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Disease Management 2.0 & Morbi-RSA 1.0 – Medical Management für Krankenkassen unter den Bedingungen des Morbi-RSA

Disease-Management-Programme sind ein wichtiger Bestandteil der Gesundheitsversorgung in Deutschland und den Niederlanden. In Deutschland sind die Ergebnisse partiell zufriedenstellend. Einige relevante Krankheitsparameter (Surrogat-Parameter) wurden verbessert, die medizinischen Outcomes hingegen nur wenig beeinflusst. Auch die mit der Einführung der DMPs versprochenen Einsparungen konnten bislang nicht realisiert werden. In den Niederlanden wurde ein spezieller Software-Support eingesetzt, um DMPs wirklich über sektorale Versorgungsgrenzen effektiv zu gestalten. Die softwarebasierte DMP-Einführung wurde flankiert durch den parallelen Einsatz von Kranken-schwestern, Arzthelferinnen und anderen medizinischen Fachkräften, um die Ärzte wirkungsvoll zu entlasten. Dieser duale Ansatz war der Schlüssel zum Erfolg der Programme. Darüber hinaus werden zukünftig Multi-Disease-Programme, die auf einzelne Indikationen fokussierten DMPs ablösen; denn sie reflektieren die gegebene Multimorbidität größerer Bevölkerungskreise treffender. Unter den Bedingungen des neuen Morbi-RSA in Deutschland werden sich die neuen wie „alten“ DMPs auf die hierin abgebildeten Erkrankungen ausrichten. Anbieter und Entwickler von DMPs sind aufgerufen, Lösungen für diese neuen Indikationen zu entwickeln sowie heute verfügbare innovative Technologien zu integrieren. Kassen und private Krankenversicherungen sollten diese Entwicklungen durch begleitende neue Vergütungsmechanismen wie eine qualitätsorientierte Vergütung (Pay for Performance) oder ein Risk Sharing katalysieren.

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Erstveröffentlichungsdatum: 01.06.2008

Abstrakt: Disease Management 2.0 & Morbi-RSA 1.0 – Medical Management für Krankenkassen unter den Bedingungen des Morbi-RSA

Disease-Management-Programme sind ein wichtiger Bestandteil der Gesundheitsversorgung in Deutschland und den Niederlanden. In Deutschland sind die Ergebnisse partiell zufriedenstellend. Einige relevante Krankheitsparameter (Surrogat-Parameter) wurden verbessert, die medizinischen Outcomes hingegen nur wenig beeinflusst. Auch die mit der Einführung der DMPs versprochenen Einsparungen konnten bislang nicht realisiert werden. In den Niederlanden wurde ein spezieller Software-Support eingesetzt, um DMPs wirklich über sektorale Versorgungsgrenzen effektiv zu gestalten. Die softwarebasierte DMP-Einführung wurde flankiert durch den parallelen Einsatz von Kranken-schwestern, Arzthelferinnen und anderen medizinischen Fachkräften, um die Ärzte wirkungsvoll zu entlasten. Dieser duale Ansatz war der Schlüssel zum Erfolg der Programme. Darüber hinaus werden zukünftig Multi-Disease-Programme, die auf einzelne Indikationen fokussierten DMPs ablösen; denn sie reflektieren die gegebene Multimorbidität größerer Bevölkerungskreise treffender. Unter den Bedingungen des neuen Morbi-RSA in Deutschland werden sich die neuen wie „alten“ DMPs auf die hierin abgebildeten Erkrankungen ausrichten. Anbieter und Entwickler von DMPs sind aufgerufen, Lösungen für diese neuen Indikationen zu entwickeln sowie heute verfügbare innovative Technologien zu integrieren. Kassen und private Krankenversicherungen sollten diese Entwicklungen durch begleitende neue Vergütungsmechanismen wie eine qualitätsorientierte Vergütung (Pay for Performance) oder ein Risk Sharing katalysieren.

Literatur

Häussler, B./Berger, U. (2004): Bedingungen für effektive Disease-Management-Programme, Baden-Baden 2004. Szecsenyi, J. (2007): Besser als die Regelversorgung? – Die ELSID-Studie zum Vergleich von optimal umgesetzten DMP, Routine DMP und Behandlung ohne DMP. In: AOK Bundesverband (Hrsg.), Zukunftsmodell DMP, Berlin, S. 59 ff. Institute of Medicine (2001): Institute of Medicine, Crossing the quality chasm: a new health system for the 21st century, Washington 2001. O’Kane, M. (2007): Performance-Based Measures: The Early Results Are In. In: Journal of Managed Care Pharmacy, Bd. 13, S. S3 ff. Jaarsma, T. (2008): Effect of Moderate or Intensive Disease Management Program on Outcome in Patients With Heart Failure: Coordinating Study Evaluating Outcomes of Advising and Counseling in Heart Failure (COACH). In: Archives of Internal Medicine, Bd. 168(3), S. 316 ff. BVA (2008): o.V., Festlegung der im RSA zu berücksichtigenden Krankheiten, http://www.bundesversicherungsamt.de/cln_049/nn_1058636/DE/Risikostrukturausgleich/Weiterentwicklung_20RSA/Festlegung__Krankheiten.html (Zugriff am 21.05.08).

Zusätzliches

Plain-Text

Disease Management 2.0 & Morbi-RSA 1.0 – Medical Management für Krankenkassen unter den Bedingungen des Morbi-RSA

Disease-Management-Programme werden durch den im nächsten Jahr eingeführten Morbi-RSA eine neue Bedeutung erlangen. Die Kostenträger werden sich auf das Medical Management der wichtigsten und für diesen Ansatz geeigneten der 106 definierten hierarchisierten Morbiditätsgruppen (HMG) fokussieren.

>> Grundsätzlich haben sich drei unterschiedliche Konzepte bewährt, um aktiv die Wiederherstellung der Gesundheit bzw. die Inanspruchnahme von Leistungen im Krankheitsfall zu managen. Der erste Ansatz, bei akuten Beschwerden, ist das Demand Management über medizinisch vorgebildete Callcenter-Agenten. Ziel des Demand Managements ist es, den Versicherten zum richtigen Zeitpunkt zu der richtigen Versorgungsstufe zu leiten. Der zweite Ansatz ist das Disease Management, in Deutschland auch unter dem Begriff der „strukturierten Behandlungs-programme“ bekannt. Bei diesem Konzept geht es darum, chronische Erkrankungen mit einer für das Gesundheitswesen relevanten Prävalenz durch abgestimmte und integrierte Versorgungsketten besser zu managen. Der dritte Ansatz ist das „major“ und „minor“ Case Management. Hierbei geht es zum einen um das Managen von Patienten, die man von ihrem zukünftigen Krankheitsverlauf als sogenannte „catastrophic cases“ betrachtet, d.h. als komplizierte Fälle mit schwerwiegendem Verlauf und entsprechenden Leistungsausgaben einschätzt. Zum anderen wird das „minor“ Case Management bei vielen Krankheitsfällen eingesetzt, wo es erforderlich ist, den Patienten über unterschiedliche Interventionskaskaden zu führen.
Alle drei verkürzt dargestellten Konzepte haben sich inzwischen im deutschen Gesundheitswesen etabliert. Die DMPs wurden durch den Gesetzgeber in das SGB V festgeschrieben und an den Risiko-Struktur-Ausgleich gekoppelt. Die privaten Krankenversicherungen bieten überwiegend die gleichen DMP-Indikationen wie in der GKV an. Durch DMP-Programme werden in der GKV inzwischen mehr als 4,5 Millionen Patienten behandelt. Über die Quantifizierung der anderen beiden Ansätze ist bislang wenig bekannt. Durch die mögliche Entkoppelung der bisherigen GKV-DMPs vom Risiko-Struktur-Ausgleich sind die Kassen gespalten, was die Fortsetzung der DMPs 1.0 anbetrifft. Protagonisten der Fortführung sind die Barmer und auch die AOK. Hingegen steht die TK dem DMP-Konzept in der bisherigen Form schon seit längerem eher kritisch gegenüber. Eine vor wenigen Jahren durchgeführte Evaluation in Kooperation mit dem IGES Institut (Häussler und Berger, 2004) zeigte recht eindeutig auf, wo die Defizite der deutschen DMPs liegen. Grundsätzlich ist bei keiner Kasse oder Versicherung eine stringente Strategie erkennbar, wie diese Instrumente zu größerer Wirkung und in Bezug auf die jeweilige Krankenlast abgestimmt zum Einsatz kommen sollten.
Mit der Einführung des Gesundheitsfonds und des morbiditätsorientierten Risiko-Struktur-Ausgleichs zum Januar des Jahres 2009 wird sich das ändern müssen, denn dann bekommen die GKV-Kassen für Patienten in 106 hierarchisierten Morbiditätsgruppen (HMG) besondere Zuschläge, zusätzlich zu den an Alter und Geschlecht orientierten Basisbeträgen, die die krankheitsbedingten Mehrkosten ausgleichen sollen. Ob Versicherte dann in eine zuschlagsrelevante Krankheitsgruppe fallen, ist von den dokumentierten ambulanten, respektive stationären Diagnosen und von den spezifischen Arzneiverordnungen und deren Dauer abhängig.
Für die GKV-Kassen geht es zukünftig einerseits darum, Patienten, die unter die Kriterien des Morbi-RSA fallen, so schnell wie möglich zu identifizieren, um den krankheitsgebundenen Ausgleichsbetrag zu erhalten. Sobald die Patienten identifiziert, sprich diagnostiziert worden sind, wird es andererseits wichtig für die Kasse, diese Patienten optimal und zugleich kosteneffizient zu versorgen. D.h. die krankheitsspezifischen Aufwendungen sollten allenfalls so hoch wie der Ausgleichbetrag sein. Besser ist es für die Kasse, wenn es ihr durch Konzepte wie Disease und/oder Case Management gelingt, die Kosten unter den Ausgleichbetrag zu senken, denn dann wird eine finanzielle Reserve (Überschuss) aufgebaut. Nach Ansicht von medizinischen Experten sind von den 106 den HMGs zugrundeliegenden Erkrankungen des Morbi-RSA ca. 26 durch spezifische DMP-Konzepte tatsächlich besser zu managen. Das haben bislang die Gesundheitsmanager in den Kassen, aber auch die Dienstleister auf dem DMP- und CM-Sektor noch nicht wirklich in der vollen Bedeutung erkannt. Hier wird zukünftig allerdings die nächste Runde des Wettbewerbs stattfinden.

Morbi-RSA 1.0: DMP-Ansätze im neuen
Morbi-RSA, Patienten und Kostenzahlen

Der ab dem 01.01.09 einzuführende morbiditätsorientierte Risikostrukturausgleich basiert auf 80plus Erkrankungen (BVA, 2008). Diese 80 Krankheiten stehen für rund 65 Milliarden Euro erwartete Mehrkosten. Die Krankheiten gliedern sich auf in einerseits schwerwiegende und andererseits chronische Erkrankungen. Für Disease Management sind primär solche Krankheiten geeignet, die chronisch verlaufen, im Krankheitsgeschehen beeinflusst werden können und die einen standardisierten Behandlungsverlauf (Leitlinien und Care Maps) aufweisen. Legt man diese Kriterien zugrunde, dann treffen diese im neuen M-RSA für rund 26 Krankheiten zu. Die gesamte Prävalenz in der GKV für die unter den neuen M-RSA fallenden Erkrankungen schätzen Experten auf mehr als 36 Millionen Patienten. Dadurch steigt die Zahl der im RSA erfassten DMP-fähigen Patienten um ca. 75 % an. Hierbei ist eine Mehrfacherfassung durch Multimorbidität noch nicht berücksichtigt. Für die Privaten Krankenversicherungen wird sich die Situation ähnlich darstellen. Wenn sie ihre DMPs nicht auf weitere Indikationen ausweiten, wird es ihnen nicht gelingen, den Kostenanstieg bei den Leistungsausgaben wirkungsvoll zu bremsen.

Defizite und Optimierungswege für deutsche DMPs 1.0
Seit nun mehr als 5 Jahren sind DMPs in der GKV für unterschiedliche Indikationen bzw. Erkrankungen in der vertragsärztlichen Versorgung eingeführt. Für die PKV-Versicherten gibt es gleichfalls DMPs, für teilweise andere Indikationen, mit einem anderen inhaltlichen Programm und ohne eine Koppelung an die RSAV. Nach den ersten Evaluationen ist die Lage zwiespältig (Häussler und Berger, 2004; Szecsenyi, 2007). Je nach Perspektive der Kostenträger wird über große Erfolge oder doch eher nur über kleine Schritte in Richtung medizinische Besserung berichtet. Insbesondere die bei der Einführung der DMP-Programme versprochenen Einsparungen konnten bislang nicht realisiert werden.
Ursache für die mangelnde Effektivität der GKV-DMPs ist zum großen Teil eine komplett fehlende oder falsche Risiko-Stratifizierung der eingeschlossenen Patienten, bedingt durch die falschen Anreize aus der RSAV. Nur die komplizierten und schweren Fälle profitieren zunächst von den vorwiegend medizinisch orientierten DMP-Interventionen und nicht die leichten Erkrankungsfälle, denn da ist die Kosten-Nutzen-Relation eher neutral bis negativ.
Das strukturierte medizinische Behandlungsprogramm wird in seinem Impact auf die Verbesserung der Gesundheit drastisch reduziert bis limitiert, wenn der DMP-Patient weiterhin raucht, sich nur zum Auto zu Fuß bewegt (sedentary lifestyle) und seine Konfektionsgröße auf einen BMI-Wert > 30 schließen lässt. Häussler und Berger haben in ihren Berechnungen auf der Basis des Bundesgesundheitssurveys und unter Einsatz des Mellibase®-Programms (Häussler und Berger, 2004) gezeigt, dass gerade beim Diabetes mellitus unter DMP-Programmen erreichte optimale Laborwerte auf Leitlinienniveau nur zu mittleren Reduktionen von Komplikationen führen.
Es scheint also nicht mehr strittig, dass sich erst durch die Kombination von arztzentriertem, medizinischen DMP und patientenzentriertem BMP (auch bi-direktionale DMPs genannt) die volle Wirkung eines Disease-Management-Programms entfalten kann. Hierauf hat auch die Deutsche Disease Management Gesellschaft in ihren Statements mehrfach hingewiesen. Die wissenschaftliche Literatur liefert zu diesem Thema den Nachweis von klar additiven bis multiplikativen Effekten. Hier gilt es nun, angesichts der Einführung des Morbi-RSA, bei der zweiten Generation der DMPs nachzuarbeiten.
Um die Verbindlichkeit der Programme zu erhöhen, sind zwei unterschiedliche Ansätze möglich, die sich zusammen unter dem Stichwort „qualitätsorientierte Vergütung“ zusammenfassen lassen: der Pay-for-Performance- und der Risk-Sharing-Ansatz. Beide Ansätze werden seit einigen Jahren in den USA und teilweise inzwischen auch in U.K. oder den Niederlanden pilotiert.
Pay for Performance (P4P) bedeutet die Prozessqualität und insbesondere deren Optimierung zu incentivieren. Leuchtturm-Projekte in den USA sind beispielsweise (Institute of Medicine, 2001; O’Kane, 2007):
1. Bridges to Excellence (Zusammenschluss von großen Arbeitgebern, Versicherern, MCQA, MEDSTAT, WebMD Health): Programme für Diabetes, KHK, Fallmanagement; Top-10% der Niedergelassenen werden veröffentlicht und erhalten Boni von den beteiligten Kostenträgern;
2. IHA P4P-Initiative (diverse IHAs): Bewertung von Leistungserbringern nach medizinischer Qualität (50 %), Patientenzufriedenheit (40 %), IT (10 %). Medizinische Qualität nach Definition der NCQA für Diabetes, KHK, Asthma, Krebsscreening, Kinderimpfung) sowie
3. Medicare (krankenhausbezogener Ansatz).

Risk Sharing bezieht sich vorrangig auf die erreichte Ergebnisqualität. Hier geht es um harte Outcomes und nicht mehr um mehr oder minder passable Surrogat-Parameter. Bei einem Risk Sharing Agreement für den Diabetes mellitus ginge es dann um die erreichte Reduktion/Vermeidung von Erblindungen, Amputationen, Herzinfarkten oder Schlaganfällen. In Abhängigkeit von der Qualität der Interventionen oder DMP-Programme wird hier prospektiv eine Quote vereinbart (Abb. 2).
Wird die Quote erreicht, so erhalten die beteiligten Leistungserbringer einen Bonus (beispielsweise 20 % an Zusatzvergütung). Wird die verabredete Quote verfehlt, so wird ein prozentualer Malus abgezogen. Allerdings besteht die Medikation in den GKV-DMPs überwiegend aus Standard-Generika, und damit wird man nicht so viel bewegen können. Hier ist ein Umdenken erforderlich. Innovative Medikamente und neue Wirkstoffe gehören in effektive DMPs, aber unter der Bedingung des Risk Sharings.
Darüber hinaus sollten die DMP-Patienten zukünftig aktiver in die Programme bzw. die Behandlungskette einbezogen werden, beispielsweise durch gezielte Bonus- und weniger über Malus-Regelungen. Nur wenn der Patient echte Anreize verspürt, wird er sein Verhalten nachhaltig verändern.

Disease Management 2.0 in Holland, ein attraktives Modell für das deutsche Gesundheitswesen?

Obwohl sich die gesundheitliche Lage in Deutschland mit den Niederlanden nicht unbedingt in allen Details vergleichen lässt, gibt es dort einige interessante Entwicklungen im Bereich Disease Management, die sich für einen Transfer in die deutsche Versorgungslandschaft anbieten. Die niederländischen Nachbarn haben drei wichtige Dinge festgestellt:
1. Die Versorgungsqualität stimmt nicht mit den Erwartungen der Akteure überein, denn sie ist faktisch schlechter.
2. Die Zusammenarbeit zwischen den Ärzten und den anderen Disziplinen ist mangelhaft.
3. Darüber hinaus sind die Akteure der Versorgung nicht bereit, den Versorgungsprozess und die gelieferte Versorgungsqualität transparent zu machen.
Bei dieser Ausgangslage haben sich in den Niederlanden die sogenannten „Indikationsbasierten Kettenversorgungsprogramme“ entwickelt. Eine Kette umfasst dabei alle professionellen Versorger, die sich um einen bestimmten Patienten kümmern. Bei der Erkrankung Diabetes handelt es sich dann meistens um den Hausarzt, die Praxishelferin, den Internisten, den Diabetologen, den Ophtalmologen, den Podologen, die Diätassistentin und den Physiotherapeuten. Aber es gibt auch Ketten, in die die Apotheke, das Labor und weitere Leistungserbringer eingebunden sind. Die letzte und unumkehrbare Entwicklung ist nun in Holland, dass auch der Patient selbst ein aktiver Teil der Versorgungskette wird.
Um die intensive und effektive Zusammenarbeit der Versorger und des Patienten zu ermöglichen, ist eine spezifische multidisziplinäre klinische Software-Unterstützung notwendig. Mit der Software werden folgende Voraussetzungen abgesichert:
- Der medizinische Inhalt der multidisziplinären Software ist völlig leitlinienbasiert. Damit wird gesichert, dass alle Beteiligten richtig, d.h. nach besten Standards behandeln, evidenzbasiert vorgehen und eine qualitativ hochwertige Versorgung liefern.
- Die kooperierenden Versorger arbeiten alle gemeinsam in einem miteinander geteilten elektronischen Patienten-Dossier. Der jeweils handelnde individuelle Versorger ist über den gesamten Behandlungsprozess informiert, er kennt alle Daten und Befunde, die für den spezifischen Patienten relevant sind.
- Eine auf Datentransparenz, Qualität und Benchmarking begründete Zusammenarbeit führt zu besseren Resultaten und als quasi Nebeneffekt meistens ebenfalls zu besseren Kooperationsverhältnissen.
Wenn der Patient in der Kette aktiv eingebunden ist, dann wird es noch spannender, weil der Patient Zugang zu seinen eigenen Daten hat und damit die Möglichkeit, die „Qualität“ seines Versorgers zu überprüfen.
Weil alle Beteiligten in einem gemeinsamen elektronischen Dossier arbeiten, wird eine transversale und longitudinale Datenbank aufgebaut. Hiermit können dann die gelieferte Versorgungsqualität, die daraus entstehenden gesundheitlichen Effekte, das Patientenverhalten und viele andere relevante Fragestellungen evaluiert werden.
Durch die neu geschaffene Transparenz wird es für Kostenträger wie Leistungserbringer möglich, die Qualität, die Prozesse und auch die Ergebnisse mit innovativen Vergütungsmodellen zu flankieren.
Die notwendige multidisziplinäre Disease-Management-Software ist in den Niederlanden mit Erfolg entwickelt worden. Parallel hat man flankierende Implementationsprozesse entwickelt und professionalisiert. VitalHealth Software und Diagnosis4Health sind die Marktführer in den Niederlanden für die Entwicklung und Implementation dieser multidisziplinären Software. Obwohl VitalHealth eine holländische Firma ist, ist VitalHealth Software zugleich eine Tochtergesellschaft der amerikanischen Mayo Clinic in den USA. Diagnosis4Health ist mit mehr als zehnjähriger Erfahrung voll auf die Implementation von neuen Versorgungsprozessen in der klinischen Praxis fokussiert. Bei der Implementation setzt Diagnosis4Health schon seit vielen Jahren speziell geschulte Arzthelferinnen und Krankenschwestern sowie geeignete Pflegekräfte ein. Diese werden entweder direkt in den Arztpraxen tätig oder sie erreichen die ihnen zugeordneten Patienten über das Telefon (Callcenter-Ansatz). Als wichtigstes Element der die DMPs unterstützenden Software ist sicherzustellen, dass die relevanten Leitlinien genau befolgt werden.
Die holländischen Leitlinien sagen, dass ein COPD/Asthma-Patient nach der Diagnosestellung alle 6 Monate vom Arzt gesehen werden soll, und dass während dieser Besuche bestimmte medizinische Bereiche abgefragt oder untersucht werden sollen. So müssen bei jeder Gelegenheit Blutdruck, Pulsfrequenz, Zeichen von Herzversagen („Vitals“, orange) kontrolliert werden. Ebenso soll gecheckt werden, ob es in der vergangenen Periode Zeichen von Verschlechterung der Erkrankung gegeben hat, wie es aussieht mit der Ernährung und mit der Muskelkraft (rot). Nur einmal pro Jahr wird eine Spirometrie durchgeführt. Natürlich lässt die Software es zu, alle notwendigen Untersuchungen auch zwischendurch und isoliert durchzuführen. Aber in jeden Fall wird gesichert, dass das minimal Notwendige zu der richtigen Zeit durchgeführt wird.
Bei einem stabilen Patienten kann die Kontrolle meistens routinemäßig durchgeführt werden, weil die Software genau sichert, was abgefragt und untersucht werden soll, abnormale Befunde erkennt und darüber direkte Berichte an die Benutzer der Software gibt. Auf diese Weise wird es durchaus möglich, Routinetätigkeiten zu delegieren, beispielsweise an einen Physician‘s Assistant. Der Arzt wird nur dann hinzugezogen, wenn es Befunde gibt, die den direkten Einsatz des Arztes erfordern. Auch der Patient wird integraler Teil der Versorgungskette, wobei unterschiedliche Kommunikationstechnologien zur Verfügung stehen wie der Computer, der Fernseher, das Mobiltelefon und weitere Spezialgeräte (Abb. 2).
In der Abbildung 2 ist ein elektronisches Medikationsschema dargestellt, das dem Patienten hilft zu sehen, welche Tablette oder Inhalatorhübe er zu welchem Zeitpunkt einnehmen bzw. anwenden soll. Dabei kann der Patient gefragt werden, wann er das Medikament tatsächlich eingenommen hat. Über diesen interaktiven Dialog kann man die Compliance fördern und zugleich auch messen.
In der Abbildung 3 wird transparent, ob die Versorgungspartner leitliniengetreu bestimmte Kontrollen durchgeführt haben. Die verwendete Ampel illustriert die Situation: Rot heißt, dass eine Kontrolle nicht innerhalb der durch die Leitlinien vorgegebenen Termine durchgeführt worden ist, orange heißt, dass eine Kontrolle bald fällig ist, grün hingegen bedeutet, dass alles innerhalb der vorgeschriebenen Termine gemacht worden ist. Wenn ein Patient selbst mitmacht und bestimmte Kontrollen selbst durchführt bzw. Leistungs- oder Laborparameter misst, dann wird hier auch sichtbar, wie die Leistung des Patienten aussieht. Mit dieser Transparenz wird es möglich, dass alle Beteiligten einander auf ihre jeweiligen Zuständigkeiten, Verantwortlichkeiten und auch Unzulänglichkeiten hin ansprechen (Abb. 3).
Zukünftig wird sich das Disease Management vor allem auf Patienten mit mehreren Erkrankungen fokussieren, denn das entspricht viel eher der heutigen Versorgungsrealität. Wer an Diabetes leidet, ist oft zugleich an einer KHK erkrankt. Der COPD-Patient bekommt mit dem Älterwerden sein Rheuma hinzu. Hier wird es darauf ankommen, die einzelnen indikationsgebundenen DM-Programme mit Schnittstellen und über Algorithmen und Datenintegration sinnvoll zu vernetzen. Diesen Aspekten widmet sich die Entwicklungsabteilung von VitalHealth/D4H mit großem Engagement. Das heutige Spektrum der angebotenen DMPs und BMPs geht schon weit über das der deutschen Anbieter hinaus. Das niederländische Unternehmen hat die Chancen auf dem DMP-Sektor in Deutschland mit der Einführung des Morbi-RSA erkannt und wird seine zukünftige Entwicklungsstrategie daran ausrichten.
In Deutschland könnten Ärztenetze oder IV-Modelle nach § 140 SGB V diese Software nutzen, um wirklich glaubhaft zu dokumentieren, dass sie eine bessere Versorgungsqualität abliefern. Insbesondere populationsbasierte IV-Modelle wie beispielsweise das Modell-Projekt der AOK Baden-Württemberg – „Gesundes Kinzigtal“ – könnte den selbst gesteckten Zielen über einen derart integralen Ansatz ein großes Stück näher kommen: dem aktiven Managen der Gesundheit des gesamten Kollektivs. Die PKV-Versicherungen könnten hingegen bestimmte innovative Tarife oder bessere Erstattungsmodalitäten an den Einsatz der Software binden. Auch die zaghaften Versuche der PKV-Unternehmen, PPO-Modelle in Deutschland mit medizinisch wenig relevanten Parametern zu etablieren, könnten durch den verbindlichen Einsatz der Software und die professionelle Einbindung von nicht-ärztlichen Professionals eine andere Qualitätsdimension erlangen. Durch die Reports und Benchmarking-Berichte der Software wüssten die PKV-Versicherungen endlich einmal, für welche Qualität der Versorgung sie welchen Steigerungssatz zahlen sollten.

Zusammenfassung und Schlussfolgerungen
Das niederländische Beispiel zeigt, wie die Versorgung mit umfassender Softwareunterstützung, dem Einsatz von medizinischen nicht-ärztlichen Fachkräften auf unterschiedlichen Stufen der Versorgungskette und der Integration aller an der Versorgungskette Beteiligten – einschließlich des Patienten – tatsächlich verbessert werden kann. Dieser dreifache Ansatz scheint tatsächlich der entscheidende Erfolgsfaktor für effektives Disease Management zu sein. Darüber hinaus müssen Disease-Management-Programme zukünftig Multi-Disease-fähig aufgebaut sein, statt sich nur auf singuläre Indikationen zu fokussieren.
Unter den neuen Rahmenbedingungen des Morbi-RSA ist ein großer Bedarf für derartige neue, Multi-Disease-fähige DMPs zu erwarten. Die Anbieter sind aufgerufen, neuartige Programme und Konzepte für die Erkrankungen des Morbi-RSA zu entwickeln. Die Kostenträger sollten diese neuen Programme durch innovative Vergütungskonzepte wie Pay for Performace oder Risk Sharing begleiten. <<