs.4 Somit können heute ca. 30% aller NSCLC Patienten im fortgeschrittenen Stadium personalisiert bzw. zielgerichtet behandelt werden.4 Patienten mit NSCLC und Mutation im EGF-Rezeptoren haben in randomisierten Studien bei der Behandlung mit einem TKI höhere Ansprechraten, ein längeres progressionsfreies Überleben und geringere Nebenwirkungen im Vergleich zu einer zytotoxischen Chemotherapie.8 Zudem haben mehrere Behandlungskohorten weltweit eine Verbesserung des Gesamtüberlebens mit der personalisierten Medizin für Lungenkrebs gezeigt.9 Die im Kölner Netzwerk Genomische Medizin (NGM) Lungenkrebs erfassten Patienten zeigten im Vergleich zu einer historischen Kontrollgruppe mit den betreffenden Treibermutationen eine signifikante Verlängerung des Gesamtüberlebens von im Median 21,9 Monaten bei EGFR-positiven und 12 Monaten bei ALK-positiven NSCLC Patienten.10
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Erstveröffentlichungsdatum: 04.04.2019
Abstrakt: Wissenstransfer aus der Forschung in die Routineversorgung von Lungenkrebs
In der Behandlung von nicht-kleinzelligem Lungenkrebs (NSCLC) wurden mit der Präzisionsmedizin in den vergangenen zehn Jahren erhebliche Fortschritte hinsichtlich des Ansprechens auf die Therapie, der Lebensqualität und der Verlängerungen des Überlebens erreicht. In der durchgeführten Analyse von Routinedaten der AOK zeigt sich, dass dieses komplexe Behandlungskonzept jedoch nur einen Teil der Patienten erreicht, was auch für die Gruppe der Patienten gilt, die in Lungenkrebszentren behandelt werden. Daneben erfassen die im vertragsärztlichen Sektor durchgeführten molekularpathologischen Tests nur in 42% der Fälle wenigstens die Treibermutationen in EGFR-, ALK- und ROS1-Genen, auf BRAF-V600-Mutationen wurde in nur 2% der Fälle untersucht. Die aktuelle Situation lässt auf eine Fehlversorgung, verbunden mit einem Verlust an potenziellen Lebensjahren beim Lungenkrebs schließen. Eine Vernetzung aus hochspezialisierten Zentren (Netzwerkzentren) mit den behandelnden Ärzten und Krankenhäusern (Netzwerkpartnern) soll einen schnellen Wissenstransfer der Präzisionsmedizin aus der Forschung in die Versorgung von Patienten mit NSCLC ermöglichen. In diesem nationalen Netzwerk Genomische Medizin (nNGM) Lungenkrebs erfolgt die molekularpathologische Diagnostik auf höchstem Qualitätsniveau in den spezialisierten Netzwerkzentren, die Netzwerkpartner werden anschließend von den interdisziplinären Experten der Netzwerkzentren zu möglichen Therapieoptionen (auch in gemeinsamen Tumorboards) beraten. Die Behandlung von Patienten soll im nNGM-Lungenkrebs weiterhin möglichst dezentral durch die Netzwerkpartner erfolgen. Patienten mit Treibermutationen, für die es keine zugelassene Therapie gibt, werden wann immer möglich, in klinische Studien eingeschlossen. Es wurden für diese Versorgung Verträge mit AOKs geschlossen, Verträge mit den Ersatzkassen sind kurz vor dem Abschluss und weitere Krankenkassen und Netzwerkzentren können den Verträgen beitreten. Durch die Netzwerkbildung sollen Patienten überall in Deutschland unabhängig von ihrem Wohn- und/oder Behandlungsort immer die bestmögliche Behandlung erhalten.
Abstract: Knowledge transfer from research to the routine care of lung cancer
Over the last ten years, significant improvements have been achieved in the treatment of non-small cell lung cancer (NSCLC) by the use of precision medicine regarding the response to therapy, quality of life and prolonged overall survival. Nevertheless, using nationwide claims data of the AOK (Local Health Funds), the analysis shows that this complex concept of treatment only reaches a proportion of suitable patients. This includes patients treated in lung cancer centers. In addition, if genetic analysis is done in the outpatient sector, only 42% of patients were tested for at least the driver mutations in EGFR, ALK and ROS1. For BRAF-V600 mutations, only 2% of the patients were analyzed. A clinical network of highly specialized cancer centers (network centers) with attending doctors and hospitals (network partners) should provide a fast knowledge transfer of precision medicine from medical research to the treatment of NSCLC patients. This “national Network Genomic Medicine” (nNGM) lung cancer offers highest-level genetic diagnostics in specialized network centers. Subsequently, clinical experts of the network centers provide interdisciplinary counselling for their network partners concerning therapy. Furthermore, patients with detected driver mutations without any approved therapy options will be recruited into clinical trials. The reimbursement of centralized molecular diagnostics and treatment recommendations are covered by several AOKs already. Contract negotiation with substitute health funds are at an advanced stage. Thus, through the cooperation between the network centers and network partners, NSCLC patients should always receive the best possible treatment regardless of their place of residence in Germany.
Literatur
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