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Blutzucker-Selbstkontrolle bei Typ 2 Diabetes – Kosten und Nutzen für das deutsche Gesundheitssystem

Diabetes mellitus ist in Deutschland inzwischen zu einer Volkskrankheit geworden. Es gibt mindestens 7 Millionen Menschen mit einem diagnostizierten Diabetes mellitus in Deutschland und unter Berücksichtigung der undiagnostizierten Fälle und der weltweit steigenden Prävalenz der Erkrankung insbesondere auch bei jüngeren Menschen wird das deutsche Gesundheitssystem vor großen Herausforderungen stehen, auch ökonomischer Natur. Blutzuckerselbstmessung kann unter bestimmten Voraussetzungen ein sehr nützliches und auch kosteneffektives Therapieelement in der Behandlung der Erkrankung darstellen. Wenn dieser Nutzen bei insulinpflichtigen Diabetikern weitgehend unbestritten ist, gibt es über den Nutzen bei nicht insulinpflichtigen Typ 2-Diabetikern in Deutschland weiterhin keinen Konsens. In der Nutzenbewertung wird allerdings oft übersehen, dass die Blutzuckerselbstmessung ein diagnostisches Verfahren ist, welches – anders als bei Arzneimitteln – keinen intrinsischen Effekt aufweisen kann. Die Anwendung der Methoden der Arzneimittelbewertung auf ein diagnostisches Verfahren kann in der Folge dann zu missweisenden Ergebnissen führen. Bei richtiger Verwendung der Blutzuckermessung durch die Patienten und der Anwendung adäquater Beurteilungsmethoden erweist sich die Blutzuckerselbstmessung bei Typ 2-Patienten nämlich sogar als kostensparend für die Krankenkassen.

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Erstveröffentlichungsdatum: 01.04.2009

Abstrakt: Blutzucker-Selbstkontrolle bei Typ 2 Diabetes – Kosten und Nutzen für das deutsche Gesundheitssystem

Diabetes mellitus ist in Deutschland inzwischen zu einer Volkskrankheit geworden. Es gibt mindestens 7 Millionen Menschen mit einem diagnostizierten Diabetes mellitus in Deutschland und unter Berücksichtigung der undiagnostizierten Fälle und der weltweit steigenden Prävalenz der Erkrankung insbesondere auch bei jüngeren Menschen wird das deutsche Gesundheitssystem vor großen Herausforderungen stehen, auch ökonomischer Natur. Blutzuckerselbstmessung kann unter bestimmten Voraussetzungen ein sehr nützliches und auch kosteneffektives Therapieelement in der Behandlung der Erkrankung darstellen. Wenn dieser Nutzen bei insulinpflichtigen Diabetikern weitgehend unbestritten ist, gibt es über den Nutzen bei nicht insulinpflichtigen Typ 2-Diabetikern in Deutschland weiterhin keinen Konsens. In der Nutzenbewertung wird allerdings oft übersehen, dass die Blutzuckerselbstmessung ein diagnostisches Verfahren ist, welches – anders als bei Arzneimitteln – keinen intrinsischen Effekt aufweisen kann. Die Anwendung der Methoden der Arzneimittelbewertung auf ein diagnostisches Verfahren kann in der Folge dann zu missweisenden Ergebnissen führen. Bei richtiger Verwendung der Blutzuckermessung durch die Patienten und der Anwendung adäquater Beurteilungsmethoden erweist sich die Blutzuckerselbstmessung bei Typ 2-Patienten nämlich sogar als kostensparend für die Krankenkassen.

Literatur

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Zusätzliches

Plain-Text

Blutzucker-Selbstkontrolle bei Typ 2 Diabetes – Kosten und Nutzen für das deutsche Gesundheitssystem

Der Nutzen der Blutzuckerselbstmessung bei Patienten mit Typ 2 Diabetes wird in Deutschland noch immer kontrovers diskutiert, obwohl wohl kein anderes diagnostisches Verfahren im Rahmen von randomisierten, kontrollierten Studien so intensiv untersucht wurde, da diese eher für Arzneimittelbewertungen typisch sind. Auch die ökonomische Bewertung dieses diagnostischen Verfahrens folgt bisher weitgehend den Regeln der Arzneimittelbewertung. Schon aus methodischen Gründen kann dieses Vorgehen aber zu missweisenden Ergebnissen führen.

>> Seit Jahren kämpfen nahezu alle Länder mit dem Phänomen steigender Kosten im Gesundheitswesen und dies absolut unabhängig von dem gewählten System der Gesundheitsversorgung. In Deutschland sind die Gesamtausgaben von 196 Mrd. EUR im Jahr 1997 auf fast 245 Mrd. EUR im Jahr 2006 angestiegen und erreichen nun fast 11 % des Bruttosozialproduktes. Die Gründe für den Ausgabenzuwachs sind vielfältig; nicht nur der medizinische Fortschritt und demographische Faktoren wie die zunehmende Alterung der Gesellschaft tragen zu diesem Phänomen bei, sondern auch allgemeinere Entwicklungen wie eine zunehmend ungesundere Lebensweise und eine höhere Erwartungshaltung gegenüber dem Gesundheitswesen spielen hier, neben weiteren Faktoren, eine bedeutende Rolle. Dem steht eine begrenzte Bereitschaft der Gesellschaft gegenüber, hohe Zuwächse im Gesundheitswesen auch zu finanzieren, was letztlich auf eine Budgetierung der verfügbaren Mittel hinausläuft. Daraus folgt wiederum die Notwendigkeit einer ökonomischen Evaluation der Kosten und des Nutzens von Therapieverfahren, um einer Priorisierung die Hand bieten zu können. Allerdings können solche Evaluationen lediglich eine Entscheidungshilfe darstellen. Die Gesundheitsökonomie ist wie fast alle anderen ökonomischen Disziplinen Teil der angewandten Ökonomie, welche lediglich erklärt warum oder wie etwas ist (respektive sein sollte oder könnte), aber nicht ob etwas „gut“ oder „schlecht“ für die Gesellschaft ist. Diese Aussagen sind der normativen Ökonomie (welfare economics) vorbehalten, die dann auch mit ganz anderen Ansätzen und Konzepten solche Fragestellungen angeht.
Diabetes mellitus in Deutschland
Diabetes mellitus ist in Deutschland inzwischen zu einer Volkskrankheit geworden. Auch wenn mit der deutschen Wiedervereinigung das damalige Diabetesregister der DDR nicht fortgeführt wurde, lässt sich die Zahl der Diabetiker in Deutschland auf Grund von Versichertenstichproben einigermassen zuverlässig abschätzen. Zur Zeit muss davon ausgegangen werden, dass es in Deutschland 7 Millionen Menschen mit einem diagnostizierten Diabetes mellitus gibt, wovon ca. 6 Millionen an einem Typ 2 Diabetes erkrankt sind. Lediglich 25 % der Typ 2 Diabetiker werden rein diätetisch behandelt, ca. 50 % mit einer oralen antidiabetischen Therapie und 25 % mit Insulin oder einer Kombinationstherapie. Das gesamte Ausmass des Problems wird deutlich, wenn man berücksichtigt, dass nach Schätzungen der International Diabetes Federation (IDF) die Gesamtanzahl aller Diabetiker in Deutschland (also inklusive der bisher nicht diagnostizierten Diabetiker) eher 11.8 % der Bevölkerung beträgt und diese Zahl bis 2025 wohl auf 13.3 % ansteigen wird. Dabei werden zunehmend auch jüngere Altersgruppen betroffen sein und die Anzahl der Menschen mit einem „Prä-Diabetes“ (Impaired Glucose Tolerance, IGT) ist in diesen Zahlen noch gar nicht berücksichtigt – dann würden wohl noch einmal 7 % der Bevölkerung hinzukommen (International Diabetes Federation 2006).
Kosten des Diabetes mellitus
Die Kosten, die mit dieser Entwicklung verbunden sind, stellen das deutsche Gesundheitswesen vor gewaltige Herausforderungen. Die Kosten für die Behandlung eines „durchschnittlichen“ Diabetikers liegen in Deutschland gemäss einer neueren Schätzung bei fast bei 3.200 EUR pro Jahr und Patient, wobei die Kosten mit der Dauer der Erkrankung kontinuierlich ansteigen (Abb. 1a).
Ein großer Teil der Kosten entfallen allerdings nicht auf die Primärtherapie (z.B. Arztbesuche, Medikationskosten), sondern auf die Behandlung der schwerwiegenden diabetesbedingten Folgekomplikationen wie Herzinfarkt, Schlaganfall oder Amputationen, wobei auch hier ein zeitlicher Trend zu beobachten ist: mit der Dauer der Diabeteserkrankung wachsen insbesondere die Nachsorgekosten für aufgetretene Komplikationen an (Abb. 1b).
Schon heute entsprechen die Behandlungskosten des Diabetes mellitus (abhängig von der zu Grunde gelegten Prävalenz) ca. 6 % der Ausgaben der Krankenversicherung und der oben skizzierte epidemiologische Ausblick legt ein weiteres Ansteigen dieses Prozentsatzes nahe.
Blutzuckerselbstmessung
Blutzuckerselbstmessung (BZSM) gilt seit Jahren als ein unumstrittener Standard bei der Behandlung von insulinpflichtigen Diabetikern. In der letzten Zeit setzt sich verstärkt die Erkenntnis durch, dass die BZSM unter bestimmten Voraussetzungen auch ein sehr nützliches Therapieelement im Management des nicht insulinbehandelten Typ 2 Diabetes darstellen kann (McAndrew et al. 2007; McGeoch and Moore 2007).
Vor dem Hintergrund der oben genannten Zahlen stellt sich aber natürlich auch die Frage, ob BZSM nur ein nützliches, oder auch ein kosteneffektives und bezahlbares Therapieelement darstellt.
Die ökonomische Evaluation des Nutzens der Blutzuckerselbstmessung ist allerdings mit einigen Problemen verbunden. Anders als bei einem Pharmakon kann die BZSM keine direkte, intrinsische Wirkung entfalten; es handelt sich um ein diagnostisches Verfahren, welches die Fähigkeit voraussetzt, das angezeigte Messergebnis korrekt zu interpretieren und daraus eine angemessene und nachhaltige Handlung abzuleiten. Im Falle von Patienten mit oral behandelten Typ 2 Diabetes ist diese Handlung nicht notwendigerweise auf eine Umstellung der oralen Therapie oder die Ergänzung des Therapieschemas mit kurz wirksamen Insulinen limitiert. Eine Lebensstiländerung (im Sinne von veränderten Ess- und Bewegungsverhalten) kann sogar weitergehende Effekte erzielen als eine gesteigerte medikamentöse Therapie, da eine Lebensstiländerung nicht nur den Blutzuckerspiegel günstig beeinflusst, sondern auch andere kardiale Risikofaktoren wie Blutdruck und Blutfettwerte zum positiven verändert. Dementsprechend ist es auch von grosser Bedeutung, in welcher Frequenz und Form die Blutzuckerselbstmessung durchgeführt wird. Ein erratisches Messen zu undefinierten Zeitpunkten kann natürlich nicht die selbe Information liefern, wie ein strukturiertes Messen (zum Beispiel ein 7-Punkt-Tagesprofil an drei aufeinander folgenden Tagen, einmal im Monat), welches dem Patienten eine direkte Rückmeldung zu seinem Verhalten liefert. Genau dieser Punkt wird in den bisher veröffentlichten randomisierten klinischen Studien (RCT) so gut wie gar nicht dokumentiert. Frequenz und Messschema sind nur in wenigen Fällen präzise vorgegeben und fast alle RCT zum Nutzen der BZSM sind von kurzer Beobachtungsdauer und beschränken sich auf die Untersuchung eines Surrogatparameters, nämlich der HbA1c Veränderung. Nun stellt dieser HbA1c Wert allerdings lediglich ein integriertes Mass der circadianen Blutglukosewerte der letzten sechs bis acht Wochen dar und beeinflusst monokausal lediglich zwei der typischen, diabetesbedingten Folgekomplikationen (diabetische Retino- und Nephropathie). Die viel häufigeren Komplikationen (Myokardinfarkt und Schlaganfall) hängen zwar auch vom HbA1c-Wert, aber eben auch von anderen Faktoren wie Blutdruck, Blutfettwerten und kurzfristigen Blutglukosespitzen (Ceriello 2003) ab. Des weiteren treten die Diabetes bedingten Folgekomplikationen mit grosser zeitlicher Verzögerung, zum Teil in der Grössenordnung von Jahren, auf.
Außer einer retrospektiven Kohortenstudie (Martin et al. 2006) gibt es keine Studie, die den Zusammenhang von BZSM und Mortalität oder Morbidität untersucht.
Entscheidungssicherheit und „Value of
Information“
Somit lässt die bestehende Studienlage die Entscheidungsträger bezüglich des Nutzens von BZSM hinsichtlich patientenrelevanter Endpunkte weitgehend in einer Unsicherheit. Trotz der bestehenden, ungenügenden Information besteht trotzdem ein Entscheidungsbedarf, ob dieses Therapieelement zu Lasten der Krankenkassen verordnet werden soll oder nicht. Ökonomisch wird dieses Informationsdefizit als „Value of Information“ (VOI) bezeichnet. Weinstein und Kollegen bezeichnen den Wert der Information als „die Differenz zwischen den erwarteten Konsequenzen (Nutzen) einer auf ein bestimmtes Stück Information gestützten Entscheidung und den erwarteten Konsequenzen (Nutzen), wenn die Entscheidung ohne diese Information getroffen wird. Der VOI ist auch anwendbar auf Informationen, die Unsicherheit bezüglich eines Parameters in einer Entscheidung reduziert, wie zum Beispiel die Wirksamkeit einer Behandlung, die Dauer eines Therapieeffektes oder die Anwendbarkeit auf unterschiedliche Patientengruppen. Das Verschieben einer Entscheidung bis mehr Information verfügbar ist, ist eine Handlungsoption, allerdings auf Kosten von Ressourcen, Verzögerungen und möglichen Fehlern durch Begehen oder Unterlassen in der Zwischenzeit. Ressourcen können verschwendet oder Patienten geschädigt werden, wenn die teurere oder weniger effektive Behandlungsoption gewählt wird, während man auf die definitive Evidenz wartet“ (Weinstein et al. 2001).
Dieser Value of Information kann auch in monetären Einheiten berechnet werden (Claxton 1999) und stellt somit ebenfalls ein wichtiges Element der Entscheidungsfindung dar. In den aktuellen Methoden des IQWiG hat dies bisher leider keinen Niederschlag gefunden. Entscheidungsträgern wie dem G-BA wird damit m.E. ein wichtiges Entscheidungselement vorenthalten.
Bedeutung der Annahmen in ökonomischen Analysen
In dieser Situation der Unsicherheit bilden Krankheitsmodelle, die den natürlichen Verlauf einer Erkrankung simulieren, eine wichtige Entscheidungshilfe. Obwohl sehr unterschiedliche Techniken in der Modellierung existieren, weisen die Ergebnisse der veröffentlichten Modelle für Diabetes mellitus eine hohe Übereinstimmung auf, sofern mit den gleichen Ausgangsannahmen gerechnet wird (2007; Brown et al. 2000). Die bisher publizierten Ergebnisse zur Kosteneffektivität der BZSM kommen aber zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen (Tabelle 1).
Die unterschiedlichen Ergebnisse der bisherigen Kosten-Nutzen-Analysen legen nahe, dass in den Kostenstudien unterschiedliche Annahmen zu Grunde gelegt wurden. Besonders problematisch ist es zu werten, wenn bei den Annahmen eine der zahlreichen Meta-Analysen zur klinischen Effektivität von BZSM zu Grunde gelegt wird. Meta-Analysen sind zu Recht ein hoch bewertetes Element der Evidenz basierten Medizin (EBM), sofern diese statistische Methode korrekt angewendet wird. Keine Studie ist exakt gleich aufgebaut. Auch wenn die Intervention per se vergleichbar ist, unterscheiden sich die Studien zum Beispiel alleine in der Anzahl der Patienten. In der Regel wird in validen Meta-Analysen für diese Heterogenität mit statistischen Mitteln korrigiert, üblicherweise mit einer I2-Statistik nach Higgins und Thompson. Sind allerdings die Interventionen vollkommen unterschiedlich, sind die Aussagen dieser Statistik genauso verzerrend und irrelevant wie die Ermittlung eines Mittelwertes und einer Standardabweichung bei nicht normalverteilten Daten – man vergleicht Äpfel mit Birnen. Genau dieser Effekt ist aber bei den bisher durchgeführten Meta-Analysen zu BZSM zu beobachten. Vergleicht man die zu Grunde gelegten RCT, stellt man fest, dass bei einigen Studien kaum eine Schulung der BZSM-Gruppe stattfand, in anderen Studien war diese intensiv. Bei einigen Studien durften die Patienten auf Grund der Messergebnisse ihre Therapie oder ihr Verhalten ändern, in anderen wiederum nicht. Hinzu kommt, dass bei der Verwendung von Meta-Analysen lediglich die Veränderung des HbA1c Wertes berücksichtigt wird. Damit fallen aus oben genannten Gründen die Ergebnisse der Kosteneffektivitätsstudien fast regelmässig in den rechten oberen Quadranten der Kosteneffektivitätsebene (Abb. 2).
Auswirkungen auf das Deutsche Gesundheitssystem
Berücksichtigt man hingegen zusätzlich, dass bei einer strukturierten BZSM (zum Beispiel Kempf et al. 2009) über die Beeinflussung des HbA1c Wertes hinaus zusätzliche, kausal mit der BZSM verbundene, positive Effekte auftreten, ergibt sich ein anderes Bild: Die Patienten gewinnen an Lebensjahren, verursachen aber weniger Kosten, was dem rechten, unteren Quadranten in der Abbildung 2 entspricht. In ökonomischen Termini ausgedrückt, wird die „incremental cost-effectiveness ratio“ (ICER) also negativ1 (Tabelle 2).
Wesentliches Element einer ökonomischen Analyse sollte über die Kosten-Nutzen-Analyse hinaus immer auch eine „Budget-Impact-Analyse“ (BIA) sein (Mauskopf et al. 2007), da die Kosteneffektivitätsanalyse in der Regel lediglich eine relative Masszahl, nämlich eine ICER liefert, die nur eine limitierte Aussagekraft hat (Birch and Gafni 2006), da sie keinerlei Aussage zur „Erschwinglichkeit“ einer Massnahme trifft. So kann es durchaus sein, dass sich ein neues Therapieverfahren in einer Kosteneffektivitätsrechnung nach nationalen Massstäben durchaus als kosteneffektiv erweist, auf Grund der Vielzahl der Patienten, die dann von der neuen Therapie profitieren sollen oder könnten, letztlich aber als „unbezahlbar“ erweist. Gemäss einer solchen Berechnung auf Basis der Ergebnisse der in Tabelle 2 gezeigten Kosteneffektivitäts-Berechnung ergibt sich dann sogar ein deutliches Einsparpotenzial für das deutsche Gesundheitswesen (Abb. 3).
Fazit
Kaum ein anderes diagnostisches Verfahren ist in randomisierten klinischen Studien so häufig untersucht worden, wie die Blutzuckerselbstmessung. Trotzdem bleiben die Ergebnisse widersprüchlich, was im Wesentlichen auf die unterschiedliche Nutzungsweise zurückzuführen ist. Bei einer strukturierten Blutzuckermessung, die auf Grund des Messschemas dem Patienten ein direktes Feedback bezüglich seines Verhaltens liefern kann, vermag nicht nur den Blutzuckerspiegel, sondern auch andere klinische Parameter günstig beeinflussen. Voraussetzung ist allerdings ein intensives Schulungsprogramm und die Möglichkeit für den Patienten, auf die Messwerte adaequat zu reagieren. In diesem Fall ist die Blutzuckerselbstmessung nicht nur kosteneffektiv, sondern sogar mit einem Einsparpotenzial für die Kassen verbunden.