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Aut-idem und Rabattverträge

Die „Aut-idem“-Regelung und die Rabattverträge nach § 130a Abs. 8 SGB V zählen zu den bedeutendsten Regulierungsmaßnahmen bezüglich der Arzneimittelausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherung. Beide Maßnahmen zielen darauf, patentfreie Originalpräparate durch wirkstoffgleiche, günstigere Präparate, sogenannte Generika, zu ersetzen. Allerdings sind wirkstoffgleiche Präparate aufgrund der Verwendung anderer Hilfs- und Trägerstoffe sowie der erlaubten Toleranzen bei den wirksamen Bestandteilen nicht zwangsläufig identisch zum Original. Ein Austausch des Präparates kann sich bei Krankheiten mit enger therapeutischer Breite, wie beispielsweise der Epilepsie, aufgrund dieser Toleranzen negativ auf den Verlauf auswirken. Erneut auftretende epileptische Anfälle können in diesem Fall dazu führen, dass durch den Austausch keine Kosten gespart, sondern Mehrausgaben generiert werden. Daher ist die Epilepsie eine Indikation, in der anstatt Rabatt-Ausschreibungen der Abschluss von Mehrwertverträgen angestrebt werden sollte. Diese fokussieren nicht nur auf Kosteneinsparungen, sondern auch auf die Optimierung der Patientenversorgung.

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Erstveröffentlichungsdatum: 17.12.2008

Abstrakt: Aut-idem und Rabattverträge

Die „Aut-idem“-Regelung und die Rabattverträge nach § 130a Abs. 8 SGB V zählen zu den bedeutendsten Regulierungsmaßnahmen bezüglich der Arzneimittelausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherung. Beide Maßnahmen zielen darauf, patentfreie Originalpräparate durch wirkstoffgleiche, günstigere Präparate, sogenannte Generika, zu ersetzen. Allerdings sind wirkstoffgleiche Präparate aufgrund der Verwendung anderer Hilfs- und Trägerstoffe sowie der erlaubten Toleranzen bei den wirksamen Bestandteilen nicht zwangsläufig identisch zum Original. Ein Austausch des Präparates kann sich bei Krankheiten mit enger therapeutischer Breite, wie beispielsweise der Epilepsie, aufgrund dieser Toleranzen negativ auf den Verlauf auswirken. Erneut auftretende epileptische Anfälle können in diesem Fall dazu führen, dass durch den Austausch keine Kosten gespart, sondern Mehrausgaben generiert werden. Daher ist die Epilepsie eine Indikation, in der anstatt Rabatt-Ausschreibungen der Abschluss von Mehrwertverträgen angestrebt werden sollte. Diese fokussieren nicht nur auf Kosteneinsparungen, sondern auch auf die Optimierung der Patientenversorgung.

Abstract: „Aut idem“-regulation and rebate contracts - a guarantor of cost containment

The „aut idem“-regulation and rebate contracts (130 a Paragraph 8 SGB V) belong to the most common measures for cost containment regarding pharmaceuticals in the statutory health insurance. Both measures focus on the substitution of brand products without patent protection by cheaper generics. Generics, however, are not identical to the brand products in each case as different additives and tolerances regarding the active agent are allowed. For the treatment course of specific diseases like epilepsy, tolerances might have a negative impact due to a tight therapeutic index. Reappearing epileptic seizures might generate treatment costs that exceed the savings generated by the substitution. Therefore, epilepsy is an indication, in which the conclusion of contracts with added value instead of tendering for rebate contracts should be aimed. Those emphasize not only cost containment, but also optimization of patient care.

Literatur

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Plain-Text

Aut-idem und Rabattverträge - ein Garant für Kosteneinsparungen?

Nach den Kosten für die stationäre Versorgung (52,7 Milliarden Euro in 2008) sind die Arzneimittelkosten (29,2 Milliarden Euro) der zweitgrößte Ausgabenblock in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Daher gehören Arzneimittel zu den ersten Zielen, wenn im deutschen Gesundheitswesen gespart werden soll. Ergebnis der Sparbemühungen verschiedener Regierungen ist ein komplexes Geflecht an Regulierungsmaßnahmen, um die Arzneimittelausgaben der GKV im Griff zu behalten. Zu den bedeutendsten Maßnahmen dieser Art in den letzten Jahren gehören die „Aut-idem“-Regelung sowie die Rabattverträge. Die „Aut-idem“-Regelung (lat.: oder das Gleiche) ist am 01. Juli 2002 in Deutschland in Kraft getreten. Sie besagt, dass es dem Arzt möglich ist, kein konkretes Präparat, sondern lediglich Wirkstoff, Wirkstärke, Packungsgröße und Darreichungsform zu verschreiben. Der Apotheker ist bei Erhalt eines solchen Rezepts verpflichtet, unter Berücksichtigung der ärztlichen Vorgaben eines der drei kostengünstigsten Präparate abzugeben. Die Ausnahme ist ein bestehender Rabattvertrag (siehe unten). Das „Aut-idem“-Verfahren ist für patentfreie Präparate in Deutschland bereits gängige Praxis und vermindert die Arzneimittelkosten in der GKV jährlich schätzungsweise um circa 170 bis 228 Millionen Euro.

>> Über die Auslegung der „Aut-idem“-Regelung wird aktuell heftig gestritten. Das Bundesgesundheitsministerium und die Krankenkassen wollen eine weite Auslegung der Regelung, dass heißt, wirkstoffgleiche Arzneimittel sollen bereits dann austauschbar sein, wenn sie im gleichen Indikationsbereich nur ein gemeinsames Anwendungsgebiet haben. Die Pharmaverbände stellen eine enge Auslegung dagegen, nach der eine Verpflichtung des Apothekers zur Substitution nur dann besteht, wenn das abgegebene Arzneimittel in allen Anwendungsgebieten des verordneten Ausgangspräparates arzneimittelrechtlich zugelassen ist.
Rabattverträge nach § 130 a Abs. 8 SGB V haben analog zur „Aut-idem“-Regelung das Ziel, durch den Austausch wirkstoffgleicher Arzneimittel Geld zu sparen. Lässt der Arzt den Austausch eines Arzneimittels auf dem Rezept zu, ist der Apotheker verpflichtet, das Präparat mit dem verschriebenen Wirkstoff abzugeben, für das zwischen der Krankenkasse des Patienten und einem Arzneimittelhersteller ein Rabattvertrag besteht. Ist das Präparat in der Apotheke nicht vorrätig, muss es beschafft werden. Die Pflicht zur Beschaffung gilt unabhängig davon, ob der Apotheker ein anderes wirkstoffgleiches Präparat im Sortiment hat. Wenn das rabattierte Präparat nicht lieferbar ist oder die Krankenkasse des Patienten für den verschriebenen Wirkstoff keinen Rabattvertrag abgeschlossen hat, gilt wieder die Pflicht zur Abgabe aus dem unteren Preisdrittel.
Um Rabattverträge abzuschließen, schreiben Krankenkassen patentfreie Wirkstoffe aus. Arzneimittelhersteller können sich durch Rabatte auf ihre Produkte um einen Zuschlag bemühen. So hatte zum Beispiel die Techniker Krankenkasse 89 Wirkstoffe ausgeschrieben (die Ausschreibung hatte die antiepileptischen Wirkstoffe Carbamazepin, Gabapentin und Lamotrigin miteingeschlossen). Die Hersteller konnten bis zum 07.09.2009 Angebote bei der Techniker Krankenkasse einreichen. Die 2-Jahres-Verträge mit den Gewinnern der Ausschreibung traten am 01.04.2010 in Kraft und sollen der Kasse innerhalb der Vertragslaufzeit Einsparungen in zweistelliger Millionenhöhe bescheren.
Der Vorteil für die Arzneimittelhersteller, die einen Zuschlag erhalten, liegt in einem zeitlich befristeten Monopol. Sie allein haben die Chance, das Umsatzpotenzial für alle Versicherten der Krankenkasse in Bezug auf den Wirkstoff, für den sie den Zuschlag erhalten haben, zu nutzen. Für den Arzt ändert sich im Vergleich zur „Aut-idem“-Regelung erst einmal nichts. Schließt er die Substitution auf dem Rezept aus, ist auch die Regelung im Rabattvertrag hinfällig. Lässt er hingegen den Austausch zu, hat der Apotheker zu prüfen, ob die Krankenkasse des Patienten über den fraglichen Wirkstoff einen Rabattvertrag abgeschlossen hat. Ist dies der Fall, gibt er in den meisten Fällen das rabattierte Arzneimittel ab. Für die Apotheken besteht jedoch aufgrund des Rahmenvertrages nach § 129 SGB V explizit die Möglichkeit, von der Verpflichtung zur Abgabe rabattbegünstigter Arzneimittel abzusehen, wenn der Abgabe aus Sicht des Apothekers im konkreten Einzelfall pharmazeutische Bedenken entgegenstehen. Pharmazeutische Bedenken bestehen, wenn durch den Präparateaustausch trotz zusätzlicher Beratung des Patienten der Therapieerfolg oder die Arzneimitteltherapiesicherheit im konkreten Einzelfall gefährdet sind.
Zudem wurde von Gesundheitsminister Rösler im Rahmen der angedachten Reformierung des Gesundheitsystems vorgeschlagen, dass der Patient ein anderes, von ihm gewünschtes Präparat mit dem verschriebenen Wirkstoff erhalten kann, wenn er die anfallenden Mehrkosten zum Rabattvertragsprodukt selbst trägt.
Auch wenn die Krankenkassen die Arzneimittelsubstitution aus Kostengründen forcieren, muss der Arzt für jeden Patienten prüfen, ob der Austausch medizinisch vertretbar ist. Schließt er einen Austausch grundsätzlich aus, besteht die Gefahr eines Regresses und er muss einen Teil der Kosten seiner Rezepte selbst tragen. Lässt er den Austausch grundsätzlich zu, kann dies zu Unsicherheit bei den Patienten bis hin zu Complianceproblemen (Verweigerung der Einnahme, Verwechslungsgefahr) führen. Zudem sind gesundheitliche Folgen, wie bisher nicht aufgetretene Unverträglichkeiten durch Hilfsstoffe und die Verschlechterung des Zustandes eines medikamentös gut eingestellten Patienten durch Variationen in der Bioverfügbarkeit von generischen Arzneimitteln zu berücksichtigen.
Tatsächlich „gleich“?
Der Name „Aut-idem“ besagt, dass ein Präparat durch ein wirkstoffgleiches Präparat (auch Generikum genannt) ausgetauscht werden kann. Die Bezeichnung des Austauschs als „das Gleiche“ suggeriert, dass das Austauschpräparat in jeder Hinsicht identisch zu dem ausgetauschten Präparat sei. Dies ist möglich, aber aufgrund des Spielraums, den die gesetzlichen Vorgaben den Generikaherstellern lassen, eher unwahrscheinlich.
Zum einen können sich Hilfs- und Trägerstoffe (zum Beispiel Konservierungs- oder Farbstoffe) der Generika unterscheiden und bei Patienten zu Unverträglichkeiten (zum Beispiel Hautausschlag, Übelkeit oder Verdauungsprobleme) führen. Hier muss der Arzt die Unverträglichkeit identifizieren und den Austausch ausschließen, um die Abgabe eines gut verträglichen Arzneimittels für den Patienten sicherzustellen.
Zum anderen können Unterschiede in der Bioverfügbarkeit bei den wirksamen Bestandteilen des Arzneimittels zu Problemen führen. Zwar müssen Generika gemäß einer EU-Richtlinie die gleiche quantitative und qualitative Zusammensetzung aus Wirkstoffen und dieselbe Darreichungsform wie das entsprechende, bereits zugelassene Präparat haben und im Menschen eine bioäquivalente Wirkung entfalten. Allerdings gibt es deutliche Toleranzen beim Nachweis dieser Eigenschaften. So gilt eine Bioäquivalenz als nachgewiesen, wenn die Konzentration des Arzneimittels im Blut im Zeitverlauf (sogenannte Area under the curve (AUC)) zwischen 80% und 125% der AUC des Originals liegt. Dies bedeutet, dass die Bioäquivalenz von Generika um 20% oder mehr vom Original abweichen kann. Generika können bei Ausschöpfung des gesamten Toleranzbereichs sogar um über 40% voneinander abweichen.
Die Abweichung in der Bioäquivalenz muss nicht zwangsläufig zu Problemen führen. Allerdings gibt es Arzneimittel und Substanzgruppen, bei denen bereits geringe Änderungen der Bioäquivalenz ausreichen, um den Krankheitsverlauf negativ zu beeinflussen. In der folgenden Tabelle sind Beispiele für solche Arzneimittelgruppen sowie zu erwartende Probleme bei Nichteinhaltung der genauen Dosierung dargestellt (Tab. 1).
Weitere substitutionskritische Arzneimittelgruppen sind in den Leitlinien zur guten Substitutionspraxis der Deutschen pharmazeutischen Gesellschaft aufgeführt.
Kritische Substitution am Beispiel der
Antiepileptika - Epidemiologie der Epilepsie
Nach Schätzungen leiden in Deutschland 0,5 bis 1 % der Bevölkerung (etwa 400.000 bis 800.000 Patienten) an Epilepsie. Die Zahl der Neuerkrankungen wird auf etwa 30.000 pro Jahr geschätzt. Die Hälfte der Patienten erkranken vor dem zehnten Lebensjahr, etwa zwei Drittel bevor sie 20 Jahre alt sind. Des Weiteren treten nach dem 65. Lebensjahr vermehrt Neuerkrankungen auf.
Auch wenn die Epilepsie in Einzelfällen heilbar ist, gehört sie zu den chronischen Krankheiten, deren erfolgreiche medikamentöse Behandlung eine dauerhafte, individuell angepasste Medikation erforderlich macht. Epilepsie äußert sich durch Anfälle, die nicht nur das Krankheitsempfinden des Betroffenen steigern, sondern schon bei einmaligem Auftreten weit reichende Konsequenzen für das gesellschaftliche Umfeld des Patienten (zum Beispiel Verlust der Fahrerlaubnis / des Arbeitsplatzes) haben können. Daher weisen Epilepsie-Patienten eine erhöhte Prävalenz an psychischen Erkrankungen auf, die von Angstzuständen und verringertem Selbstwertgefühl bis hin zu Depressionen reichen. Ein einziger Anfall kann bereits die genannten Auswirkungen haben.
Um Anfälle zu vermeiden, wird die Tagesdosis und Einnahmehäufigkeit des Antiepileptikums genau auf die Bedürfnisse des jeweiligen Patienten abgestimmt. Für die meisten antiepileptischen Wirkstoffe ist dann eine gute Wirksamkeit und Verträglichkeit gewährleistet. Bei 40-50% der Epilepsie-Patienten wird bereits mit der ersten Monotherapie eine Anfallsfreiheit erreicht. Weitere circa 15% sind mit einer zweiten Monotherapie und weitere circa 5% mit einer Kombinationstherapie aus verschiedenen Antiepileptika anfallsfrei. Bei der Behandlung der Epilepsie darf die Bioäquivalenz eingesetzter Arzneimittel mit der gleichen Substanz nur wenig schwanken. Daher muss der Austausch eines Präparats durch ein anderes mit demselben Wirkstoff einer genauen Nutzen-Schaden-Abwägung unterzogen werden, um die Anfallsfreiheit des Patienten nicht zu gefährden.
Die Kalkulation der Krankenkassen
Seit dem 01.01.2009 finanzieren die Krankenkassen die Versorgung ihrer Versicherten nicht mehr durch kassenindividuelle Beiträge, sondern über Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds. Neben einer Grundpauschale (185,64 Euro pro Monat für 2009) mit alters- und geschlechtsabhängigen Zu- und Abschlägen erhalten die Krankenkassen über den morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich (Morbi-RSA) eine Zuweisung für 80 ausgewählte Erkrankungen. Zu diesen Erkrankungen gehört auch die Epilepsie. Für einen Versicherten mit nachgewiesener Epilepsie erhält die Krankenkasse eine zusätzliche Zuweisung von 133,86 Euro pro Monat (Tab 2).
Reicht dieser Betrag für die Versorgung des Versicherten aus oder liegen die Kosten sogar darunter, steht der Krankenkasse das Geld für die Versorgung anderer Patienten zur Verfügung (positiver Deckungsbeitrag). Sollte die Versorgungskosten eines Patienten hingegen über den Zuweisungen aus dem Fonds liegen (negativer Deckungsbeitrag), muss die Kasse über andere Patienten „quersubventionieren“ oder macht „Verluste“ (Abb.1 ).
Verluste kann die Kasse nur durch die Erhebung von Zusatzbeiträgen von ihren Versicherten ausgleichen. Um Zusatzbeiträge und die Abwanderung von Versicherten zu vermeiden, versuchen die Kassen alle Sparmöglichkeiten auszuschöpfen. Dabei soll die Qualität der Versorgung aus Kassensicht nicht eingeschränkt werden. Durch die Nutzung der Rabattvertragsausschreibungen und die damit verbundene Umstellung auf „günstige“ Generika sollen die gewünschten Einsparungen bereits kurzfristig erzielt werden. Kurzfristige Einsparungen helfen einer Krankenkassen, länger als die Konkurrenz ohne die Erhebung von Zusatzbeiträgen durchzuhalten. Der Fokus liegt daher auf einer konsequenten Umsetzung der Substitution durch günstige Nachahmerpräparate sowie der Maximierung des Rabatts auf Arzneimittel durch den Abschluss entsprechender Verträge mit den Arzneimittelherstellern. Ob mit hohem Druck auf die Arzneimittelausgaben die Versorgungskosten für Epilepsie-Patienten gesenkt werden können, ist jedoch zweifelhaft.
Mit Hilfe einer Regressionsanalyse für Frankreich, Deutschland, Italien und UK wurde die Änderung der Versorgungkosten von Epilepsie-Patienten berechnet, wenn das Originalpräparat mit dem Wirkstoff Topiramat durch ein Generikum ersetzt wurde. Das Modell basiert auf klinischen Daten, die in Kanada im Zusammenhang mit der Substitution des antiepileptischen Wirkstoffs Topiramat erhoben wurden. Die Autoren konnten mit ihren Berechnungen zeigen, dass in den vier europäischen Ländern die Kosten für die Versorgung der Patienten signifikant höher lagen, wenn ein Wechsel erfolgte.
Ein gesundheitsökonomisches Modell für Deutschland hat die zu erwartenden Kosten einer Epilepsiebehandlung mit und ohne „Aut-idem“-Ausschluss am Beispiel des antiepliepitschen Wirkstoffes Carbamazepin untersucht. Anders als in der Berechnung von Paradis et al. (2009) war nicht nur der Wechsel vom Original zum Generikum, sondern auch der Wechsel zwischen verschiedenen Generika möglich. Die Autoren kommen zu dem Ergebnis, dass die Zulassung des Austauschs doppelt so teuer werden kann wie dessen Ausschluss. Für den Durchschnittspatienten werden im Rahmen der Modellrechnung Mehrkosten von 60 Euro pro Quartal ermittelt. Dabei wurden lediglich die Mehrkosten der Behandlung von Anfallsfolgen berücksichtigt. Erleidet ein Epilepsie-Patient durch den Austausch seines Antiepileptikums erneut Anfälle, muss die Kasse aber nicht nur für die möglichen Folgen des Anfalls (Verletzungen durch Stürze bis hin zu Gehirnschädigungen oder lebensbedrohlichen Komplikationen durch einen Status epilepticus), sondern auch für Komorbiditäten wie die bereits erwähnte Depression aufkommen.
Neben den ethischen Fragen, die eine Gefährdung der Anfallsfreiheit des Patienten aufwirft, belasten die Folgen der Anfälle sowie epilepsiebedingte Komorbiditäten folglich das Budget einer Krankenkasse. Dementsprechend kann ein Perspektivenwechsel von möglichen kurzfristigen Einsparungen durch Rabatte zu mittel- bis langfristigen Einsparungen durch Anfallsfreiheit für die Kasse Wettbewerbsvorteile in der Zukunft bedeuten.
Mit dem Fokus auf einer mittel- bis langfristigen, effektiven antiepileptischen Therapie sind Mehrwertverträge eine Möglichkeit, die Interessen der Arzneimittelhersteller und Krankenkassen zusammenzuführen.
Allerdings gibt es bisher nur einen Mehrwertvertrag zur Behandlung einer ZNS-Erkrankung. Ein Arzneimittelhersteller hat mit der AOK Rheinland/Hamburg einen Vertrag über die Versorgung von Alzheimer-Patienten abgeschlossen. Dieser umfasst nicht nur die medikamentöse Behandlung sondern auch nicht-medikamentöse Behandlungskomponenten, die der Arzneimittelhersteller ebenfalls bereitstellt.
Dieses Konzept eines Mehrwertvertrags kann auf Antiepileptika übertragen werden. Der vom Hersteller gebotene Mehrwert kann beispielsweise in ergänzenden nicht-medikamentösen Maßnahmen zur Verbesserung der Compliance und damit „Sicherstellung“ der dauerhaften Anfallsfreiheit bestehen. Der Mehrwert besteht dann in der höheren Wahrscheinlichkeit von Anfallsfreiheit und geringeren erwarteten Versorgungskosten des Patienten für die Kasse. Der Fokus liegt auf Einsparungen durch Kooperation von Arzneimittelhersteller und Krankenkasse bei der Vermeidung von Anfällen und Komorbiditäten.
Schlussfolgerung
Gesundheitsökonomische Modellrechnungen zeigen, dass erhebliche Mehrkosten auf die GKV zukommen können, wenn die Krankenkassen ihre durch den Gesundheitsfonds und Morbi-RSA getriebene Forcierung des Austausches von Arzneimitteln durch „kostengünstigere“ Generika fortsetzen. Zum einen kann dies langfristig die Fallkosten für Epilepsie-Patienten steigern. Zum anderen wird der Therapieerfolg bei Patienten aufs Spiel gesetzt, die durch eine gute medikamentöse Einstellung beschwerdefrei mit ihrer Krankheit leben können. Das Beispiel der Mehrwertverträge zeigt aber auch, dass der langfristige Therapieerfolg und Einsparungen für die Kassen keine unvereinbaren Ziele sein müssen. Einsparungen wären bei gleichzeitiger Verbesserung der Versorgungsqualität möglich. Das wäre ein lohnendes Ziel für die Weiterentwicklung der Versorgung von Epilepsie-Patienten. <<