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Ein „Nationaler Krebsplan“ für Deutschland: Cui bono?

Der „Nationale Krebsplan“ von BMG, DKH und DKG liest sich wie ein 5-Jahresplan zur Generierung ungeheurer Bedarfe, insbesondere im medikamentösen Bereich, um sicherzustellen, dass die steigenden Substanzmengen im „onkologischen Medikamentenmarkt“ einer genügend anwachsenden Zahl von „Konsumenten“ zugeführt werden können, und dass diese auch bereit sind, die von den Produktherstellern geforderten Preise, egal wie hoch, zu zahlen, ohne den Nutzenbeweis je erhalten zu können. Ein Nationaler Krebsplan, der dem Wohle des einzelnen Betroffenen und der Bevölkerung insgesamt dient, muss das entgegengesetzte Ziel von Wachstum von Krankheit und Leid verfolgen: Er muss Erkrankungsrisiken senken, Krankheitslast vermindern und durch vielfältige präventive Maßnahmen zu einer Verminderung der Krebsinzidenz und Krebsmortalität führen. Mit einem solchen Nationalen Krebs(präventions)plan würden sich zwar die Gewinnerwartungen des Onkologischen Pharmamarktes in den nächsten 5 bis 10 Jahren nicht erfüllen. Dafür würden Lebensqualität und Lebenserwartung der Bevölkerung in Deutschland deutlich steigen. Die Bürger in Deutschland müssen in einer so zentralen Frage der Demokratie gefragt werden, welchen Nationalen Krebsplan sie wollen.

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Erstveröffentlichungsdatum: 01.08.2009

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Abstrakt: Ein „Nationaler Krebsplan“ für Deutschland: Cui bono?

Der „Nationale Krebsplan“ von BMG, DKH und DKG liest sich wie ein 5-Jahresplan zur Generierung ungeheurer Bedarfe, insbesondere im medikamentösen Bereich, um sicherzustellen, dass die steigenden Substanzmengen im „onkologischen Medikamentenmarkt“ einer genügend anwachsenden Zahl von „Konsumenten“ zugeführt werden können, und dass diese auch bereit sind, die von den Produktherstellern geforderten Preise, egal wie hoch, zu zahlen, ohne den Nutzenbeweis je erhalten zu können. Ein Nationaler Krebsplan, der dem Wohle des einzelnen Betroffenen und der Bevölkerung insgesamt dient, muss das entgegengesetzte Ziel von Wachstum von Krankheit und Leid verfolgen: Er muss Erkrankungsrisiken senken, Krankheitslast vermindern und durch vielfältige präventive Maßnahmen zu einer Verminderung der Krebsinzidenz und Krebsmortalität führen. Mit einem solchen Nationalen Krebs(präventions)plan würden sich zwar die Gewinnerwartungen des Onkologischen Pharmamarktes in den nächsten 5 bis 10 Jahren nicht erfüllen. Dafür würden Lebensqualität und Lebenserwartung der Bevölkerung in Deutschland deutlich steigen. Die Bürger in Deutschland müssen in einer so zentralen Frage der Demokratie gefragt werden, welchen Nationalen Krebsplan sie wollen.

Abstract: A National Cancer Plan: Cui bono?

The recently presented National Cancer Plan by the Federal Ministry of Health, the German Cancer League and the German Cancer Society reads like a five-year plan of generating huge demands in the oncology health care market, particularly for pharmaceuticals guaranteeing that the increasing amounts of substances in the oncologic pharmaceutical market will meet a sufficient number of „consumers“ willing to pay any price demanded by the producers without being able to receive a proof of efficiency and cost-effectiveness of those new molecules developing in the oncology pipeline. A National Cancer Plan serving the well-being of the affected individual as well as benefiting the general population must pursue the opposite of increasing the magnitude of disease and suffering: it has to reduce risiks and decrease burden of disease by multifaceted preventive strategies aiming at the decline of cancer incidence and cancer mortality. Such a National Cancer Plan would indeed substantially disturb the rapid expansion of the oncology health care market while quality of life and life expectancy of the general population at the same time would considerably increase. Upon a matter of such importance to democracy the citizens of Germany have to be asked which National Cancer Plan they prefer.

Literatur

Richter-Kuhlmann E. Nationaler Krebsplan. „Die Zeit ist reif“. Dt. Äblatt. 2009;106(27):1193 Bundesministerium für Gesundheit. Nationaler Krebsplan 2009. www.bmg.bund.de/cln_109/nn_1168248/SharedDocs/Standardartikel/DE/AZ/K/Glossar-Krebs/Nationaler-Krebsplan-Wichtige-Handlungsfelder.html, abgerufen am 7.Juli 2009) Gavell S.J. The Oncology Pipeline: Maturing, Competitive, and Growing? Oncolgy Business Review, 9/2008, www.imshealth.com, abgerufen am 06.07. 2009. Oeppen J & Vaupel JW. Broken limits to life Expectancy. Science 2002; Vol. 296 (No. 5570), pp. 1029 - 1031DOI: 10.1126/science.1069675; abgerufen am 07.0.7.2009 Robert Koch Institut Berlin. Krebs in Deutschland 2003-2004. Häufigkeiten und Trends www.rki.de, abgerufen am 06.07.2009. Krebsregister Saarland. Zeitreihenberechnung der Krebsinzidenz gesamt und nach Alter und Geschlecht 1970 bis 2006. www.krebsregister.saarland.de/datenbank/datenbank.html, abgerufen am 06.07.2009 Coleman MP, et al. Responding to the challenge of cancer in Europe. EU Public Health Programme 2008. EUSOMA. Certification Process of Breast Units. www.eusoma.org/Engx/BreastUnits/AccreditationProcess.aspx?cont=ap, abgerufen am 07.07.2009 Deutsche Krebsgesllschaft. Interdisziplinäre S3-Leitlinie fur die Diagnostik, Therapie und Nachsorge des Mammakarzinoms 1. Aktualisierung 2008. www.krebsgesellschaft.de/download/interdiszipl._s3-ll_mamma_080211.pdf; abgerufen am 07.07.2009 Angell M. Drug Companies and doctors: A story of corruption. The New York Review of Books Vol. 56, No. 1, January 15, 2009 Martiny A. et al. Is disclosure of potential conflicts of interest in medicine and public health sufficient to increase transparency and decrease corruption? A Comment by the Working Group on Health of Transparency International, German Chapter. J Epidemiol Comm Health 2009; in press Dören M. et al. Wissenschaftler/innen fordern Neubewertung der HPV-Impfung und ein Ende der irreführenden Informationen. www.uni-bielefeld.de/ gesundhw/ag3/downloads/ Stellungnahme_Wirksamkeit_HPV-Impfung.pdf abgerufen am 07.07.2009 Albreht T et al. Making progress against cancer in Europe 2008. Eur J Cancer 2008;44:1451-1456 Martin-Moreno JM et al. The causes of cancer and policies for prevention. In: Responding to the challenge of cancer in Europe. EU Public Health Programme 2008.

Zusätzliches

Plain-Text

Ein „Nationaler Krebsplan“ für Deutschland: Cui bono?

Das Bundesgesundheitsministerium will eine grundsätzliche Neuausrichtung der Krebstherapie gemeinsam mit der Deutschen Krebsgesellschaft, der Deutschen Krebshilfe und der Arbeitsgemeinschaft deutscher Tumorzentren erreichen. Dazu wurde ein „Nationaler Krebsplan“ ausgerufen und vier Handlungsfelder für Verbesserungen beschrieben: „Weiterentwicklung der Krebsfrüherkennung“, „Weiterentwicklung der onkologischen Versorgungsstrukturen und der Qualitätssicherung“, „Stärkung der Patienten-orientierung“ und - im Ärzteblattartikel dezent verschwiegen - „Sicherstellung einer effizienten onkologischen Arzneimittel-Therapie“. (Bundesministerium für Gesundheit 2009). „Die Zeit ist reif“ titelt das „Deutsche Ärzteblatt“ am 3. Juli 2009 zur Berichterstattung zum Nationalen Krebsplan (Richter-Kuhlmann 2009). Wofür?

>> Angesichts der rasanten Entwicklung der Vermarktung des Gesundheitssystems hierzulande und weltweit drängt allerdings die Zeit: keinem anderen Sektor des Gesundheitswesens werden ähnlich gute Wachstums-
prognosen bescheinigt wie den Krebserkrankungen. Der onkologische Pharmamarkt, heute noch der zweitgrößte, wird schon 2010 zum führenden Medikamentenmarkt angewachsen sein, jährliche Wachstumsraten zwischen 12 und 15 % bis 2012 mit 75 bis 80 Milliarden US $ Umsatz sind prognostiziert (Gavell 2008). Das bedeutet eine Verdopplung der heutigen Umsätze innerhalb der nächsten 5 Jahre. In den Vereinigten Staaten und der EU gleichermaßen ist die Mehrheit der verkauften onkologischen Präparate (70 %) erst in den letzten 10 Jahren in den Markt eingeführt worden. Dabei teilen sich bislang 10 Hersteller 75 % des globalen Marktes. Nahezu 2.000 neue Krebs-Therapie-Moleküle befinden sich in der Entwicklung, 790 von diesen in Phase II. 131 dieser Präparate sind keine Neuentwicklungen, sondern werden für die Zulassung für weitere Krebsindikationen getestet. Bei Phase III Studien macht der Anteil der Indikationserweiterungen bereits ein Drittel aus, bei den kurz vor der Zulassung stehenden Medikamenten ist es der überwiegende Teil (43/50). 20 dieser in der Spätphase der Entwicklung befindlichen Medikamente sollen gegen die häufigen Krebs-Neuerkrankungen Brustkrebs und Bauchspeicheldrüsenkrebs wirken, zehn weitere Substanzen sollen gegen Non-Hodgkin-Lymphome, Prostata-Karzinome und maligne Melanome eingesetzt werden. Nach Ansicht der Analysten sind gewinnversprechende Entwicklungen vor allem für fortgeschrittenen Lungenkrebs, Gastrointestinale Karzinome und Speiseröhrenkrebs zu erwarten. Grund für die optimistische Wirtschaftsstimmung: die Krebserkrankungen nehmen weltweit zu. Und es ist keine ernsthafte Gefährdung dieser optimistischen Erwartung in Sicht. Warum ist das so?
Wir werden immer älter. Hatten vor 160 Jahren Frauen in Schweden die höchste Lebenserwartung (45 Jahre), so sind es heute japanische Frauen mit 88 Jahren. Pro Dekade hat die Lebenserwartung in Industriestaaten um 2,5 Jahre zugenommen, die lineare Steigung zeigt bis heute keine Einbrüche. (Oeppen & Vaupel, 2002). Krebs ist eine Erkrankung des höheren Lebensalters, das durchschnittliche Erkrankungsalter liegt in Deutschland laut Robert Koch-Institut bei 69 Jahren (Robert Koch Institut 2008). Seit 1970 steigt in Deutschland und europaweit die Krebsinzidenz, auch altersspezifisch in den Altersgruppen über 40 Jahren, stetig an. Die Neuerkrankungsrate unterhalb von 40 Jahren ist mit 76 Neuerkrankungen auf 100.000 Männer sehr niedrig, bei Frauen mit 127 pro 100.000 Frauen fast doppelt so hoch. Dieses Geschlechterverhältnis verschiebt sich zu Ungunsten der Männer im höheren Alter. Bei über 60-jährigen Männern erkranken 1.315 von 100.000 neu an Krebs, bei den Frauen 871/100.000. Bei über 80-Jährigen steigt die Rate der Neuerkrankungen auf annähernd 3.000/100.000 Männer und auf 1.700/100.000 Frauen. (Krebsregister Saarland, Zeitreihen zur Krebsinzidenz 2009). Die absolute Zahl der neu an Krebs Erkrankten in Deutschland beträgt derzeit jährlich 440.000 Menschen, im Europa der 25 Mitgliedstaaten sind es insgesamt 2,3 Millionen neue Fälle, wobei insgesamt mehr Männer (1,25 Millionen) betroffen sind als Frauen (1,04 Millionen). Mit 320.000 neu diagnostizierten Fällen ist Brustkrebs die häufigste Krebserkrankung in der EU25, gefolgt von rund 300.000 Neuerkrankungen an Prostatakrebs, rund 300.000 Darmkrebserkrankungen (163.000 Fälle bei Männern und 134.000 Fälle bei Frauen) und 165.000 Lungenkrebsfällen (194.000 Männer, 71.000 Fälle bei Frauen) (Coleman et al., 2008).
Die Ausweitung unwirksamer „Krebsvorsorge“
Das deutsche Krebsfrüherkennungsprogramm, finanziert von den gesetzlichen Krankenkassen, ist eine Mogelpackung, so wie der Begriff „Krebsvorsorge“. Obwohl sachlich falsch, wird er immer weiter hartnäckig verwendet. Mit den angebotenen, z.T. nur vermeintlichen Früherkennungsmaßnahmen wird propagiert, man könne Krebs „vorsorgen“, also verhindern. Weder ist der Katalog der Leistungen, auf die die gesetzlich Versicherten einen Anspruch haben, tatsächliche Krebsfrüherkennung – z.B. Tastuntersuchungen für Brustkrebs, Enddarmkrebs, Prostatakrebs – noch werden die zur Früherkennung geeigneten Untersuchungen wie Pap-Abstrich für Gebärmutterhalskrebs oder die Früherkennungsuntersuchungen für Darmkrebs systematisch und mit der erforderlichen hohen Qualität angeboten. Besonders schlimm ist, dass das gegen erhebliche Widerstände seit 2005 angelaufene Mammographie-Screening-Programm bisher keinen Nachweis erbracht hat, ob es die notwendigen europäischen Qualitätsanforderungen erreicht; nach vier Jahren Laufzeit gibt es weder Transparenz über die Ergebnisse noch über die eingesetzten Geräte und ihre sehr unterschiedliche Strahlenbelastung und Bildqualität. Das erklärte Ziel des Nationalen Krebsplans, die Inanspruchnahme dieses schlechten Angebotes zu steigern, unterstreicht die Zielrichtung der Wachstumsförderung im onkologischen Markt. Schlechte Krebsfrüherkennung bringt mehr Schaden als Nutzen, da sie zu mehr späten Diagnosen führt ohne die Krebssterblichkeit zu senken.
Der flächendeckende Ausbau „Klinischer Krebsregister“
Eine Krebsregistrierung ohne Bevölkerungsbezug kann nur sehr eingeschränkte Rückschlüsse auf die Qualität von Früherkennungsprogrammen oder die Erfolge der Krebsbehandlungen liefern, weil die mit den Daten einzelner Kliniken arbeitenden „klinischen Krebsregister“ es immer mit einer Selektion von bestimmten Krebspatienten zu tun haben, eben solcher, die in ihrer jeweiligen Klinik behandelt werden. Solche Registrierung dient dann zuallererst dem Ziel, jedes Jahr möglichst zunehmende Behandlungszahlen der lukrativen onkologischen Fälle in der eigenen Klinik zu dokumentieren. Der Ausbau und die Verbesserung der in vielen Bundesländern immer noch nicht funktionierenden epidemiologischen Krebsregister wie z.B. in NRW, Hessen oder Baden-Württemberg, die dringend benötigte Bevölkerungsdaten zur Verfügung stellen könnten, ist dagegen nicht vorgesehen!
Der Nationale Krebsplan sieht die Aufgabe der klinischen Krebsregister zweitens darin, die Anwendung von sogenannten S3 Leitlinien zu überprüfen und für die Befolgung dieser Leitlinien Zertifikate für Onkologische Zentren durch die Deutsche Krebsgesellschaft zu verleihen (Deutsche Krebsgesellschaft (DKG) 2008). Eine Europäische Zertifizierung von Brustzentren, die von der europäischen Gesellschaft für Brustkunde (EUSOMA) bereits an 30 spezialisierte Brustzentren in Deutschland und anderen europäischen Nachbarländern verliehen wurde (European Society of Mastology 2005), wird seit Jahren beharrlich von der DKG ignoriert. Beträchtliche Abweichungen zwischen den europäischen und deutschen Vorgaben betreffen vor allem die Spezialisierung der im Brustzentrum tätigen Experten, die nach europäischen Kriterien notwendige prä- und postoperative Fallbesprechung im interdisziplinären Team für jede betroffene Frau und die Zusammenarbeit mit anderen europäischen Brustzentren sowie die Transparenz der Behandlungsergebnisse in einer kontinuierlich fortgeschriebenen europäischen Datenbank. Der Nutzen von adjuvanter Chemotherapie wird im Gegensatz zu den S3 Leitlinien des Nationalen Krebsplans in den Europäischen Brustzentren viel kritischer eingeschätzt und ihr Einsatz weniger häufig empfohlen. Viel mehr Wert wird in europäischen Brustzentren auf die Übereinstimmung von bildgebender und histopathologischer Diagnostik vor der Operation und einer sicheren und kosmetisch zufriedenstellenden Entfernung des Tumors im Gesunden gelegt, da mit diesen Parametern die spätere Prognose weitgehend bestimmt wird. Der Nutzen einer adjuvanten Chemo-Therapie für alle Frauen mit der Erstdiagnose Brustkrebs ist dazu im Verhältnis eher gering einzustufen.
Eine grundsätzliche Problematik der gegenwärtigen medizinischen Forschung besteht in ihrer zunehmenden Abhängigkeit von der Medizinproduktindustrie. Die für die Beurteilung der Wirksamkeit und Verträglichkeit neuer Substanzen unabdingbaren randomisierten, kontrollierten Langzeitstudien werden seit vielen Jahren in der Regel vom jeweiligen Hersteller des zu untersuchenden Medikamentes finanziert, oftmals auch geplant, ausgewertet und publiziert. Die Gefahren dieser Abhängigkeit sind vielfältig: sie reichen von möglichen Daten-Manipulationen über eine Unterdrückung bzw. Nicht-Veröffentlichung unerwünschter Ergebnisse sowie den vorzeitigen Abbruch von Studien am Zeitpunkt des maximalen Therapieerfolgs, mit der Folge, dass diese Studien oftmals wenig aussagekräftige Ergebnisse über die tatsächliche Wirkung und potenzielle Nebenwirkung zulassen. Langfristige Wirkungen der Substanzen auf das Überleben der mit ihr behandelten krebsbetroffenen Menschen ist kaum noch untersuchter Endpunkt, sondern nur das „krankheitsfreie Überleben“, also die Zeit, bis ein Wiederauftreten der Krankheit beobachtet wird.
Solche Ersatz-Studienendpunkte lassen die Effizienz einer neuen Therapie gerne besser erscheinen, als sie in Wirklichkeit ist. Die Medikamentenzulassung, gerade wenn immer weniger Zeit zwischen Forschung und Marktzulassung gefordert wird, geschieht häufig auf der Basis von ungenügender wissenschaftlicher Evidenz, ein für uns alle potenziell lebensbedrohliches Experiment. Die zu beobachtende zunehmende Ohnmacht von Aufsichts- und Zulassungsbehörden gegenüber dem Markteinführungsdruck neuer Medizinprodukte wird flankiert von massivem Marketing, das insbesondere Meinungsführer der wissenschaftlichen Fachgesellschaften als Produktfürsprecher für die Aufnahme des Produktes in Leitlinien und klinische Behandlungsempfehlungen zum Ziel hat. Mittlerweile haben fast alle in der klinischen Forschung und Behandlung tätigen Ärzte umfangreiche Beziehungen gerade zu den Medikamentenherstellern (Angell 2009) mit der Folge, dass die Berufung unabhängiger Experten in Zulassungsgremien oder Leitlinienkommissionen zunehmend schwierig wird. Die Konsequenzen dieser weit verbreiteten Interessenkonflikte, die heute eher die Norm als die Ausnahme geworden sind, sind erschreckend: objektive Informationen auf der Grundlage evidenz-basierter, hochwertiger Leitlinien können so nicht länger bereitgestellt werden (Martiny et. al für die Arbeitsgruppe Gesundheit Transparency International Deutschland e.V. 2009).
Unter dem Stichwort verbesserte Patienteninformation hat kürzlich die EU-Kommission eine weitgehende Lockerung des Werbeverbotes für verschreibungspflichtige Medikamente einschließlich der medialen Werbung beschlossen. Erfahrungen aus USA zeigen, dass dort nach Aufhebung des Werbeverbotes die Umsätze für verschreibungspflichtige Medikamente innerhalb eines Jahres schon zu einen Kostenanstieg für die Arzneimittelversorgung um etwa 12 % geführt haben, bei einer Umsatzsteigerung um 6 % und bei keinem qualitativen Zugewinn in der Gesundheitsversorgung.
Gerade im Krebsbereich ist eine sachgerechte, Ängste abbauende Information unabdingbar, aber derzeit schlichtweg Utopie. Am Beispiel der Kampagne zur HPV-Impfung, in der das DKFZ sowohl bei der Entwicklung und der Patentnutzung beteiligt ist, stellt sich die Frage, wie und wo noch eine unabhängige Information gewährleistet werden kann. Angesichts der inzwischen laut gewordenen Kritik an der Impfung (Dören et al. 2008) und ihrer schnellen und im Vergleich zu anderen Ländern kostenträchtigen Einführung (in Deutschland zahlen die Krankenkassen 477 Euro anstatt 210 Euro wie in den Niederlanden oder Großbritannien für den Impfstoff) gingen die im Nationalen Krebsplan als hochwertige Informationsquellen gepriesenen Einrichtungen wie der Krebsinformationsdienst (KID) oder die Deutsche Krebshilfe nicht auf Distanz zur Impfkampagne – ganz im Gegenteil. Der ehemalige Leiter des DKFZ und Nobelpreisträger Prof. Harald zur Hausen wirbt am 6.07.2009 in einer ganzseitigen Anzeige in einer großen Tageszeitung für die Segnungen der Impfung – im Namen von www.forum-chemie-macht-zukunft.de.
Sicherstellung einer effizienten onkologischen
Arzneimittel-Therapie
In diesem Handlungsfeld wird das Wachstumsziel des Nationalen Krebsplans am deutlichsten formuliert: „In den letzten Jahren zeichnet sich eine Entwicklung ab, dass zunehmend so genannte zielgerichtete, sehr teure Krebsarzneimittel zum Einsatz kommen, in die große Hoffnungen hinsichtlich Wirksamkeit, Verträglichkeit und Lebensqualität gesetzt werden. in den kommenden Jahren wird eine Reihe weiterer Arzneimittel auf den Markt kommen, was mit einer ehrblichen Kostenzunahme der onkologischen Therapien verbunden sein wird.“ (Nationaler Krebsplan, Handlungsfeld 3. ) Schon die Hoffnungen in eine Substanz rechtfertigt ihre Markteinführung und jeden Preis, eine sorgfältige wissenschaftliche Überprüfung, auch der Kosten-Effizienz, wird gar nicht mehr gefordert, geschweige denn ein Konzept entwickelt, wie man angesichts des hohen Drucks, mit denen die neuen Produkte möglichst schnell und möglichst teuer in den „onkologischen Markt“ gepresst werden sollen, den Schutz des Patienten/Verbrauchers noch gewährleisten kann. Der „Nationale Krebsplan“ von BMG, DKH und DKG liest sich wie ein 5-Jahresplan zur Generierung ungeheurer Bedarfe, insbesondere im medikamentösen Bereich, um sicherzustellen, dass die steigenden Substanzmengen im „onkologischen Medikamentenmarkt“ einer genügend anwachsenden Zahl von „Konsumenten“ zugeführt werden können und dass diese auch bereit sind, die von den Produktherstellern geforderten Preise, egal wie hoch, zu zahlen, ohne den Nutzenbeweis je erhalten zu können.
Ein Nationaler Krebsplan, der dem Wohle des Einzelnen Betroffenen und der Bevölkerung insgesamt dient, muss das entgegengesetzte Ziel von Wachstum von Krankheit und Leid verfolgen: er muss Erkrankungsrisiken senken, Krankheitslast vermindern und durch vielfältige präventive Maßnahmen zur einer Verminderung der Krebsinzidenz und Krebsmortalität führen.
Strategien der primären und sekundären Prävention sind für einen Nationalen Krebsplan von erwiesenem Nutzen. Als Leitfaden hierfür sei der Europäischen Kodex gegen Krebs (zuletzt 2003 überarbeitet) in Erinnerung gebracht, der in der Europäischen Union aktuellen Überlegungen zur Verbesserung der Krebsbekämpfung zu Grunde liegt (Albreht et al. 2008). Er enthält wesentliche Grundregeln für die allgemeine Verbesserung der Gesundheit, die zu einer Verringerung der Krebserkrankungsfälle und der Krebstodesfälle führt, aber auch andere chronische Erkrankungen wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes mellitus vermindern würde:

1) Rauchen Sie nicht; sind Sie Raucher, versuchen sie so schnell wie möglich aufzuhören. Rauchen Sie niemals in der Anwesenheit von Nicht-Rauchern, da Sie diese kurz- und langfristig gefährden. Rauchen verursacht nicht nur Krebs, sondern auch chronisch- obstruktive Lungenerkrankungen, Herz-Kreislauferkrankungen und plötzlichen Kindstod. 25-30% aller diagnostizierten Krebserkrankungen in Europa sind auf Tabakrauchen zurückzuführen.
2) Vermeiden Sie Übergewicht: Ein Übergewicht (Body Mass Index [BMI]) von 30 kg/m2 und darüber ist ein Hauptrisikofaktor von Morbidität (Krebs, Diabetes, Herzkreislauf-Erkrankungen) und Mortalität.
3) Tägliche sportliche Aktivität: Viele Studien belegen den schützenden Effekt von sportlicher Aktivität gegen Krebserkrankungen wie Dickdarmkrebs, Brustkrebs, Gebärmutterkrebs und Prostatakrebs. Es genügen 30 Minuten täglich, wenigstens dreimal die Woche. Mehr Sport könnte noch mehr zur Krebsprävention beitragen.
4) Steigern Sie die tägliche Aufnahme von Obst und Gemüse: Essen Sie mindestens 5 Portionen davon am Tag. Reduzieren sie Nahrungsmittel, die tierische Fette enthalten.
5) Wenn sie Alkohol trinken, tun Sie dies in sehr geringen Mengen, maximal 2 Drinks = 20 Gramm Alkohol am Tag für Männer und 1 Drink = 10 Gramm Alkohol am Tag für Frauen. Eine minimale ungefährliche Dosis im Hinblick auf die Krebsentstehung gibt es nicht.
6) Vermeiden Sie zu viel Sonne. Es ist besonders wichtig, Kinder und Jugendliche zu schützen.
7) Seien Sie außerordentlich streng in der Anwendung von Gesetzen, die Sie davor schützen, karzinogenen Stoffen ausgesetzt zu werden. Befolgen sie allen Gesundheits- und Sicherheitsanweisungen im Umgang mit solchen Substanzen. Befolgen Sie die Strahlenschutzbestimmungen.

Programme zur Bekämpfung der Krebssterblichkeit durch Früherkennung
8) Frauen über 25 Jahren sollten an einem Gebärmutterhalskrebs-Screening-Programm teilnehmen, das Testintervall liegt zwischen 3 und 5 Jahren
9) Frauen über 50 sollten an organisierten Mammographie- Screening-Programmen zur Brustkrebsfrüherkennung teilnehmen.
10) Männer und Frauen über 50 Jahre sollten in Darmkrebs-Screening-Programmen teilnehmen mittels fäkalem okkulten Blut- (FOBT) Testbriefen, gefolgt bei positivem Test von einer Darmspieglung in 3-5 jährigen Intervallen.
11) An Impfprogrammen (gesamte Bevölkerung) gegen Hepatitis B teilnehmen zur Vermeidung von Leberzellkrebs. (Martin-Moreno & Magnusson 2008)

Mit einem solchen Nationalen Krebs(präventions)plan würden sich zwar die Gewinnerwartungen des Onkologischen Pharmamarktes in den nächsten 5 bis 10 Jahren nicht erfüllen. Dafür würden Lebensqualität und Lebenserwartung der Bevölkerung in Deutschland deutlich steigen. Die Bürger in Deutschland müssen in einer so zentralen Frage der Demokratie gefragt werden, welchen Nationalen Krebsplan sie wollen. <<